Gesellschaftstheoretiker, Ökonom, Philosoph ‒ und Hipster!? Karl Marx ist so populär wie nie, seine Theorien haben Hochkonjunktur. Doch was ist davon noch aktuell, was aus der Zeit gefallen? Und wie steht es heute um das ‚Gespenst des Kommunismus‘?

Karl Marx wird 200 Jahre alt ‒ die deutschen Medien gratulieren höflich. „Karl Marx ‒ der deutsche Prophet“ lautet der Titel eines Doku-Dramas, das im ZDF gezeigt wird. Die Süddeutsche kommentiert: „Die Lektüre von Marx ist ein Schlüssel zur Welt von heute“, bezeichnet ihn als ‚Visionär‘. In seiner Geburtsstadt Trier gipfeln die Feierlichkeiten in Marx-Statue und Marx-Ampelmännchen. Manche(r) Journalist*in dürfte noch Tage nach dem Jubiläum in einer Eistonne liegen und den von Schreibkrämpfen geschüttelten Körper kurieren. Marx, der Visionär und Prophet ‒ was ist von seinen Vorhersagen heute noch übrig? Waren seine ‚Prophezeiungen‘ zutreffend oder bloße Kaffeesatzleserei?

Auch Päpste fürchten Gespenster

Karl Marx und Friedrich Engels als Statue in Berlin (Foto: Pixabay).

Die Autoren des „Manifests der Kommunistischen Partei“ als Statue in Berlin (Foto: jensjunge, Pixabay.com).

„Ein Gespenst geht um in Europa ‒ das Gespenst des Kommunismus.“ So beginnt das „Manifest der Kommunistischen Partei“ von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Jahr 1848. In dieser Zeit ist ‚Kommunismus‘ ein Kampfbegriff. Er wird verwendet, um politische Gegner*innen zu verunglimpfen. Bei den Herrschenden verursacht das Wort Albträume. Sie wollen ihren Untergebenen den bösen Geist austreiben ‒ am liebsten per Exorzismus. Selbst der Segen von Papst Pius IX. ist ihnen dabei sicher. Denn für Pius IX. ist Kommunismus eine Seuche und einer der großen Irrtümer der Epoche.

Marx selbst kämpft ebenfalls gegen das Gespenst. Allerdings will er der Welt die Angst vor der Spukgestalt nehmen und mit dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus aufräumen. Aus dieser Motivation heraus entsteht das „Manifest der Kommunistischen Partei“. Was Marx darin schreibt, strotzt nur so vor gesellschaftlichem Sprengstoff. Er kritisiert, wie die Oberschicht die Fabrikarbeiter*innen, das Proletariat, ausbeutet. Sein zentrales Thema ist dabei der Klassenkampf, der zur gewaltsamen Revolution, dem Aufstand des Proletariats führt. Am Ende stehe die Umgestaltung der Gesellschaft oder ihr Untergang.

Marx‘ Warten auf die Revolution

Statue von Marx in Trier

Zumindest als Statue kam er nach Trier zurück (Foto: Leo_65, Pixabay.com).

Auf den Knall des selbst beschworenen Pulverfasses wartet Marx vergeblich. Lediglich der Pariser Juniaufstand im Jahr 1848 entzündet sich an der Sozialen Frage ‒ doch der erhoffte Flächenbrand bleibt aus. In Großbritannien, dem Vorreiter der Industrialisierung, gibt es kein Revolutionsbestreben. Es wäre ein Vorzeigebeispiel für seine Theorie gewesen. An benachteiligten Proletarier*innen hätte es nicht gemangelt. Stattdessen gewährt Großbritannien Marx Zuflucht vor den Exorzist*innen. Ausgerechnet der Staat, der wie kaum ein zweiter das symbolisiert, was der Kommunist verabscheut. Das ist wohl britischer Humor.

Im Exil rückt Marx vom Klassenkampf ab und wendet sich der Ökonomie zu. Die Wirtschaftsordnung produziere Krisen, Krisen führten zu Umstürzen, so sein neues Mantra. Er schreibt es in „Das Kapital“ nieder. Wieder beginnt das Warten auf die prognostizierte Revolution. Zumindest kann sich der Exil-Trierer damit trösten, dass er nicht alleine warten muss. Um ihn scharen sich ganze Horden von Marxist*innen. Mit unnachgiebigem Blick fixieren sie den Boden ihrer Kaffeetassen. Dort wollen seine Jünger*innen die Anzeichen für die bevorstehende Revolution erkennen, orakeln in Wirtschafts- und Börsenberichten um die Wette. Doch was sie auch im Kaffeesatz zu lesen glauben ‒ die Revolution nach Marx‘ Vorbild lässt sich nicht herbeireden.

Die Wahrheit im Kaffeesatz

Während der Begründer des Marxismus mit seinen Revolutionsprognosen irrt, soll er an anderer Stelle Recht behalten. Bei all der Kritik, mit der er sich am Wirtschaftssystem des Kapitalismus abarbeitet, so erkennt Marx dennoch dessen Potenzial. Der Kapitalismus bietet die Möglichkeit, Wohlstand zu erzeugen, wenn auch ungleich verteilt. Marx denkt über europäische Grenzen hinaus, spricht bereits im „Manifest der Kommunistischen Partei“ vom ‚Weltmarkt‘. Er sieht die Globalisierung voraus und warnt vor der Selbstbereicherung durch Manager*innen.

Porträt von Karl Marx

Voll im Trend mit Hipster-Bart, schon im Jahr 1875 (Foto: John Jabez Edwin Mayall).

Auch das Gespenst des Kommunismus hat seinen Schrecken nicht verloren. Der böse Geist soll dem Staatsapparat vielerorts ausgetrieben werden. Das zeigen diverse Kommunist*innenverfolgungen, beispielsweise in der NS-Zeit. Eine Hetzjagd, die Marx schon 1848 thematisiert. Die Plätze der Exorzist*innen haben mittlerweile andere eingenommen. So tun sich die USA auch nach Ende des Kalten Krieges damit schwer, kommunistische Staaten zu akzeptieren. Denn so viel ist klar: Kommunismus ist unamerikanisch.

Der Hipster Karl Marx

Am aktuellsten bleibt dabei aber seine Kapitalismuskritik, denn die Soziale Frage wird weiterhin diskutiert. Marx deckt die Schwächen des Systems auf: Lohn- und Leistungsdruck auf Seiten der Angestellten, Konzentration der Gewinne bei den Unternehmer*innen. Das führt zur wachsenden Ungleichheit zwischen beiden Gruppen, dazu kommen hohe Mietpreise und Wohnungsmangel in den Städten. Nein, das ist keine zeitgenössische Kritik aus Martin Schulz‘ Wunschwahlprogramm. Das ist Marx ‒ direkt aus dem 19. Jahrhundert. Der Begründer des Marxismus ist aktuell und liegt im Trend. Auch seine äußerliche Erscheinung würde heute wohl kaum aus der Reihe fallen: Die Haare zum ‚Man Bun‘ gebunden, ein anerkennendes Nicken beim Betreten gewisser Berliner Clubs und Cafés wäre ihm sicher. Das erkennt allerdings nur, wer sich von seinem an Kriegstreiberei grenzenden Klassenkampf-Gerede nicht abschrecken lässt.

Die aktuelle Lesart der Werke dürfte auch den heutigen Hype um seine Person erklären ‒ und die überschwänglichen Journalist*innen. Dennoch irrte sich Marx gerade bei seinen großen Revolutionsprognosen.  Besonders das „Manifest der Kommunistischen Partei“ sollte frei nach Mao Zedong im Kern ein Papiertiger bleiben. So findet sich beim Blick in Marx‘ Tasse nicht nur Wahres im Kaffeesatz ‒ obwohl Marx‘ Kaffee keineswegs abgestanden schmeckt.

2.500 Freelancer, 20 festangestellte Mitarbeiter*innen, 800 Anfragen – pro Monat: Marcel Kopper verhilft mit seiner Ghostwriting-Agentur „GWriters“ Kund*innen zu einem akademischen Titel. Ein Gespräch über dreiste Studierende, moralische Skrupel und Anrufe von Eltern, die verzweifelt einen Ghostwriter für ihre Kinder suchen. 

Herr Kopper, wie vielen Studierenden haben Sie schon zu einem Abschluss verholfen?

Diese Frage höre ich nicht zum ersten Mal (lacht). Offiziell noch keinem. Denn unsere Ghostwriter schreiben keine Abschlussarbeiten, sondern erstellen lediglich Dossiers als Mustervorlagen, an denen sich Studierende orientieren können – es sind Lösungsvorschläge, die wir anbieten. Mehr nicht.

Ein achtseitiges Dossier kostet bei Ihnen bis zu 600 Euro, je nach Fachrichtung und Zeitvorgabe. Eine Dissertation kann schonmal in der Preisklasse eines Kleinwagens liegen. 

Wie gesagt: Musterbeispiel einer Dissertation.

