Über ihn und seine Deutung wurden ganze Lexika geschrieben, er galt als medizinisches Diagnose- und Heilmittel und beeinflusste das Leben der Mächtigen wie der kleinen Leute: der Traum in der Antike. In unserem Beitrag liefern aber nicht die großen Philosophen Aristoteles und Cicero die interessantesten Beiträge, sondern der griechische Traumdeuter Artemidor, dem Sigmund Freud große Anerkennung entgegenbrachte…

Für die Menschen in der Antike hatten Träume eine große Bedeutung, denn sie wurden als Botschaften der Götter betrachtet. Sie hatten zudem, wie der Historiker Gregor Weber in einem Artikel für das Handbuch Traum und Schlaf schreibt, einen „prognostischen Wert“, sagten also die Zukunft voraus. Träume bzw. ihre Deutungen waren daher im Bereich der Wahrsagekunst sehr wichtig. Forscher*innen nehmen an, dass es aus diesem Grund sehr viele Bücher über Träume und die Traumdeutung gegeben haben muss. Vollständig überliefert wurde aber einzig das Traumdeutungsbuch, die Oneirokritika, des griechischen Traumdeuters Artemidor aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr.

Artemidors Traumdeutungsbuch – antiker Vorreiter der heutigen Traumdeutung

Artemidors Oneirokritika ist als theoretische Grundlegung der Traumdeutung so wesentlich, dass sogar Sigmund Freud sein Interesse daran bekundet hat. Insgesamt führt das antike Traumlexikon etwa 1.400 Traummotive und 3.000 Deutungen auf. Die waren zum einen für Menschen gedacht, die nach einem Traum erst mal selbst zu einem Lexikon greifen wollten, bevor sie Traumdeuter*innen aufsuchten. Zum anderen verfasste Artemidor das Traumbuch aber auch für seinen Sohn, der dadurch die Traumdeutung erlernen und in die Fußstapfen seines Vaters treten sollte.

Eine antike Traumdeutung lief folgendermaßen ab: Zunächst entschieden die Traumdeutenden, ob es sich um einen bedeutungsvollen oder unbedeutenden Traum handelte. Dann wurde die Form des Traumes untersucht. Man unterschied dabei zwischen offenen und allegorischen Träumen. Dabei waren nur die allegorischen, die auch entschlüsselt werden mussten, von Interesse für Artemidor: Bei der anschließenden Auslegung des Traumes berücksichtigte der antike Traumdeuter nicht ausschließlich den Traum, sondern auch Faktoren wie die individuelle Situation der Träumenden, ihre Lebensumstände, ihre Gemütslage und auch lokale Sitten und Bräuche. Träume waren damit für Artemidor „kulturell determiniert“, wie die Altphilologin Marion Giebel in ihrem Buch Träume in der Antike erklärt.

Die ersten vier Bücher der Oneirokritika umfassen Klassifizierungen von Träumen, das fünfte Buch enthält Fallbeispiele für Träume, die in Erfüllung gegangen sind. Dort erzählt Artemidor unter anderem: „Es träumte einer, er werde von einer Frau, die er seit langem kannte, verfolgt. Sie wollte ihm eine Paenula, wie dieses Übergewand auf lateinisch heißt, umlegen, deren Naht vorne aufgetrennt war. Schließlich sei er gegen seinen Willen dazu gezwungen worden. Die Frau, die in ihn verliebt war, heiratete ihn, obwohl er nicht wollte, aber nach wenigen Jahren trennte sie sich von ihm; die Paenula war ja aufgetrennt.“

Das Verzehren von süßen Äpfeln bedeutet reichen Liebesgenuss

Artemidor geht in seinem Werk systematisch vor, indem er verschiedene Kategorien aufführt: Angefangen bei der Geburt, dem Körper und einzelnen Körperteilen über Kleidung, Freizeit, Tiere und Lebensmittel bis hin zu Göttern, erklärt die Philologin und Historikerin Laura Hermes in ihrem Buch Traum und Traumdeutung in der Antike. Durch die klare Struktur ermöglichte Artemidor seinen Leser*innen, schnell fündig zu werden, wenn sie ihren Traum deuten wollten. Seine anschaulichen Beschreibungen verschiedener Traummotive lesen sich auch heute noch gut, wie diese Beispiele verdeutlichen:

Nach Artemidor bedeuten süße Äpfel Glück in der Liebe, saure Äpfel sagen Konflikte voraus. © Wikimedia Commons

Äpfel: „Der Anblick und das Verzehren von süßen, reifen Sommeräpfeln ist gut; es bedeutet reichen Liebesgenuß, besonders denen, die um eine Frau oder Geliebte werben, denn der Apfel ist der Aphrodite geweiht. Saure Äpfel dagegen bezeichnen Aufruhr und Streitigkeiten; denn sie sind der Eris zugehörig. Die Winteräpfel, die man auch Quitten nennt, bringen wegen ihrer zusammenziehenden Wirkung Kummer.“

Artemidor warnt in seinem Traumdeutungsbuch vor Hunden.

Artemidor warnt in seinem Traumdeutungsbuch vor Hunden. © Wikimedia Commons

Hunde: „Fremde Hunde, die einen anwedeln, bedeuten Anschläge und Hinterhältigkeiten von nichtswürdigen Kerlen oder Weibern und, wenn sie beißen oder bellen, Gewalt- und Übeltaten; des näheren prophezeien die weißen Hunde offene, die schwarzen heimliche, die rötlichen nicht ganz offene, die gefleckten ziemlich schlimme Gewaltakte. Sie ähneln nämlich ganz und gar nicht adeligen oder freien, sondern gewalttätigen und unverschämten Menschen.“

Träumen Menschen von Zeus, haben sie Glück, Segen und Reichtum.

Träumen Menschen von Zeus, haben sie Glück, Segen und Reichtum. © Wikimedia Commons

Götter: „Zeus selbst zu schauen, so wie wir ihn uns vorzustellen pflegen, oder sein Standbild mit der ihm eigentümlichen Kleidung ist für einen Herrscher und für einen Reichen glückverheißend; denn es festigt des ersteren Stellung, des letzteren Reichtum. Einem Kranken verheißt er Genesung, und auch den übrigen Menschen bringt er Segen. Immer ist es besser, den Gott ruhig stehen oder auf seinem Throne sitzen und ohne Bewegung zu sehen; bewegt er sich jedoch, so bringt er Glück, wenn er sich nach Sonnenaufgang wendet; Unglück aber, wenn nach Sonnenuntergang, ebenso wenn er nicht die ihm eigentümliche Kleidung trägt.“

Götter, so glaubte man jedoch, erschienen viel eher den Mächtigen und Herrschenden im Traum als der Allgemeinheit, weshalb Herrschende nicht selten eigene Traumdeuter*innen auf ihrem Anwesen beschäftigten. Die Träume der Mächtigen hatten große Auswirkungen auf das Leben aller Menschen. So denke man beispielsweise an den römischen Kaiser Konstantin, der von der christlichen Kreuzsymbolik träumte, daraufhin die Schlacht bei der Milvischen Brücke gegen seinen Rivalen Maxentius gewann und das Christentum zur Staatsreligion erhob.

Zweifel an Götterbotschaften

Marion Giebel erklärt, dass es in der Antike Mediziner*innen gegeben hat, die Träume weniger auf eine göttliche Einflussnahme, sondern beispielsweise auf einen vollen Magen zurückführten. Auch der Philosoph Aristoteles glaubte nicht an göttliche Einwirkungen und begründete das damit, dass nicht nur Menschen, sondern auch Tiere träumen. Und auch Cicero hinterfragte die Annahme, dass Träume Botschaften der Götter seien: Götter würden doch viel eher einem wachen, aufnahmefähigen Menschen eine Botschaft überbringen und sich klar und unmissverständlich ausdrücken. Für Cicero war es zudem kein Wunder, dass manche Träume auch einmal wahr werden, wenn man bedenkt, dass Menschen jede einzelne Nacht schlafen und träumen.

Träume waren Bestandteil der Medizin

Die antike Medizin ging bereits davon aus, dass in Träumen die „Reste der Dinge“, also das, was am Tag passiert ist, verarbeitet werden, so Marion Giebel. Auch Sigmund Freud spricht in seiner Traumdeutung von „Tagesresten“. Aus antiker medizinischer Sicht waren solche Träume sehr wichtig für die Gesundheit, da so die Probleme, die am Tag aufgetaucht waren, verarbeitet werden konnten. Daneben gab es aber noch die Träume, die Ungewohntes zeigten. Solche Träume wurden als negativ gewertet und die Mediziner betrachteten sie als Zeichen bzw. Diagnosemittel für Krankheiten.

Der Heilgott Asklepios erschien Kranken im Traum in Epidauros, Pergamon und auf Kos

Der Heilgott Asklepios erschien Kranken im Traum. © Wikimedia Commons

Die Menschen fanden im Traum aber auch die Heilung ihrer Krankheit: In der Antike war die Praxis der Trauminkubation, auch Tempelschlaf genannt, weit verbreitet und Bestandteil der Medizin. Dabei gingen kranke Menschen zu bestimmten Kultstätten und hofften darauf, dass ihnen im Traum der Heilgott Asklepios erschien und die Heilung ihrer Krankheit aufzeigte oder sie gar selbst heilte.

Zum ganzen Prozedere gehörten auch bestimmte Riten wie Opfergaben, Waschungen und Gebete. Die Menschen legten sich dann in der Halle nieder und warteten darauf, dass ihnen der Gott entweder im Traum oder aber auch im Wachzustand, als eine Art Vision, erschien. Viele der Heilungen wurden in Inschriften festgehalten. Im bedeutendsten Asklepios-Heiligtum in Epidauros fanden Forscher*innen mehrere Stelen mit solchen Heilungserzählungen. Sie stammen etwa aus den Jahren 350 bis 300 v. Chr. In einer Inschrift, wie Marion Giebel erklärt, heißt es beispielsweise: „Andromache aus Epirus wegen Kinderwunsch. Diese schlief im Heiligtum und sah einen Traum. Sie träumte, ein schöner Knabe deckte sie auf, und dann berührte sie der Gott mit der Hand. Darauf bekam Andromache einen Sohn von Arybbas.“

Die Ruinen des antiken Abaton in Epidauros, in dem sich einst Kranke eine göttliche Heilung erträumten

Die Ruinen des antiken Abaton in Epidauros, in dem sich einst Kranke eine göttliche Heilung erträumten. © Wikimedia Commons

Träume spielten also bereits in der Antike eine besondere Rolle für die Menschen. Damals wurden sie als Botschaften aus der Götterwelt verstanden, die gedeutet werden mussten. Neben Lexika waren dafür auch ausgebildete Traumdeutende sehr gefragt, denn Träume konnten die Zukunft vorhersagen und damit auch Anzeichen für Krankheiten sein. Als medizinische Praxis anerkannt, legten sich die Erkrankten in heiligen Tempeln nieder und hofften auf eine traumhafte Heilung durch den Gott Asklepios.

