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Über ihn und seine Deutung wurden ganze Lexika geschrieben, er galt als medizinisches Diagnose- und Heilmittel und beeinflusste das Leben der Mächtigen wie der kleinen Leute: der Traum in der Antike. In unserem Beitrag liefern aber nicht die großen Philosophen Aristoteles und Cicero die interessantesten Beiträge, sondern der griechische Traumdeuter Artemidor, dem Sigmund Freud große Anerkennung entgegenbrachte…

Für die Menschen in der Antike hatten Träume eine große Bedeutung, denn sie wurden als Botschaften der Götter betrachtet. Sie hatten zudem, wie der Historiker Gregor Weber in einem Artikel für das Handbuch Traum und Schlaf schreibt, einen „prognostischen Wert“, sagten also die Zukunft voraus. Träume bzw. ihre Deutungen waren daher im Bereich der Wahrsagekunst sehr wichtig. Forscher*innen nehmen an, dass es aus diesem Grund sehr viele Bücher über Träume und die Traumdeutung gegeben haben muss. Vollständig überliefert wurde aber einzig das Traumdeutungsbuch, die Oneirokritika, des griechischen Traumdeuters Artemidor aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr.

Artemidors Traumdeutungsbuch – antiker Vorreiter der heutigen Traumdeutung

Artemidors Oneirokritika ist als theoretische Grundlegung der Traumdeutung so wesentlich, dass sogar Sigmund Freud sein Interesse daran bekundet hat. Insgesamt führt das antike Traumlexikon etwa 1.400 Traummotive und 3.000 Deutungen auf. Die waren zum einen für Menschen gedacht, die nach einem Traum erst mal selbst zu einem Lexikon greifen wollten, bevor sie Traumdeuter*innen aufsuchten. Zum anderen verfasste Artemidor das Traumbuch aber auch für seinen Sohn, der dadurch die Traumdeutung erlernen und in die Fußstapfen seines Vaters treten sollte.

Eine antike Traumdeutung lief folgendermaßen ab: Zunächst entschieden die Traumdeutenden, ob es sich um einen bedeutungsvollen oder unbedeutenden Traum handelte. Dann wurde die Form des Traumes untersucht. Man unterschied dabei zwischen offenen und allegorischen Träumen. Dabei waren nur die allegorischen, die auch entschlüsselt werden mussten, von Interesse für Artemidor: Bei der anschließenden Auslegung des Traumes berücksichtigte der antike Traumdeuter nicht ausschließlich den Traum, sondern auch Faktoren wie die individuelle Situation der Träumenden, ihre Lebensumstände, ihre Gemütslage und auch lokale Sitten und Bräuche. Träume waren damit für Artemidor „kulturell determiniert“, wie die Altphilologin Marion Giebel in ihrem Buch Träume in der Antike erklärt.

Die ersten vier Bücher der Oneirokritika umfassen Klassifizierungen von Träumen, das fünfte Buch enthält Fallbeispiele für Träume, die in Erfüllung gegangen sind. Dort erzählt Artemidor unter anderem: „Es träumte einer, er werde von einer Frau, die er seit langem kannte, verfolgt. Sie wollte ihm eine Paenula, wie dieses Übergewand auf lateinisch heißt, umlegen, deren Naht vorne aufgetrennt war. Schließlich sei er gegen seinen Willen dazu gezwungen worden. Die Frau, die in ihn verliebt war, heiratete ihn, obwohl er nicht wollte, aber nach wenigen Jahren trennte sie sich von ihm; die Paenula war ja aufgetrennt.“

Das Verzehren von süßen Äpfeln bedeutet reichen Liebesgenuss

Artemidor geht in seinem Werk systematisch vor, indem er verschiedene Kategorien aufführt: Angefangen bei der Geburt, dem Körper und einzelnen Körperteilen über Kleidung, Freizeit, Tiere und Lebensmittel bis hin zu Göttern, erklärt die Philologin und Historikerin Laura Hermes in ihrem Buch Traum und Traumdeutung in der Antike. Durch die klare Struktur ermöglichte Artemidor seinen Leser*innen, schnell fündig zu werden, wenn sie ihren Traum deuten wollten. Seine anschaulichen Beschreibungen verschiedener Traummotive lesen sich auch heute noch gut, wie diese Beispiele verdeutlichen:

Nach Artemidor bedeuten süße Äpfel Glück in der Liebe, saure Äpfel sagen Konflikte voraus. © Wikimedia Commons

Äpfel: „Der Anblick und das Verzehren von süßen, reifen Sommeräpfeln ist gut; es bedeutet reichen Liebesgenuß, besonders denen, die um eine Frau oder Geliebte werben, denn der Apfel ist der Aphrodite geweiht. Saure Äpfel dagegen bezeichnen Aufruhr und Streitigkeiten; denn sie sind der Eris zugehörig. Die Winteräpfel, die man auch Quitten nennt, bringen wegen ihrer zusammenziehenden Wirkung Kummer.“

Artemidor warnt in seinem Traumdeutungsbuch vor Hunden.

Artemidor warnt in seinem Traumdeutungsbuch vor Hunden. © Wikimedia Commons

Hunde: „Fremde Hunde, die einen anwedeln, bedeuten Anschläge und Hinterhältigkeiten von nichtswürdigen Kerlen oder Weibern und, wenn sie beißen oder bellen, Gewalt- und Übeltaten; des näheren prophezeien die weißen Hunde offene, die schwarzen heimliche, die rötlichen nicht ganz offene, die gefleckten ziemlich schlimme Gewaltakte. Sie ähneln nämlich ganz und gar nicht adeligen oder freien, sondern gewalttätigen und unverschämten Menschen.“

Träumen Menschen von Zeus, haben sie Glück, Segen und Reichtum.

Träumen Menschen von Zeus, haben sie Glück, Segen und Reichtum. © Wikimedia Commons

Götter: „Zeus selbst zu schauen, so wie wir ihn uns vorzustellen pflegen, oder sein Standbild mit der ihm eigentümlichen Kleidung ist für einen Herrscher und für einen Reichen glückverheißend; denn es festigt des ersteren Stellung, des letzteren Reichtum. Einem Kranken verheißt er Genesung, und auch den übrigen Menschen bringt er Segen. Immer ist es besser, den Gott ruhig stehen oder auf seinem Throne sitzen und ohne Bewegung zu sehen; bewegt er sich jedoch, so bringt er Glück, wenn er sich nach Sonnenaufgang wendet; Unglück aber, wenn nach Sonnenuntergang, ebenso wenn er nicht die ihm eigentümliche Kleidung trägt.“

Götter, so glaubte man jedoch, erschienen viel eher den Mächtigen und Herrschenden im Traum als der Allgemeinheit, weshalb Herrschende nicht selten eigene Traumdeuter*innen auf ihrem Anwesen beschäftigten. Die Träume der Mächtigen hatten große Auswirkungen auf das Leben aller Menschen. So denke man beispielsweise an den römischen Kaiser Konstantin, der von der christlichen Kreuzsymbolik träumte, daraufhin die Schlacht bei der Milvischen Brücke gegen seinen Rivalen Maxentius gewann und das Christentum zur Staatsreligion erhob.

Zweifel an Götterbotschaften

Marion Giebel erklärt, dass es in der Antike Mediziner*innen gegeben hat, die Träume weniger auf eine göttliche Einflussnahme, sondern beispielsweise auf einen vollen Magen zurückführten. Auch der Philosoph Aristoteles glaubte nicht an göttliche Einwirkungen und begründete das damit, dass nicht nur Menschen, sondern auch Tiere träumen. Und auch Cicero hinterfragte die Annahme, dass Träume Botschaften der Götter seien: Götter würden doch viel eher einem wachen, aufnahmefähigen Menschen eine Botschaft überbringen und sich klar und unmissverständlich ausdrücken. Für Cicero war es zudem kein Wunder, dass manche Träume auch einmal wahr werden, wenn man bedenkt, dass Menschen jede einzelne Nacht schlafen und träumen.

Träume waren Bestandteil der Medizin

Die antike Medizin ging bereits davon aus, dass in Träumen die „Reste der Dinge“, also das, was am Tag passiert ist, verarbeitet werden, so Marion Giebel. Auch Sigmund Freud spricht in seiner Traumdeutung von „Tagesresten“. Aus antiker medizinischer Sicht waren solche Träume sehr wichtig für die Gesundheit, da so die Probleme, die am Tag aufgetaucht waren, verarbeitet werden konnten. Daneben gab es aber noch die Träume, die Ungewohntes zeigten. Solche Träume wurden als negativ gewertet und die Mediziner betrachteten sie als Zeichen bzw. Diagnosemittel für Krankheiten.

Der Heilgott Asklepios erschien Kranken im Traum in Epidauros, Pergamon und auf Kos

Der Heilgott Asklepios erschien Kranken im Traum. © Wikimedia Commons

Die Menschen fanden im Traum aber auch die Heilung ihrer Krankheit: In der Antike war die Praxis der Trauminkubation, auch Tempelschlaf genannt, weit verbreitet und Bestandteil der Medizin. Dabei gingen kranke Menschen zu bestimmten Kultstätten und hofften darauf, dass ihnen im Traum der Heilgott Asklepios erschien und die Heilung ihrer Krankheit aufzeigte oder sie gar selbst heilte.