Glauben Sie wirklich, dieses Manuskript heften dann die Kund*innen als „Musterbeispiel“ in ihre Ordner und archivieren es im Regal?

Natürlich nicht. Aber wofür die von uns erstellten Manuskripte letztlich verwendet werden, darauf haben wir keinen Einfluss. Sollte ein Student tatsächlich einen von unseren Ghostwritern verfassten Text unter seinem Namen einreichen und vorher eine eidesstaatliche Selbständigkeitserklärung unterzeichnet haben, liegt eine so genannte „schriftliche Lüge“ vor. Das ist an sich nicht strafbar, kann aber, je nach Hochschulgesetz, zu einem Disziplinarverfahren und eventuell auch zur Exmatrikulation führen.

„Wir bedienen nur die Nachfrage“

Sie haben also kein schlechtes Gewissen?

Mit dieser Frage habe ich schon gerechnet (lacht). Die Antwort: Nein. Warum denn auch? Deswegen weisen wir jeden Kunden ausdrücklich darauf hin, dass er sich an die jeweilige Prüfungsordnung und das Hochschulgesetz halten muss und unsere Arbeiten nur Musterbeispiele sind. Zu prüfen, ob sich der Kunde auch daran hält, ist nicht unsere Aufgabe. Das Ghostwriting ist so alt wie die Schrift und an sich vollkommen legal. In Griechenland wurden beispielsweise schon 400 Jahre vor Christus Plädoyers oder Reden von sogenannten Logographen geschrieben.

Findet nichts Anstößiges an seiner Arbeit: Marcel Kopper, Geschäftsführer von „GWriters“

Gesellschaftlich ist Ihre Arbeit dennoch verpönt.

Damit kann ich leben, denn wir bedienen nur die Nachfrage. Außerdem besteht unser Geschäft nicht nur aus Ghostwriting. Wir bieten auch Lektorate an oder Schreibtrainings für Akademiker.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Ghostwriting-Agentur zu gründen?

Meine Mitgründer und ich waren schon während des Studiums als Ghostwriter aktiv. Deswegen haben wir früh begriffen, dass man damit Geld verdienen kann. Ich war dann aber zunächst Verkaufsleiter einer Supermarktkette. Bis mir meine Mitgründer im Mai 2012 eine ausgedruckte Kündigung für meinen damaligen Arbeitgeber schenkten. Daraufhin beschlossen wir, eine Agentur zu gründen, die akademische Ghostwriter vermittelt. Mitte 2012 sind wir an den Start gegangen, und unsere Plattform hat sich nun in Österreich, der Schweiz, Großbritannien, Polen und der Türkei etabliert.

Wie viele Kund*innen betreuen Ihre Ghostwriter?

Monatlich wenden sich etwa 800 Interessenten an uns.

Das Geschäft boomt. 

Oh ja. Wir können uns nicht beklagen (lacht).

„Da melden sich Studenten, die wollen, dass ein Ghostwriter ihre Klausur schreibt, mit Knöpfen im Ohr oder Kamerabrille – wie bei James Bond.“

Woran liegt das? 

Wir betreuen nicht nur Studierende, sondern auch Großkonzerne, Verlage, Lehrinstitute und Privatpersonen. Allerdings kommen die meisten Kunden von der Uni. Da sind die Gründe für einen Auftrag vielfältig: private oder gesundheitliche Probleme oder schlicht Überforderung. Die meisten wenden sich aus Verzweiflung an uns. Ihnen fehlt Erfahrung im wissenschaftlichen Schreiben und eine gute Betreuung ihrer Universitäten. Sie bekommen Arbeit aufgehalst, die sie unmöglich allein bewältigen können. Das hat auch viel mit der Bologna-Reform zu tun: mehr Zeitdruck, striktere Vorgaben und weniger Freiheit. Teilweise bekommen wir sogar verzweifelte Anrufe von Eltern, die Ghostwriter für ihre Kinder suchen.

Manche Studierende sind einfach nur faul. 

Das ist ein klassisches Vorurteil. Tatsächlich ist das typische Bild vom reichen Sohn eines Industriellen, der einfach nur aus Faulheit eine fertige Arbeit haben möchte, eher selten. Wir haben viel häufiger verzweifelte Anfragen etwa von alleinerziehenden Müttern, die nebenbei studieren und feststellen, dass sie das nicht unter einen Hut bekommen.

„Andere sagen auch einfach: Was ihr mir schreibt, ist mir egal.“

Das heißt aber nicht, dass es nicht auch Fälle gibt, in denen sich Kunden aus Bequemlichkeit an Sie wenden.

Die gibt es natürlich auch. Es ist schon erstaunlich, dass manche lieber 500 Euro für eine zehnseitige Hausarbeit zahlen, anstatt sich selbst mal ein paar Tage hinzusetzen und daran zu arbeiten. Oftmals zahlen das dann sogar die Eltern. Und manche Anfragen sind wirklich dreist: Da melden sich Studenten, die wollen, dass ein Ghostwriter ihre Klausur schreibt, mit Knöpfen im Ohr oder Kamerabrille – wie bei James Bond. Einer wollte sogar einen neuen Studentenausweis besorgen und ein Foto von einem Ghostwriter draufkleben. Solche Anfragen lehnen wir natürlich ab.

Das ist dreist.

Es geht noch dreister: Im November 2012 hat sich ein Kunde eine Masterarbeit schreiben lassen – als Weihnachtsgeschenk für den Ehepartner. Manche verschenken auch Gutscheine für unser Angebot.

Haben Sie Stammkund*innen?

Aber sicher. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kunden, die sich für eine Hausarbeit Rat bei uns gesucht haben, sich spätestens bei ihrer Abschlussarbeit wieder an uns wenden.

„Wenn ich es nicht anbiete, bietet es eben jemand anderer an. So ist das eben. That’s life.“

Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Ghostwritern und Kund*innen ab?

Der Kunde stellt einen Auftrag, und sein individueller Projektbetreuer schaut in unserem Pool an akademischen Autoren, welcher aufgrund seiner wissenschaftlichen Erfahrung und Fachrichtung am geeignetsten erscheint, das Dossier zu erstellen. Die meiste Kommunikation läuft schriftlich über diesen Betreuer. Darüber hinaus fungiert er auch als Mediator bei fachlichen Diskussionen, steuert den gesamten Arbeitsprozess und koordiniert die Korrekturschleifen und Qualitätskontrollen.

Welche Arbeiten betreuen Sie am häufigsten?

Grundsätzlich bieten wir Schreib-Betreuung in allen Bereichen an. Unser Fokus liegt aber klar auf akademischen Arbeiten: Essays, Exposés, Facharbeiten, Forschungsprojekte. Naturgemäß werden Seminararbeiten und Hausarbeiten am meisten nachgefragt. Meistens in den Fächern BWL und Jura im Umfang von 30 bis 50 Seiten.

Wie konkret sind die Vorstellungen, mit denen Kund*innen zu Ihnen kommen?

Das ist unterschiedlich. Manche haben ganz genaue Vorstellungen und machen uns exakte Vorgaben, was die Gliederung und die verwendeten Quellen betrifft. In anderen Fällen wissen die Kunden eigentlich gar nicht so richtig, was sie wollen. Andere sagen auch einfach: Was ihr mir schreibt, ist mir egal.

War ein(e) Kund*in schonmal unzufrieden?

Natürlich können wir keine Garantie für eine gute Note geben. Nochmal: Wir liefern keine fertigen Arbeiten, sondern nur Vorlagen. Deswegen arbeiten wir mit einem mehrstufigen Qualitäts-System. Der Kunde bekommt mehrere Teillieferungen, zu denen er uns Rückmeldung geben kann. Das Feedback wird kostenlos eingearbeitet und am Ende wird jede Arbeit von einem zweiten Ghostwriter lektoriert und mit einer Plagiats-Software geprüft. Der Kunde ist also am Arbeitsprozess aktiv beteiligt und weiß, was er kriegt. Wir garantieren, dass jede Arbeit von einem akademischen Experten aus der jeweiligen Disziplin verfasst wird. Wissenschaftlich ist die auf hohem Niveau.

Verschaffen Sie nicht denen einen unfairen Vorteil, die es sich leisten können, Sie zu beauftragen?

Das schon. Aber ganz ehrlich: Wenn ich es nicht anbiete, dann bietet es eben jemand anderer an. So ist das eben. That’s life.

Herr Kopper, vielen Dank für dieses Gespräch.

Wahlen – ein Grundpfeiler demokratischer Systeme. Im Grundgesetz steht, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Genauer: vom deutschen Volk. Wer in Deutschland wählen möchte, muss im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sein. Doch was ist mit Menschen, die seit langer Zeit in Deutschland leben, Steuern zahlen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben, aber keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen? Diese Menschen sind in deutschen Parlamenten nicht repräsentiert – wie Gespenster der Demokratie.

