Viele Menschen können nicht aus eigener Kraft ihren Alltag bestreiten. Sie leben mit Einschränkungen, sowohl physisch als auch psychisch. Sie benötigen Hilfe, oft auch nur bei den kleinen Dingen. Dafür gibt es spezielle Fachkräfte, HeilerziehungspflegerInnen genannt. Doch Pflege ist nicht gleich Pflege. Ein kurzes Porträt über dieses Berufsfeld und die Herangehensweise.
Luise Neumann* ist 24 Jahre alt und beendet momentan ihre Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin. Nachdem sie neben dem Erlangen von theoretischem Wissen innerhalb ihrer Ausbildung zuvor mit Menschen gearbeitet hat, die eine Vollpflege benötigten, ist sie nun für eine Gruppe von bis zu acht Personen verantwortlich, bei deinen es hauptsächlich um Begleitung im Alltag geht.
Die Gruppen können gemischt sein, sprich Männer und Frauen zwischen 20 und 25 Jahren. Sie leben alle zusammen in einem normalen Wohnhaus, ja, man könnte es fast als eine Art WG bezeichnen.
Luise ist eine bodenständige, junge Frau, sehr offen und extrovertiert. Bei unserem angenehmen, lockeren Gespräch lacht sie viel, bleibt aber bei den wichtigen Themen ernst. Man merkt schnell, dass sie viel zu erzählen hat.
Begonnen mit dem Arbeitsalltag. Dieser ist in zwei Schichten unterteilt.
Die Frühschicht beginnt um 6:30 Uhr. Zuerst kontrolliert sie, was am Tag zuvor dokumentiert wurde und welche Termine anstehen. Auch richtet sie Medikamente, falls nötig, her. Anschließend gilt es, die Personen, die nicht alleine aufstehen würden, zu wecken.
Dass sie aufstehen ist wichtig, denn viele von ihnen haben einen Beruf und müssen nach einem gemeinsamen Frühstück auch zur Arbeit. Wenn sie wieder nach Hause kommen, wartet die Spätschicht auf sie. Nun werden alltägliche Dinge wie Einkaufen und weitere Termine erledigt. Freizeitaktivitäten gehören auch dazu und sollen den Tag abwechslungsreich gestalten. Wichtig ist dabei – und das betont Luise in unserem Gespräch immer wieder – dass die Selbständigkeit gefördert werden soll.
„Man unterstützt sie. Beim Einkaufen zum Beispiel, da wird beim Obst darauf geachtet, ob es noch gut ist, bevor man es in den Wagen legt. Es sind oftmals kleine Dinge.“ Auf die Frage hin, ob man mit der Zeit einen Fortschritt in ihrem Verhalten bemerke, nickt sie, betont dennoch: „Es wird niemand gezwungen – man kann nur beraten.“
Wenn es um die Herangehensweise in ihrem Beruf geht, äußert sie auch Kritik an der Berufsbezeichnung selbst. Heilerziehungspflege trifft nicht wirklich den Aspekt ihrer Tätigkeit, sagt sie. Denn sie heilt weder, noch erzieht sie wirklich. Letzteres ließe sich vielleicht dennoch übertragen – wenn auch ungern: „Wenn man sagt, was man essen soll, ist es trotzdem eine Art von erzieherischer Tätigkeit. Aber man liest es nicht gern, dass man Erwachsene erzieht.“
Unter dem Aspekt der Erziehung fällt zumindest die Verantwortung. Auch wenn ihre Gruppe keine weitere Pflege wie Waschen oder dergleichen erfordert, ist es trotzdem eine Tätigkeit, die Verantwortung mit sich zieht und auf vielen Ebenen Hilfsbereitschaft erfordert. Manche Mitglieder ihrer Gruppe können Lesen – Schreiben kann wiederum fast keiner. Doch sie haben Handys und können durch diese interagieren. Die Personen sind zwar im Alltag integriert und wirken stellenweise sehr selbständig, doch ist es wichtig, sie zu begleiten und eine Ansprechperson zu sein, meint Luise.
„Sie sind wie acht- bis neunjährige Kinder was das Einhalten von Regelungen, Einschätzungen von Gefahren angeht! Wenn du da zehn Tage nicht aufkreuzen würdest, würde die Hälfte nicht duschen und sich nur von Süßigkeiten ernähren“, sagt sie und grinst dabei. Sie kann darüber scherzen, ist sich aber dem ernsten Aspekt dahinter bewusst und ergänzt: „Oft fehlt es an Empathie. Als Mitarbeiter muss man auch oft dazwischen grätschen, sonst fliegen die Fetzen – sie können nicht reflektieren, nicht selber darüber nachdenken, was sie tun.“
Dennoch wird jedem sein Freiraum gewährt. Anders als in Vollpflegestufen, bei denen sie feststellen musste, dass Intimität keine Grenzen kennt, gilt es hier, den möglichst normalen Umgang mit der Privatsphäre zu wahren.
