Kleidung aus Papier oder papierähnlichen Materialien hört sich zunächst seltsam und vor allem unpraktisch an. Dem Ganzen schwingt ein Hauch von „Einmal Tragen und weg“ mit. Auch erinnert Papierkleidung an die wild gewordenen Phantasien eines Kunsterziehers, der seinen Schülern eine besondere Herausforderung stellen möchte. Wie viel davon der Wahrheit entspricht und welche Rolle Papierkleidung in Japan spielt, möchte ich euch vorstellen.
Nüchtern betrachtet fehlt Papier als Material jegliche Eigenschaften, um es zur Herstellung von Kleidung oder Textilien geeignet zu machen. Papier ist weder reißfest noch sonderlich wasserfest, aber vermutlich ist das auch der besondere Reiz daran. Wie schafft man es, ein wenig kooperatives Blatt Papier so zu bearbeiten, dass es sich am Ende an den Körper schmiegt? Doch Papier ist nicht gleich Papier, es gibt viele unterschiedliche Herstellungsverfahren und genauso viele unterschiedliche Papiersorten (mehr zur Herstellung von Papier in Finnland). Als durchschnittlicher Mitteleuropäer denken wir bei dem Schlagwort „Papier“ wahrscheinlich zunächst an Druckerpapier, Zeitungen oder vielleicht auch an einfaches Klopapier. Und hier fällt schon auf, dass das Papier je nach Verwendungszweck andere Eigenschaften aufweist. In anderen Kulturen haben Papiertextilien eine weitaus bedeutendere Rolle. Vor allem in Japan, wo die Technik zur Herstellung von Papierkleidung entwickelt wurde.
Textilinovation aus Japan
Um dem Ursprung der Papierkleidung auf den Grund zu gehen, müssen wir uns auf die andere Seite der Erde begeben und ungefähr 1300 Jahre in die Vergangenheit reisen. In Japan wurden damals die ersten Kleidungsstücke aus Papier gefertigt. Diese „Papierhemden“ nannte man damals „Kamiko“. Zur Erinnerung: Der Buchdruck nach Gutenberg setzte sich in Europa erst 1450 durch. Auch danach waren Bücher und Papier noch von sehr hohem Stellungswert. In Japan stellten die Bauern auch schon im Jahr 730 Papier selbst her, das vor allem als Baumaterial eingesetzt wurde. Verwendet wurde es für Fenster, Wände, Laternen, Schirme, Taschen und mehr. Also ein Alltagsprodukt, das nicht besonders kostspielig war. Das Papier aus dem die „Kamiko“ hergestellt wurden nannte sich „Washi“ und war besonders stabil. Es bestand aus Fasern des Papiermaulbeerstrauchs und wurde durch gezieltes Knicken und Imprägnieren geschmeidig und langlebig gemacht.
Von den armen Bauern zu den Mönchen und wohlhabenden Samurai
Es ist nicht genau belegt, wer das erste „Kamiko“ hergestellt hat, jedoch wurden die Papiergewänder bei den buddhistischen Mönchen Japans bald zur Tradition. Die etwas ausgefeiltere Version des „Kamiko“, nämlich das „Shifu-Gewand“, drang sogar bis zu den hoch angesehenen Samurai durch. Hierbei wurden einzelne Papierstreifen gedreht und später, als die Technik immer mehr verfeinert wurde, sogar mit dem Spinnrad verarbeitet. Eine Legende zu der Entstehung der „Shifu“ besagt, dass ein Spion eine geheime Botschaft zunächst zerschnitten und dann die einzelnen Streifen zu Kleidung gewebt hat. So konnte er die Nachricht ohne Probleme durch feindliches Gebiet bringen.
Was bleibt von den edlen Samurai?
In Europa war Kleidung aus Papier bis zum 19. Jahrhundert vollkommen unbekannt. Das lässt sich darauf zurückführen, dass in Europa eine andere Vegetation vorherrschte. Seit dem 18. Jahrhundert konnte Papier zwar maschinell und dadurch günstig hergestellt werden, doch die Holzfasern, die dazu benutzt wurden, sorgten dafür, dass das Papier relativ steif wurde. Gut zum Schreiben, doch für Kleidung nicht elastisch genug. Tatsächlich wurden vermehrt Lumpen und Textilreste zu Papier verarbeitet, als andersherum.
Durch die zwei Weltkriege wurde eine Rohstoffknappheit ausgelöst, die dazu führte, dass Papier als Material für Textilien doch interessanter wurde, da es im Gegensatz zu Baumwolle in Europa produziert werden konnte. So wurden bald Schnüre, Taschen, Decken und sogar Uniformen aus Papiergarn hergestellt. Das Problem mit der unpraktischen Steifheit ließ sich allerdings noch nicht lösen. So blieb Kleidung aus Papier eine billige Ersatzware, die abgelöst wurde, sobald Rohstoffe für Textilien wieder importiert werden konnten.
Wegwerf Gesellschaft und ein Marketing Gag
Textilien aus Papier waren in der Vergangenheit vor allem ein Ergebnis von Not und dem Mangel von anderen Möglichkeiten. Doch in den 1960er Jahren gelang dem amerikanischen Papierhersteller, der „Scott Paper Company“, ein ungeplanter Marketing Gag. 1966 setzten sie eine Anzeige, in der die Firma Papierkleider für 1,25 Dollar anbot. Aus dem Scherz wurde schnell Ernst, als bei der Firma eine halbe Millionen Bestellungen eingingen. So entstand ein kurzlebiger Mode Trend, der auch nach Europa schwappte. Die Unternehmen warben damit, dass die Kleider billig, bügelfrei, leicht zu ändern und mit dem Klebband repariert werden konnten. Auch die bunten Pop-Art Muster, sorgten dafür, dass die Kleider schnell Abnehmer fanden. Allerdings handelte es sich streng genommen nicht um reine Papiertextilien. Für die bessere Haltbarkeit wurden Synthetikfasern beigemischt und es entstand das Papiertextil „Vliesett“.
Und nun?
Die Papierkleider der 1960er verschwanden so schnell wie sie gekommen waren. Die Anfälligkeit des Textils führte einfach dazu, dass es nicht alltagstauglich war und durch „echte Textilien“ ersetzt wurde. Allerdings bleibt die Faszination für tragbares Papier seit jeher bestehen und inzwischen beschäftigen sich weltweit Künstler und Designer mit neuen Verwendungsbereichen. Bald erfahrt ihr in einem weiteren Blogeintag, wie Papier in der heutigen Mode zum Einsatz kommt!
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Ich habe viel Neues gelernt. Danke für deinen Input. Während des Lesens habe ich mir auch die Frage gestellt, wie sich ein Pulli aus Papier wohl anfühlen würde.