Zum ganzen Prozedere gehörten auch bestimmte Riten wie Opfergaben, Waschungen und Gebete. Die Menschen legten sich dann in der Halle nieder und warteten darauf, dass ihnen der Gott entweder im Traum oder aber auch im Wachzustand, als eine Art Vision, erschien. Viele der Heilungen wurden in Inschriften festgehalten. Im bedeutendsten Asklepios-Heiligtum in Epidauros fanden Forscher*innen mehrere Stelen mit solchen Heilungserzählungen. Sie stammen etwa aus den Jahren 350 bis 300 v. Chr. In einer Inschrift, wie Marion Giebel erklärt, heißt es beispielsweise: „Andromache aus Epirus wegen Kinderwunsch. Diese schlief im Heiligtum und sah einen Traum. Sie träumte, ein schöner Knabe deckte sie auf, und dann berührte sie der Gott mit der Hand. Darauf bekam Andromache einen Sohn von Arybbas.“

Die Ruinen des antiken Abaton in Epidauros, in dem sich einst Kranke eine göttliche Heilung erträumten

Die Ruinen des antiken Abaton in Epidauros, in dem sich einst Kranke eine göttliche Heilung erträumten. © Wikimedia Commons

Träume spielten also bereits in der Antike eine besondere Rolle für die Menschen. Damals wurden sie als Botschaften aus der Götterwelt verstanden, die gedeutet werden mussten. Neben Lexika waren dafür auch ausgebildete Traumdeutende sehr gefragt, denn Träume konnten die Zukunft vorhersagen und damit auch Anzeichen für Krankheiten sein. Als medizinische Praxis anerkannt, legten sich die Erkrankten in heiligen Tempeln nieder und hofften auf eine traumhafte Heilung durch den Gott Asklepios.

Titelbild: © Wikimedia Commons

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

 

Brennende Giraffen, weiche Uhren und Elefanten auf Stelzenbeinen – in Salvador Dalís träumerischen Sphären ist alles möglich. Der Mann mit dem kunstvoll gezwirbelten Schnurrbart schafft es, unterdrückte Fantasien, Alpträume und Kindheitserinnerungen sichtbar werden zu lassen. Ein Beitrag darüber, wie Dalí Traum und Unterbewusstsein als Inspirationsquelle nutzt, um surreale Bildwelten zu erschaffen.

Schemenhafte Figuren, die über einem Meer zu schweben scheinen, umhüllt von gelblich-grünen Nebelschwaden. Gelenkt wird der Blick unmittelbar auf den Mittelpunkt, welchen die schwebenden Personen umrahmen: Vier diagonal nach außen gerichtete Lichtstrahlen entspringen hinter der Gestalt eines schnauzbärtigen Mannes, der mit ausgestreckten Armen in der Luft hängt. Es ist Salvador Dalí. Gleich zweimal lässt sich das Abbild des Künstlers hier, im Mittelpunkt seiner eigenen Traumvision, wiederfinden. Schwebt Dalí oder fällt er unaufhaltsam in die Tiefen seines Traumes?

Im Kölner Museum Ludwig ist es möglich, unmittelbar in diese Vision einzutauchen. Durch das grelle Gelb erscheinen die hervorstechenden Lichtstrahlen hier so real, dass man für einen kurzen Moment inne hält und daran zweifelt, ob diese wirklich nur gemalt sind. Das imposante Ölgemälde mit dem Namen La Gare de Perpignan (1965) (Der Bahnhof von Perpignan) lädt zwar dazu ein, in den Tiefen der Traumwelt zu versinken, aus urheberrechtlichen Gründen muss in diesem Beitrag jedoch leider auf eine Abbildung verzichtet werden. Die dargestellte Vision lebt von autobiographischen Themen und Elementen. Menschen und Ereignisse, die Dalí im Laufe seines Lebens stark geprägt haben, finden sich hier wieder – an einen Bahnhof erinnert jedoch nur ein einzelner Eisenbahnwagon.

Das Zentrum des Universums

Jean-François Millets L’Angélus (Das Angelus-Läuten), zwischen 1857 und 1859 – Dalí sieht in dem Bauernpaar seine Eltern, die um ihren erstgeborenen Sohn Salvador trauern. © Wikimedia Commons

Die beiden bäuerlich gekleideten Personen, die schemenhaft in verschiedenen Positionen mit einem Sack zu sehen sind, hat Dalí dem Gemälde L’Angélus (Das Angelus-Läuten) von Jean-François Millet entnommen. In seiner Autobiographie Das geheime Leben des Salvador Dalí berichtet der Künstler über das Ölgemälde, welches er als Schüler regelmäßig von seinem Platz im Klassenzimmer aus betrachtete: „Dieses Gemälde rief in mir eine obskure, eine so bittere Qual hervor, dass die Erinnerung an jene beiden regungslosen Silhouetten mich mehrere Jahre lang mit einem durch ihre ununterbrochene und zweideutige Präsenz verursachten anhaltenden Unbehagen verfolgte.“

Dalí sieht in dem betenden Bauernpaar seine Eltern, die um den Verlust seines älteren Bruders trauern. Der Erstgeborene, der ebenfalls den Namen Salvador trug, wurde keine zwei Jahre alt. Der Künstler Salvador Dalí fühlte sich bereits als Kind wie eine zweite Version des Bruders. Er sah diesem nicht nur sehr ähnlich und trug denselben Namen, seine Eltern erinnerten ihn auch immer wieder an dessen Schicksal. Die Ehefrau und Muse des Künstlers ist auf dem Gemälde ebenfalls vertreten. Vom unteren Bildrand aus schaut sie dem Träumenden zu. Gala wird zu einem der beliebtesten Motive Dalís – oftmals in Verbindung mit sexuellen Fantasien.

Mystisch erscheint das Bild nicht zuletzt durch die schemenhafte Christus-Darstellung im Hintergrund, über welcher der zweite Dalí zu schweben scheint. In seinem Buch Salvador Dalí verbindet der Kunsthistoriker Eric Shanes diese Komponente des Bildes mit einer Äußerung Dalís: Am Bahnhof von Perpignan soll der Künstler eine besonders intensive Vision erlebt haben. Die südfranzösische Stadt erscheint ihm offenbart als das Zentrum des Universums. Im übertragenen Sinne ist sie das wohl auch, denn Perpignan stellte für Dalí auch das Tor nach Paris dar – dem Mittelpunkt der surrealistischen Bewegung.

Der Traum als Inspirationsquelle

Ende der 1920er Jahre schließt sich der junge Künstler der Bewegung um den Schriftsteller André Breton an. Dalí ist zu dieser Zeit fasziniert von Sigmund Freuds Traumdeutung und der Macht des Unterbewusstseins:

„Dieses Buch erschien mir als eine der Hauptentdeckungen meines Lebens, und mich befiel eine wahre Sucht nach Selbstanalyse; ich interpretierte nicht nur meine Träume, sondern alles, was mir passierte, wie zufällig es auf den ersten Blick auch aussehen mochte.“

In seiner Autobiografie berichtet er auch davon, seine Träume dokumentiert zu haben. Besonders fruchtbar seien dabei die Träume gewesen, die er tagsüber während eines kurzen Nickerchens erlebte und die zu einer erwünschten „Verwechslung mit der Realität“ führten.

Ein Paradebeispiel für die malerische Umsetzung von Traumfantasien und psychoanalytischen Deutungsmustern ist Les premiers jours du printemps (1929) (Die ersten Tage des Frühlings). Die hier dargestellte rätselhafte Traumwelt besteht aus zwei am Horizont zusammenlaufenden Kanälen. In einer eintönig-grauen Ebene präsentiert Dalí den Betrachtenden eine farbenfrohe und detailreiche Collage von Kindheitserinnerungen, Träumen und unterbewussten Fantasien. Zu sehen ist unter anderem eine Postkarte, die das Deck eines Luxusliners zeigt, auf dem sich glückliche Urlauber*innen tummeln.

Die vermeintlich harmonische Szene bildet nur den Hintergrund für ein Paar, das als sexuelle Tabu-Fantasie interpretiert werden kann – und als Provokation einer Gesellschaft, die das Unterbewusste unterdrückt: Ein geknebelter Mann kniet neben einem Frauenkörper, der anstelle eines Kopfes eine rötliche und von Haaren umgebene Öffnung besitzt, die von Fliegen befallen wird. Die rote Krawatte der Frau erscheint wie eine Spalte, die zwischen ihren Brüsten aufklafft. Die Hände des Mannes verlaufen flammenförmig in einen Eimer, aus dem ein senkrecht nach oben stehender Finger herausragt, unter dem zwei Kugeln liegen. Die phallische Symbolik ist unverkennbar. Laut Eric Shanes sind die zunächst willkürlich erscheinenden Objekte und Personen in erster Linie als ein Appell an die Betrachter*innen zu verstehen, sich näher mit den eigenen Fantasien und Ängsten auseinanderzusetzen.

Auch auf seine eigenen Ängste und Wünsche nimmt Dalí Bezug. Diese sieht er nach psychoanalytischen Ansätzen vor allem in Kindheitserinnerungen begründet. So platziert der Künstler im Zentrum des Gemäldes eine Fotografie, welche ihn als kleinen Jungen zeigt. Weiter rechts findet sich der Kopf einer verträumten Gestalt, die dem Profil des Malers gleicht. Umschlungen wird das Gesicht ohne Mund von einer Heuschrecke. Seit Kindertagen fürchtete sich Dalí vor Heuschrecken und wurde von diesen offenbar selbst im Unterbewusstsein verfolgt. Auch in seiner Autobiographie bringt er diese Abneigung zum Ausdruck: „Heuschrecke – verhasstes Insekt! Schrecken, Alptraum, Marter und halluzinierender Wahnsinn in Salvador Dalís Leben.“

Camembert und das ‚Superweiche‘

Das verträumte Profil ist auch in weiteren Werken Dalís zu finden. La persistance de la mémoire (1931) (Die Beständigkeit der Erinnerung), das bekannteste Gemälde des Künstlers, zeigt es am Boden einer kargen Traumlandschaft liegend. Umgeben wird die Gestalt mit den geschlossenen Augen und überdimensionalen Wimpern von den berühmten weichen Uhren, an denen Ameisen nagen. In der Autobiografie Dalís erfährt man, was den Maler dazu inspiriert hat: Camembert. Von Kopfschmerzen geplagt gibt sich Dalí zu Hause seiner Fantasie hin und denkt während eines alleinigen Abendessens „über die philosophischen Probleme des ‚Superweichen‘ nach“. Noch am selben Abend beginnt er, das berühmte Gemälde zu malen. Als seine Frau nach wenigen Stunden von einem Kinobesuch zurückkehrt, ist dieses bereits vollendet.

