Die buddhistische Haarrasur

Nach indischer Überlieferung tragen buddhistische Nonnen und Mönche ein gelbes und rötliches Mönchs­gewand und leben als Geistsucher von fleisch­loser Nahrung. Eines ihrer wichtigsten Er­ken­nungs­merk­male ist jedoch der kahl geschorene Schädel. Doch woher stammt die Tradition der Haarrasur? Welche Bedeutungen können Haare in der buddhistischen Weltanschauung einnehmen?

Es ist bekannt, dass das Ritual der Haarrasur notwendig ist, wenn man ein buddhistischer Mönch werden möchte. Die Kopf­rasur ist ein Zeichen dafür, dass jemand dem Laien­stand entsagt und besondere bud­dhis­tische Gebote auf sich genommen hat. Betrachtet man die tieferen Hintergründe des Rituals, wird man verstehen, dass Haare (genauer gesagt: keine-Haare) eine Rolle im Buddhismus spielen.

Eine leere, illusorische und vergängliche Welt

Zum Verständnis benötigen wir zunächst den Ausgangspunkt buddhistischer Weltsicht: Die Buddhisten glauben pessimistisch, dass alles Dasein Leiden ist. Nur wenn man auf geistigem Wege die Wahrheit des Leidens findet, kann man das Leid aufheben. Dieser Ansicht nach können Haare viele Bedeutungen haben. Zuerst stellen sie weltliche Probleme, Leidenschaften und vergangene Fehler dar. Die sind zwar eigentlich vergänglich, aber behindern die wahren Erkenntnisse. Nach der Rasur geht man dann in die neue Lebensphase über, wobei das bewusste Handeln die Suche nach dem Wesentlichen widerspiegelt.

Die buddhistische Haarrasur-Zeremonie in Dawei, Myanmar. Die Teilnehmer hielten den Behälter des großen Lotusblattes zum Anlegen ihrer Haare.

Die buddhistische Haarrasur-Zeremonie in Dawei, Myanmar. Die Teilnehmer hielten den Behälter des großen Lotusblattes zum Anlegen ihrer Haare. (Quelle: DMC.tv)

Haare stehen auch dafür, dass man an gewissen Dingen, Personen oder Vorstellungen hängt, von denen man sich nicht trennen wollen würde. Lässt man die Haare abschneiden, bedeutet es, dieses „Anhaften” aufzugeben. Inklusive Familienleben: Traditionell ließen sich die erwachsenen Han-Chinesen ihre Haare nicht schneiden, da dies der sogenannten kindlichen Pietät widersprochen hätte. Kindliche Pietät spielt eine zentrale Rolle im Konfuzianismus und bedeutet die Liebe der Kinder zu ihren Eltern. Dieser Ethik zufolge gehören der Leib, die Haare sowie die Haut nicht nur den Kindern selbst, sondern auch ihren Eltern. Um ihre Liebe zu zeigen, dürfen Kinder folglich diese nicht beschädigen. Deswegen ist das Abrasieren bisher immer noch ein Symbol dafür, dass man sich von den Familienangehörigen verabschiedet.

Die Geschichte des Haarscherens im Buddhismus

Die Tradition des Haarscherens beginnt schon mit dem Buddha, der vor ca. 2641 Jahren als Prinz Siddhartha geboren wurde und als die wichtigste Person im Buddhismus gilt. Als er damals das Leid unter den Menschen in Indien entdeckte, entschied er sich mit 29 Jahren, das Leben als Prinz aufzugeben. Er wollte einen gängigen Weg für alle Menschen finden, das Leiden aufzuheben. Nachdem er seinen Palast verlassen hatte, rasierte er seine langen, wallenden Haare ab. Langes Haar war damals ein Hauptkennzeichen für Angehörige der indischen Herrscherschicht. Nur Sklaven und Verbrechern wurden die Haare abgeschnitten als Merkmal ihres sozialen Status. Deshalb setzte das Abschneiden der Haare ein symbolisches Zeichen, das seine ganze Entschlossenheit und den Verzicht der Eitelkeit zeigte.

Nach sechs Jahren der Suche und nach der Erleuchtung unter der Pappelfeige, wo er der sogenannte Buddha wurde, fing er an, im Nordosten Indiens seine Wahrheit über das Leid zu lehren. Er rasierte persönlich die Köpfe seiner ersten fünf Lernenden ab. Ab diesem Zeitpunkt wurde das Abrasieren ein Ritual, sodass Leute die buddhistischen Mönche erkennen konnten, wenn sie ihre kahl geschorenen Köpfe sahen.