Titelbild: © Wikimedia Commons

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

 

Brennende Giraffen, weiche Uhren und Elefanten auf Stelzenbeinen – in Salvador Dalís träumerischen Sphären ist alles möglich. Der Mann mit dem kunstvoll gezwirbelten Schnurrbart schafft es, unterdrückte Fantasien, Alpträume und Kindheitserinnerungen sichtbar werden zu lassen. Ein Beitrag darüber, wie Dalí Traum und Unterbewusstsein als Inspirationsquelle nutzt, um surreale Bildwelten zu erschaffen.

Schemenhafte Figuren, die über einem Meer zu schweben scheinen, umhüllt von gelblich-grünen Nebelschwaden. Gelenkt wird der Blick unmittelbar auf den Mittelpunkt, welchen die schwebenden Personen umrahmen: Vier diagonal nach außen gerichtete Lichtstrahlen entspringen hinter der Gestalt eines schnauzbärtigen Mannes, der mit ausgestreckten Armen in der Luft hängt. Es ist Salvador Dalí. Gleich zweimal lässt sich das Abbild des Künstlers hier, im Mittelpunkt seiner eigenen Traumvision, wiederfinden. Schwebt Dalí oder fällt er unaufhaltsam in die Tiefen seines Traumes?

Im Kölner Museum Ludwig ist es möglich, unmittelbar in diese Vision einzutauchen. Durch das grelle Gelb erscheinen die hervorstechenden Lichtstrahlen hier so real, dass man für einen kurzen Moment inne hält und daran zweifelt, ob diese wirklich nur gemalt sind. Das imposante Ölgemälde mit dem Namen La Gare de Perpignan (1965) (Der Bahnhof von Perpignan) lädt zwar dazu ein, in den Tiefen der Traumwelt zu versinken, aus urheberrechtlichen Gründen muss in diesem Beitrag jedoch leider auf eine Abbildung verzichtet werden. Die dargestellte Vision lebt von autobiographischen Themen und Elementen. Menschen und Ereignisse, die Dalí im Laufe seines Lebens stark geprägt haben, finden sich hier wieder – an einen Bahnhof erinnert jedoch nur ein einzelner Eisenbahnwagon.

Das Zentrum des Universums

Jean-François Millets L’Angélus (Das Angelus-Läuten), zwischen 1857 und 1859 – Dalí sieht in dem Bauernpaar seine Eltern, die um ihren erstgeborenen Sohn Salvador trauern. © Wikimedia Commons

Die beiden bäuerlich gekleideten Personen, die schemenhaft in verschiedenen Positionen mit einem Sack zu sehen sind, hat Dalí dem Gemälde L’Angélus (Das Angelus-Läuten) von Jean-François Millet entnommen. In seiner Autobiographie Das geheime Leben des Salvador Dalí berichtet der Künstler über das Ölgemälde, welches er als Schüler regelmäßig von seinem Platz im Klassenzimmer aus betrachtete: „Dieses Gemälde rief in mir eine obskure, eine so bittere Qual hervor, dass die Erinnerung an jene beiden regungslosen Silhouetten mich mehrere Jahre lang mit einem durch ihre ununterbrochene und zweideutige Präsenz verursachten anhaltenden Unbehagen verfolgte.“

Dalí sieht in dem betenden Bauernpaar seine Eltern, die um den Verlust seines älteren Bruders trauern. Der Erstgeborene, der ebenfalls den Namen Salvador trug, wurde keine zwei Jahre alt. Der Künstler Salvador Dalí fühlte sich bereits als Kind wie eine zweite Version des Bruders. Er sah diesem nicht nur sehr ähnlich und trug denselben Namen, seine Eltern erinnerten ihn auch immer wieder an dessen Schicksal. Die Ehefrau und Muse des Künstlers ist auf dem Gemälde ebenfalls vertreten. Vom unteren Bildrand aus schaut sie dem Träumenden zu. Gala wird zu einem der beliebtesten Motive Dalís – oftmals in Verbindung mit sexuellen Fantasien.

Mystisch erscheint das Bild nicht zuletzt durch die schemenhafte Christus-Darstellung im Hintergrund, über welcher der zweite Dalí zu schweben scheint. In seinem Buch Salvador Dalí verbindet der Kunsthistoriker Eric Shanes diese Komponente des Bildes mit einer Äußerung Dalís: Am Bahnhof von Perpignan soll der Künstler eine besonders intensive Vision erlebt haben. Die südfranzösische Stadt erscheint ihm offenbart als das Zentrum des Universums. Im übertragenen Sinne ist sie das wohl auch, denn Perpignan stellte für Dalí auch das Tor nach Paris dar – dem Mittelpunkt der surrealistischen Bewegung.

Der Traum als Inspirationsquelle

Ende der 1920er Jahre schließt sich der junge Künstler der Bewegung um den Schriftsteller André Breton an. Dalí ist zu dieser Zeit fasziniert von Sigmund Freuds Traumdeutung und der Macht des Unterbewusstseins:

„Dieses Buch erschien mir als eine der Hauptentdeckungen meines Lebens, und mich befiel eine wahre Sucht nach Selbstanalyse; ich interpretierte nicht nur meine Träume, sondern alles, was mir passierte, wie zufällig es auf den ersten Blick auch aussehen mochte.“

In seiner Autobiografie berichtet er auch davon, seine Träume dokumentiert zu haben. Besonders fruchtbar seien dabei die Träume gewesen, die er tagsüber während eines kurzen Nickerchens erlebte und die zu einer erwünschten „Verwechslung mit der Realität“ führten.

Ein Paradebeispiel für die malerische Umsetzung von Traumfantasien und psychoanalytischen Deutungsmustern ist Les premiers jours du printemps (1929) (Die ersten Tage des Frühlings). Die hier dargestellte rätselhafte Traumwelt besteht aus zwei am Horizont zusammenlaufenden Kanälen. In einer eintönig-grauen Ebene präsentiert Dalí den Betrachtenden eine farbenfrohe und detailreiche Collage von Kindheitserinnerungen, Träumen und unterbewussten Fantasien. Zu sehen ist unter anderem eine Postkarte, die das Deck eines Luxusliners zeigt, auf dem sich glückliche Urlauber*innen tummeln.

Die vermeintlich harmonische Szene bildet nur den Hintergrund für ein Paar, das als sexuelle Tabu-Fantasie interpretiert werden kann – und als Provokation einer Gesellschaft, die das Unterbewusste unterdrückt: Ein geknebelter Mann kniet neben einem Frauenkörper, der anstelle eines Kopfes eine rötliche und von Haaren umgebene Öffnung besitzt, die von Fliegen befallen wird. Die rote Krawatte der Frau erscheint wie eine Spalte, die zwischen ihren Brüsten aufklafft. Die Hände des Mannes verlaufen flammenförmig in einen Eimer, aus dem ein senkrecht nach oben stehender Finger herausragt, unter dem zwei Kugeln liegen. Die phallische Symbolik ist unverkennbar. Laut Eric Shanes sind die zunächst willkürlich erscheinenden Objekte und Personen in erster Linie als ein Appell an die Betrachter*innen zu verstehen, sich näher mit den eigenen Fantasien und Ängsten auseinanderzusetzen.

Auch auf seine eigenen Ängste und Wünsche nimmt Dalí Bezug. Diese sieht er nach psychoanalytischen Ansätzen vor allem in Kindheitserinnerungen begründet. So platziert der Künstler im Zentrum des Gemäldes eine Fotografie, welche ihn als kleinen Jungen zeigt. Weiter rechts findet sich der Kopf einer verträumten Gestalt, die dem Profil des Malers gleicht. Umschlungen wird das Gesicht ohne Mund von einer Heuschrecke. Seit Kindertagen fürchtete sich Dalí vor Heuschrecken und wurde von diesen offenbar selbst im Unterbewusstsein verfolgt. Auch in seiner Autobiographie bringt er diese Abneigung zum Ausdruck: „Heuschrecke – verhasstes Insekt! Schrecken, Alptraum, Marter und halluzinierender Wahnsinn in Salvador Dalís Leben.“

Camembert und das ‚Superweiche‘

Das verträumte Profil ist auch in weiteren Werken Dalís zu finden. La persistance de la mémoire (1931) (Die Beständigkeit der Erinnerung), das bekannteste Gemälde des Künstlers, zeigt es am Boden einer kargen Traumlandschaft liegend. Umgeben wird die Gestalt mit den geschlossenen Augen und überdimensionalen Wimpern von den berühmten weichen Uhren, an denen Ameisen nagen. In der Autobiografie Dalís erfährt man, was den Maler dazu inspiriert hat: Camembert. Von Kopfschmerzen geplagt gibt sich Dalí zu Hause seiner Fantasie hin und denkt während eines alleinigen Abendessens „über die philosophischen Probleme des ‚Superweichen‘ nach“. Noch am selben Abend beginnt er, das berühmte Gemälde zu malen. Als seine Frau nach wenigen Stunden von einem Kinobesuch zurückkehrt, ist dieses bereits vollendet.

Die Künstlerbiografin Meryle Secrest beschreibt in ihrer Abhandlung über den Maler die sogenannte ‚paranoisch-kritische Methode‘:

„Dalí merkte sich die erste Vision, die er in Träumen oder Wachträumen sah, und füllte die Leinwand dann mit Dingen, die sie heraufbeschworen.“

Dalí entfernt sich durch diese Methode vom surrealistischen Werkzeug einfacher Traumberichte und setzt sein Unterbewusstsein gezielt ein. „Diese Methode war wahrscheinlich der größte Einzelbeitrag, den Dalí zum surrealistischen Denken leistete. Die Surrealisten hatten immer mit dem Problem gerungen, wie sie die Tiefen, die sie ausloten und erkunden wollten, überhaupt erreichen sollten“, schreibt Secrest. Die Weichheit des Camemberts assoziiert der Künstler hier also mit einem metallischen Gegenstand, der in unserer Vorstellungskraft niemals weich sein, geschweige denn von Ameisen gefressen werden könnte. Eine Lossagung von Realität und zeitlicher Ordnung?

Salvador Dalí sah sich selbst als Revolutionär des Surrealismus an – eine Auffassung, die von einer gewissen Egozentrik zeugt. Seine teils verstörend und schrill wirkenden Traumwelten faszinieren jedoch noch heute und können wohl als zeitlos bezeichnet werden – nicht zuletzt durch weiche Uhren.

© Titelbild: Pixabay

 

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Träume und Traumwelten haben für die Ureinwohner*innen Amerikas eine besondere Bedeutung – etwa als Mittel, um Weisheiten und Orientierungshilfe im Leben zu erlangen. Native Americans messen Botschaften, die ihnen im Schlaf zugesandt werden, große Wertschätzung bei. Diese werden Vorfahren oder Geistern der Traumwelt zugeschrieben und haben die Funktion, die Träumer*innen vor etwas zu warnen oder bei einer schwierigen Entscheidung zu helfen.  