Die Künstlerbiografin Meryle Secrest beschreibt in ihrer Abhandlung über den Maler die sogenannte ‚paranoisch-kritische Methode‘:

„Dalí merkte sich die erste Vision, die er in Träumen oder Wachträumen sah, und füllte die Leinwand dann mit Dingen, die sie heraufbeschworen.“

Dalí entfernt sich durch diese Methode vom surrealistischen Werkzeug einfacher Traumberichte und setzt sein Unterbewusstsein gezielt ein. „Diese Methode war wahrscheinlich der größte Einzelbeitrag, den Dalí zum surrealistischen Denken leistete. Die Surrealisten hatten immer mit dem Problem gerungen, wie sie die Tiefen, die sie ausloten und erkunden wollten, überhaupt erreichen sollten“, schreibt Secrest. Die Weichheit des Camemberts assoziiert der Künstler hier also mit einem metallischen Gegenstand, der in unserer Vorstellungskraft niemals weich sein, geschweige denn von Ameisen gefressen werden könnte. Eine Lossagung von Realität und zeitlicher Ordnung?

Salvador Dalí sah sich selbst als Revolutionär des Surrealismus an – eine Auffassung, die von einer gewissen Egozentrik zeugt. Seine teils verstörend und schrill wirkenden Traumwelten faszinieren jedoch noch heute und können wohl als zeitlos bezeichnet werden – nicht zuletzt durch weiche Uhren.

© Titelbild: Pixabay

 

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Wie malt man einen Alptraum? Dieser Frage begegneten schon verschiedene Künstler*innen. Ihre Werke sind geprägt von ihrer Zeit und verbildlichen ihre Visionen, Ängste und die dunkle Seite der Traumwelt. Was passiert also, wenn Albrecht Dürer schweißgebadet aufwacht und was hat ein Granatapfel mit Salvador Dalís Alptraum im Gemälde zu tun?

Träume sind individuell und fantasiereich. Die Bilder, welche in unseren Köpfen entstehen, lassen sich jedoch nur schwer anderen erzählen. Wie würden diese auf einer Leinwand aussehen? Künstler*innen der verschiedensten Epochen beschäftigen sich schon sehr lange mit den Eigenarten unserer Träume. Die Freiheit der bildenden Künste, jeden noch so verrückten oder realitätsfernen Traum verbildlichen zu können, bietet den Kunstschaffenden viele Möglichkeiten anderen ihre Träume zu zeigen. Hierbei werden jedoch nicht ausschließlich die guten, schönen Träume künstlerisch umgesetzt, sondern auch die düsteren, gruseligen Alpträume.

Albrecht Dürer, Johann Heinrich Füssli, Francisco de Goya und Salvador Dalí sind Künstler, welche sich auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Alptraum beschäftigt haben. Ihre Alptraum-Werke zeigen die vielen Interpretationsmöglichkeiten der Alptraumwelt. Die Gemeinsamkeit ihrer Gemälde liegt in der Darstellung der jeweiligen persönlichen Auffassung eines Alptraums. Die Werke und das Gedankengut dieser vier Künstler sind zudem auch durch die Epochen geprägt, in welchen sie entstanden sind. So wandeln die vier Alpträume von der Renaissance bis zum Surrealismus.

© Katharina Mauderer

Albrecht Dürers „Traumgesicht“

Albrecht Dürers Alptraum als Aquarell Gemälde

„Traumgesicht“ – Albrecht Dürer, 1525 © Wikimedia Commons

8. Juni 1525 – Der Maler Albrecht Dürer (1471-1528) wacht schweißgebadet auf. Ein schrecklicher Alptraum, ein regelrechter Angsttraum quälte ihn durch die Nacht. Noch spürbar mitgenommen von seinen nächtlichen Schreckensvisionen, versucht er die Ereignisse seines inneren Auges aus der Traumwelt zu holen. Er greift schließlich zu seinen Aquarellfarben und beginnt zu malen – sein Alptraum im Gemälde „Traumgesicht“ entsteht.

Auf dem Werk zu sehen ist eine ockerfarbene Landschaft mit weit entfernten Bäumen und einer Stadtsilhouette, welche sich mitten in einer fürchterlichen Naturkatastrophe befinden. Es stürzen blaue Wassermassen vom Himmel herab und zerstören alles Umliegende. Dürer beschreibt sein geträumtes Szenario unter seinem Aquarellwerk sehr detailliert und schildert auch seine Gefühle über diese Vision: „das ich also erschrack do ich erwacht das mir all mein leichnam zitrett und lang nit recht zu mir selbs kam“. Sein Traum hat wahrliche Weltuntergangsstimmung. Seinen Bericht beendet er allerdings im Vertrauen auf den Allmächtigen: „Got wende alle ding zu besten“ (Gott wende alle Dinge zum Besten).

In der Renaissance fürchtete man sich vor Kriegen, Hungersnöten, Naturkatastrophen – und sah jedes Mal den Weltuntergang nahen. Eine Sintflut, wie auf seinem Gemälde dargestellt, galt als göttliche Strafe für Bosheit. So liegt es nahe, dass auch Dürers Träume davon beeinflusst worden sind und er in seiner Vision die Rückgängigmachung von Gottes Schöpfung fürchtet.

Der „Nachtmahr“ und die schwarze Romantik

Alptraum verbindlich von Füssli als Ölgemälde

„Der Nachtmahr“ – Johann Heinrich Füssli, 1790/1791 (spätere Version) © Wikimedia Commons

Johann Heinrich Füssli (1741-1825) war ein bedeutender Maler der Schwarzen Romantik, der einen Hang zu Träumen und mystischen, gruseligen Darstellungen hatte. Oft beeinflusst durch die Französische Revolution erschufen Künstler*innen dieser Epoche zunehmend düstere Werke. Füsslis Ölgemälde „Der Nachtmahr“ gilt als eines der ersten Werke, welches entgegen den Historienbildern nicht den Menschen fokussiert, sondern eine bestimmte Situation. Das Werk entstand rein aus seiner Fantasie und greift das alte Motiv des „Nachtmahrs“, oder auch „Nachtalbs“ auf. Dieses gruselige Fabelwesen soll schlechte Träume verursachen. Es setzt sich auf die Brust von Schlafenden und löst ein Druckgefühl aus. Der Alb soll zudem immer auf einem Pferd reiten, welches Füssli schemenhaft durch den Vorhang blicken lässt.

Er versinnbildlicht in seinem Werk die Schwelle von der Wirklichkeit zum Alptraum. Gleichzeitig zeigt er die Umstände, welche nach seiner Auffassung zum Alptraum der schlafenden Frau führen. Die Verwendung des Chiaroscuro-Effekts, also starken Hell-Dunkel-Kontrasten, unterstreicht die gespenstische Stimmung des Werkes. Füssli schuf mehrere Versionen des „Nachtmahrs“. Der erste Alptraum im Gemälde entstand 1781 im Querformat. Die Werke wurden später vor allem von den Künstler*innen des Surrealismus wieder aufgegriffen.

Auf dem Weg zum Realismus mit Francisco de Goya

Alptraum und Vernunft als Thema von Goyas Radierung

„El sueño de la razón produce monstruos“ – Francisco De Goya, 1797-1799 © Wikimedia Commons

Schläft oder träumt die Vernunft bei einem Alptraum? Diese Frage stellt sich bei Francisco de Goyas (1746-1828) Werk „El sueño de la razón produce monstruos“. Es ist Teil einer Serie aus 80 Radierungen, in denen er sich mit den derzeitigen Missständen in Spanien auseinandersetzt. Goya ist zeitlich in die Romantik einzuordnen, er gilt jedoch als Wegbereiter der Moderne und des Realismus. In dieser Epoche sollte die Realität möglichst genau herausgearbeitet werden und der Mensch als Einzelne*r stand im Mittelpunkt.

Die Französische Revolution hatte Goya die Augen geöffnet und er strebte nach Aufklärung und Vernunft. Folglich entsteht seiner Auffassung nach das Ungeheuerliche nicht aus Aberglauben, sondern aus einer befangenen Vernunft. Der „sueño“ von Goyas Alptraum-Werk kann hier verschieden übersetzt werden – als Traum oder als Schlaf. So ergibt sich die Übersetzung „Der Traum/Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.“ Der Alptraum im Gemälde, das Ungeheure, stellt Goya in seinem Werk durch Eulen dar. Sie gelten als Nachttiere und verkörpern, als Wappentier der Göttin Athene, die Vernunft. Eine der Eulen scheint den im Vordergrund schlafenden Künstler, womöglich Goya selbst, vor den im Hintergrund fliegenden, schwarzen Feldermäusen schützen zu wollen. Diese sind laut Dürer die Boten des Bedrohlichen. Das Gemälde lässt keine eindeutige Interpretation zu, somit entsteht Goyas Alptraum entweder aus einer schlafenden Vernunft oder die träumende Vernunft bringt selbst den Alptraum hervor.