In einer parlamentarischen Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland wählt das Volk seine politischen Vertreter*innen. Diese Gruppe von Menschen bildet das Parlament. Prinzipiell steht dahinter die Idee, dass das Parlament ein Abbild der Gesellschaft sein soll. In der politischen Realität ist das häufig nicht der Fall. So sind Frauen im Deutschen Bundestag mit ca. 30 Prozent deutlich unterrepräsentiert. Aber auch auf andere Weise findet eine Verzerrung statt. So haben drei Viertel der Parlamentarier*innen im Bundestag einen akademischen Abschluss. Die meisten von ihnen, rund 20 Prozent, sind Jurist*innen. Dafür gibt es mehrere Gründe, wie etwa die Entwicklung hin zur Berufspolitik. Aber Vertreter*innen all dieser Bevölkerungsgruppen können theoretisch, durch die Teilnahme an Wahlen, die Zusammensetzung der Parlamente mitbestimmen. Die laut tagesschau.de ca. elf Millionen Menschen in Deutschland ohne deutschen Pass werden überhaupt nicht in den deutschen Parlamenten repräsentiert. Ihnen ist sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht verwehrt.

Wahlen in Deutschland

Damit man das Wahlrecht in der Bundesrepublik wahrnehmen kann, egal ob auf Bundes- oder Landesebene, muss man die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Menschen, die in Deutschland leben, aber keine deutschen Staatsbürger*innen sind, dürfen dieses wichtige Instrument der politischen Mitbestimmung nicht nutzen. Trotzdem müssen diese Menschen dieselben Pflichten unseres Sozialstaates wahrnehmen wie deutsche Staatsbürger*innen.

Wahlen in der Bundesrepublik sind unter anderem in Artikel 20 des Grundgesetzes festgelegt:

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

Im Jahr 1990 präzisierte das Bundesverfassungsgericht diese Regelung. Nach dem Grundgesetz wird das Volk durch die Deutschen gebildet. Genauer: deutsche Staatsangehörige. Deshalb ist es Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft nicht möglich, das deutsche Wahlrecht auszuüben.

Zwei dieser Personen sind der türkische Arbeiter Bülant Balci (40) und die kasachische Studentin Lena Korobkova (29). Beide leben seit etwa 15 Jahren in Deutschland. Beide würden in Deutschland gerne wählen, dürfen aber nicht. Für beide gibt es allerdings zur Zeit Hindernisse, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. „Ich hätte gerne die deutsche Staatsbürgerschaft, aber meine Deutschkenntnisse sind zu schlecht, um sie zu bekommen“ sagt Balci.

Lena Korobkova müsste ihren kasachischen Pass abgeben, damit sie die deutsche Staatsbürgerschaft erhält. Das ist allerdings mit einem enormen bürokratischen Aufwand und hohen Gebühren verbunden. Für die Studentin ist das aktuell nicht zu stemmen.

Trotzdem erachtet sie die deutsche Staatsbürgerschaft als sinnvolles Zulassungskriterium für die Wahlen in Deutschland. „Durch den Einbürgerungstest hast du bewiesen, dass du dich mit der deutschen Gesellschaft auseinandergesetzt hast. Du hast bewiesen, dass du dich mit politischen Themen beschäftigt hast und dir so eine Meinung bilden kannst.“

Es gibt noch weitere Argumente, die gegen ein Ausländerwahlrecht sprechen. Manche Sorgen sich, dass Zuwanderer*innen existierende Machtverhältnisse zu sehr verschieben. Sie könnten eigene Parteien gründen und so etablierte Parteien schwächen oder politische Kräfte aus den Herkunftsländern könnten durch die Einwanderer*innen Einfluss auf die Politik der neuen Heimatländer ausüben. Ein Argument ist auch, dass das Wahlrecht die Motivation mindere, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Dies könnte sich negativ auf die Identifikation mit dem neuen Heimatland auswirken und die Integrationsbereitschaft hemmen.

Die doppelte Staatsbürgerschaft

Bülant sieht dieses Argument nicht. Das Recht zu wählen habe keinen Einfluss auf den Integrationswillen. Auch die Verknüpfung mit der Staatsbürgerschaft müsse nicht sein. Er selbst würde zwar sehr gerne wählen, aber nicht, wenn er dafür die türkische Staatsbürgerschaft aufgeben müsse. „Ich möchte den deutschen Pass. Aber ich möchte auch den türkischen nicht abgeben. Zwei Pässe sind besser. In der Türkei möchte ich auch noch wählen.“ Er möchte sein Leben hier mitbestimmen. Aber ein Großteil seiner Familie lebe noch in der Türkei und darum sei es ihm wichtig, dort durch Wahlen die Politik mit zu beeinflussen.

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsdebatte, ist die Frage wichtig, wie man mit Menschen umgeht, die nicht in Deutschland geboren sind. Ist die Staatsbürgerschaft noch ein zeitgemäßes Kriterium, um den Einwohner*innen Deutschlands den Zugang zu Wahlen zu ermöglichen? Fakt ist, es gibt sehr viele Menschen in Deutschland, die Teil unserer Gesellschaft sind, aber nicht über wichtige Regeln, die auch sie betreffen, mitbestimmen dürfen. Sozusagen politische Gespenster.

Nirgends war die Reaktion auf diesen Gespensterblog so positiv wie in der kleinen Runde von lateinamerikanischen Frauen, der ich vor kurzem von unserem Projekt erzählte. Als einzige Deutsche war ich ganz überrascht von deren Begeisterung für das Thema Gespenster. Ein Interview über gruselige Zimmer, verstorbene Verwandte und darüber, wie sich der christliche Glaube mit Spiritualität vereinbaren lässt.

Jessica Lizeth Catacora Castañeda ist 27 und Masterstudentin der Humangeographie in Tübingen und die perfekte Kandidatin für einen vergleichenden Blick, denn sie kennt sich in Deutschland genauso gut aus wie in Peru: Insgesamt elf Jahre hat sie bisher in Deutschland gelebt und kann voller Sarkasmus über Latinoklischees sprechen. Dem Thema Gespenster widmet sie sich aber mit Ernsthaftigkeit.

Jessi, hast du schon mal einen Geist gesehen?

Nein, aber ich habe von einigen Leuten gehört, denen das passiert ist. Meiner Großtante zum Beispiel. Nachdem ihr Mann gestorben ist, hat sie ihn eines Abends gespürt. Sie lag alleine im Bett und hat gefühlt, dass jemand sie umarmt und ganz fest drückt, das war er. Danach hat sie angefangen zu beten.

Sind Geister meistens verstorbene Personen?

Ja, verstorbene Verwandte, die man gut kennt. Aber es gibt sicher auch andere Geister. Wenn man offen ist und eine Sensibilität dafür hat, dann sieht man sie. Mir passiert das aber nicht.

Bist du nicht offen dafür?

Ich bin zu ängstlich. Ich will nichts sehen, sonst mache ich mir zu viele Gedanken. Ich spüre etwas, aber ich sehe keine Geister. Wenn meine Freundin Vivian von ihrer verstorbenen Mutter erzählt, dann habe ich immer das Gefühl, dass sie da ist. Ich spüre ihre Präsenz. Aber das ist ein angenehmes Gefühl.

Im Haus meiner Oma gibt es ein Zimmer, in dem ich einfach nicht einschlafen kann.

Geht von den Geistern kein Gefühl von Gefahr für dich aus?

Nein, eigentlich nicht. Aber wenn ich jetzt so drüber nachdenke… Im Haus meiner Oma gibt es ein Zimmer, in dem ich einfach nicht einschlafen kann. Es ist das Gästezimmer. Dort kann ich nicht alleine sein mit geschlossener Tür, das macht mir einfach Angst. Und es geht nicht nur mir so! Meine Schwester, meine Cousins – alle, die dort schlafen, haben Alpträume. Es gab mal einen Brand im Haus, und der ging von diesem Zimmer aus. Danach haben sie ein Buch über schwarze Magie im Zimmer gefunden, es gehörte meiner Tante.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Geistern und schwarzer Magie?

Ja und nein. Schwarze Magie ist für mich Aberglaube. Aber ich denke, wenn man etwas sucht, dann findet man auch etwas. Wie bei diesem Spiel, Ouija. Wenn man negative Energien ruft, dann bekommt man wahrscheinlich auch eine Antwort. Ich glaube, es gibt eine Dimension, von der wir nichts wissen. Dort kommen die Geister her. Aber wie die Aufteilung dort ist, also Gut, Böse, Teufel und so weiter, das weiß ich nicht.

Wie passt das alles in Peru zusammen: Der Glaube an Geister, vielleicht auch an schwarze Magie, und dann der christliche Glaube?

In Peru haben wir eine Mischung aus Katholizismus, Aberglauben und dem Glaubenssystem der Kulturen, die vorher da waren. In Lateinamerika sind die Leute sehr offen. Es ist sehr multikulturell, und es gab historisch eine starke Mischung verschiedener Vorstellungen. Eine Person kann gleichzeitig an viele Dinge glauben. In den Anden wird z.B. auch die Erde verehrt, ohne dass das dem Glauben an Himmel und Hölle und den christlichen Gott widersprechen muss.