Den Ureinwohner*innen Amerikas nach ist es die Seele, die träumt, und nicht das Gehirn. Denn im Schlaf kommuniziert die eigene Seele mit anderen Geistern der Traumwelt, die deren Wissen an die Träumenden weitergeben. Aber warum ist es gerade die Seele, die diese Erfahrungen macht? In ihren Vorstellungen wird der menschliche Körper von verschiedenen Seelen angetrieben und gesteuert. Die Ansichten darüber, wie viele Seelen ein Körper beherbergt, gehen allerdings auseinander. So nehmen die Narrangansett, angesiedelt im US-Bundesstaat Rhode Island, beispielsweise an, dass es zwei Seelen gibt: eine, die den Körper antreibt, und eine, die den Körper verlassen und andere Welten besuchen kann. Dies kann im Schlaf, im Koma oder in Trance geschehen. Dahingegen glauben die in Idaho lebenden Shoshonen daran, dass es drei Seelen gibt. Zusätzlich zu den zwei Seelen, die für die Lebenskraft und das Träumen verantwortlich sind, bewegt die dritte Seele den Körper, wenn der Mensch bei Bewusstsein ist.  

Traumwelten offenbaren Menschen mehr Möglichkeiten, Lebensweisheiten zu erlernen oder Rat in schwierigen Lebenssituationen zu erhalten. In vielen Fällen warnen die Geister vor bevorstehenden Problemen oder ermutigen die Träumenden bei ihren Vorhaben. Als solches bilden sie eine wichtige Quelle der Unterstützung für die Menschen. 

Vom Körper zur Traumwelt

Grauer Wolf

Der Wolf im Traum – ein Zeichen des Schutzes? © Jean Beaufort

Gemäß den Native Americans verlässt die Seele den Körper im Schlaf und bewegt sich zwischen Traumwelten. Hier lernt sie und kann Kontakt mit anderen Seelen oder Geistern aufnehmen. Im weit verbreiteten Glauben des Schamanismus, den auch die Ureinwohner*innen praktizieren, sind alle Dinge mit einem Geist verbunden: Pflanzen, Tiere und auch die Naturgewalten. Vor allem Tiere sind für die Traumdeutung wichtig, denn jeder Mensch wird in seinem Leben von Totemtieren, mit denen nur in Träumen kommuniziert werden kann, begleitet. Jedes Tier hat eine Bedeutung und wird mit verschiedenen Prophezeiungen und Eigenschaften assoziiert, daher können die Begleittiere jederzeit wechseln und ersetzt werden. Man sollte allerdings die Assoziationen der Tiere genau kennen, um Warnungen zu verstehen, die manche Tiere verkörpern. 

Obwohl die Tiere nur nonverbal kommunizieren können, teilen sie ihr Wissen und lehren den Träumenden Dinge über sich selbst, die möglicherweise im Unterbewusstsein verborgen sind. Die Eigenschaften oder Fähigkeiten, die die Tiere verkörpern, sollen erlernt werden, um das eigene Leben zu bereichern. Wie man das Erscheinen der Tiere in den eigenen Träumen interpretiert, obliegt einem selbst. Die Deutung ist für jeden Menschen individuell und mit deren eigenen Erfahrungen und Auffassungen verbunden. So bedeuten Wölfe für manche Schutz und für manch anderen bedeuten Bären Stärke. Aus diesem Grund ist es schwer, allgemeingültige Deutungen auszusprechen und Ratschläge zu geben.

Kommunikation mit Verstorbenen

Neben diesen Geistern können auch Vorfahren mit den Träumenden Kontakt aufnehmen und ihnen Rat zukommen lassen. Ist man in diesen Praktiken mehr bewandert, kann man auch selbst Kontakt aufnehmen. Wie Ratschläge der Geister und Ahnen interpretiert werden, kommt ganz auf die Träumenden selbst an. Kommt man zu keiner zufriedenstellenden Interpretation oder versteht diese nicht, wird dann oft der Schamane des Stammes zu Rate gezogen.

Als Wissensträger*innen des Stammes sind sie dafür zuständig, den Mitgliedern zu helfen, da sie bewusst Traumwelten betreten können und – anders als normale Träumende – ihre Träume auch zu steuern vermögen. Sie können mit den Geistern zusammenarbeiten und weitere Weisheiten anfordern, um ihrem Stamm zu helfen. Es wird bewusst mit diesen Geistern zusammengearbeitet, da die Native Americans glauben, dass diese sie ein Leben lang begleiten und sie nicht nur bei Kräften und voller Gesundheit halten, sondern auch als Wegweiser dienen. 

Ist es an der Zeit, dass man aufwacht, werden die Seelen wieder miteinander verbunden und der Mensch kehrt zum Bewusstsein und zur Realität zurück. 

Die verlorene Seele

Manchmal findet eine Seele nach ihrer Reise nicht mehr zum Körper zurück. Das geschieht vor allem dann, wenn der/die Träumer*in zu diesem Zeitpunkt unter besonders viel Stress leidet und daher geschwächt ist. Die Seele ist in der Traumwelt gefangen und kann nicht ohne Hilfe wieder zurückkommen. Durch diesen sogenannten Seelenverlust wird der menschliche Körper daraufhin krank.

Das Gemälde George Catlins (1796–1872) zeigt einen Schamanen der Native Americans. © Wellcome Collection

Da die Seele dann Hilfe benötigt, kommen wieder Schamanen ins Spiel. Da sie eng mit den Geistern der Traumwelten zusammenarbeiten, fungieren sie auch als Heiler*innen und können neben den Medikamenten, die sie ihren Patient*innen verabreichen, sich auch selbst auf die Suche nach der verlorenen Seele begeben. Durch einen Trancezustand oder Halluzinationen können die Schamanen die Traumwelt sofort betreten. Mithilfe der Geister und ihrem eigenen Vorwissen können sie die Seele wieder mit dem Körper der erkrankten Person vereinen und sie so von ihrer Krankheit befreien. Ist eine Seele zu lange von ihrem Körper getrennt, kann es zu schwerwiegenden Krankheiten, die auch zum Tode führen können, kommen. 

Wie Träume interpretiert werden, obliegt letzten Endes den Träumenden selbst. Die Bedeutungen und Assoziationen der Tiere, die Ratschläge von Ahnen sowie die Interpretationshilfe der Schamanen sind letzten Endes eine Hilfestellung, die auf den eigenen und individuellen Erfahrungen der Personen aufbauen. Entscheidend ist: Träume helfen den Personen schwierige Entscheidungen zu treffen und Dinge in ihrem täglichen Leben zu verarbeiten. 

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Ich wünschte mir Seepferdchen – und bekam eine karge Teppich-Liegewiese. In unseren Träumen ist vieles möglich. Doch nur sehr selten träumen wir von Dingen, die wir wirklich wollen. Im Gegenteil: Unsere Traumwelt ist wild zusammengewürfelt, hat skurrile Wendungen und unschöne Enden. Die Fähigkeit des luziden Träumens klingt da überaus verlockend, weil sie Kontrolle über ein sonst nur bedingt kontrollierbares Phänomen verspricht. Aber was genau ist luzides Träumen und wie funktioniert es? Ein semiprofessionelles & semifiktionales Selbstexperiment mit einem eher semigutem Ergebnis…

Des Öfteren wurde hier auf dem Blog schon das Thema Klarträume bzw. luzides Träumen behandelt. Hierunter versteht man die Fähigkeit, seine Träume zu kontrollieren und bewusst zu steuern, während man sich weiterhin im Schlaf befindet. Es existieren zahlreiche Tipps und Tricks, wie man luzides Träumen trainieren kann. Diese Woche möchte ich versuchen, selbst einen Klartraum zu erleben. Doch das ist leichter gesagt als getan.

Montag, 18 Uhr.

Früher als geplant beginnt mein Experiment. Nach drei durchzechten Nächten im Rahmen einer dezent ausufernden Geburtstagsfeier bin ich zurück in Tübingen und gehe völlig übermüdet erstmal duschen. Unter der Dusche schlafe ich stehend ein – ein unverhofft guter Zustand, denn nach fünf Minuten schrecke ich wieder hoch. Ich habe geträumt. Zwar kurz, aber prägnant. Der Kumpel, bei dem ich das Wochenende verbracht hatte und eine seiner Mitbewohnerinnen ritten vor meinen Augen auf zwei rosa Seepferdchen über die Straße. Ich stelle das Wasser aus. Dann denke ich mir: Da setze ich heute Abend an. Auf einem Seepferdchen reiten. Dieses Szenario erscheint mir nicht allzu unrealistisch für meine ersten Klartraum-Versuche.

Dienstagmorgen, 13 Uhr.

Endlich mal wieder ordentlich ausgeschlafen wache ich auf. Ich habe tatsächlich geträumt. Nur halt nicht von Seepferdchen. Das Spiel der Dänen bei der Fußball-EM hatte sich wohl prägnanter in meinem Kopf ausgebreitet, denn ich frönte über Nacht den Vorzügen der skandinavischen Küche. Konkreter gesagt verschlang ich Köttbullar in einer Ikea-Filiale, die plötzlich anstelle des Brechtbaus, unserem Tübinger Uni-Gebäude, existierte. Nun ja, war schon recht nah dran an Seepferdchenreiten.

Ich nehme mir vor, den Tag über eine empfohlene Technik auszuprobieren: Mir immer wieder bewusst zu machen, dass ich gerade wach bin, um die Wahrscheinlichkeit einer solchen Überprüfung im Traum zu erhöhen, und beginne, mich aggressiv zu kneifen, wann immer etwas halbwegs Erwähnenswertes passiert.

Mittwochmorgen, 13.30 Uhr.

Tja nun. In der Nacht auf den Mittwoch zogen Til Schweiger und Jan Josef Liefers zusammen mit Gollum los, um den einen Ring in den Brechtbau zu werfen. Keine Ahnung, was es ist, aber mein Kopf scheint mehr Lust auf den Brechtbau als auf Seepferdchen zu haben.

Ich nutze die Zeit zwischen zwei Seminaren, um weitere Klartraum-Methoden zu recherchieren. Schnell realisiere ich, dass, wenn ich nicht gerade kritische Substanzen konsumieren möchte, es wohl das Beste ist, sich permanent einzureden und fest vorzunehmen, dass man in der kommenden Nacht von einem bestimmten Ereignis träumen wird. Oder meditieren. Aber das versuch ich morgen mal.

Donnerstagmorgen, 16 Uhr.

Da es gestern etwas spät wurde, verschob sich meine Traumphase in die frühen Morgenstunden. Weniger skurril wurden meine Träume dadurch nicht. Drei Kommilitoninnen hatten ein Meth-Labor im Brechtbau eröffnet, in dem sie radioaktive Gummibärchen produzierten und diese anschließend bei Bares für Rares verscherbelten. „20 Euro und der Bums is jut bezahlt“ höre ich Horst Lichter noch, als ich aufwache. Dieser rote Brechtbau-Faden macht mich fertig. Aber vielleicht muss ich ja einfach etwas kooperativ mit meinem Hirn sein.