Emotionale Gebundenheit
Wenn dann doch ein Ernstfall eintritt, hilft die starke Bindung an die Angehörigen, die schnellstmöglich involviert werden. Dies ist einer der großen Unterschiede zu anderen Gruppen mit intensiveren Pflegestufen. Auch das hat Luise in ihrer Ausbildung schon mitgemacht, als sie in einer Gruppe für Menschen verantwortlich war, deren Hilfsbedürftigkeit über Begleitung im Alltag hinaus ging. Da galt es auch im Ernstfall dabei zu sein: „Da bist du emotional gleich viel gebundener. Du warst auch der Ansprechpartner für die Ärzte.“
Sie ist aufgrund der emotionalen Belastung froh darüber, jetzt in einer Gruppe zu arbeiten, die nur der Begleitung im Alltag bedarf.
„Erst beim Wechsel habe ich gemerkt, wie stark mich das belastet hat. Dir fallen dann auch immer wieder Momente ein. Das nimmst du auch mit nach Hause.“
Das sind Momente, wie Erinnerungen an die Menschen, die sie begleitet hat. In schönen aber auch in schweren Zeiten. Bei manchen sogar bis zu deren Ableben.
Wie kommt man zu so einem Beruf?
Es ist kein leichter Beruf und viele können wahrscheinlich mit einer derart emotionalen Gebundenheit nicht umgehen. So ist es wichtig, bereits in der Ausbildung ein möglichst breites Spektrum zu erfahren. Da gehört es dazu, in mindestens zwei unterschiedlichen Gruppen zu arbeiten. Die Theorie ist bei allen die Gleiche. Trotzdem lernt jeder Mitarbeitende bzw. jeder Schüler oder jede Schülerin individuelle Schwerpunkte kennen und es wird sichtbar, ob sie oder er damit klar kommt. Nach der Ausbildung kann man sich das Tätigkeitsfeld quasi frei aussuchen. Die Ausbildung deckt dennoch natürlich nicht alles ab. Schließlich ist so ein sozialer Beruf mit vielen Situationen verbunden, auf die man sich nicht richtig vorbereiten kann.
Auf die Frage hin, wieso sich Luise für diesen Beruf entschieden hat, findet sie mehrere Antworten. Begonnen hat sie mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr und hatte das sogar verlängert. Anschließend wollte sie eigentlich studieren, bemerkte jedoch schnell, dass sie nicht mehr in der Theorie verweilen, sondern einer praktischen Tätigkeit nachgehen möchte. Der ständige Kontakt mit den Menschen, sowohl den Bewohnerinnen und Bewohnern, als auch Kolleginnen und Kollegen, gefiel ihr von Anfang an.
„Das Familiäre hier ist schön und man wurde einfach gleich aufgenommen und die Bewohner haben alle ihren eigenen Charakter, den man über die Zeit kennenlernt. Das wird wie eine Familie. Du bist ja bei jeder Sache dabei – wenn’s denen nicht gut geht und bei schönen Dingen, wie Geburtstagen, Weihnachten und so weiter.“
Eines der wichtigsten Dinge, die sie für sich im Laufe der Zeit gelernt hat, ist der Umgang mit Menschen: „Es war gut auch selbst zu merken, wie du auf Menschen wirkst. Du lernst einfach viel für dich selbst, wie man mit Menschen zusammenarbeitet. Ich kann es jedem nur empfehlen, das auszuprobieren.“
Einen weiteren Beitrag in diesem Blog zu einem ähnlichem Thema gibt es von Amelie Rebmann, die über Pflege im Altenheim schreibt (Hier geht’s zum Beitrag).
*Der Name wurde vom Verfasser auf ihren Wunsch hin geändert und ihre Einrichtung wird bewusst namentlich nicht erwähnt.
Mehr zum Thema und weitere spannende Beiträge gibt es auf unserem Blog Under Construction. Außerdem halten wir unsere Leserinnen und Leser auf Facebook und Instagram auf dem Laufenden.
Schön, dass du über einen Beruf schreibst, über den wenig berichtet wird. Mir hat es vor allem gefallen, dass der Beruf von allen Seiten durch Luise beschrieben wird.