Wie kann ich mir das vorstellen mit den Geistern in Peru, ist es normal, dass man sie für real hält?

Ja, darüber wird gar nicht diskutiert! Man erzählt einfach davon, als Teil der Realität. Manchmal klingt es vielleicht komisch, wenn man so zusammen am Tisch sitzt, aber man glaubt das, was die anderen sagen. Das sind dann gar keine Gruselgeschichten, sondern eher so: Der hat uns vor kurzem besucht, oder die war gestern da. Oder jemand erzählt von seinen Träumen. Meine Mutter nimmt z.B. vieles in ihren Träumen wahr.

Hier gibt es auf jeden Fall auch Geister! Mit Sicherheit! Die Leute sind nur nicht offen dafür, oder es ist gesellschaftlich nicht akzeptiert.

Und wie findest du im Vergleich dazu den Umgang mit Geistern in Deutschland?

Hier gibt es auf jeden Fall auch Geister! Mit Sicherheit! Die Leute sind nur nicht offen dafür, oder es ist gesellschaftlich nicht akzeptiert. Auch der Glaube ist hier anders. Es gibt eine rationale Seite im Glauben, das ist so ein großer Unterschied zu Lateinamerika. Man hinterfragt hier immer alles, und das ist auch irgendwie gut. Aber vielleicht blockiert das diese andere Welt, die man nicht erklären kann.

Ist das schlecht für uns? Fehlt uns etwas?

Ich weiß nicht. Es ist vielleicht einfacher, nur an das zu glauben, was man sehen und anfassen kann. Aber in Peru könnte man manchmal ein bisschen rationaler sein. Ein Gleichgewicht zwischen Vernunft und Aberglaube wäre vielleicht nicht schlecht. Andererseits mag ich diese Seite von Lateinamerika, die Offenheit. Es ist alles möglich, man versucht nicht, eine Antwort auf alles zu haben. Man ist nicht so arrogant zu sagen: Das müssen wir erklären können mit Physik und Molekülen. Manchmal hilft das. Aber deswegen haben wir halt in Lateinamerika nicht die Max-Planck-Institute [lacht].

Dafür habt ihr Gabriel García Márquez.

Ja, stimmt, den haben wir!

Im ausgehenden 19. Jahrhundert war Deutschland von der „weißen Pest“ befallen – Tuberkulose hatte sich ausgebreitet. Inzwischen ist die Lungenkrankheit hierzulande fast ausgerottet. Übriggeblieben sind nur Relikte aus diesen Tagen: Verfallene, ehemalige Lungenheilstätten, die Geisterjäger*innen magisch anziehen. Eine davon ist die Sophienheilstätte im thüringischen Bad Berka. Ina Mecke wollte herausfinden, ob es dort wirklich spukt und hat sich auf den Weg gemacht.

Die Vögel zwitschern zwischen Bad Berka und München. Die Rede ist nicht von der bayerischen Landeshauptstadt, sondern von dem 100-Seelen-Dorf in Thüringen. Ich befinde mich auf einem Waldweg, auf der Suche nach einem Spukort. Irgendwo hier soll es eine ehemalige Lungenklinik geben: Die Sophienheilstätte, die seit 1994 geschlossen ist und nun leer steht. Im Internet wimmelt es von Handyvideos und Fotos des verlassenen Ortes. Angeblich sollen hier Gespenster gesichtet worden sein. Ich sehe lediglich Bäume und folge zu Fuß den Anweisungen meines Navigationssystems auf dem Handy. Da ein verlassener Ort keine Adresse hat, orientiere ich mich an den Koordinaten.

Von der Lungenklinik zum Herz-Kreislauf-Zentrum

Vor meiner Expedition hatte ich mich über das leerstehende Krankenhaus informiert: Die Sophienheilstätte wurde 1898 als Klinik für Tuberkulose-Kranke errichtet und gehörte zu einem der ersten deutschen Krankenhäusern mit diesem Schwerpunkt. Entdeckt wurde die Krankheit 16 Jahre zuvor durch den Bakteriologen Robert Koch. In diesem Zeitraum war die sogenannte „weiße Pest“ eine regelrechte Epidemie in Deutschland. „In den 1880er-Jahren starben im deutschen Raum jährlich 110.000 bis 120.000 Menschen an der Tuberkulose“, erklärt der Historiker Manfred Vasold im Focus. Zwar entwickelte sich die Medizin in den darauf folgenden Jahrzehnten weiter, an eine Ausrottung der Krankheit war aber in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht zu denken.

Durch den medizinischen Fortschritt und die in den 1950er-Jahren eingeführte Impfpflicht in der DDR wurde die Tuberkulose in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dort nahezu ausgerottet. Auch die Sophienheilstätte und ihr damaliger Leiter Adolf Tegtmeier hatten maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung. Mit dem Rückgang der Krankheit wurde aus der Lungenheilstätte nach und nach ein bedeutendes Herz-Kreislauf-Zentrum.

Nach dem Fall der Mauer, im Zuge der politischen Wende, wurde das Gesundheitswesen in der ehemaligen DDR neu strukturiert. Für Bad Berka bedeutete das umfangreiche Veränderungen, unter anderem den Neubau einer Zentralklinik. Die Sophienheilstätte blieb allerdings auf der Strecke: Am 31. Dezember 1993 schloss sie ihre Pforten.

Vom Verfall und Vandalismus gezeichnet

Ich befinde mich immer noch im Wald. Mein Navi deutet an, dass ich ganz in der Nähe der verlassenen Klinik sein muss. Ich komme an eine Weggabelung, die durch eine geöffnete Schranke markiert ist. Rechterhand erahne ich ein Gebäude hinter den Baumreihen. Ein paar Schritte, und ich traue meinen Augen nicht: Wie aus dem Nichts liegt da plötzlich ein verfallener Gebäudekomplex vor mir, eng umgeben von Laub- und Nadelbäumen.

Zunächst fallen mir abgebrochene Mauerreste und ein hoher Schornstein ins Auge. Das Ausmaß des Anwesens lässt sich jedoch bereits erahnen: Im Hintergrund kommen weitere Gebäude zum Vorschein. Ein verrostetes Bushäuschen mit eingeschlagenen Fensterscheiben deutet darauf hin, dass dieser Ort einst von Bedeutung gewesen sein muss.

Ich nehme mir Zeit und laufe das Gelände ab. Vorbei an offenen Toren, Garagen, mehreren Nebenhäusern und dem überwältigenden Haupthaus. Der Vandalismus hat seine deutlichen Spuren hinterlassen. Bereits zweimal hat es hier in den vergangenen Jahren gebrannt: Im Frühjahr 2015 brannte eine der beiden Liegehallen völlig ab, nur ein Jahr später ein Flachbau auf dem Gelände. In beiden Fällen geht die Polizei von Brandstiftung aus. Außerdem sind unzählige Fensterscheiben eingeschlagen und die Wände mit Graffiti übersät.

Spielwiese für die Phantasie

Die Anlage ist zu Recht ein beliebtes Ziel von Geisterjäger*innen, lässt die Geschichte des Hauses doch darauf schließen, dass hier einige Menschen zu Tode gekommen sind. Das allein eröffnet Raum für Spukgeschichten. Schon das Haupthaus wirkt furchteinflößend: Ein langgezogenes, vierstöckiges Holzfachwerk mit eingeworfenen Fenstern aus einer längst vergangenen und vergessenen Zeit. Mehrere zugewucherte, gebogene Treppen führen direkt hinein. Die Türen, die nicht mit Spanplatten zugenagelt wurden, stehen offen. Auch der Keller ist zugänglich: Durch ein offenes Kellerfenster sehe ich blaue Kacheln und Farbe, die in Fetzen von der Decke hängt. Die Kälte, die aus diesem Fenster strömt, lässt mich erschauern. Selbst bei Sonnenschein ist dieser verlassene Ort wie gemalt als Kulisse für Horrorfilme, als Spielwiese für die Phantasie, in der allein das Rauschen des Windes durch kaputte Fenster und knarzende Türen Gänsehaut verursachen.

Als ich vor dem Haupthaus stehe, schrecke ich kurz zusammen: Ich höre Stimmen, sie kommen aus dem Haus. Allerdings stellt sich schnell heraus, dass sie nicht von Gespenstern, sondern von Jugendlichen kommen, die vermutlich auf der Jagd nach Geistern sind. Doch der Schreck bleibt. Ich kann mir gut vorstellen, wie schnell hier Kleinigkeiten zu Einbildungen werden.

Ich verzichte darauf, das verlassene Gebäude zu betreten. Schließlich machen mehrere Hinweisschilder darauf aufmerksam, dass es sich in Privatbesitz befindet. Laut Thüringischer Landeszeitung war eine Seniorenresidenz in dem denkmalgeschützten Haus geplant. Doch wer hier war, kann sich nur schwer vorstellen, dass dieser Ort wieder in die Zivilisation zurückfindet. Und so bleibt die Sophienklinik vorerst ein gruseliger Spukort für Geisterjäger*innen und abenteuerlustige Jugendliche. Ich mache mich auf den Rückweg. Ein Gespenst ist mir nicht begegnet.