Ich setze mich auf und versuche, zu meditieren. Dabei stelle ich mir vor, wie ich mit dem Seepferdchen durch den Brechtbau reite: Improvise, adapt, overcome.

Freitagmorgen, 10.30 Uhr.

Heute muss ich ausnahmsweise früh raus. Ich falle beinahe aus dem Bett. Durch das Klingeln meines Weckers bin ich dermaßen verwirrt, dass ich fast alles Geträumte sofort wieder vergesse. Lediglich an unangenehme Flashbacks zum Schul-Schwimmunterricht erinnere ich mich. Naja, immerhin irgendwie die Seepferdchen-Richtung. Ich glaube, ich bin auf einem guten Weg. Ich nehme mir vor, mich heute nochmal verstärkt den Tag über zu kneifen, um mich daran zu erinnern, dass ich gerade existiere. Vielleicht bringt das ja was.

Samstag, mitten in der Nacht, 8.30 Uhr.

Gerade ging ich im Brechtbau auf ein in der Ecke stehendes Seepferdchen zu. Keine zwei Meter stand ich vor ihm und streckte bereits meine Hand aus, in freudiger Erwartung auf ein funktionierendes Experiment, endlich hatte ich es geschafft! HALT! NEIN! Verdammt! Ich wachte auf. Ich hatte den klassischen Anfängerfehler gemacht, zu lebhaft, zu … wach… zu realisieren, dass mein Vorhaben zu funktionieren scheint. Und deshalb funktionierte es dann ironischerweise nicht mehr. Aber jetzt bin ich guter Dinge, die nächste Nacht klappt’s bestimmt!

Sonntagmorgen, 13 Uhr.

Okay, nevermind. Das Seepferdchen war letzte Nacht wieder nicht mehr anwesend. Dafür aber Til Schweiger, der mit beherztem Schwung Danny DeVito in den Schickalsberg innerhalb des Brechtbaus schleuderte, während meine Kommilitoninnen zusammen mit Claus Kleber radioaktive Gummibärchen essend, daneben standen. Laut lachend links neben der Szenerie: Horst Lichter. Im Hintergrund: Sirenen. Nirgends: Seepferdchen.

Ein Ergebnis dieses Versuchs ist definitiv festzuhalten: Ich glaube, den Brechtbau werd‘ ich nachts so schnell nicht mehr los.

Wer weiß, vielleicht muss ich in Zukunft auch einfach nur regelmäßiger bei laufendem Wasser unter der Dusche schlafen, damit das mit dem Seepferdchen klappt. Einen Versuch wäre es wert.

Titelbild: © Pixabay

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Einmal im Leben olympisches Gold oder eine Weltmeisterschaft gewinnen – für Profisportler*innen sind das Karriereträume. Umso bitterer ist es, wenn nach unzähligen Stunden Trainingseifer und literweise vergossenem Schweiß das Ziel zum Greifen nahe scheint – und innerhalb des Bruchteils einer Sekunde unerreichbar wird. Zwischenbetrachtung präsentiert: Sieben geplatzte Träume im internationalen Profisport aus den letzten beiden Jahrzehnten.

 

Wechselritt der Gefühle: Erst die Gold-, dann gar keine Medaille

Bettina Hoy erlebt 2004 einen sportlichen Alptraum

Durchlebt 2004 mit ihren Mannschaftskolleg*innen einen sportlichen Alptraum: Vielseitigkeitsreiterin Bettina Hoy. © Wikimedia Commons/Public Domain

Olympiasieger*innen stehen für gewöhnlich mit breitem Grinsen auf dem Podest und lauschen ihrer Nationalhymne, während das frisch errungene Edelmetall um den Hals baumelt. So erleben auch die deutschen Vielseitigkeitsreiter*innen um Bettina Hoy ihren Doppel-Triumph bei den olympischen Sommerspielen in Athen 2004: Das Team gewinnt Mannschafts-, Hoy Einzelgold. Doch drei Tage nach ihrem Sieg für die Ewigkeit müssen die Reiter*innen die Medaillen zurückgeben – nach einer der umstrittensten Entscheidungen in der olympischen Geschichte. Weil die damals 41-jährige Hoy bei ihrem Ritt in der Mannschaftsentscheidung die Startlinie vor Ablauf des Countdowns überquert und die Uhr beim Durchreiten der Lichtschranke nicht wie üblich auf ‚Null‘ springt, wird die Gültigkeit der beiden Goldmedaillen nachträglich vom internationalen Sportgerichtshof aberkannt. Der deutsche Mannschaftschef Reinhard Wendt spricht von einer „Katastrophe“ – Alptraum träfe es auch ganz gut.

 

Superstar Nowitzki bleibt der große Wurf verwehrt

Dirk Nowitzki scheitert mit dem Nationalteam an Griechenland

Dirk Nowitzki bleibt in seiner Karriere mit dem Nationalteam der ganz große Coup verwehrt. © Wikimedia Commons/Public Domain

Bei der Basketball-Europameisterschaft 2005 in Serbien-Montenegro erreicht Deutschland überraschend das Finale. Der überragende Protagonist auf deutscher Seite heißt Dirk Nowitzki. Mit seinen 2,13 Metern Körpergröße führt der gebürtige Würzburger das DBB-Team fast im Alleingang ins Endspiel: Im Halbfinal-Krimi gegen Spanien liegt das Team von Bundestrainer Dirk Bauermann vier Sekunden vor der Schlusssirene mit einem Punkt zurück – bis Nowitzki in unwiderstehlicher Manier die siegbringenden Punkte wirft. Finalgegner Griechenland ist dann allerdings eine Nummer zu groß für die deutsche Auswahl. Durch die 62:78-Niederlage müssen Nowitzki und Co. den Traum vom zweiten deutschen Europameistertitel nach 1993 begraben. Einen Trostpreis gibt es dann aber doch noch für den deutschen Starspieler: Mit insgesamt 183 Punkten sowie durchschnittlichen 10,6 Rebounds pro Spiel wird er zum besten Spieler des Turniers gewählt.

 

Deutschland, (k)ein Sommermärchen

Deutschlands Traum vom Heimtitel platzt gegen Italien

Statt der DFB-Elf erfüllt sich Italien den Traum vom WM-Finale im Berliner Olympiastadion. © Wikimedia Commons/Public Domain

„Die Welt zu Gast bei Freunden.“ So lautet der Slogan der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Im Gastgeberland herrscht vier Wochen lang Ausnahmezustand. Was nicht zuletzt an der Performance der DFB-Elf liegt. Das Team von Jürgen Klinsmann spaziert durch die Gruppenphase und räumt in den folgenden K.O.-Duellen erst Schweden, dann Argentinien aus dem Weg. Der Traum vom Heim-Finale und vierten WM-Titel lebt – und zerplatzt am 4. Juli kurz vor Mitternacht im Dortmunder Signal-Iduna-Park. Gegen ein starkes Italien hält Deutschland bis kurz vor Ende der Verlängerung ein 0:0. Alle bereiten sich aufs Elfmeterschießen vor. Alle außer Fabio Grosso. Im Anschluss an eine Ecke wird der italienische Außenverteidiger traumhaft von Andrea Pirlo freigespielt – und erzielt mit einem Schlenzer vorbei an den verdutzt schauenden deutschen Abwehrspielern das Tor seines Lebens. Jens Lehmann im Tor ist chancenlos. Kurz darauf erhöht Italien auf 2:0. Das Spiel ist aus, Deutschland raus.

 

Kein Happy End für Lisicki – Steffi-Graf-Nachfolge verpasst

Sabine Lisicki ist nach ihrem verlorenen Wimbledon-Finale enttäuscht

Verpasst die Steffi-Graf-Nachfolge im Wimbledon-Finale 2013: Tennisspielerin Sabine Lisicki. © Wikimedia Commons/Public Domain

Wimbledon, Sommer 2013: Beim prestigeträchtigsten Tennisturnier der Welt im Süden Londons kämpft sich die damals 23-jährige Sabine Lisicki bis ins Endspiel vor. In zwei furiosen Wochen auf den Courts an der Church Road bezwingt die Berlinerin unter anderem Starspielerin Serena Williams. Zum ersten Mal seit Steffi Grafs Triumph bei den French Open 1999 hat eine deutsche Tennisspielerin wieder den Sieg bei einem Grand-Slam vor Augen. Doch im Finale gegen die Französin Marion Bartoli erwischt Lisicki einen gebrauchten Tag. Auf dem ehrwürdigen Centre Court ist sie im ersten Satz chancenlos, nach nur 29 Minuten steht ein 6:1 für Bartoli auf der Anzeigetafel. Zwar holt sich Lisicki gleich zu Beginn des zweiten Satzes ein Break, doch die Hoffnung auf das Comeback währt nur kurz: Bartoli nimmt Lisicki postwendend zwei Mal den Aufschlag ab – und verwandelt nach 81 Minuten ihren vierten Matchball zum Sieg.

 

Historisch starkes DEB-Team gleitet an der Sensation vorbei

Deutschlands Eishockey-Nationalmannschaft verpasst die Olympia-Sensation

In Pyeongchang zeigt sich das deutsche Eishockeyteam eiskalt – und gleitet haarscharf an der Olympia-Sensation vorbei. © Wikimedia Commons/Public Domain

„Eishockey-Sensation“ titelt der Spiegel, die Welt spricht gar vom „Eishockey-Wunder“. Es sind Begriffe, die im Sportjournalismus beinahe inflationär gebraucht werden. Und doch könnten sie für das, was sich bei den olympischen Winterspielen  im Februar 2018 abspielt, passender nicht sein. Beim Eishockeyturnier im südkoreanischen Pyeongchang trumpft das deutsche Team groß auf: Nach einem Sieg gegen den amtierenden Weltmeister Schweden trifft die DEB-Auswahl im Halbfinale auf Kanada – und bezwingt den Rekord-Olympiasieger furios mit 4:3. Wie im Rausch gleitet die Mannschaft von Bundestrainer Marco Sturm ins olympische Finale. Silber sicher, Gold vor Augen, führt Deutschland gegen Endspielgegner Russland zwischenzeitlich mit 3:2 und kratzt in Überzahl an der Mega-Überraschung. Doch Russland schlägt zurück und erzielt in der Verlängerung das entscheidende Tor zum 4:3. Das DEB-Team scheitert knapp, ein kleiner Traum geht aber doch in Erfüllung: Nach Olympia-Bronze 1976 wird die Silbermedaille von Pyeongchang zum größten Erfolg der deutschen Eishockeygeschichte.