Nonnen und Mönche mit Haaren

Allerdings trägt heutzutage nicht jede/r buddhistische/r Nonne/Mönch eine Glatze. In Japan hat sich zum Beispiel die Praxis der Kopfrasur im Zuge der Mo­der­ni­sie­rung stark gelockert. Außerdem ließen bisher doch einige angesehene buddhistische Lehrer ihre Harre wachsen. Einer der bekanntesten von ihnen ist sicherlich der Zen-Meister Hsu Yun (1840-1959). Der lang lebende Praktiker entledigte sich seiner Haare angeblich höchstens einmal pro Jahr. Denn für ihn ist die Kopfrasur von Geistlichen kein erforderlicher Akt, sondern bloß eine Tradition. Diese Meinung soll das Niveau des Meisters zeigen: Wenn die Welt eigentlich illusorisch ist, können Haare tatsächlich ebenfalls keinen Sinn einnehmen. Warum müssen die Haare dann abgeschnitten werden?

Zen-Meister Hsu Yun (1840-1959) und seine lange Haare. (Quelle: www.bfnn.org)

Zen-Meister Hsu Yun mit 115 Jahren und seine langen Haare. (Quelle: www.bfnn.org)

Die Auszeit im Kloster

In manchen Traditionen bedeutet eine Weihe zum Mönch eine lebenslange Entscheidung. Dennoch bieten gegenwärtig viele buddhistische Gemeinschaften beziehungsweise Klöster im südöstlichen Asien sowie in Europa die Möglichkeit an, dass man kurzzeitig Nonne oder Mönch werden kann. Zusammenleben mit Nonnen und Mönchen kann man auch für Tage oder Wochen im Tempel, ohne tatsächlich ein Mönch werden zu müssen. Eine solche Möglichkeit für eine Auszeit ist also mittlerweile im Trend, wie Dave Hakkens euch auf Englisch in diesem kurzen Video zeigt. Wer das ausprobieren will, muss aber vorübergehend auf einige Sachen verzichten, inklusive Portmonee, Handy und in manchen Tempeln: die eigenen Haare.

Dort erfahrt ihr etwas über das Leben in der „Welt des Nichts”, denn aus„Nichts” lernt man. Natürlich ist das eine freie Entscheidung. Die Haarrasur sollte dabei kein Druck sein. Jedoch sei es nach wie vor eine gute Idee, so der Meister von Fo Guang Shan, dass sich die buddhistischen Praktiker ihre Haare abschneiden lassen: „Nach der Kopfrasur kann man völlig anders sein als zuvor. So fit, dass es sich lohnt, es zu probieren. Wenn man sich daran gewöhnt, können die längeren Haare unangenehm sein. So könnte man es kaum erwarten, die Haare abzurasieren.”

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4 Kommentare
  1. Johannes
    Johannes sagte:

    Schöner Artikel! Interessant, dass es auch buddhistische Mönche ohne Glatze gibt, das wusste ich nicht. Und ihr Argument ist wirklich gut: „Wenn die Welt eigentlich illusorisch ist, können Haare tatsächlich ebenfalls keinen Sinn einnehmen.“ Alles sehr überzeugend… Als Haar-Blogger muss ich da aber trotzdem widersprechen 😉

    • Yu-Hsuan
      Yu-Hsuan sagte:

      Wenn die Welt eigentlich illusorisch ist, können Haare tatsächlich ebenfalls keinen Sinn einnehmen. Wenn Haare tatsächlich keinen Sinn einnehmen können, warum schreibt man ein Haar-Blog… Wenn man über Haar schreibt…. zzZZ…

  2. Anne D.
    Anne D. sagte:

    Interessant! Ich habe bisher noch nie etwas von dem Konzept der kindlichen Pietät gehört. Die Vorstellung, dass der Körper des Kindes auch den Eltern gehört, finde ich sehr spannend.

    • Yu-Hsuan
      Yu-Hsuan sagte:

      Meiner Meinung nach ist der Ausgangspunkt der kindlichen Pietät schön, dass die Beziehung innerhalb der Familie enger werden kann. Allerdings ist sie manchmal auch sehr pedantisch. Vor allem, wenn es um unverantwortliche Eltern geht, muss man eigentlich keine kindliche Pietät mehr haben.

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