Über der Wirklichkeit – Alpträume im Surrealismus

Gemälde des Surrealismus von Dalí zeigt die Ursache des Alptraums

„Sueño causado por el vuelo de una abeja alrededor de una granada un segundo antes de despertar“ – Salvador Dalí, 1944 © Wikimedia Commons

Dass Salvador Dalí (1904-1989) ein Maler des Surrealismus ist, wird mit Blick auf seine Gemälde schnell ersichtlich. Vor allem skurrile Zusammenhänge und sonderbare Darstellungen, fernab von der Realität prägen seine Werke ganz getreu den Ansichten dieser Kunstströmung. Die revolutionäre Form des Surrealismus hatte das Ziel, als Epoche der Moderne das Alltägliche und Reale zu übertreffen. Gezeichnet vom Ersten Weltkrieg, suchten Künstler*innen nach einer Gegenbewegung zu den bisherigen Darstellungen. Träume, Übernatürliches und realitätsferne Zusammenhänge wurden zum Gegenstand der surrealistischen Kunst.

So scheint es auf den zweiten Blick auch nicht mehr verwunderlich, dass Dalís Alptraum-Werk nicht den dunklen und düsteren Gemälden seiner Vorreiter gleicht. Mit dem langen Titel, zu deutsch: „Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen“ verbildlicht er die Entstehung eines Alptraums, bedingt durch eine banale Situation. Zu sehen ist eine schlafende Frau, auf welche sich zwei zornige Tiger stürzen. Diese entspringen aus einem Fischmaul. Der Fisch wiederum scheint aus einem Granatapfel zu entstehen. Im Hintergrund stakst ein Elefant auf stelzenartigen Beinen über das Wasser. Mit diesem verwirrenden Bedrohungsszenario verweist Dalí unverkennbar auf die Eigenarten unserer Träume, verschiedene Handlungen in groteske Zusammenhänge zu bringen. Also gipfelt der bloße Flug einer Biene um einen Granatapfel in einem Alptraum im Gemälde mit gefährlicher Bedrohung durch die Tiger.

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Schon öfter mal dasselbe geträumt? Oder wiederkehrende Traumszenen mit neuen Charakteren und Handlungssträngen erlebt? Wie bei einer Seifenoper bastelt sich das Unterbewusstsein gerne Wiederholungen zusammen, gerne auch dramatisch: immer wieder gejagt werden, aus der Höhe fallen oder die Kontrolle über ein Fahrzeug verlieren. Woher kommt es, dass so viele Menschen wiederkehrende Träume haben? Und was bedeuten sie?

Obwohl wiederkehrende Träume seit langem bekannt sind, hat sich die Forschung noch relativ wenig um deren Ursachen, Entstehungsbedingungen, Häufigkeit und Inhalte gekümmert. Und wenn, dann haben Traumforscher*innen auch unterschiedliche Interpretationen von wiederkehrenden Träumen: In der psychotherapeutischen Gestalttherapie zum Beispiel werden wiederkehrende Träume als Ausdruck des aktuellen psychischen Ungleichgewichts eines Individuums angesehen. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud betrachtete wiederkehrende Träume als Ausdruck eines neurotischen Wiederholungszwanges. Carl Gustav Jung wiederum glaubte, dass wiederkehrende Träume nicht nur auf das Vorhandensein eines psychischen Konflikts hinweisen, sondern dass sie auch „von besonderer Bedeutung für die Integration der Psyche“ sind. Die beiden Granden der Psychoanalyse stimmen jedoch zumindest darin überein, dass wiederkehrende Träume mit ungelösten Schwierigkeiten im Leben des Träumenden zu tun haben.

Liegt es am eigenen Wohlbefinden?

Ronald Brown und Don Donderi von der McGill Universität in Kanada untersuchten speziell den Zusammenhang von wiederkehrenden Träumen mit dem Wohlbefinden. Die Ergebnisse zeigen: Die Gruppe von Personen mit wiederkehrenden Träumen berichtete über ein geringeres Maß an Wohlbefindens als die Gruppe ohne solche Träume. Zum Beispiel seien Menschen, die häufig träumen, weniger anpassungsfähig in Bezug auf Angst, Depression, persönliche Anpassung und Stress durch Lebensereignisse. Nicht nur das, die sogenannten ‚rekurrenten‘ Träumer*innen träumten häufiger von Angst, Feindseligkeit, Versagen und Unglücksfällen.

Laut einer Studie der Harvard University aus dem Jahr 2014 treten wiederkehrende Träume bei 60 bis 75 Prozent der Erwachsenen auf und sind bei Frauen häufiger als bei Männern. Zu den häufigen Themen gehören unter anderem: angegriffen oder gejagt werden, fliegen, fallen, gefangen sein, zu spät kommen, einen Test verpassen oder durchfallen, die Kontrolle über ein Auto verlieren, einen Zahn verlieren und nackt sein.

Sich mit Ängsten und Unsicherheiten konfrontieren

Können wiederkehrende Träume eigenständig gelindert oder beseitigt werden? Bis jetzt gibt es keine einheitliche und klare wissenschaftliche Methode, aber Wissenschaftler*innen und Experten*innen haben einige solide Vorschläge. Eine kalifornische Gesundheits- und Therapie-Webseite rät, ein Schlaftagebuch zu führen, um so viele Informationen wie möglich über die eigenen Träume zu sammeln. Dies wird dabei helfen, die tieferen Gründe zu erforschen, warum diese Träume erscheinen. Wie das berühmte Sprichwort sagt: „Sich selbst zu kennen ist der Anfang der Weisheit“. Letztlich sind es wir selbst, die auf Entdeckungsreise gehen.

Im nächsten Schritt geht es darum, den wiederkehrenden Traum zu analysieren und herauszufinden, was uns der Traum sagen will, welche Bedeutung also hinter ihm steckt. Sun Tzu, ein chinesischer Militärstratege, Schriftsteller und Philosoph, sagte einmal: „Wenn man den Feind kennt und sich selbst kennt, braucht man das Ergebnis von hundert Schlachten nicht zu fürchten“. Dies gilt auch für den wiederkehrenden Traum. Wie wir wissen, können wiederkehrende Träume von ungelösten Problemen im Leben ausgelöst werden. Um sie zu verstehen, muss man also die eigenen versteckten Ängste, Unsicherheiten oder negativen Emotionen kennen, die Probleme verursachen können. Und darüber nachdenken, was einen im Moment stresst oder aufregt. Vielleicht muss man sogar tief in der Vergangenheit graben, um herauszufinden, ob es Traumata gibt, mit denen man sich noch nicht auseinandergesetzt hat. Danach ist es an der Zeit, die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Es ist sinnvoll Schritte zu ergreifen, um die Probleme in eigenen Leben zu lösen und den Stress zu bewältigen, egal ob es sich um die Arbeit, eine Beziehung, den Verlust eines geliebten Menschen oder etwas anderes handelt.

Wiederkehrende Träume können mit versteckten Ängsten, Unsicherheiten und negativen Emotionen zusammenhängen. © Gwendal Cottin on Unsplash

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

 

Ob im Film, in der Literatur oder in der Musik – traumhafte, romantische Beziehungen sind überall. Aber was ist eigentlich mit denen, die eher Alpträumen gleichen? Über die wird nicht so gern gesprochen. Carmen Maria Machado hat es in ihrem autobiografischen Roman In the Dream House dennoch getan. Willkommen im Traumhaus…

2017 gelang der damals dreißigjährigen Carmen Maria Machado, einer US-Amerikanerin mit kubanischen und österreichischen Wurzeln, der große literarische Durchbruch. Ihr Debüt, eine Kurzgeschichtensammlung, die in Deutschland unter dem Titel Ihr Körper und andere Teilhaber veröffentlicht worden ist, gewann zahlreiche Preise. 2019 erschien ihr ebenfalls vielfach ausgezeichneter, autobiografischer Roman In the Dream House, der im Oktober diesen Jahres in der deutschen Übersetzung unter dem Titel Das Archiv der Träume erscheinen wird. Im Roman berichtet die Autorin mit einer größeren zeitlichen Distanz von ihrer ersten Beziehung mit einer Frau, welche wie ein Traum beginnt. Zusammen ziehen die beiden in das titelgebende „Dream House“, ein kleines, idyllisches Haus in Bloomington, Indiana. Dort wandelt sich die Beziehung allerdings zu einem echten Alptraum, denn die Protagonistin leidet zunehmend unter dem Missbrauch ihrer namenlosen Partnerin, bis sie es schließlich schafft, sich von dieser loszulösen.

Ein (Alp-)Traum, viele Darstellungsformen

Ihren Themen widmet sich die Autorin im Roman in meist nur ein bis zwei Seiten langen Kapiteln. Sie experimentiert dabei mit verschiedenen Genres und betrachtet ihre Beziehung mittels unterschiedlicher Darstellungsmittel, vom Märchen über die Soap Opera bis hin zum Sci-Fi-Thriller. Jedes Kapitel ist nach (s)einem Darstellungsmittel benannt, wobei der Kapiteltitel immer nach dem Schema „Dream House as ____“ gefolgt vom jeweiligen Begriff aufgebaut ist. Auch popkulturelle Einflüsse wie Star Trek und A Nightmare on Elm Street sowie abstrakte Themen, beispielsweise die Apokalypse, werden als Darstellungsmittel eingesetzt.

Den Höhepunkt erreicht der Roman im interaktiven Kapitel Dream House as Choose Your Own Adventure, bei dem sich die Lesenden für verschiedene Szenarien entscheiden und zu einer bestimmten Seite springen können. Hierbei gibt es allerdings keine richtige Antwort, weder für die Lesenden, noch für die Protagonistin im Versuch, einen Streit mit ihrer Partnerin zu schlichten. Durch diese Art der Darstellung sowie die Verwendung der zweiten Person Singular lässt die Autorin die Leserschaft direkt am Alptraum teilhaben.