 

Kristina Vogel grausam ausgebremst

Bahnradsportlerin Kristina Vogel wird 2018 grausam ausgebremst

Bis zu ihrem Unfall die erfolgreichste deutsche Bahnradsportlerin: Die zweifache Olympiasiegerin Kristina Vogel. © Wikimedia Commons/Public Domain

Bahnradfahrerin Kristina Vogel verpasst am 26. Juni 2018 kein Finale, auch keine Goldmedaille. Und doch ist das, was sich an diesem Sommertag in Cottbus ereignet, ein besonders tragisch geplatzter Sporttraum. Beim Sprint-Training auf einer Betonbahn kollidiert Vogel bei voller Geschwindigkeit (60 km/h) mit einem niederländischen Fahrer, der sich ebenfalls auf der Bahn befindet. Als sie aufwacht, spürt Vogel, dass etwas nicht stimmt. „Da war mir sofort klar, das war’s. Das mit dem Laufen wird nichts mehr“, erinnert sich die heute 30-Jährige. Nach Wochen im Krankenhaus und Tagen im künstlichen Koma bewahrheiten sich Vogels Befürchtungen: Die mit elf Weltmeistertiteln und zwei Olympiasiegen bis dato erfolgreichste Bahnradfahrerin der Welt ist querschnittsgelähmt. Wenige Monate darauf äußert sie sich erstmals zu ihrem Unfall und den Folgen: „Ich habe großes Glück, dass ich noch lebe und voll funktionsfähige Arme habe. Egal, was das Schicksal für einen bereit hält, das Leben geht weiter.“

 

Fischerboot verhindert Herrmanns Vendée-Globe-Triumph

Die Vendée Globe gilt als härteste Segelregatta der Welt

Bei der Vendée Globe lassen die Teilnehmer*innen unter anderem das Kap der Guten Hoffnung in Südafrika hinter sich. © Wikimedia Commons/Public Domain

In 80 Tagen um die Welt. Was Phileas Fogg im Roman von Jules Verne kann, kann Boris Herrmann schon lange. Im Gegensatz zum englischen Gentleman nutzt Herrmann auf seiner Reise um den Globus aber nur ein Gefährt. Mit seiner Hochseeyacht „Seaexplorer“ nimmt der Oldenburger im November 2020 als erster Deutscher an der wohl härtesten Segelregatta der Welt teil: der Vendée Globe. Von Frankreich aus startend, lässt Herrmann in weniger als drei Monaten das Kap der guten Hoffnung, das Kap Leeuwin und das Kap Hoorn hinter sich. Dabei geht es vornehmlich durch die besonders rauen Gewässer der Antarktis. 24.000 Seemeilen insgesamt. Nonstop. Es läuft gut für Herrmann. Sehr gut. 85 Seemeilen vor dem Ziel lebt auf einmal sogar der Traum vom Gesamtsieg. Doch dann das böse Erwachen: In der Dunkelheit der Nacht kollidiert Herrmann mit einem Fischtrawler. Er verliert den möglichen Podestplatz, gewinnt aber die Sympathien unzähliger Deutscher, die sein Abenteuer mitverfolgt haben. Nach 80 Tagen und 15 Stunden auf hoher See läuft Herrmann im Start- und Zielhafen Les Sables-d’Olonne ein.

 

Titelbild: ©pixabay

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Aus der Höhe fallen, gejagt werden, sich nicht bewegen oder sprechen können… Bist du schon einmal aus solch einem verstörenden Traum aufgewacht? Träume mit beunruhigenden Inhalten werden Alpträume genannt und sind den meisten Leuten nicht fremd. Doch woher kommen Alpträume? Und wie können wir sie vermeiden? Zu diesen Themen haben wir für euch das Internet durchforstet und die nützlichsten Informationen aus der Traumforschung zusammengestellt.

Alpträume sind Träume, die in der Regel unangenehme oder unbehagliche Gefühle auslösenzum Beispiel Angst, Verzweiflung, Besorgnis oder Traurigkeit, so die Definition des Dudens. Aber nicht alle beängstigenden Träume sind als Alpträume zu bezeichnen. Laut der American Academy of Sleep Medicine gibt es unterschiedliche Arten von beunruhigenden Träumen: unangenehme Träume (dysphorische Träume), schlechte Träume (ohne Aufwachen) und Alpträume (mit Aufwachen)Wenn man aus einem Alptraum aufwacht, fühlt man sich oft unwohl und ist nicht in der Lage, bald wieder einzuschlafen. Alpträume haben auch einen negativen Einfluss auf unsere Laune am Tag und können in schlimmen Fällen sogar unsere Gesundheit beeinträchtigen, sagte Brigitte Holzinger, Leiterin des Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien, zu Gesundheit.gv.at. 

Was erleben wir in unseren Alpträumen?

Trotz unserer individuellen Leben und Erlebnisse teilen wir in unseren Alpträumen ziemlich viele Themen. Laut einer Studie des Traumforschers Michael Schredl sind die fünf häufigsten Alptraumthemen: Fallen, Gejagt-Werden, Lähmung, Verspätung und Tod von Familie oder Freund*innen (mehr dazu auch in unserem Interview.) Daneben wurde in einer Studie der Universität Montréal festgestellt, dass körperliche Gewalt das üblichste Thema in Alpträumen ist, gefolgt von Tod, Krankheit und Bedrohung. Auch die Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei Alpträumen wurden in dieser Studie vorgestelltDie Alpträume von Männern beinhalteten oft Themen wie Naturkatastrophen und Krieg, während sie bei Frauen häufiger zwischenmenschliche Konflikte zeigten.  

Obwohl Alpträume für die meisten eine Quelle der Verwirrung oder Angst sind, können sie einen sehr nützlichen Zweck erfüllen, so Deirdre Barrett, Psychologin an der Universität Harvard: „Alpträume sind für das menschliche Überleben hilfreich, sonst wären sie wahrscheinlich von der Evolution abgeschafft wordenSie haben sich vermutlich entwickelt, um uns vor potenziellen Gefahren zu ängstigen“, sagte Barrett zu Livescience. Sie stellte die These auf, dass Alpträume die Aufmerksamkeit des Gehirns auf Probleme konzentrieren, mit denen man sich auseinandersetzen muss. 

Was kann zu Alpträumen führen?

Auch wenn es ganz normal ist, von beängstigenden Dingen zu träumen, variiert die Häufigkeit der Alpträume pro Person. Manche Menschen haben ständig Alpträume, während andere kaum welche haben. Dazu kommt, dass wir manchmal nur zu einer bestimmten Zeit Alpträume habenSomit stellt sich die Frage: Was beeinflusst die Entstehung von Alpträumen? Welche Faktoren können zu Alpträumen führen? Zu diesen Fragen haben wir einige professionelle Antworten im Internet gesammelt:

  1. Unbequeme SchlafbedingungenDies ist ein häufiger Trigger von Alpträumen. Ein zu heißer oder zu kalter Raum, schmutzige Luft, zu dicke Bettdecken oder ungeeignete Schlafpositionenzum Beispiel mit Druck auf den Brustkorbkönnen die Schlafqualität beeinträchtigen und somit zu Alpträumen führen. 
  2. Ernährung. Diäten haben nachweislich Einfluss auf Träume, so Tore Nielsen, Leiter des Dream and Nightmare Laboratory der Universität Montréal. Laut einer Studie seines Teams sind die häufigsten nahrungsbasierten Auslöser für Alpträume Milchprodukte (insbesondere Käse), scharfe Speisen und zu große Portionen – wenn man sie kurz vor dem Schlafengehen zu sich nimmt. Scharfe Speisen erhöhen die Körpertemperatur und die Schlafqualität wird dadurch verschlimmert, so eine Studie der Universität TasmaniaDarüber hinaus kann auch eine fettreiche Ernährung zu Alpträumen beitragen. „Alpträumer haben häufig Probleme wie schlechteren Schlaf, Bulimie oder emotionales Essverhalten, während die Lebhaftträumer besser schlafen, sich gesünder ernähren und längere Zeiten zwischen den Mahlzeiten einlegen“, sagte Nielsen zu Howstuffworks. 
  3. Psychologische Faktoren. Negative Emotionen wie Stress und Angst, aber auch Depressionen können zu Alpträumen führenForschungen der International Association for the Study of Dreams haben ergeben, dass viele quälende Erlebnisse, zum Beispiel schwere Krankheiten, Unfälle oder der Verlust eines geliebten Menschen, im Zusammenhang mit Alpträumen stehen. Darüber hinaus sind Traumata (mehr erfährst du in unserem Beitrag über Traumata) bzw. die Posttraumatic Stress Disorder (PTSD) eine Ursache für periodische Alpträume. 
  4. Krankheiten. Wenn man aktuell Fieber hat oder an Schlafstörungen leidet, steigt die Wahrscheinlichkeit von Alpträumen, sagte Holzinger zu Gesundheit.gv.at.
  5. Übermäßiger Alkohol- und MedikamentenkonsumAlkohol und bestimmte Medikamente (zum Beispiel Antidepressiva, Tranquilizer, Narkotika usw.) dämpfen die Gehirnaktivität und tragen in manchen Fällen zu Alpträumen bei, so Gesundheit.gv.atAußerdem gehören Alpträume zu den Symptomen des SuchtmittelentzugsSolche Alpträume können zu Beginn des Entzugs intensiver sein, vermindern sich aber normalerweise innerhalb weniger Wochen.  
  6. Persönlichkeit. Eine Studie der Universität Mannheim zeigt, dass Erwachsene mit Eigenschaften wie Misstrauen, Verschlossenheit und emotionaler Isolation eher unter chronischen Alpträumen leiden. Darüber hinaus stellte der Traumforscher Ernest Hartmann die These auf, dass Menschen mit höherer Kreativität anfälliger für Alpträume sind. 

Wie können wir Alpträume vermeiden?

Obwohl Krankheiten und Traumata manchmal nicht einfach zu überwinden sind, ist es immer noch möglich, Alpträume auf bestimmte Weise zu vermeiden. Laut der American Academy of Sleep Medicine gibt es folgende Tipps, die wir ausprobieren können, um Alpträume zu vermeiden: 

Melatonin ist ein Hormon, das nachts erzeugt wird und an der Steuerung der Schlaf-Wach-Rhythmen beteiligt ist. © Unsplash

  1. Bewegung. Sich mindestens eine halbe Stunde pro Woche bewegen (zum Beispiel Joggen, Schwimmen oder Radfahren). Das sorgt für eine bessere Gesundheit und Schlafqualität und vermindert dadurch die Wahrscheinlichkeit von Alpträumen. 
  2. Konsum von Alkohol, Tabak und Koffein einschränkenDie Einnahme solcher Substanzen sollte reduziert werden, damit der Körper und vor allem das Gehirn sich gut erholen können. 
  3. Entspannen vorm Schlafengehen, zum Beispiel durch Yoga und Meditation. Ein paar kleine Entspannungsübungen können die Schlafqualität verbessern. 
  4. Einen Schlafrhythmus etablieren, indem man jeden Abend zur gleichen Zeit ins Bett geht und jeden Morgen zur gleichen Zeit aufsteht. Ein regelmäßiger Schlafrhythmus macht das Einschlafen leichter. 
  5. Keine Elektrogeräte im Bett. Das Blaulicht von Elektronikgeräten unterdrückt die Bildung von Melatonin, wodurch das Einschlafen erschwert und die Schlafqualität beeinträchtigt wird.
  6. Das Schlafzimmer als Ruheort. Darüber hinaus kann die Dekoration des Schlafzimmers mit vertrauten, beruhigenden Gegenständen dazu beitragen, einen geschützten Schlafraum zu schaffen.  