Sie werden als Gespenster der Kriege, unsichtbare Soldat*innen oder Geister von Militärkonflikten beschrieben. Dort, wo Regierungen und internationale Konzerne nicht direkt intervenieren möchten, um ihr politisches Interesse zu schützen, werden private Soldat*innen geschickt. Die Söldner*innen bilden heute die größte Armee der Welt, von deren Aktivitäten kaum jemand weiß. Wer sind diese Gespenster der Kriege und was genau ist ihre Aufgabe? 

Gegenwärtige Söldner*innen

Lohnarbeit im Kontext Krieg wird seit jeher betrieben. Seitdem es Kriege gibt, taucht sie in der Geschichte in verschiedenen Formen auf. Heute funktionieren Söldnerunternehmen wie Blackwater nicht anders als andere wirtschaftliche Agenturen. Auf der Welt arbeiten mehr als 100 private Militärunternehmen, die zum Beispiel die sogenannte „Shadow Operations“ für verschiedene Regierungen realisieren. Der angebotene Dienstbereich ist sehr breit. Die Firma Trojan aus den USA bietet zum Beispiel die Überwachung von Containerschiffen in jeder Form an, auch in den berühmten Wassersektoren, die von Pirat*innen besetzt sind. Sehr häufig werden auch Schulungen angeboten, bei denen Professionalist*innen wie Blackwater-Soldat*innen mit Volkssoldat*innen zusammenarbeiten. Eines der berühmtesten Produkte ist der Intelligence Sector, der Aufklärungsoperationen anbietet. Da das sehr oft in den Bereichen Online und Elektronik stattfindet, sind die Daten geschützt. Inoffiziell weiß man, dass die Firmen in diesem Sektor über 20 Milliarden Dollar pro Jahr verdienen, indem sie z.B. Spionageaufgaben ausführen. Letztendlich bieten die privaten Militärunternehmen Lohn-Soldat*innen an, die in der Regel Kriege für große Regierungen führen – wie das auch im Irak der Fall war.

”Söldner sind Männer, die in den Krieg ziehen und für diejenigen kämpfen, die sie bezahlen“.

Invisible Soldiers [Unsichtbare Soldat*innen]

Nicht ohne Grund nennt man die Soldat*innen, die für Unternehmen wie Blackwater arbeiten, „Invisible Soldiers“. Ann Hagedom beschreibt das Thema sehr ausführlich in ihrem Buch „The Invisible Soldiers: How America Outsourced our Security“. Die Soldat*innen verdienen durchschnittlich 6.000 USD pro Monat und bekommen Sonderzahlungen für Operationen, bei denen alle Reise- und Übernachtungskosten von dem Unternehmen übernommen werden. Eine private Armee verursacht viel höhere Kosten als die Streitkräfte des Landes. Dennoch treffen Regierungen immer wieder die Entscheidung, die Aufgaben einer Outsourcingfirma zu übergeben.

„Insgesamt 138 Milliarden Dollar haben externe Dienstleister wie Blackwater im Irakkrieg damit verdient, das US-Militär in Sachen Sicherheit, Logistik und Wiederaufbau zu unterstützen.“

Bis heute bleibt der Status von privaten Militärunternehmen ein kontroverses Thema und ist nicht gesetzlich klar. Vor allem deshalb sind sie für uns „Gespenster des Krieges“. Da es private Unternehmen sind, kann z.B. ein Land wie die USA gesetzlich nicht zur Verantwortung für deren Aktionen gezogen werden. Unternehmen werden auch aus Sicht des Völkerrechts als private Dienstleister*innen angesehen und behandelt. Ihre Soldate*innen arbeiten bei ihren Operationen für eine Regierung nicht als nationale Soldat*innen, sondern als private Auftragnehmer*innen. Deshalb weiß man inoffiziell, dass diese auch für Regierungen und Korporationen Operationen durchführen, die an der Grenze der Legalität liegen.

Neben den juristischen und operationellen Unklarheiten gibt es noch die Perspektive der Soldat*innen. Sie bleiben „Geister des Krieges“ nicht nur wegen ihres unsichtbaren gesetzlichen Status. Vielleich ist ihr gesellschaftlicher Status hierbei wichtiger. Wenn ein Land „seine“ Soldat*innen zum Krieg schickt, löst das oft eine sehr laute soziale und mediale Diskussion aus. Regierungen entscheiden sich dafür, mehr Geld auszugeben und eine private Firma zu bezahlen, da es sie langfristig weniger kostet. Sie bekommen erfahrene Professionelle, die keine Schulung mehr brauchen und gesellschaftlich nicht als Soldat*innen betrachtet werden. Die Gesellschaft kennt sie nicht, meistens weiß niemand, dass sie für die Regierung kämpfen, und das betroffene Land weint nicht, wenn ihnen etwas passiert.

Söldner*innen haben in der Gesellschaft meist schlechtes Ansehen, da sie sich dafür entscheiden, aus finanziellen Gründen Kriege zu führen. Im Vergleich mit regulären Soldat*innen kommen einige Risikofaktoren zu ihrem Job dazu, denn sie dürfen nicht den Status von Kombattant*innen und Kriegsgefangenen haben. Wenn sie also von der anderen Seite verhaftet werden, sind sie auf sich gestellt. Sie werden nicht als „Menschen aus Fleisch und Blut“ betrachtet. Oft werden sie gar nicht berücksichtigt. Sie bleiben unsichtbare Figuren für Zivilisten, da sich die große Masse nicht mit ihnen identifiziert.

Die Gespenster-Soldaten bleiben eine bequeme Lösung für Regierungen und große Konzerne, die auf Skandale verzichten möchten und ihre Interessen leise umsetzen möchten. Blackwater und andere private Unternehmen tauchen ab und zu wegen mit Skandalen in den Medien auf, sie werden aber ziemlich schnell wieder vergessen. Das größte Problem bleibt bis jetzt, dass die Anzahl der Aufträge eigentlich nicht bekannt ist und Zivilisten keine Ahnung haben, für wie viele und für welche Operationen Söldner*innen angestellt werden. Sie gehören zum grauen Bereich des Krieges, die für die Massen unbekannte Politik bleiben. Wir wissen nicht wirklich, wo diese Gespenster sind oder was sie machen.

 

Flackernde Glühbirnen, fliegende Gegenstände und Stimmen aus dem Jenseits: Was wie ein Horrorfilm klingt, gehört für Geisterjäger*innen zum Arbeitsalltag. Aber was oder wem sind sie eigentlich auf der Spur? Alexa Waschkau hat die deutsche Szene untersucht.

Alexa Waschkau ist Autorin, Podcasterin und Europäische Ethnologin. Seit mehreren Jahren beschäftigt sie sich bereits mit der Arbeit deutscher Geisterjäger*innen – ohne selbst an Geister zu glauben. 2013 veröffentlichte sie gemeinsam mit dem Psychologen Sebastian Bartoschek das Buch „Ghosthunting – Auf Spurensuche im Jenseits“.

Haben Sie schon einmal einen Geist gesehen?

Ich bin mir nicht sicher (lacht). Nachdem wir unser Buch veröffentlicht haben, hatte ich die Möglichkeit ein Geisterjäger-Team bei einem Einsatz zu begleiten. Das war im Fort X, einer alten Befestigungsanlage in Köln. Für kurze Zeit haben wir uns dort in einem geschlossenen, stockfinsteren Raum aufgehalten, um Tonaufnahmen zu machen. Dort habe ich ein Geräusch gehört, bei dem ich nicht einordnen konnte, woher es kam. Aber nur weil ich das nicht weiß, heißt es natürlich nicht, dass es ein Geist war.

Alexa Waschkau

Alexa Waschkau glaubt selbst nicht an Geister (Foto: privat)

Hatten Sie Angst?

Dort angekommen sind wir bei Sonnenschein, die Vögel haben gezwitschert und alles war noch in Ordnung. Als wir aber im Dunkeln durch die Anlage gelaufen sind, hat man ganz anders auf  die Umgebung reagiert. Da merkt man plötzlich, wie anfällig man selber für solche Vorstellungen ist – auch bedingt durch die Gruppendynamik.

Viele Menschen meiden Spukorte, Geisterjäger*innen suchen sie absichtlich auf. Was treibt sie dabei an?

Das kann man nicht pauschal beantworten. Manche suchen nach Erklärungen, anderen geht es wohl eher um den Sportsgeist. Sie wollen als Erste den ultimativen Beweis dafür liefern, dass es Geister gibt. Dann gibt es aber auch Gruppen, die Betroffenen wirklich helfen wollen. Für mich persönlich ist das die beste Motivation, um Geisterjäger zu werden.