Das „Dream House“, das Traumhaus, ist keine Metapher, wie die Autorin bereits mit dem ersten Kapitel Dream House as Not a Metaphor feststellt. Das Traumhaus ist ein reales Haus. Es ist ein gemütliches Haus, kann sich aber jederzeit in ein Horrorhaus verwandeln, wenn die Partnerin einen plötzlichen Gewaltausbruch hat. Gleichzeitig ist es auch ein Schutzraum für Machado, die sich dann über Nacht im Badezimmer einsperrt, während ihre Partnerin versucht, die Tür einzutreten. In einem Interview mit der BBC geht Machado auf die Bedeutung von Träumen ein, welche für sie stark mit Idealisierung und Utopien einhergingen. Der „romantische Traum“, der ihr am Anfang ihrer Beziehung vorspielte, dass alles „perfekt“ oder „magisch“ sei und eine „Fantasie“ einer perfekten, idealen Beziehung kreierte, war mit dafür verantwortlich, dass es ihr schwerfiel, später den Missbrauch in der Beziehung als solchen zu benennen.

Nur psychischer Missbrauch?

Das Kapitel Dream House as Epiphany – eine Epiphanie ist eine Offenbarung – enthält nur einen einzigen Satz: „Die meisten Arten von häuslicher Gewalt sind komplett legal.“ Da psychische Gewalt für andere unsichtbar ist, wurde Machado in der Vergangenheit abgesprochen, dass sie wirklich Missbrauch erlebt hat, wie sie dem Magazin Vulture berichtete. In den Kapiteln Dream House as Myth und Dream House as Death Wish greift die Autorin diese Aberkennung psychischer Gewalt auf.

Im ersteren beschreibt sie die Reaktionen anderer, die gezwungen sind, ihren Erzählungen ohne physischen Beweis zu glauben, und ihre Erzählungen herunterspielen: „Wir wissen nicht sicher, ob es so schlimm ist, wie sie sagt. Die Frau aus dem Traumhaus scheint völlig in Ordnung zu sein, sogar nett… Liebe ist kompliziert.“ Im Kapitel Dream House as Death Wish beschreibt sie ihre „abgefuckte Fantasie“, ihren regelrechten Wunsch danach, körperlich geschlagen worden zu sein und Verletzungen davongetragen zu haben – allein um einen Beweis zu haben, für die Polizei, für die anderen, aber auch für sich selbst.

„Klarheit ist eine berauschende Droge, und du hast fast zwei Jahre ohne sie verbracht, hast geglaubt, du würdest den Verstand verlieren, hast geglaubt, du wärst das Monster, und du willst etwas Schwarz-Weißes mehr, als du je etwas auf dieser Welt gewollt hast.“

Queere Bösewichte: The Danger of a Single Story

Der zentrale Punkt des Romans ist, dass der psychische Missbrauch in einer lesbischen Beziehung stattfindet. Wie Machado selbst nach dem Ende ihrer Beziehung merkte, gibt es kaum Literatur über Missbrauch in queeren Beziehungen – dabei ist der Autorin zufolge gerade dies der spannendste Punkt. In einem Interview mit Poets and Writers sagte sie: „Es ist etwas so Interessantes an diesem Element, was es bedeutet, wenn die Person, die dich missbraucht, eine andere Frau ist, und dir wurde beigebracht, dass lesbische Beziehungen egalitär und eine Art Paradies sind.“ In den Fußnoten eines Kapitels merkt Machado an, dass Homophobie in queeren Beziehungen die gleiche „Funktion“ erfüllt wie Sexismus in heterosexuellen Beziehungen, wenn es um die Legitimation von Gewalt durch Täter*innen geht: „Ich tue das, weil ich damit durchkommen kann; ich kann damit durchkommen, weil du an einem kulturellen Rand, einer gesellschaftlichen Peripherie existierst.“

Gleichzeitig ist ihr der Erzählerin bewusst, dass queere Charaktere in Mainstreamliteratur und -filmen oft die Rolle des Bösewichts einnehmen. Machado bezeichnet dies im Roman als „Queer Villainy“ und greift hierbei den Grundgedanken aus Chimamanda Ngozi Adichies TED-Talk The Danger of a Single Story auf, der besagt, dass eine einseitige Darstellung Stereotype schafft und somit schädlich ist. Laut Machado ist diese einseitige Repräsentation queerer Menschen gefährlich, da sie „reale Assoziationen von Bösem“ schaffe. Daher plädiert sie dafür, weiterhin queere Bösewichte zu zeigen, allerdings müssten queere Charaktere dann auch in positiven Rollen zu sehen sein.

Laut der Autorin tragen Künstler*innen eine Verantwortung, wen sie als Bösewicht auswählen – daher hatte sie selbst Angst, dass In the Dream House zu dieser Bösewicht-Darstellung queerer Menschen beitragen und Stereotypien über lesbische Frauen verstärken könnte, wie sie im genannten Interview mit der BBC verriet. Das Dilemma beschreibt die Autorin selbst im Roman wie folgt: „Queere Leute brauchen diese gute PR; um für Rechte zu kämpfen, die wir nicht haben, um die zu behalten, die wir haben. Aber haben wir nicht die ganze Zeit versucht zu sagen, dass wir genau wie ihr sind?“

In the Dream House als ein Archiv der Träume

Carmen Maria Machados Roman ist – passend zum Titel der deutschsprachigen Ausgabe – ein wahres Archiv der Träume. So merkt Anna-Nina Kroll, die kürzlich den Roman ins Deutsche übersetzt hat, zum Traum-Motiv an:

„Träume kommen im Buch in allen Formen und Farben vor. Als Déjà-vus, als Alpträume, als Tagträume, als Zukunftsträume, als Träume von einer lesbischen Utopie und vor allem als (im Original) titelgebende Metapher, die besondere Kraft entwickelt, indem sie ins Gegenteil verkehrt wird.“

Durch seine besondere Form, Sprache und Thematik ist In the Dream House ein absolut einzigartiger Roman und eine nachdrückliche Lektüre, die zwar nicht immer einfach zu lesen ist, dadurch aber auch unvergesslich wird. Eine absolute Leseempfehlung – nicht nur für Träumer*innen.

 

Titelbild: © Graywolf Press 

Die Übersetzungen im Text stammen von Julia Faißt.

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Im Traum Geige lernen oder den perfekten Fallrückzieher trainieren? Für geübte Klarträumer*innen durchaus denkbar. Doch ist es wirklich so einfach, wie es klingt? Ein Gespräch mit Sportwissenschaftler und Klartraumforscher Daniel Erlacher und Psychologe Michael Schredl über luzide Träume und ihr Potenzial.

In unseren Träumen können wir alles sein: Vom Basketballprofi bis hin zum erfolgreichen Rockstar. Doch meistens bleibt es fiktives Geschehen, welches wir nicht steuern können und an das wir uns häufig nicht einmal erinnern können. Doch was passiert, wenn während des Traums klar wird, dass man träumt? Dann ist von einem Klartraum oder auch ‚luziden Traum‘ die Rede. Vielen Klarträumer*innen ist es zudem möglich, das Geschehen auch willentlich zu beeinflussen.

apl. Prof. Dr. Michael Schredl

Prof. (apl.) Dr. Michael Schredl ist wissenschaftlicher Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim © Referat für Kommunikation und Medien, ZI Mannheim

Psychologe und Klartraumforscher Michael Schredl erklärt dazu: „Luzide Träume werden allgemein definiert als Träume, die das Bewusstsein beinhalten, dass man träumt. Dieses Bewusstsein ist das oberste Level, von dem es dann verschiedene Verzweigungen geben kann. Das kann dazu führen, dass man den Traum beeinflussen kann, es kann aber auch sein, dass man weiß, dass man nichts machen kann. Ich bin der Meinung, dass es nicht nur wichtig ist Luzidität zu üben, also ein Bewusstsein zu erlangen, sondern auch zu üben, wie man aktiv werden kann, wenn man luzide ist.“

Aktive Klarträume können demnach dazu genutzt werden, im Traum ohne Flugzeug um die Welt zu fliegen, eigene Welten zu kreieren oder durch massive Wände zu gehen. Im besten Fall können sogar Fähigkeiten aktiv erlernt oder ausgebaut werden.

Klartraumtraining im Sport

Auch Daniel Erlacher vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Bern beschäftigt sich schon lange mit luziden Träumen. Das Klartraumtraining von Sportler*innen faszinierte ihn dabei besonders:

Prof. Dr. Daniel Erlacher

Prof. Dr. Daniel Erlacher lehrt seit ca. zehn Jahren an der Universität Bern am Institut für Sportwissenschaft © Daniel Erlacher

„Es gibt Effekte, die wir in unseren Studien nachgewiesen haben. Man kann tatsächlich im Traum trainieren, aber es ist nicht so, dass man im Traum zum 100-Meter-Sprintstar wird. Das muss man schon am Tag machen.“

Während des Klartraumtrainings im Sport gilt es zwischen den konditionellen Fähigkeiten und den Technikelementen einer Sportart zu unterscheiden: „Die konditionellen Fähigkeiten sind das, was wir uns jeden Tag mühsam antrainieren wie Kraft oder Ausdauer. Aber wenn man aufhört zu trainieren, verschwinden diese Fähigkeiten auch wieder. Der Muskel muss dafür trainieren und das passiert ja gerade nicht im Klartraum. Deshalb verbessert das Marathontraining im Schlaf nicht meine Ausdauer.“

Unter den technischen Aspekten versteht man wiederum trainierbare Fertigkeiten wie zum Beispiel eine Lauftechnik, einen Purzelbaum oder auch eine Basketballwurftechnik. Daniel Erlacher erläutert: „Das sind die Techniken, die man sich beibringt und die man auch ein Leben lang nicht mehr verlernt.“ Diese können in Klarträumen bewusst ausgeführt und somit verinnerlicht werden. Völlig losgelöst voneinander sind die beiden Elemente laut Erlacher jedoch auch nicht zu betrachten: „Durch die Verbesserung der Lauftechnik werden auch die konditionellen Ressourcen geschont, denn ein ökonomischer Laufstil braucht nicht so viel Energie. Deshalb kann das auch immer Quereffekte auf die andere Seite haben.“

