Nirgends war die Reaktion auf diesen Gespensterblog so positiv wie in der kleinen Runde von lateinamerikanischen Frauen, der ich vor kurzem von unserem Projekt erzählte. Als einzige Deutsche war ich ganz überrascht von deren Begeisterung für das Thema Gespenster. Ein Interview über gruselige Zimmer, verstorbene Verwandte und darüber, wie sich der christliche Glaube mit Spiritualität vereinbaren lässt.
Jessica Lizeth Catacora Castañeda ist 27 und Masterstudentin der Humangeographie in Tübingen und die perfekte Kandidatin für einen vergleichenden Blick, denn sie kennt sich in Deutschland genauso gut aus wie in Peru: Insgesamt elf Jahre hat sie bisher in Deutschland gelebt und kann voller Sarkasmus über Latinoklischees sprechen. Dem Thema Gespenster widmet sie sich aber mit Ernsthaftigkeit.
Jessi, hast du schon mal einen Geist gesehen?
Nein, aber ich habe von einigen Leuten gehört, denen das passiert ist. Meiner Großtante zum Beispiel. Nachdem ihr Mann gestorben ist, hat sie ihn eines Abends gespürt. Sie lag alleine im Bett und hat gefühlt, dass jemand sie umarmt und ganz fest drückt, das war er. Danach hat sie angefangen zu beten.
Sind Geister meistens verstorbene Personen?
Ja, verstorbene Verwandte, die man gut kennt. Aber es gibt sicher auch andere Geister. Wenn man offen ist und eine Sensibilität dafür hat, dann sieht man sie. Mir passiert das aber nicht.
Bist du nicht offen dafür?
Ich bin zu ängstlich. Ich will nichts sehen, sonst mache ich mir zu viele Gedanken. Ich spüre etwas, aber ich sehe keine Geister. Wenn meine Freundin Vivian von ihrer verstorbenen Mutter erzählt, dann habe ich immer das Gefühl, dass sie da ist. Ich spüre ihre Präsenz. Aber das ist ein angenehmes Gefühl.
Im Haus meiner Oma gibt es ein Zimmer, in dem ich einfach nicht einschlafen kann.
Geht von den Geistern kein Gefühl von Gefahr für dich aus?
Nein, eigentlich nicht. Aber wenn ich jetzt so drüber nachdenke… Im Haus meiner Oma gibt es ein Zimmer, in dem ich einfach nicht einschlafen kann. Es ist das Gästezimmer. Dort kann ich nicht alleine sein mit geschlossener Tür, das macht mir einfach Angst. Und es geht nicht nur mir so! Meine Schwester, meine Cousins – alle, die dort schlafen, haben Alpträume. Es gab mal einen Brand im Haus, und der ging von diesem Zimmer aus. Danach haben sie ein Buch über schwarze Magie im Zimmer gefunden, es gehörte meiner Tante.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Geistern und schwarzer Magie?
Ja und nein. Schwarze Magie ist für mich Aberglaube. Aber ich denke, wenn man etwas sucht, dann findet man auch etwas. Wie bei diesem Spiel, Ouija. Wenn man negative Energien ruft, dann bekommt man wahrscheinlich auch eine Antwort. Ich glaube, es gibt eine Dimension, von der wir nichts wissen. Dort kommen die Geister her. Aber wie die Aufteilung dort ist, also Gut, Böse, Teufel und so weiter, das weiß ich nicht.
Wie passt das alles in Peru zusammen: Der Glaube an Geister, vielleicht auch an schwarze Magie, und dann der christliche Glaube?
In Peru haben wir eine Mischung aus Katholizismus, Aberglauben und dem Glaubenssystem der Kulturen, die vorher da waren. In Lateinamerika sind die Leute sehr offen. Es ist sehr multikulturell, und es gab historisch eine starke Mischung verschiedener Vorstellungen. Eine Person kann gleichzeitig an viele Dinge glauben. In den Anden wird z.B. auch die Erde verehrt, ohne dass das dem Glauben an Himmel und Hölle und den christlichen Gott widersprechen muss.
Wie kann ich mir das vorstellen mit den Geistern in Peru, ist es normal, dass man sie für real hält?
Ja, darüber wird gar nicht diskutiert! Man erzählt einfach davon, als Teil der Realität. Manchmal klingt es vielleicht komisch, wenn man so zusammen am Tisch sitzt, aber man glaubt das, was die anderen sagen. Das sind dann gar keine Gruselgeschichten, sondern eher so: Der hat uns vor kurzem besucht, oder die war gestern da. Oder jemand erzählt von seinen Träumen. Meine Mutter nimmt z.B. vieles in ihren Träumen wahr.
Hier gibt es auf jeden Fall auch Geister! Mit Sicherheit! Die Leute sind nur nicht offen dafür, oder es ist gesellschaftlich nicht akzeptiert.
Und wie findest du im Vergleich dazu den Umgang mit Geistern in Deutschland?
Hier gibt es auf jeden Fall auch Geister! Mit Sicherheit! Die Leute sind nur nicht offen dafür, oder es ist gesellschaftlich nicht akzeptiert. Auch der Glaube ist hier anders. Es gibt eine rationale Seite im Glauben, das ist so ein großer Unterschied zu Lateinamerika. Man hinterfragt hier immer alles, und das ist auch irgendwie gut. Aber vielleicht blockiert das diese andere Welt, die man nicht erklären kann.
Ist das schlecht für uns? Fehlt uns etwas?
Ich weiß nicht. Es ist vielleicht einfacher, nur an das zu glauben, was man sehen und anfassen kann. Aber in Peru könnte man manchmal ein bisschen rationaler sein. Ein Gleichgewicht zwischen Vernunft und Aberglaube wäre vielleicht nicht schlecht. Andererseits mag ich diese Seite von Lateinamerika, die Offenheit. Es ist alles möglich, man versucht nicht, eine Antwort auf alles zu haben. Man ist nicht so arrogant zu sagen: Das müssen wir erklären können mit Physik und Molekülen. Manchmal hilft das. Aber deswegen haben wir halt in Lateinamerika nicht die Max-Planck-Institute [lacht].
Dafür habt ihr Gabriel García Márquez.
Ja, stimmt, den haben wir!
Neben Gabriel García Márquez (Cien Años de Soledad) muss hier eigentlich noch Isabel Allende mit ihrem La Casa de los Espíritus erwähnt werden, die übrigens in Lima geboren wurde. Ein wundervolles Buch, das sich um ein Haus dreht, in dem es auch sehr viele Zimmer mit Geistern gibt.
Mal sehen, ich bereite mich gerade auf ein Auslandssemester in Perú vor und bin sehr gespannt, ob es dort Geister gibt! xD