Angenommen, bei mir zu Hause spukt es. Ich rufe bei einem Geisterjäger*innen-Team an und bitte um Hilfe. Wie geht es weiter?

Es gibt ein Vorgespräch, bei dem der Betroffene seine Beobachtungen schildert. Manche der Teams versuchen dabei auch herauszuhören, ob der Hilfesuchende möglicherweise psychische Probleme hat und diese der Grund für den Spuk sind. In dem Fall vermitteln sie den Betroffenen an einen Psychologen weiter. Findet sich während des Telefonats kein rationaler Grund für den Spuk, machen die Geisterjäger einen Hausbesuch und führen vor Ort Untersuchungen durch. Ein sehr interessantes Phänomen in diesem Zusammenhang ist der Placebo-Effekt einer Geisterjagd. Betroffenen hilft es schon, dass jemand zu ihnen nach Hause kommt, mit ihnen über ihre Erfahrungen spricht und technische Messungen durchführt. Sie fühlen sich ernst genommen. Selbst wenn die Geisterjäger nichts Übernatürliches feststellen, geht es den Menschen danach oft besser. Das finde ich wahnsinnig spannend.

Zur Ausrüstung fiktiver Geisterjäger*innen gehören Spiegel, Polaroidkameras oder Räucherstäbchen. Was hat ein richtiger Geisterjäger bei einem Hausbesuch dabei?

Jedenfalls keine Räucherstäbchen (lacht). Geisterjäger haben oft eine sehr technische Ausrüstung. Sie arbeiten unter anderem mit Spiegelreflexkameras, Diktiergeräten, Thermometern oder Bewegungsmeldern mit Videofunktion. Damit messen sie verschiedene Werte oder machen Aufnahmen, die sie später auswerten. Alles, was vom Normalen abweicht, könnte auf einen Geist hindeuten.

Was für Abweichungen können das sein?

Da gibt es sehr viele Möglichkeiten. Wenn sich an einer Stelle die Temperatur beispielsweise stark von der im übrigen Haus unterscheidet, ist das eine Kältesäule. Nach Meinung der Geisterjäger entsteht sie, wenn sich ein Geist materialisiert – also in Erscheinung tritt. Weil er dabei seiner Umgebung Energie entzieht, wird es kälter. Oder die Geisterjäger stellen elektromagnetische Felder fest, obwohl keine elektronischen Leitungen in der Nähe sind. Viele Gruppen nehmen auch Bild- und Tonmaterial auf, das sie später zu Hause auswerten. Für mich ist dabei immer die Frage, was wirklich zu sehen oder zu hören ist und was nicht.

Lassen sich viele der gesammelten Indizien nicht auch rational erklären?

Meiner Meinung nach schon und es gibt auch viele Forscher, die genau das versuchen. Relativ bekannt ist beispielsweise der Psychologe Richard Wiseman. Er hat sich mit Spukorten in Großbritannien beschäftigt – unter anderem mit dem Tower of London. Während einer seiner Untersuchungen erfasste er mithilfe einer Wärmebildkamera starke Temperaturschwankungen. Sie traten immer zur selben Zeit auf, als könnte man die Uhr danach stellen. Statt eines Geists ging dort aber nur die Putzfrau um. Weil die Abluft des Staubsaugers durch die Ritzen des Mauerwerks drang, wurde es draußen wärmer. Solche rationalen Erklärungen gefallen nicht allen Briten, für viele sind die Schauergeschichten untrennbar mit ihrer Heimat verbunden.

Also haben Geister in Großbritannien einen anderen Stellenwert als in Deutschland?

Sie gehören dort fast schon zum guten Ton. Wenn man in Großbritannien ein Hotel oder Landhaus besitzt, in dem es nicht spukt, ist das schade. Weil es keine Schauergeschichten gibt, die man seinen Gästen erzählen könnte. Die Briten gehen also auf völlig andere Art und Weise mit dem Thema Geister um. Paranormale Theorien und Untersuchungen haben dort eine lange Tradition. Während Geisterjäger bei uns oft belächelt werden, finden viele Briten deren Arbeit nicht nur interessant, sondern sehr wichtig.

Wir leben in einer aufgeklärten Gesellschaft. Warum ist der Geisterglaube in Europa dennoch so verbreitet?

Weil der Tod für Menschen immer wichtig sein wird. Jeder von uns geht anders mit dem Verlust eines Menschen oder der eigenen Endlichkeit um. Dabei nutzen manche Menschen Geister als Strategie, um Erfahrungen oder Gefühle zu bewältigen. Sie glauben dann beispielsweise, dass sich ein verstorbener Angehöriger bei ihnen durch Zeichen bemerkbar machen will. Das heißt, es geht beim Geisterglauben eigentlich mehr um die Lebenden und weniger um die Toten.

Vielen Dank Frau Waschkau für das Gespräch!

Wie werde ich Geisterjäger*in? Hier findet ihr die Antwort.

Es ist der Morgen des 1. Juli 1976. Klingenberg, ein Dorf in der Nähe von Würzburg. Eine 24-jährige Studentin wird in ihrem Bett tot aufgefunden. Ihr Körper ist geschändet. Abgebrochene Zähne und das vernarbte Gesicht sind Zeugen eines Leidenswegs. Sie stirbt an Unterernährung und Erschöpfung. Vorher wurden an ihr 67 Exorzismen durchgeführt. Was ist damals passiert?

Die Krankheit

Anneliese Michel war eine junge Frau und Pädagogik-Studentin, die in einem streng religiösen Elternhaus aufgewachsen ist. Doch Anneliese wurde krank und verhielt sich seltsam. Kurz vor ihrem 16. Geburtstag saß sie mit ihrer Mutter am Tisch und rief plötzlich: „Ich habe schwarze Hände! Erlöser, vergib mir! Ich sehe teuflische Gesichter an den Wänden. Sie haben jeweils sieben Kronen und sieben Hörner. Sie springen hier auf dem Boden rum. Könnt ihr sie nicht sehen!?“

Ihre Eltern suchten verschiedene Ärzte auf. Anneliese litt an schweren Krampfanfällen – teilweise mit Bewusstlosigkeit. Die Diagnose der Ärzte war Epilepsie. Sie behandelten die Krankheit mit abgestimmten Tabletten. Doch die Tabletten brachten keine Besserung. Jahrelang versuchten verschiedene Ärzte das seltsame Verhalten zu erklären und Anneliese zu helfen. Doch ohne Erfolg. Ihr Verhalten wurde immer seltsamer. Beispielweise sah sie während ihres Rosenkranz-Gebetes Teufelsfratzen und hörte Stimmen. Anneliese glaubte, dass sie von einem Teufel besessen war. Ihre Eltern wussten nicht mehr weiter und wandten sich daraufhin an einen Exorzisten.

Der Exorzismus

Anfangs wurde der Antrag abgelehnt. Doch dann verschlechterte sich ihr Zustand. Sie schlug und biss ihre Eltern, aß Insekten und trank ihren eigenen Urin. Sie verstand fremde Sprachen (Aramäisch und Griechisch) und nahm die Stimmen von mehreren männlichen Personen an. Aufgrund dieser Beobachtungen erstellte ein sogenannter Exorzismus-Experte namens Pater Adolf Rodewyk ein Gutachten, welches dazu führte, dass der damalige Bischof Josef Stangl den Exorzismus an Anneliese genehmigte.

Peter Arnold Renz und Pfarrer Ernst Alt führten über Monate insgesamt 67 Exorzismen bei Anneliese durch. Ihre Eltern waren immer dabei. Sie und auch die Exorzisten glaubten fest daran, dass Anneliese vom Satan besessen war. 42 dieser Sitzungen wurden auf Band aufgenommen. Diese sollten beweisen, dass die Studentin wirklich besessen war. Die Audio-Aufnahmen werden in vielen Beiträgen und Interviews erwähnt, doch es ist nicht zu klären, ob es sich bei den frei zugänglichen Audio-Aufnahmen tatsächlich um die Original-Aufnahmen handelt.

Der Exorzismus half nicht, und ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich weiter. Sie biss sich die Schneidezähne an der Wand aus und schlug sich wieder und wieder auf die Augen. Die Dämonen meldeten sich mit verschiedenen Namen durch ihren Mund. Die Sitzungen raubten ihr alle Kraft. Sie verletzte und foltere sich oft selbst. Die Dämonen befahlen Anneliese, nichts mehr zu essen, nichts zu trinken und 500 bis 600 Kniebeugen am Tag zu machen. Sie wog mit 23 Jahren und einer Körpergröße von 1,67 Metern lediglich noch 31 Kilo. Anneliese starb am 1. Juli 1976, aufgrund des Untergewichtes und der Erschöpfung.