Die vorstehenden Tipps dienen vor allem dazu, Alpträume durch verbesserte Schlafqualität zu vermeiden. Wenn du jedoch anhaltend unter schweren Alpträumen leidest, wende dich bitte unbedingt an professionelle ärztliche Hilfe. Träumt süß! 

Titelbild: © Unsplash

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Wie malt man einen Alptraum? Dieser Frage begegneten schon verschiedene Künstler*innen. Ihre Werke sind geprägt von ihrer Zeit und verbildlichen ihre Visionen, Ängste und die dunkle Seite der Traumwelt. Was passiert also, wenn Albrecht Dürer schweißgebadet aufwacht und was hat ein Granatapfel mit Salvador Dalís Alptraum im Gemälde zu tun?

Träume sind individuell und fantasiereich. Die Bilder, welche in unseren Köpfen entstehen, lassen sich jedoch nur schwer anderen erzählen. Wie würden diese auf einer Leinwand aussehen? Künstler*innen der verschiedensten Epochen beschäftigen sich schon sehr lange mit den Eigenarten unserer Träume. Die Freiheit der bildenden Künste, jeden noch so verrückten oder realitätsfernen Traum verbildlichen zu können, bietet den Kunstschaffenden viele Möglichkeiten anderen ihre Träume zu zeigen. Hierbei werden jedoch nicht ausschließlich die guten, schönen Träume künstlerisch umgesetzt, sondern auch die düsteren, gruseligen Alpträume.

Albrecht Dürer, Johann Heinrich Füssli, Francisco de Goya und Salvador Dalí sind Künstler, welche sich auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Alptraum beschäftigt haben. Ihre Alptraum-Werke zeigen die vielen Interpretationsmöglichkeiten der Alptraumwelt. Die Gemeinsamkeit ihrer Gemälde liegt in der Darstellung der jeweiligen persönlichen Auffassung eines Alptraums. Die Werke und das Gedankengut dieser vier Künstler sind zudem auch durch die Epochen geprägt, in welchen sie entstanden sind. So wandeln die vier Alpträume von der Renaissance bis zum Surrealismus.

© Katharina Mauderer

Albrecht Dürers „Traumgesicht“

Albrecht Dürers Alptraum als Aquarell Gemälde

„Traumgesicht“ – Albrecht Dürer, 1525 © Wikimedia Commons

8. Juni 1525 – Der Maler Albrecht Dürer (1471-1528) wacht schweißgebadet auf. Ein schrecklicher Alptraum, ein regelrechter Angsttraum quälte ihn durch die Nacht. Noch spürbar mitgenommen von seinen nächtlichen Schreckensvisionen, versucht er die Ereignisse seines inneren Auges aus der Traumwelt zu holen. Er greift schließlich zu seinen Aquarellfarben und beginnt zu malen – sein Alptraum im Gemälde „Traumgesicht“ entsteht.

Auf dem Werk zu sehen ist eine ockerfarbene Landschaft mit weit entfernten Bäumen und einer Stadtsilhouette, welche sich mitten in einer fürchterlichen Naturkatastrophe befinden. Es stürzen blaue Wassermassen vom Himmel herab und zerstören alles Umliegende. Dürer beschreibt sein geträumtes Szenario unter seinem Aquarellwerk sehr detailliert und schildert auch seine Gefühle über diese Vision: „das ich also erschrack do ich erwacht das mir all mein leichnam zitrett und lang nit recht zu mir selbs kam“. Sein Traum hat wahrliche Weltuntergangsstimmung. Seinen Bericht beendet er allerdings im Vertrauen auf den Allmächtigen: „Got wende alle ding zu besten“ (Gott wende alle Dinge zum Besten).

In der Renaissance fürchtete man sich vor Kriegen, Hungersnöten, Naturkatastrophen – und sah jedes Mal den Weltuntergang nahen. Eine Sintflut, wie auf seinem Gemälde dargestellt, galt als göttliche Strafe für Bosheit. So liegt es nahe, dass auch Dürers Träume davon beeinflusst worden sind und er in seiner Vision die Rückgängigmachung von Gottes Schöpfung fürchtet.

Der „Nachtmahr“ und die schwarze Romantik

Alptraum verbindlich von Füssli als Ölgemälde

„Der Nachtmahr“ – Johann Heinrich Füssli, 1790/1791 (spätere Version) © Wikimedia Commons

Johann Heinrich Füssli (1741-1825) war ein bedeutender Maler der Schwarzen Romantik, der einen Hang zu Träumen und mystischen, gruseligen Darstellungen hatte. Oft beeinflusst durch die Französische Revolution erschufen Künstler*innen dieser Epoche zunehmend düstere Werke. Füsslis Ölgemälde „Der Nachtmahr“ gilt als eines der ersten Werke, welches entgegen den Historienbildern nicht den Menschen fokussiert, sondern eine bestimmte Situation. Das Werk entstand rein aus seiner Fantasie und greift das alte Motiv des „Nachtmahrs“, oder auch „Nachtalbs“ auf. Dieses gruselige Fabelwesen soll schlechte Träume verursachen. Es setzt sich auf die Brust von Schlafenden und löst ein Druckgefühl aus. Der Alb soll zudem immer auf einem Pferd reiten, welches Füssli schemenhaft durch den Vorhang blicken lässt.

Er versinnbildlicht in seinem Werk die Schwelle von der Wirklichkeit zum Alptraum. Gleichzeitig zeigt er die Umstände, welche nach seiner Auffassung zum Alptraum der schlafenden Frau führen. Die Verwendung des Chiaroscuro-Effekts, also starken Hell-Dunkel-Kontrasten, unterstreicht die gespenstische Stimmung des Werkes. Füssli schuf mehrere Versionen des „Nachtmahrs“. Der erste Alptraum im Gemälde entstand 1781 im Querformat. Die Werke wurden später vor allem von den Künstler*innen des Surrealismus wieder aufgegriffen.

Auf dem Weg zum Realismus mit Francisco de Goya

Alptraum und Vernunft als Thema von Goyas Radierung

„El sueño de la razón produce monstruos“ – Francisco De Goya, 1797-1799 © Wikimedia Commons

Schläft oder träumt die Vernunft bei einem Alptraum? Diese Frage stellt sich bei Francisco de Goyas (1746-1828) Werk „El sueño de la razón produce monstruos“. Es ist Teil einer Serie aus 80 Radierungen, in denen er sich mit den derzeitigen Missständen in Spanien auseinandersetzt. Goya ist zeitlich in die Romantik einzuordnen, er gilt jedoch als Wegbereiter der Moderne und des Realismus. In dieser Epoche sollte die Realität möglichst genau herausgearbeitet werden und der Mensch als Einzelne*r stand im Mittelpunkt.

Die Französische Revolution hatte Goya die Augen geöffnet und er strebte nach Aufklärung und Vernunft. Folglich entsteht seiner Auffassung nach das Ungeheuerliche nicht aus Aberglauben, sondern aus einer befangenen Vernunft. Der „sueño“ von Goyas Alptraum-Werk kann hier verschieden übersetzt werden – als Traum oder als Schlaf. So ergibt sich die Übersetzung „Der Traum/Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.“ Der Alptraum im Gemälde, das Ungeheure, stellt Goya in seinem Werk durch Eulen dar. Sie gelten als Nachttiere und verkörpern, als Wappentier der Göttin Athene, die Vernunft. Eine der Eulen scheint den im Vordergrund schlafenden Künstler, womöglich Goya selbst, vor den im Hintergrund fliegenden, schwarzen Feldermäusen schützen zu wollen. Diese sind laut Dürer die Boten des Bedrohlichen. Das Gemälde lässt keine eindeutige Interpretation zu, somit entsteht Goyas Alptraum entweder aus einer schlafenden Vernunft oder die träumende Vernunft bringt selbst den Alptraum hervor.

Über der Wirklichkeit – Alpträume im Surrealismus

Gemälde des Surrealismus von Dalí zeigt die Ursache des Alptraums

„Sueño causado por el vuelo de una abeja alrededor de una granada un segundo antes de despertar“ – Salvador Dalí, 1944 © Wikimedia Commons

Dass Salvador Dalí (1904-1989) ein Maler des Surrealismus ist, wird mit Blick auf seine Gemälde schnell ersichtlich. Vor allem skurrile Zusammenhänge und sonderbare Darstellungen, fernab von der Realität prägen seine Werke ganz getreu den Ansichten dieser Kunstströmung. Die revolutionäre Form des Surrealismus hatte das Ziel, als Epoche der Moderne das Alltägliche und Reale zu übertreffen. Gezeichnet vom Ersten Weltkrieg, suchten Künstler*innen nach einer Gegenbewegung zu den bisherigen Darstellungen. Träume, Übernatürliches und realitätsferne Zusammenhänge wurden zum Gegenstand der surrealistischen Kunst.

So scheint es auf den zweiten Blick auch nicht mehr verwunderlich, dass Dalís Alptraum-Werk nicht den dunklen und düsteren Gemälden seiner Vorreiter gleicht. Mit dem langen Titel, zu deutsch: „Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen“ verbildlicht er die Entstehung eines Alptraums, bedingt durch eine banale Situation. Zu sehen ist eine schlafende Frau, auf welche sich zwei zornige Tiger stürzen. Diese entspringen aus einem Fischmaul. Der Fisch wiederum scheint aus einem Granatapfel zu entstehen. Im Hintergrund stakst ein Elefant auf stelzenartigen Beinen über das Wasser. Mit diesem verwirrenden Bedrohungsszenario verweist Dalí unverkennbar auf die Eigenarten unserer Träume, verschiedene Handlungen in groteske Zusammenhänge zu bringen. Also gipfelt der bloße Flug einer Biene um einen Granatapfel in einem Alptraum im Gemälde mit gefährlicher Bedrohung durch die Tiger.

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Ein Schlag, ein kreischendes Geräusch, Metall auf Metall. Die Schwerkraft scheint aufgehoben, oben ist unten und unten ist oben. Der Gestank nach Benzin. Ein furchtbarer Schmerz. Stille. Immer derselbe Alptraum. So kann es Menschen gehen, die mit Traumata zu kämpfen haben. Über den Zusammenhang von Alpträumen und Traumata haben wir mit einer Traumatherapeutin gesprochen.