Klarträumen ist Übungssache

Wer kann denn nun zum Klarträumenden werden? Zunächst eine gute Nachricht: Etwa 50 Prozent der Bevölkerung durchlaufen in ihrem Leben einen Klartraum. Dabei ist es nicht entscheidend, welche Persönlichkeitsmerkmale man mitbringt, sondern wie häufig trainiert wird. Michael Schredl illustriert:

„Ich vergleiche das gern mit Meditieren. Das heißt, dieses Bewusstsein sich zu beobachten ist nicht der normale Denkzustand, sondern braucht konstante Übung – nicht so etwas wie Fahrradfahren, das man einmal gelernt hat.“

Klarträume zu haben ist also Übungssache. Und trotzdem ist das luzide Träumen nicht allen gleichermaßen zugänglich: Manche Menschen brauchen Jahre, um ihren ersten Klartraum zu erleben, andere können es ohne intensive Übung. Lediglich 20 Prozent der Bevölkerung träumen während ihres Lebens häufiger luzide, sogar nur ein bis zwei Prozent auf regelmäßiger Basis. Eine Offenheit für Erfahrungen oder bereits vorhandene Meditationskenntnisse können das luzide Träumen laut Michael Schredl jedoch begünstigen: „Also ich glaube es gibt niemanden, der jahrelang übt und keinen Erfolg hat. Das widerspricht sich. Aber es gibt tatsächlich begabte luzide Träumer. Die sind natürlich besonders begehrt für die Laborforschung. Ich kannte eine Frau, die praktisch ohne jegliches Training mindestens drei Mal die Woche luzide Träume von richtig ausgedehnter Länge hatte.“

Welche Bereiche im Gehirn während eines Klartraums aktiv sind, darüber ist sich die Wissenschaft noch uneinig. Fest steht jedoch, dass Klarträume ausschließlich während der REM-Schlafphase stattfinden, in der sich meist auch die gewöhnlichen Träume ereignen.

Geduld und Motivation – „dann klappt es schon irgendwann“

Um Klarträume erleben zu können, braucht man vor allem eins: Geduld. Mit Hilfe verschiedenster Induktionstechniken kann die Wahrscheinlichkeit eines luziden Traums zudem beeinflusst werden. Besonders kognitiven Techniken werden dabei eine hohe Wirksamkeit nachgesagt. Tägliche Realitätschecks im Alltag können beispielsweise die Häufigkeit von Klarträumen erhöhen. Wer im Alltag mehrfach kontrolliert, ob es sich um einen Traum oder die Wirklichkeit handelt, wird diese Überprüfung auch während einer Traumsequenz durchführen und dabei eventuell zu einem Klartraum gelangen. Eine weitere kognitive Technik ist die Autosuggestion, bei der sich im Wachzustand bewusst vor Augen geführt wird, dass man im Traumzustand einen Klartraum erleben möchte.

Trotz der Anwendung erfolgsversprechender Induktionstechniken kann es am Anfang schwierig sein, so Schredl: „Ich habe auch das Klassische erlebt am Anfang. Ich habe mich beim ersten luziden Traum so darüber gefreut, dass ich luzide geworden bin, dass ich aufgewacht bin. Das ist typisch. Wenn man es erkennt, wacht man oft auf.“

Anhaltende Klarträume herbeizuführen, ist für viele also eine Herausforderung. Daniel Erlacher verrät, wie es trotzdem gelingen kann:

„Anfangen würde man mit einem Traumtagebuch, um die Traumerinnerungsrate zu steigern. Man kann die schönsten Klarträume haben – wenn man sich nicht an sie erinnert, dann wird es auch nichts mit dem Klarträumen. Und dann einfach mit den kognitiven Techniken anfangen und da geduldig bleiben und Motivation mitbringen, dann klappt es schon irgendwann.“

Titelbild: © pixabay

 

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Wem im Traum die Zähne ausfallen, muss sich nach dem Onlineportal Lexikon der Traumdeutung auf ein großes Unglück, etwa einen Trauerfall in der Familie oder eine schwere Krankheit gefasst machen. Passionierte Traumdeuter*innen und das Internet wissen immer schnell Bescheid. Doch was hat es mit diesen Deutungen eigentlich auf sich? Im Interview berichtet uns der Traumexperte Klausbernd Vollmar von der Symbolik unserer Träume. 
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Grüne Käfer, rote Schuhe oder gelbe Blumen. Farben in Träumen faszinieren uns und regen nicht selten zur Traumdeutung an. Aber was ist, wenn wir in Schwarzweiß träumen? Wie das mit unseren Medienerfahrungen zusammenhängen könnte, klärt ein Blick in die ‚Traumfarbforschung‘ der letzten hundert Jahre.  

Ein Kind sitzt auf einem Dreirad. Die Räder quietschen, das Lenkrad wackelt und der Blick nach vorne offenbart eine menschenverlassene Stadt. Unzählige Wolkenkratzer machen ihrem Namen alle Ehre und verschwinden im Grau des Himmels. Die Gassen dazwischen engen auf den ersten Blick ein. Sobald das Dreirad um die Ecke quietscht, breitet sich die Entfernung zwischen den Betonfassaden jedoch ins Unendliche aus. Eine Unendlichkeit von Schwarz-, Weiß- und Grautönen. Kein Fensterrahmen, kein Straßenschild, keine Dreiradpedale in dieser Stadt sind in Farbe getaucht. Alles ist schwarzweiß. An diesen Traum kann ich mich erinnern, seit ich Dreirad fahren kann. Zumindest glaube ich mich daran erinnern zu können. Ein Traum ganz ohne Farbe – kann das überhaupt sein?  

Traum oder Film?

Die Traumforschung ist sich darin einig, dass Sorgen, Tätigkeiten und Erfahrungen aus dem Alltag den Inhalt eines Traums beeinflussen. Meine Dreiradfahrt durch den schwarzweißen Großstadtdschungel erinnert jedoch eher an eine Szene aus einem Film Noir. In der nächsten Sequenz könnte sich ein graugekleideter Ermittler, an eine Betonwand gelehnt, seine Zigarette anzünden. Eine in Schatten getauchte Frau würde derweil in eines der Hochhäuser stöckeln, den Blick des Ermittlers auf ihrem Rücken…

Bereits 1926 sprach der Regisseur René Clair von einer besonderen Nähe zwischen Zuschauer*innen eines Kinofilms und Träumenden, die in den Bann ihres Traums gezogen werden. Der klinische Psychologe Robert Van de Castle beschreibt in seinem Buch Our Dreaming Mind tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Trauminhalten. Vor allem emotionale Szenen sollen demnach beeinflussen, welche Geschichten sich nachts in unserem Unterbewusstsein abspielen. Aber auch die formalen Aspekte von Medien scheinen sich in Träumen wiederzufinden. 1961 behauptete der Psychoanalytiker Ángel Garma sogar, Träume seien wie Stummfilme, ohne Ton oder Farbe.

Technicolor-Träume

Können Medien also auch beeinflussen, ob wir in Farbe träumen oder nicht? Die Psychologin Eva Murzyn wollte in einer 2008 veröffentlichten Studie genau diese Frage beantworten. Hintergrund dafür lieferten Unstimmigkeiten, die der Philosoph Eric Schwitzgebel feststellen konnte, als er frühe Traumstudien mit später durchgeführten Erhebungen verglich. Im frühen 20. Jahrhundert waren nicht nur Filme schwarzweiß, sondern auch Träume sollen im Regelfall keine Farben enthalten haben. In einer 1915 durchgeführten Studie träumten nur 20 Prozent der Proband*innen in Farbe. Ebenfalls im Jahr 1915 gründete der US-amerikanische Geschäftsmann Herbert Kalmus das Filmunternehmen Technicolor, welches circa vier Jahrzehnte später den Farbfilm revolutionieren sollte. Nicht ohne Grund nannten Traumforscher*innen Farbträume damals ‚Technicolor-Träume‘.

Während sich heute ganze Webseiten und Bücher der Frage widmen, was bestimmte Farben im Traum zu bedeuten haben, waren all diese Traumfarben in den Fünfzigern nur eins: Symptome einer psychischen Krankheit. Forscher*innen des St. Louis Krankenhauses in Missouri fanden diese bei psychisch erkrankten Patient*innen etwa drei Prozent häufiger als bei anderen Patient*innen des Krankenhauses. Auffällig ist nun, dass sich diese Auffassung in den Sechzigern änderte. In einer Studie von 1962 gaben rund 83 Prozent der Befragten an, in Farbe zu träumen. Parallel zu diesem neuen Farbanstrich der Traumwelt machte aber auch eine ganze Industrie Fortschritte in Richtung Farbe: die Filmindustrie.

Medien als Traumvorbilder

Die Dreistreifenkamera von Technicolor revolutionierte Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts die Filmindustrie. © Marcin Wichary

Die internationalen Kinoleinwände erstrahlten ab den Vierzigern in immer mehr Farben, Ende der Sechziger produzierte die Traumfabrik fast alle Filme in Color. Zudem besaß die Mehrheit aller US-amerikanischen Haushalte 1972 einen Farbfernseher. Farbmedien ersetzten Stück für Stück ihre schwarzweißen Vorgänger. Eva Murzyn stellt in ihrer Studie zwei Ansätze vor, die erklären, wie diese Entwicklung für den Umbruch in der Traumforschung verantwortlich sein könnte: Entweder beeinflussen Medien direkt die Traumform und somit auch die Farbgebung, oder sie beeinflussen lediglich die Annahmen darüber, wie Träume auszusehen haben. Da Träume nur selten im Langzeitgedächtnis gespeichert werden, vergisst man schnell Details zu Form und Inhalt des Geträumten.