Die Schuldfrage

Vor dem Landgericht in Aschaffenburg wurden Annelieses Michels Eltern und die beiden Priester angeklagt, ihren Tod verursacht zu haben. Die Gerichtsgutachter kamen zu dem Entschluss, dass zu der Epilepsie eine schwere Schizophrenie kam. Aber sie bescheinigten auch „psychische Defekte“ in Bezug auf die Besessenheit und den Exorzismus. Ein katholischer Religionspsychologe erklärte: „Ein unklug angewandter Exorzismus kann eine psychisch gestörte Person in eine Rolle hineinzwängen, die den landläufigen Zügen des Teufels und der Besessenheit gerecht wird.“

Die Frage, warum die Eltern trotz des dramatischen Untergewichts ihrer Tochter nicht den Arzt gerufen haben, kam auf. Der Vater erklärte, dass die Priester ihnen versicherten, die Dämonen hätten noch nie einen Besessenen umgebracht. Sie seien verzweifelt gewesen, da sie bereits bei verschiedenen Ärzten gewesen seien und niemand hätte helfen können. Die Priester beteuerten ebenfalls ihre Unschuld. Sie seien nur für das Seelenheil zuständig gewesen. Annelieses Eltern hätten eingreifen müssen.

Der Staatsanwalt forderte für Priester eine Geldstrafe – für die Eltern forderte er kein Strafmaß, da sie mit dem Verlust ihrer Tochter genug bestraft seien. Entgegen diesem Antrag verurteilte der Richter die Pfarrer und die Eltern wegen „fahrlässiger Tötung durch Unterlassung“ zu einer je sechsmonatigen Haftstrafe, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Am Ende der Gerichtsverhandlung zeigte der Vater keine Einsicht und sagte, dass er nicht glaube, dass sie etwas falsch gemacht hätten. Ihre Tochter habe sich geopfert.

Hätte die junge Frau gerettet werden können?

Der Historikerin Petra Nay-Helmut standen alle Unterlagen zum Fall Anneliese offen. Ihr Fazit: Sie hätte gerettet werden können. In einem Interview mit dem Hörfunkprogramm „Deutschlandfunk Kultur“ sagte Nay-Helmut: „Sie war einfach eine junge Frau, sie war psychisch krank, und hätte man rechtzeitig eingegriffen, medizinisch, hätte man sie auch retten können.“

Das Gegenteil erklärte Pfarrer Christian Sieberer in einem Kommentar zum „Fall Klingenberg“. Er sei nicht davon überzeugt, dass Anneliese ohne den Exorzismus und mit medizinischen Mitteln noch am Leben wäre. Pfarrer Sieberer begründete die Aussage unter anderem damit, dass alle damaligen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten schon über Jahre hinaus eingesetzt worden waren. Die weiteren Behandlungen hätten aus medikamentöser Ruhigstellung, Zwangsernährung und Elektroschocks bestanden. Er wüsste nicht, wie viele Patienten in Anstalten bei solchen Behandlungen gestorben sind, aber es würden wohl einige sein.

Die Kirche lernte aus dem Fall der Anneliese Michel. Wie bereits im Beitrag „Exorzismus im 21. Jahrhundert“ zu lesen ist. Doch laut der christlichen Lehre können Dämonen vom Menschen Besitz ergreifen. Die alleineige Rettung soll in der Teufelsaustreibung bestehen. In der Presseerklärung zum „Fall Klingenberg“ erklärte Kardinal Josef Höffner: „Die katholische Theologie hält an der Existenz des Teufels und dämonischer Mächte fest.“

 

Beitragbild: emersonmello, Pixabay

So lange die Menschheit sich schon Geschichten erzählt, lieben wir Erzählungen von Geistern, düsteren Gestalten und Verbrechen. Ob Spukgeschichte, Gruselbuch oder Horrorfilm – die Faszination des Dunklen und Bösen scheint ein Teil des Menschen zu sein. Aber was ist der Grund dafür, dass wir uns so gerne gruseln?

Lust am Gruseln

Gruselfilme locken Millionen Menschen in die Kinos (© Copyright: Warner Bros. Pictures)

Die Neuverfilmung von Stephen Kings „Es“ füllte im Jahr 2017 die deutschen Kinosäle. Über 3 Millionen Besucher*innen wollten sehen, wie der Horrorclown auf Beutezug geht. Rund 30 Filme des Genres Grusel und Horror werden allein in diesem Jahr in den deutschen Kinos anlaufen. Für den Erfolg spielt es keine Rolle, ob Gespenster oder Zombies ihr Unwesen treiben, blutsaugende Vampire aus ihren Gräbern steigen oder ein wahnsinniger Massenmörder mit seiner Kettensäge loszieht, um Jugendliche zu jagen. Die Besucherzahlen sind konstant.

Kein Wunder, denn rund die Hälfte der Bevölkerung empfindet Lust am Gruseln. Und dem Lichtspiel gelingt es ohnegleichen, eine Geschichte so realitätsnah wie möglich zu zeigen. Auf den Zuschauerrängen bietet sich bei jedem Gruselfilm dasselbe Bild. Finger krallen sich panisch in die Oberarme der Sitznachbar*innen. Hände schnellen vor die eigenen Augen, um nicht sehen zu müssen, welches Grauen sich auf der Leinwand abspielt. Nur, um dann doch durch die Finger zu lugen, damit man nichts verpasst. Es scheint, als kämpften die Zuschauer*innen mit sich selbst. So sehr man auch meint, nicht hinsehen zu können, so sehr möchte man doch wissen, was geschieht. Es tobt ein innerer Kampf zwischen Angst und Neugier. Aber warum gruseln wir uns so gern?

Adrenalin und Endorphine

Psycholog*innen nennen dieses Phänomen „Angstlust“. Angeblich ist ein gewisser Hang zum Bösen im Wesen des Menschen verankert. Nach Dr. Ulrich Kobbé vom subjektpsychologischen Institut in Lippstadt wird dieser durch das Ansehen von Gewaltszenen befriedigt – und das, obwohl wir Angst im Allgemeinen als ein unangenehmes Gefühl empfinden.

Wissenschaftler*innen stellten fest, dass im Körper des Menschen zwei Dinge passieren, wenn er/sie sich einen Horrorfilm ansieht. Nach der Erklärung des Münchner Psychologe Lothar Hellfritsch werden sowohl Adrenalin als auch Endorphine gleichzeitig ausgeschüttet. Dies geschieht durch die Wechselwirkung von Angst und Glück. Einerseits fürchtet man sich aufgrund der brutalen Filmszenen, ist andererseits aber froh, nicht der/die Betroffene zu sein. Solange wir uns in realer Sicherheit befinden und den Albtraum einer fiktiven Figur auf der Leinwand verfolgen, verschafft uns diese Gefühlsvermischung einen besonderen Kick.

Lust am Gruseln

Grenzgänge – etwas Furchteinflössendes zu bewältigen, kann beflügelnd wirken (Quelle: Lennard Wittstock, Pexels.com)

Horrorgeschichten verarbeiten die Urängste des Menschen: Dunkelheit, die Ungewissheit, was passieren wird, allein gelassen zu sein oder körperliche Qualen, Tod. Dass wir uns unseren Ängsten aussetzen wollen, ist ein normales und reizvolles Unterfangen. Bereits Kinder begeben sich selbst in Situationen, in denen sie sich gruseln. Sie versuchen sich etwa immer eine Stufe weiter hinein in den Keller zu wagen oder doch noch eine Minute länger allein im Dunklen auszuharren. Oder Jugendliche, die bei Nacht über den Friedhof ziehen. Sie selbst würden es eine Mutprobe nennen. Der ungarisch-britische Psychoanalytiker Michael Balint stellte heraus, dass es sich dabei um Grenzgänge handelt, die uns zwar im Moment ängstigen, im Nachhinein aber beflügeln und sogar stolz machen. Ähnlichen Stolz empfinden auch Erwachsene, die nach zwei Stunden Anspannung im Kinosessel sagen können: „Geschafft!“. Man glaubt, die eigenen Ängste bezwungen zu haben.

Die Mischung macht’s

Bei allem Hang zum Schrecken darf das Gefühl von Erleichterung nicht ausbleiben. Die Lust an der Angst funktioniert nur dann, wenn wir insgeheim wissen, dass wir in Sicherheit sind. Vergleichbare Empfindungen entstehen zum Beispiel bei einer Fahrt in der Achterbahn oder einem Besuch in der Gesiterbahn. Voraussetzung ist immer, dass wir neben der momentanen Erfahrung von Angst ein grundlegendes Vertrauen empfinden. Ein Urvertrauen in unsere Umgebung, in die Situation, in der wir uns befinden, oder in die Menschen um uns herum. Im Grunde müssen wir uns sicher und aufgehoben fühlen, um die Angst ausgleichen zu können, die durch einen Film oder ähnliches hervorgerufen wird. Wer es liebt, sich im Kinosaal gemeinsam mit 300 anderen Besucher*innen einen Schauer über den Rücken laufen zu lassen, der tut das nicht auch unbedingt gern allein zu Hause auf dem Sofa.