„Manchmal fühle ich mich ein bisschen wie Sherlock Holmes“, sagt Almute Nischak, studierte Tübinger Ethnologin. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie als Traumatherapeutin mit dem Schwerpunkt dissoziative Störungen. Als Quereinsteigerin gelangte sie über die Biographieforschung und die systemische Familientherapie zur Traumatherapie. „Ich schaue gemeinsam mit den Klient*innen, zu welchen Symptomen die erlebte Traumatisierung geführt hat und begleite sie dann in der Aufarbeitung des Erlebten.“

Alpträume können dabei ein Hinweis unter vielen anderen sein. Auch Erinnerungen, die tagsüber von der Ablenkung des Alltags unterdrückt werden, doch in der Nacht die Träume infiltrieren. Dies können unter anderem einzelne Szenen, Erinnerungsfetzen oder Gefühle der Bedrohung sein. Der Alptraum am Tag kann dabei zum Alptraum der Nacht werden: „Zum Einschlafen muss sich das Bewusstsein zurückziehen und damit fällt eine wichtige Kontrollinstanz weg. Wenn etwas unterdrückt wird, kann das hochploppen“, erklärt die Therapeutin. Das Wegfallen der Kontrolle durch unser Bewusstsein ist für traumatisierte Menschen oft schwierig, denn einzuschlafen erfordert auch das Vertrauen, gut durch die Nacht zu kommen und wieder aufzuwachen.

Trauma ist nicht gleich Trauma

Traumata können ganz unterschiedlich aussehen. Sobald ein Punkt der Bedrohung erreicht sei, erklärt Nischak, der extrem zu viel sei und die menschlichen Bewältigungsmöglichkeiten radikal überfordere, schalte der Körper auf einen Notfallmodus um: fliehen oder kämpfen. Dabei ist auch das traumatisch wirkende Ereignis von Bedeutung, aber vor allem die Vulnerabilität der Person. Diese kann abhängig sein von Alter, Geschlecht, Vorerfahrungen oder der Biographie. Ist weder fliehen noch kämpfen in dieser Situation möglich, erstarren wir unwillkürlich. Traumata haben viele Gesichter, sind mal laut und mal ganz leise: Vergewaltigung, Unfälle oder auch katastrophale Naturereignisse können genauso traumatisierend wirken wie extreme Vernachlässigung oder Verwahrlosung. Traumatisierungen können zu jedem Zeitpunkt im Leben eines Menschen passieren, auch im Mutterbauch.

Alpträume gehören zur Symptomgruppe der Intrusionen, erklärt Nischak. Das sind unwillkürlich einschießende Bilder, Erinnerungsfetzen oder auch Körperwahrnehmungen aus dem traumatisch Erlebten, ausgelöst durch äußere oder innere Schlüsselreize. Das Gehirn verarbeite nachts, was es tagsüber oder auch früher erlebt hat. Dabei können die Alpträume in seltenen Fällen ein Flashback darstellen. Darunter versteht Nischak ein Erinnerungsbruchstück, eine Körpererinnerung, die zum Zeitpunkt der Traumatisierung teilweise eins zu eins abgespeichert wurde und unwillkürlich Einfluss nimmt auf die Person – wie auch auf ihre Träume: „Bei Kindern sind es häufig Kinderperspektiven, aus denen das Geschehene gesehen wurde. Der Moment der Traumatisierung wird abgespeichert, wie er in dem Entwicklungsstand wahrgenommen wurde.“ Wichtig sei aber: Wer Alpträume hat, hat nicht zwangsläufig ein Trauma erlebt.

Detektivarbeit am Alptraum 

Almute Nischak erzählt von einer Frau, deren Erinnerung an mehrfache Vergewaltigungen als Kind erst über Träume an die Oberfläche des Bewusstseins kamen:

„Sie zeigte die für eine Posttraumatische Belastungsstörung relevanten Symptome, konnte sich aber nicht an alle traumatisierenden Ereignisse erinnern. Im Laufe des therapeutischen Prozesses erhielt sie über ihre Träume Hinweise, was noch geschehen war.“

Alpträume können dabei Gefühle der Angst, des Schreckens, des Ausgeliefertseins, der Ohnmacht und des Feststeckens im Alptraum widerspiegeln. „Manche Menschen merken auch, dass sie träumen, sie sind sich dessen bewusst und versuchen sich aus dem Alptraum rauszukämpfen. Weil es im Traum so unerträglich ist.“

Den Alptraum umschreiben

Eine Technik der Traumatherapie kann das Umschreiben von (Alp-)Träumen sein. Dabei schreiben die im Fachjargon sogenannten Klient*innen zuerst ihre Träume auf: „Dann fokussieren wir uns auf den ohnmächtigen, peinigenden Part“, erklärt Nischak. „Trauma heißt meist, dass etwas nicht vollendet, etwas stecken geblieben ist. Durch das Umdeuten und Umschreiben dieses Parts holt sich der Mensch aus der passiven Rolle in die Aktivität, in das Handeln.“ Das ist allerdings nicht ganz einfach und erfordert viel Geduld und Übung. Ein anderer Weg, mit Alpträumen zu arbeiten, ist das klassische Traumtagebuch.

Was der Traumatherapeutin an ihrem Beruf besonders gefällt? „Für mich ist es jedes Mal ein dankbares Gefühl, dass meine Klient*innen sich so öffnen, obwohl sie Schlimmes erlebt haben. Es ist ein unglaublich zufriedenstellendes Erlebnis, wenn Menschen dann mit sich in Kontakt kommen und mit der Zeit wieder Herr oder Frau im eigenen Haus werden.“ So kann der Alptraum ein Ende finden – am Tag und in der Nacht.

Titelbild: © Pixabay

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Vor dem Schlaf wird der Schlaftracker-Ring angesteckt und die Smartwatch umgebunden. Das Handy liegt neben das Kopfkissen, um vielleicht aufzunehmen, wenn man im Traum etwas spricht. Wohin führt dieser Gedanke einer immerwährenden Effizienz? Warum möchte der Mensch alles kontrollieren, auch das Unterbewusstsein? 

Rund 24 Jahre und 4 Monate schlafen die Deutschen im Durchschnitt in ihrem Leben. Wäre ja zu schade, wenn diese Zeit nicht auch sinnvoll genutzt werden könnte. Schließlich ist der eigentliche Sinn einer Ruhepause mit dem Ziel der Selbstoptimierung kaum vereinbar. Oder? Während des Schlafes zu lernen, sich zu bessern und den Trauminhalt zu kontrollieren, wird uns durch immer mehr und immer handlichere Gadgets erleichtert. Etwa durch einen Tracking-Ring, der beispielsweise die Körpertemperatur und den Blutdruck misst, während wir schlafen.

Der homo oeconomicus strebt nach Fortschritt und Zukunft und ist wenig präsent in der Gegenwart, so der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht. Er erörtert in seinem Essay Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens die Beziehung zwischen Mensch und technologischem Fortschritt und die Potenziale der Selbstoptimierung. Precht beschreibt in diesem Zuge die transhumanistische Ideologie. Auch Wissenschaftler wie Yuval Harari und Nick Bostrom beschäftigen sich mit dieser Idee eines ‚transhumans‘: einem Menschen, der die Spezie des homo sapiens technologisch und biologisch überholt und sogar versucht, unsterblich zu werden.

Der gegenwärtige Preis der Zukunftsorientierung

Schlaftracker messen, ob die REM-Phase eingetreten ist und die Schlafqualität verbessert wird. Vokabel-Apps helfen dabei, unterbewusst Sprachen zu trainieren. Und mit Naturklängen untermalt soll der Mensch das luzide Träumen erlernen, um auch noch Kontrolle über sein Unterbewusstsein zu erlangen. Sich selbst einen Schritt voraus zu sein und jede Minute des Tages und der Nacht zu nutzen, lautet die Devise. Wer sich zufrieden schlafen legt, keinen Drang nach Besserung spürt, hindere nach trans-und posthumaner Sicht den Fortschritt. Precht hinterfragt diese Denkweise und schreibt:

„Wenn die wahre Bestimmung des Menschen stets in einer imaginären Zukunft liegt, bleibt die Gegenwart stets beschädigt zurück.“

Janina Loh ist Philosophin und als Universitätsassistentin (PostDoc) im Bereich Technik- und Medienphilosophie an der Universität Wien tätig  © Carolina Frank (janinaloh.de)

In diesem Zuge spricht Precht von der Konzentration auf die Masse, anstatt auf das Individuum, einer Art ‚Selbstentsinnung‘ und verweist auf die Philosophin und Universitätsassistentin der Universität Wien Janina Loh. Diese erläutert im schriftlichen Interview mit Zwischenbetrachtung die Begriffe ‚Selbstvernutzung‘ und ‚Selbstentsinnung‘: „Der Begriff der ‚Selbstvernutzung‘ klingt für mich danach, sich selbst zu einem Nutzen zu machen, aus sich selbst einen Nutzen zu machen beziehungsweise zu ziehen. Das passt insofern zu den besagten Apps zur Schlafmessung und Traumsteuerung, als damit ja garantiert werden soll, jede Facette des menschlichen Daseins möglichst effizient auszubeuten. Im Traum Vokabeln lernen zu wollen, beziehungsweise anzunehmen, dass das sinnvoll sei, suggeriert, dass schlafen und träumen Leerphasen sind, zu nichts nutze eben und deshalb von uns mit einem Nutzen belegt werden können und vermutlich auch sollen.“

Hier entsteht die Paradoxie in der Vorstellung, Schlaf sei nutz- und sinnlos, wenn er nicht mit Kontrolle und Beschäftigung gefüllt werde. Laut Loh ist das ein Trugschluss: „Daraus könnte aber am Ende nicht mehr Nutzen (mehr Fortschritt, mehr Lernen, mehr Weiterentwicklung, insgesamt ein Mehr) folgen, sondern umgekehrt gerade die ‚Selbstentsinnung‘ – ein Umkippen des ständig akkumulierten Nutzens in die Sinnentleerung und Nutzlosigkeit. Denn natürlich sind Schlaf und Traum nicht nutzlos, sondern wichtige Phasen der Regeneration und der schöpferischen, kreativen Kraft in uns. Sie gerade – so könnten wir behaupten – ermöglichen uns am Tag ein Vokabeln lernen oder überhaupt ein Entscheiden darüber, welchen Tätigkeiten wir in unserem Alltag einen Nutzen zuschreiben möchten.“ So ergibt sich nach Loh ein Teufelskreis:

„Nehmen wir uns diese Zeiten, indem wir nach mehr Nutzen streben, verlieren wir letztlich die Fähigkeit, Nutzen zu erkennen und zuzuschreiben selbst.“

Daten und Zahlen – das neue Fleisch und Blut

Wir nutzen Apps, die unsere eigene Stimme aufzeichnen, während wir etwas im Traum sagen und genauestens wissen, wann wir geträumt haben müssen und wir halten direkt danach in der Notizapp unsere Trauminhalte fest. So kategorisieren wir unser Innerstes, ordnen es ein mit der Motivation einer vermeintlichen Selbstverbesserung. Die Vermessung des Selbst gewissermaßen. Die Bewegung der Selbstvermesser hat einen Namen: das Quantified-Self-Movement, welche aus jeder Körperfunktionalität Daten erfassen, um sich zu optimieren. Janina Loh stellt die Potenziale der Nutzung von Technologien etwa zu medizinischen und therapeutischen Zwecken nicht in Frage, sondern hinterfragt viel mehr, was mit dem Kern des Individuums in diesem Prozess passiert: „Menschen werden seit der Moderne und Aufklärung für komplexe Maschinen gehalten, deren ‚Code‘ (als eine Sammlung an Daten und Informationen) mit einiger Übung und den richtigen Methoden irgendwann entschlüsselt werden kann. Es handelt sich hierbei um eine reduktionistische Sicht auf die Menschen, die nicht besser ist als andere Reduktionismen – etwa in der Biologie, wo vielleicht Menschen eine sehr spezifische Konstellation von Genen darstellen. Das Problem dabei ist, dass dort, wo behauptet wird, alles (für diesen Kontext) Wichtige am Menschen ließe sich in Zahlen und Informationen ausdrücken, Dinge schlicht nicht gesehen werden, die nicht in Daten erfasst werden können.“ Was bedeutet das für die Zukunft?