Allein die Annahme, dass Träume typischerweise schwarzweiß sind, kann die Wahrnehmung verzerren und eigene Träume im Nachhinein farblos erscheinen lassen. Frühe Dokumentationen zu Träumen legen laut Murzyn nahe, dass Menschen vor dem 20. Jahrhundert mehrheitlich in Farbe träumten. Damals, so argumentiert die Psychologin in ihrer Dissertation, gab es auch noch keine Filme, die als Vorlage zur eigenen Realitäts- und Traumwahrnehmung dienten. Menschen, die hauptsächlich Schwarzweißfilme konsumieren, passen ihr Traumerlebnis also an das mediale Vorbild an. Die Träume erscheinen somit in Retroperspektive farblos.

Die Farben der Kindheit

Und wie kommt es, dass Menschen heute noch behaupten, schwarzweiße Träume zu haben? Eva Murzyn untersuchte in ihrer Studie die Träume von 60 Personen darauf, ob sie diese als grau oder bunt wahrnehmen. Dabei teilte sie die Proband*innen in zwei Gruppen auf: die unter 25-Jährigen und die über 55-Jährigen. Den Traumtagebüchern und Befragungen konnte Murzyn schließlich entnehmen, dass in der jungen Gruppe durchschnittlich nur etwa 4 Prozent der Träume schwarzweiß ausfallen. Die älteren Proband*innen hingegen konnte sie nochmals in zwei Gruppen spalten. Diejenigen, die bereits im Grundschulalter Farbfernsehen konsumierten, träumten zu über 90 Prozent in Farbe. Von den Studienteilnehmenden, die mit Schwarzweißmedien aufwuchsen, behauptete jede*r Vierte noch immer, in Grautönen zu träumen. „Es könnte also eine kritische Periode in der Kindheit geben, in der Filme eine wichtige Rolle dabei spielen, wie unsere Träume aussehen“, mutmaßt Murzyn. 

Der schwarzweiße Großstadttraum aus meiner Kindheit kann also noch immer nicht vollständig erklärt werden. Ich gehöre zweifellos zur Generation Farbfernsehen und träume auch sonst nicht in Grautönen. Aber wer weiß, vielleicht hat das dreiradfahrende Mädchen vor dem Schlafengehen ein paar Blicke auf einen schwarzweißen Krimi erhaschen können. Oder vielleicht verzerrte ein späterer Stummfilmmarathon die Erinnerung an die Fahrt durch den Wald aus Wolkenkratzern. Denn Medien haben eine Wirkung auf die Farbwelt unserer Träume – egal, ob sie sich bereits im Schlaf in Grautönen abspielen oder unser Gedächtnis das Geträumte erst im Nachhinein schwarzweiß einfärbt. 

© Titelbild: Unsplash

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Ob Traumberuf, Traumgewicht oder der Traum vom eigenen Haus – Träume sind genauso vielfältig wie die Möglichkeiten, sie in die Tat umzusetzen. Warum es wichtig ist, einen Wunschtraum zum Ziel zu machen und welche Rolle dabei Wille und Motivation spielen, erklärt Motivationspsychologin Marlies Pinnow.

‚Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum‘ – dieser Postkartenspruch ist wahrscheinlich jedem schon einmal ins Auge gefallen. Doch leider geben uns solche mehr oder weniger inspirierenden Weisheiten in der Regel keine Anleitungen, wie wir einen Wunschtraum in die Tat umsetzen. Wenn wir von unseren Träumen reden, sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass ein Traum aus psychologischer Sicht als Wunsch zu begreifen ist.

Motivationsforscherin Marlies Pinnow erklärt den Unterschied zwischen Träumen und Zielen: „Ziele sind mit einem konkreten Handlungsplan verbunden und liegen in nicht allzu weiter Ferne. So ein Traum oder Wunschtraum kann ein ganzes Leben strukturieren. Denken wir mal an extreme Träume, wie zum Beispiel, weltbeste Pianistin zu werden. Da weiß ich zunächst gar nicht so konkret, was ich tun soll. Ich kann keine To-Do-Liste dafür erstellen, sondern ich richte einfach mein Leben auf etwas aus.“ Zwar könnten auch Ziele unterschiedlich weit in der Zukunft liegen, diese sollten jedoch möglichst mit einer Zeitmarke und einem Handlungsplan verknüpft werden, um sie in die Tat umzusetzen.

Die promovierte Psychologin Pinnow weiß, dass sich viele Menschen in Wunschträumen verlieren, die fernab der Realität liegen. Das Setzen von unrealistischen Zielen führe dann wiederum dazu, in Demotivation zu verfallen. Viele würden sich beispielsweise beim Abnehmen in realitätsfernen Wunschvorstellungen verlieren – obwohl bereits vermeintlich kleine Gewichtserfolge schon förderlich für die Gesundheit sein könnten: „Das Problem dabei ist, wenn diese Menschen ihr Wunschziel nicht erreichen, dann kippen sie häufig komplett in ihr Ernährungsverhalten vor Therapiebeginn zurück. Dieser Wunsch an sich hat schon eine energetisierende Wirkung, aber sobald der wegfällt, sieht das Leben auf einmal ganz anders aus.“

Marlies Pinnow forscht an der Ruhr-Universität Bochum zu den Themen Selbstregulation und -kontrolle.
© Marlies Pinnow

Machen oder Grübeln

Nicht allen Menschen fällt die Verwirklichung von Zielen gleichermaßen leicht. Während die einen als handlungsorientierte ‚Macher*innen‘ gelten, die ihr Ziel konsequent im Auge behalten, fokussieren sich die lageorientierten ‚Grübler*innen‘ hauptsächlich auf die Gegenwart und mögliche Misserfolge. „Diese Leute haben zwar auch Ziele, aber sie schaffen es nicht direkt, in die Handlungsphase zu kommen. Die bleiben in der Planung stecken, weil sie auf einmal anfangen, zielhinderliche Informationen aufzunehmen, statt sich auf die Zielumsetzung zu fokussieren“, so Pinnow. Dazu gehören beispielsweise Studierende, die dazu neigen, Prüfungen aufzuschieben. Hierbei sei es wichtig, sich der eigenen Motivation bewusst zu werden: „Was hält mich davon ab, mein Studium abzuschließen? Wird die Zielsetzung wirklich von meiner eigenen Motivation gestützt oder habe ich eigentlich ganz andere Wünsche und möchte lieber Tischler werden?“ Doch Macher*innen sollten nicht per se als der bessere Typ Mensch aufgefasst werden. Die Eigenschaften lageorientierter Menschen seien ebenso notwendig, etwa um mögliche Problematiken zu erkennen: „Macher sind zwar sehr viel schneller in ihrer Entscheidung, was zu tun ist, aber Grübler sind letztendlich mit ihren Entscheidungen häufig zufriedener.“

Den Rubikon überschreiten

Unsere Motivation hat einen Einfluss darauf, ob wir unser Ziel erreichen. Im Gespräch mit Marlies Pinnow wird jedoch schnell deutlich, dass hinter diesem Konzept mehr steckt als nur ein positives Mindset: „Jeder hat einen Begriff von Motivation, aber der hat meistens wenig mit dem zu tun, was wir in der Forschung darunter verstehen.“ Zwar gilt die Motivation als eine entscheidende Komponente, um seine Wünsche in die Tat umzusetzen, für den Weg bis zur Zielerreichung braucht es jedoch mehr.

Mit dem Rubikonmodell werden in der Motivationsforschung vier Phasen erfasst, die jede Person mit einem Ziel vor Augen durchlaufen sollte: Abwägen, Planen, Handeln und Bewerten. In der ersten, motivationalen Phase müssen wir unsere Wünsche gegeneinander abwägen. Hier gilt es, sich zu überlegen: Welche Visionen kann ich am ehesten in die Tat umsetzen? Was ist ein erstrebenswertes Ziel für mich? „In der motivationalen Phase sollte ich ganz offen sein, damit ich auch wirklich das für mich richtige Ziel finde“, betont Pinnow. Am Ende dieser Phase überschreiten wir also den Rubikon – indem wir uns ein verbindliches und realistisches Ziel setzen: „Die motivationale Bewusstseinslage wird quasi in dem Moment gestoppt, wo ich mich an ein Ziel binde und sage, dass ich das jetzt wirklich will.“

In kleinen Schritten zum Ziel

Allein damit ist es jedoch noch nicht geschafft. Um unserem Ziel ein Stück näherzukommen, muss der Übergang in die sogenannte ‚volitionale‘, also den Willen betreffende Phase stattfinden, in der die Handlungsplanung und -umsetzung im Vordergrund steht. Zweifeln am eigentlichen Ziel sollte hier kein Raum gegeben werden, sagt Marlies Pinnow: „Da sollten ganz andere Merkmale in den Vordergrund treten. Konkurrierende Informationen, die einen hindern, das jetzt umzusetzen, müssen in der volitionalen Bewusstseinslage einfach unterdrückt werden.“ Die Volition jedoch sei besonders kräftezehrend, weshalb die eigentliche Motivation nicht aus dem Blickfeld verschwinden sollte: „Motivation kann auch Kraft geben. Sich immer wieder zu fragen, warum man das Ziel eigentlich erreichen will, ist ungeheuer wichtig. Eine Patientin, die abnehmen wollte, hatte sich ihr Hochzeitskleid auf den Kühlschrank geklebt – und sie hat ihr Ziel auch erreicht.“

Um große und kleine Wunschträume zu verwirklichen, sollten wir diese immer wieder mit konkreten Unterzielen verknüpfen – ansonsten bleibt der Fortschritt unbemerkt. Als Beispiel nennt Marlies Pinnow den Extrem-Bergsteiger Reinhold Messner, der zu Fuß die Antarktis durchquerte: „Dazu gehört, dass man sich ganz kleine Ziele setzt und jeden Tag eine bestimmte Kilometeranzahl in der Kälte zurücklegt. Beim Besteigen des K2 hatte er sein Ziel vor Augen – den Gipfel. Diese Strategien auch wechseln zu können, also lang- und kurzfristige Ziele zu setzen, ist sehr sinnvoll.“ Die Psychologin verweist zudem darauf, bei der Zielplanung auch konkrete Hindernisse zu berücksichtigen – ein Vorgehen, das vor allem auf die Motivationspsychologin Gabriele Oettingen zurückzuführen ist. Marlies Pinnow jedoch ist davon überzeugt, dass wir Träume ebenso brauchen wie Ziele: „Träume geben unserem Leben Sinn. Wir brauchen Wünsche, aber eben auch ein Regulativ, dass man wirklich nicht absolut in die Leere läuft.“

© Titelbild: Unsplash

 

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Träume: Nur absurd-konfuse Bilder vor unseren Augen oder steckt mehr dahinter? Oft fragt man sich, ob diese Nachtgespenster etwas mitteilen wollen. Laut Sigmund Freud tun sie das tatsächlich – zwar nicht als Weissagung über die Zukunft, sondern als Auskunft über uns selbst.