Das gilt übrigens auch auf erzählerischer Ebene. Eine bloße Aneinanderreihung von Gewaltszenen würde die Angstlust der Zuschauer*innen längst nicht befriedigen. Auch innerhalb des Films muss es Situationen geben, in denen durchgeatmet werden kann. Das heißt, in denen etwas passiert, das uns den Schrecken kurzzeitig vergessen lässt. Im besten Fall etwas, das uns emotional rührt. Schon Aristoteles wusste, die perfekte Mischung für eine Tragödie besteht aus Furcht und Mitleid.

Ob Film, Fernsehen oder Romane: Geister spuken mittlerweile in jedem Medium fröhlich vor sich hin. Doch wie so oft bleibt das Comic dabei etwas außen vor. Als großer Fan habe ich mir daher vorgenommen, einen Blick auf geisterhafte Erscheinungen des Mediums zu riskieren und fünf davon vorzustellen. 

Wer einmal vor die Aufgabe gestellt wird, so schnell wie möglich eine gewisse Anzahl von spezifischen Wesen aufzusagen, merkt, dass das gar nicht so leicht ist. Für diesen Artikel habe ich mir vorgenommen, fünf exemplarische Geister des Mediums vorzustellen und zu zeigen, was diese ausmacht. Praktisch jedes künstlerische Medium wird dieser Tage ausgiebig untersucht und bekommt seinen regelmäßigen Platz im Fokus der Forschung oder der Gesellschaft. Doch Comics kommen hierbei immer noch seltener zum Zug als  Filme oder Bücher. Dabei ist das Medium eine wahre Schatzkiste an Potential. Nichts, was der/die Zeichner*in sich vorstellen kann, kann im Comic nicht existieren. Seine Darstellungsmöglichkeiten sind geradezu grenzenlos. Ebenso vielfältig sind die Möglichkeiten, Geister darzustellen. Ohne weitere Vorreden nun also fünf Geister, die zeigen sollen, wie vielfältig Comics sein können.

Casper, the friendly ghost (Harvey Comics)

Cover zu „Harvey Comics Classics Vol. 1 – Casper The Friendly Ghost“. ©Dark Horse Comics All Rights Reserved

Gleich zum Anfang mogel ich ein bisschen. Casper ist ursprünglich keine Comicfigur, sondern entstammt einem Bilderbuch von 1939. Später wurde er ein populärer Cartoon-Charakter und feierte 1949 seinen Einstand als Comicfigur. Ab 1952 gehörte Casper dann zum festen Repertoire des Comicverlags Harvey Comics. Hier wurden Casper auch die meisten seiner bekannteren Nebenfiguren zur Seite gestellt, wie seine Onkels, das geisterhafte Trio oder die kleine Hexe Wendy.

Casper erfüllt die klassischen Geisterkriterien. Er kann fliegen (auch wenn er meistens läuft), durch Wände gehen und sieht so ähnlich aus, wie man sich als Kind einen Geist vorstellt. Nur spuken will er nicht so recht.

Eine Info am Rande, die meistens  unter den Tisch fällt:  Casper ist der Geist eines Kindes. Also ein Kind, das gestorben ist. Ihr wisst schon: für Kinder!

Gut, darüber wird noch gestritten, ob Casper tatsächlich ein Kind post mortem ist oder ob der Kleine immer schon am Geistern war. Dennoch, allein wegen des nostalgischen Wertes darf er in dieser Liste nicht fehlen.

The Spectre (DC Comics)

The Spectre auf dem Cover zu „Infinite Crisis Aftermath: The Spectre“ (2007) ©DC Comics All Rights Reserved

Von einem kleinen Gespenst, das nicht so recht spuken will, hin zu einem großen Gespenst, dessen Macht nahezu grenzenlos ist. Jim Corrigan war ein gewöhnlicher Polizist. Dann wurde er getötet. Doch für Jim war es nicht das Ende. Etwas hatte sich an seine Seele gebunden, und gemeinsam wurden sie zurückgeschickt auf die Erde. Jims Seele war zum Wirt eines Wesens namens Spectre geworden: die personifizierte Rache Gottes.

Seinen Anfang nahm The Spectre 1940, als Erfindung von Superman-Co-Erfinder Jerry Siegel und Zeichner Bernard Baily. Jim erfüllt die zentralen Kriterien eines Gespenstes ausgezeichnet. Ein verstorbener Mensch, dessen Seele weiter auf Erden wandelt. Nur ist zusätzlich an seine geisterhafte Seele ein nahezu allmächtiger Racheengel gebunden, der boshafte Sünder auf Erden jagt und für ihre Verbrechen grausam bestraft. Eine der mächtigsten und gleichzeitig ambivalentesten Figuren aus dem DC-Katalog und ein ganz besonderer Geist.

Izabel (Image Comics)

Izabel auf dem Cover zu „Saga #3“ (2012) ©Image Comics All Rights Reserved

Es wird Zeit für eine meiner liebsten Geisterfiguren. Izabel liebe ich als Figur so sehr, dass ich eigentlich einen ganzen Artikel nur über sie schreiben würde, wenn das nicht etwas zu sehr vom Thema weggehen würde. Izabel ist eine Teenagerin vom Planeten Cleave aus der Comicreihe „Saga“ der Künstlerin Fiona Staples und des Autors Brian K. Vaughan. Sie sieht auch aus wie eine gewöhnliche Teenagerin. Mit dem kleinen Unterschied, dass sie rötlich transparent ist und in der Luft schwebt. Ach, und außerdem hängen ihre Eingeweide aus ihrem Torso in Ermangelung eines Unterkörpers. Ein Andenken an ihr Ableben, als sie auf eine Landmine trat.

Izabel ist in „Saga” die Babysitterin von Hazel, der Tochter der beiden Hauptfiguren Marco und Alana. Des Nachts, wenn Izabel in Erscheinung treten kann, passt sie auf das kleine Mädchen auf. Sie macht das auch sehr gut, schließlich war sie im Leben die älteste von sieben Geschwistern. Der Geist der toten Teenagerin wird somit ein fester Bestandteil der Familie. Es sei jedem empfohlen, Saga zu lesen. Izabel ist sympathisch, offen, hat einen bittersüßen Sinn für Humor und ist selbstlos wie kaum eine andere Figur in dieser Liste. Ihr tragischer Tod machte ihr allerdings auch klar, was sie verloren hat, wie ihre Familie und ihre große Liebe, ihre Exfreundin Windy.

Edwin Paine & Charles Rowland: The Dead Boy Detectives (Vertigo)

Edwin und Charles auf dem Cover zu „Dead Boy Detectives: Band 1“ (2014). ©DC Comics, Vertigo Comics & Panini Comics All Rights Reserved

Während Neil Gaiman in den 1990ern mit „Sandman” Comicgeschichte schrieb, entwickelte er eine Unsumme an Figuren, die oftmals nur in einzelnen Ausgaben vorkamen. Zwei davon waren die Internatsschüler Edwin Paine und Charles Rowland. Edwin starb 1916 und kam in die Hölle (unfair, irgendwie). Als jedoch im Zuge von Gaimans „Sandman”-Storyline „Seasons of Mist” Jahrzehnte später die Hölle von Luzifer geräumt wird und die Seelen der Toten zurückkehren, taucht Edwins Geist wieder in dem Internat auf. Dort freundet er sich mit dem Schüler Charles an.

Edwin hilft Charles dabei, allerlei Gefahren zu bestehen, die von den auferstandenen Toten ausgehen. Doch schließlich fällt auch Charles ihnen zum Opfer und stirbt. Nein, die Geschichte hat kein Happy End.

Doch einen Hoffnungsschimmer gibt es. Charles kehrt ebenfalls als Geist zurück. Als die Hölle unter neue Schirmherrschaft gestellt wird, beschließen er und Edwin, nicht ins Jenseits zurückzukehren und stattdessen in der Welt der Lebenden zu bleiben. Gemeinsam bestreiten sie nun als Detektive Abenteuer und lösen allerlei übernatürliche Fälle.

Deadman (DC Comics)

Deadman auf dem Cover zu „Deadman #1“ (1985). ©DC Comics All Rights Reserved

Last but not least: Boston Brand, seines Zeichens Zirkusakrobat par excellence, Mordopfer und Geist. Nach seinem Tod wurde Brand von der Gottheit Rama Kushna zurückgeschickt, um seinen eigenen Mord aufzuklären. Als Geist hat Deadman eine ganze Reihe klassischer Fähigkeiten. Er kann unsichtbar bleiben, durch Wände gehen, fliegen und besitzt, als besonderes Schmankerl, das Talent, von jedem Menschen Besitz zu ergreifen und deren Körper für seine Zwecke zu nutzen.

Vor seinem Ableben war Boston Brand eine der düstersten Gestalten, arrogant und eingebildet. Sein Tod ließ ihn zwar bescheiden werden, doch düster und tragisch blieb er. Gefangen zwischen Leben und Tod nutzt er seine Kräfte, um seinen Tod aufzuklären und Erlösung zu finden, indem er sich für das Gute einsetzt. Zynisch und bitter blieb er. Aber das ist eigentlich durchaus verständlich, wenn man tot ist, oder?