Apps, wie Sleep-Tracker helfen den Körper zu vermessen @ Unsplash

„Denken wir die Annahme der Quantified-Self-Bewegung konsequent weiter, könnte daraus folgen, dass wir irgendwann verlernen, irgendwas an uns zu sehen und als relevant einzustufen, das sich nicht in Zahlen, Daten und Informationen ausdrücken lässt. Es handelt sich dabei sozusagen um eine self-fulfilling prophecy, um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.“

Janina Loh beschreibt das paradoxe Verhältnis zwischen Nutzen und Streben nach Optimierung. Sie warnt davor, den eigentlichen Nutzen der Erholung durch andere Parameter zu ersetzen. Wie wir unseren Schlaf nutzen wollen, unsere Trauminhalte kontrollieren und kategorisieren wollen, bleibt uns überlassen. Wie wir uns als Mittel zum Zweck sehen und uns so selber dienen müssen, auch. Denn Schlaf darf auch mal Schlaf bleiben. Und Ruhe Ruhe bedeuten. Wenn unser Bewusstsein pausiert, verlieren wir Tiefe und regenerieren uns nicht. Daher könnte es nicht schaden, die Kontrolle der Zukunft einfach mal aufzugeben, um die Kontrolle der Gegenwart zurückzugewinnen.

Titelbild: © Unsplash 

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Was würdest du tun, wenn all deine Träume Wirklichkeit werden könnten? Ein bizarrer Trend auf TikTok verspricht genau das: Selbsternannte ‚Reality Shifter*innen‘ behaupten, dass sie die eigene Seele im Schlaf in eine gewünschte Paralleldimension versetzen können, ganz egal, wie diese aussieht. Auch fiktionale Welten seien möglich. Besonders beliebt ist das Zauber*innen-Internat Hogwarts aus der Harry Potter-Reihe. Was ist dran, und könnte der Trend sogar gefährlich sein?

Egal ob Romane, Filme oder sogar alte Legenden: Viele Leute lieben es, fiktionale Welten in verschiedensten Formen zu erleben. Eine der schönsten Seiten der Fantasie ist schließlich, dass in ihr alles möglich ist. Denn sie ist nicht real, man kann sie zwar in der Vorstellung, aber niemals in der Realität erreichen… Oder etwa doch? Ein Trend auf der sozialen Medienplattform TikTok behauptet, man könnte in andere Welten eintauchen und in ihnen leben. Eine junge Frau erzählt auf der Plattform zum Beispiel ihrer Hunderttausende zählenden Zuschauerschaft allen Ernstes von ihren Erlebnissen in Hogwarts: In ihrem Traum sei sie die Freundin des Harry Potter-Charakters Draco Malfoy gewesen.

Mit solchen Inhalten ist sie nicht allein. Hashtags wie #desiredreality oder #shiftingrealities erreichen Millionen Nutzer*innen auf der Plattform. Der Besuch in Hogwarts oder jeder anderen fiktionalen Welt soll durch das sogenannte ‚Reality Shifting‘ möglich sein. Das Prinzip ist auf den ersten Blick simpel: Man stellt sich beim Einschlafen die gewünschte Realität möglichst genau vor. Wenn alles glatt läuft, so die Überzeugung, verlässt die Seele den eigenen Körper und übernimmt das Ich der jeweils gewünschten Realität. Dort könnte man dann permanent bleiben, wenn man denn wollte. Diese ‚Desired Reality‘ muss sich jedoch nicht auf fiktionale Welten beschränken. Auch die ’normale Welt‘ mit Änderungen wie dem eigenen Aussehen, Job oder Fähigkeiten ist ein mögliches Ziel.

Countdown ins Paralleluniversum

Die Reality Shifter*innen erklären das unmöglich Erscheinende wie folgt: Sie glauben an die Existenz von unendlich vielen Paralleluniversen. Shifter*innen berufen sich hierbei auf existierende Theorien der Metaphysik, nach welchen die Existenz von verschiedenen Dimensionen denkbar ist. Diese entstünden dadurch, dass sich die Realität bei jeder unserer Entscheidungen spaltet und mehrere Paralleldimensionen zurücklässt. Entscheide ich mich beispielsweise dafür, zum Frühstück Brot zu essen, entsteht eine Paralleldimension, in der ich stattdessen Müsli esse. Daher nehmen die Reality Shifter*innen an, dass für jede Situation, die man sich wünschen kann, eine passende Paralleldimension existiert, sei diese fiktional oder nicht-fiktional.

Screenshot eines von unzähligen TikTok-Posts, der eine mögliche Methode für einen Reality-Shift erklären soll.

Um also nicht in irgendeine, sondern in die gewünschte Realität zu kommen, schreiben die Realitätswechsler ihre Wünsche sehr genau auf, ins sogenannte Skript. Hierzu findet man auf TikTok zahlreiche Anleitungen und Versionen. Die Shifter*innen haben vollkommene Freiheit, was ihre Wünsche betrifft: Reichtum, Aussehen, übernatürliche Fähigkeiten, sogar die Welt selbst – alles kann nach den eigenen Wünschen gestaltet werden. Anschließend bedienen sie sich einer der vielen ‚Shifting Methods‘. Genau wie zur Erstellung des Skripts gibt es hierzu eine Vielzahl an Anleitungen auf der Plattform. Alle Methoden haben gemeinsam, dass sie beim Einschlafen angewandt werden sollen. Nutzer*innen stellen sich dabei ihre gewünschte Realität vor und wiederholen dann mantraartig Sätze wie „I’m gonna shift“ oder zählen rückwärts, bis sie einschlafen. Im Schlaf vollziehe sich dann der eigentliche ‚Shift‘. TikTok-Nutzer*innen berichten von Träumen ihrer gewünschten Realität, die sich zu real angefühlt hätten, um wirklich Träume zu sein.

Eine lückenhafte Logik

Manche Verfechter*innen des Trends behaupten, dass sie bereits die Realität gewechselt haben. Man könnte sich nun zu Recht fragen, wie es möglich ist, dass sie dann wieder hier sind, um davon zu berichten, da der Realitätswechsel ja potenziell permanent sein soll. Aber auch darauf haben sie eine Antwort: Bei jedem Realitätswechsel ließen die Shifter*innen einen vollständigen Klon von sich zurück. Wenn man nun zumindest so weit mitgeht und die bloße Existenz von Paralleldimensionen und Seelen erst einmal nicht infrage stellt, wirft das wiederum folgende Frage auf: Wenn meine Seele erfolgreich den Körper einer anderen Version von mir in einer anderen Dimension übernimmt, was passiert dann mit der Seele, die ich so aus meinem anderen Ich verdrängt habe? In den Körper der ursprünglichen Realität kann sie schließlich nicht zurück, da ich ja einen perfekten Klon von mir zurückgelassen habe. Diese und weitere Unstimmigkeiten halten die Nutzer*innen jedoch nicht davon ab, es weiter zu versuchen. Allerdings haben viele Reality Shifter*innen trotz aller Theorie Schwierigkeiten mit der tatsächlichen Umsetzung, weswegen es auch so viele verschiedene Anleitungen und Methoden gibt. Jene, die behaupten, es bereits geschafft zu haben, scheinen auch in der Community als etwas Besonderes betrachtet zu werden.

Was hat es wirklich damit auf sich?

Die Existenz von Paralleluniversen ist in einigen Theorien der Metaphysik zwar prinzipiell denkbar, jedoch lässt sich das Phänomen des Reality Shifts dadurch nicht erklären. Insbesondere die Behauptung, man könne seine Seele in andere Dimensionen schicken, hat mit den methaphysischen Theorien nicht mehr viel zu tun. Ein tatsächlicher Wechsel der Shifter*innen in eine andere Dimension erfolgt also höchst wahrscheinlich nicht. Trotzdem gibt es mögliche Erklärungsansätze, warum Nutzer*innen tatsächlich von ihrer gewünschten Realität träumen. Die Therapeutin Grace Warwick erklärte in einem Interview mit Vice, dass es sich bei ‚Reality Shifting‘ um eine transliminale Erfahrung handele. Die verschiedenen Methoden des Reality Shifting auf sozialen Medien nutzten alle den halbwachen Zustand vor dem Einschlafen als Ausgangspunkt, da der Geist dann in einem empfänglicheren Zustand ist. Von da an erfolgen meditative oder hypnotisierende Handlungen wie Rückwärtszählen, was diesen Effekt verstärkt. Die Nutzer*innen bringen sich also selbst in eine Art Traumzustand. Durch die starke Fixierung und Konzentration auf den gewünschten Zustand vor dem Einschlafen bildet der Traum diesen Zustand dann vermutlich nicht selten ab. Wissenschaftliche Untersuchungen des Phänomens gibt es bisher noch nicht, jedoch wäre eine Ähnlichkeit zu anderen Traumzuständen denkbar: Auch in luziden Träumen und Traumreisen kann man seine Erlebnisse nach den eigenen Vorstellungen beeinflussen.

Ist also alles harmlose Träumerei?

Die meisten Reality Shifter*innen berichten von positiven Erfahrungen, aber der Trend ist trotzdem nicht ganz ungefährlich: Therapeutin Warwick warnt davor, dass es im verletzlichen psychischen Zustand zu Angstzuständen oder zu ungewollten Realitätswechseln außerhalb der geplanten Sitzungen kommen kann. In diesen Fällen sollten Betroffene psychotherapeutische Unterstützung suchen. Außerdem handelt es sich bei den meisten Anhänger*innen des Trends um Kinder und Jugendliche, welche solche Gefahren weniger einschätzen können. Darüber hinaus gibt es sogar innerhalb der Reality-Shifting-Community Stimmen, die behaupten, dass viele Influencer*innen und User*innen dem Trend nur folgen, weil sie sich davon größere Reichweiten versprechen. Es ist also fraglich, wie viele Nutzer*innen tatsächlich Traumerlebnisse hatten, und wer den Trend nur für sich ausnutzt.

Beitragsbild: © Pixabay

Post: © TikTok @maskedshifter

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