Mit seinem Werk Die Traumdeutung bringt Freud 1899 eine neue Sichtweise in die bestehenden Traumtheorien. Sein Ansatz liegt in der Psychoanalyse: Wenn Menschen schlafen, verarbeitet ihr Unterbewusstsein alle möglichen Reize und Anregungen des Tages, welche dann in Form des Traums an das schlummernde Bewusstsein weitergereicht werden. Als tragendes Motiv der Traumentstehung benennt Freud dabei die ‚Wunscherfüllung‘. Jeder Traum ist laut ihm eine Erfüllung eines Wunsches oder mehrerer Wünsche, was bei manchen Träumen offensichtlich ist und bei anderen nur durch tiefgehende Analyse herausgearbeitet werden kann. Denn unser Geist macht es uns nicht immer leicht, die eigentlichen Gedanken der Traumbilder zu erkennen – sonst wäre die Selbstreflektion wohl zu einfach. Doch was ist der Grund für diese Bilderrätsel im Kopf?

Der innere Kampf gegen sich selbst

Sigmund Freud

Deutete Träume als Tor in unsere Psyche: Sigmund Freud. © Wikimedia-Commons / Max Halberstadt

Freud zufolge sträuben wir uns ganz natürlich gegen gewisse Wünsche und unterdrücken sie, sowohl bewusst als auch unbewusst. Beispiele wären: Sich wünschen, an einer unschönen Situation nicht die Schuld tragen zu müssen. Oder jemandem etwas ‚Schlechtes‘ wünschen. Wenn wir dann schlafen, kommen manche dieser Gedanken wieder ans innere Tageslicht. Das kann man sich so vorstellen, dass in uns eine psychische Instanz das letzte Tagesgeschehen prüft und Anregungen findet, welche im Unterbewusstsein verdrängte Wünsche aufwirbeln. Die Instanz stellt dann den sogenannten ‚latenten Traumgedanken‘ her, der einen Wunsch aufgreift, welcher uns beschäftigt. Doch es gibt laut Freud auch eine zweite psychische Macht, die eine Art Kontrollfunktion ausübt. Wenn der Inhalt des Traumgedankens dieser zweiten Instanz nicht gefällt, wird der Wunsch entsprechend ‚zensiert‘. Der Inhalt des Traums wird dann vertauscht und verkleidet, um verstörende Elemente, die nicht ans Bewusstsein gelangen sollen, herauszufiltern. Diesen Streitprozess der zwei Instanzen nennt Freud die ‚Traumarbeit. Die Traumarbeit überträgt letztlich den latenten Traumgedanken auf einen ‚manifesten Trauminhalt‘, also jene durcheinander gewürfelten, audiovisuellen Bilder, an welche wir uns nach dem Aufwachen erinnern. Dabei bedient sich die erste Instanz einer Menge Tricks, um der Zensur der zweiten Instanz zu entgehen.

Verschiebung: Das Irrelevante im Scheinwerferlicht

Traumarbeit

Freuds Methoden bei der ‚Traumarbeit‘. © Franziska Frank

Um den Traumgedanken nun in entstellter Form so zu verpacken, dass er nicht der Zensur unterliegt, werden insbesondere zwei Methoden bei der Traumarbeit genutzt: Die ‚Verschiebung‘ und die ‚Verdichtung. Verschiebung bedeutet, dass der Fokus des Trauminhalts nicht auf den eigentlichen Kern des Traumgedanken, sondern auf etwas Anderes gesetzt wird. Nebensächliches wird in den Vordergrund gerückt und stattdessen mit dem eigentlichen Traumgedanken assoziiert. Dafür werden laut Freud häufig die Erinnerungen des letzten Tages als Anregung verwendet, da diese noch nicht mit anderen Gedankengängen übermäßig assoziiert wurden und somit ‚frisches‘ Material darstellen. Als Beispiel schildert Freud einen Traum, in welchem er in einer selbstgeschriebenen botanischen Monografie blättert. Hinterher erinnert er sich, tags zuvor ein ähnliches Buch im Schaufenster gesehen und nicht weiter beachtet zu haben. Doch sein Unterbewusstsein habe eine Assoziation hergestellt: Freud hatte vor Jahren einen Aufsatz zur Cocapflanze verfasst, welcher die Aufmerksamkeit eines Doktors erregte und diesen auf die Idee von medizinischer Verwendung von Kokain brachte. Freud erzählt, dass er letztens daran erinnert wurde, als er eine Festschrift der Erfolge des Herrn erhielt. Er fühlt, beim Erfolg des Doktors unberücksichtigt geblieben zu sein. Diese Erinnerung sei der eigentliche Auslöser der Wunscherfüllung – „Ich habe den Erfolg auch verdient“ – aber die Verschiebung habe den neidischen Gedanken entstellt und mit dem gesehenen Buch im Schaufenster verknüpft. Woher kommt die Verbindung? Der Verfasser der Festschrift, welcher Freud begegnete, hieß Gärtner, dessen Frau wurde von Freud als blühend wahrgenommen.

Verdichtung: Eins bedeutet vieles

Die zweite Methode nennt Freud ‚Verdichtung. Das heißt, dass der Traumgedanke mehrmals im Trauminhalt eingewebt wird. Das kann sich in Form von starker Kompression mehrere Assoziationen zeigen. Ein Objekt im Traum kann also vieles auf einmal bedeuten. Zugleich werden einander ähnliche Assoziationen als Einheit zusammengefasst, sodass sich zum Beispiel ‚Mischpersonen‘ bilden. So entstehen komprimierte Trauminhalte, hinter denen eigentlich eine Menge mehr steckt. Freud beschreibt beispielhaft einen Traum, in welchem er eine Mischung der Gesichter seines Onkels und eines Freundes vor sich sieht. In seiner Analyse bewertet er beide Personen als „Schwachköpfe“, was der Wunscherfüllung seines Traumes diente. Die Verdichtung soll also bewirken, dass so viel wie möglich vom mit der Wunschvorstellung verknüpften Inhalt zusammengepresst wird.

Typische Träume und ihre Bedeutung nach Freud
Nacktheit im Traum Hinweis auf unerlaubten Wunsch mit kindlichem Ursprung
Tod von Personen Wunsch nach Abwesenheit mit kindlichem Ursprung
Prüfung im Traum Träumer spürt Verantwortungsdruck, Traum erinnert an bereits gemeisterte Situation
Man kommt nicht von der Stelle Willenskonflikt zu einem Wunsch zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein

Traumdeutung als Königsdisziplin der Psychoanalyse

Freuds Werk „Die Traumdeutung“ mit Plüschtieren auf einem Kopfkissen

Freud ist überzeugt, dass die meisten verdrängten Wünsche in unserer Kindheit begründet werden. © Franziska Frank

Freud zufolge stellen Träume als Wunsch-Erfüller ein Tor in unsere Psyche und eine Möglichkeit dar, uns selbst besser zu verstehen. Das liegt unter anderem an seiner Überzeugung, dass die meisten verdrängten Wünsche in unserer Kindheit begründet werden und uns noch bis ins Erwachsenenalter begleiten. Auch Wünsche, die uns peinlich sind oder heutzutage erschrecken würden. Freud zufolge wäre das zum Beispiel der unerlaubte Wunsch nach sexuellem Verkehr mit einem Elternteil. Er argumentiert, dass solche Wunscherfüllungen dann zu den sogenannten Alpträumen führen, weil ein Interessenskonflikt zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein aufgedeckt wird. Das Bewusstsein erschrickt dann über den Ausdruck des Wunsches.

Freuds Traumtheorie wird bis heute angewendet, diskutiert und kritisiert. Alfred Adler und Carl Gustav Jung, beide jeweils Begründer anderer Gebiete der Psychologie, bemängeln an der Traumdeutung den Fokus auf Sexualität, die laut Freud bei der (oft kindlichen) Wunschentwicklung eine tragende Rolle spielt. Freud spricht auch jedem einzelnen Traum einen Sinn zu, und wenn man die Wunscherfüllung nicht erkennen kann, so liegt es seiner Ansicht nach an einer mangelhaften Deutung. Überprüfbar sind Traumdeutungen letztendlich nicht, da wir keinen Blick in das Unterbewusstsein werfen können.

Aber wer möchte, kann in den nächsten Nächten ja ganz bewusst über seine Träume nachdenken – und sich fragen, ob geheimnisvolle Wünsche dahinter lauern.

Titelbild: © Franziska Frank

 

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