Scherenschnitt ist eine besondere Kunstform, die von ihrem kulturellen Umfeld tief beeinflusst wird. So unterscheiden sich westliche und orientalische Scherenschnittkunst deutlich voneinander. Dies spiegelt nicht nur die Vorlieben und Meinungen der Künstler und Künstlerinnen wider, sondern vor allem die Unterschiede zwischen den beiden Kulturen.
Ein schwarzes Figürchen flaniert durch Wald und Feld, mit einer schönen, auffälligen Krone auf dem Kopf sowie Pfeil und Bogen in der Hand. Es ist ein Prinz, ein eleganter, mutiger Prinz, der ein Abenteuer begann, um den bösen Zauberer zu besiegen. Was man hier sehen kann, ist ein Scherenschnittkunstwerk von Lotte Reiniger. Es gehört zu ihrem Silhouettenfilm Die Abenteuer des Prinzen Achmed – einem Meisterwerk des animierten Scherenschnitts. Obwohl diese Art von Kunst, die auf Papier basiert, weit weniger bekannt ist als andere Kunstformen wie Ölmalerei oder klassische Musik, hat sie ihren eigenen Charme, den man nicht übersehen kann.
Fragt man nach den Wurzeln des Scherenschnitts, führt die Reise zunächst nach China. Vor fast 1.500 Jahren gab es in den nördlichen Dynastien Chinas (386-581 n. Chr.) die erste Scherenschnittkunst auf der Welt. Sie verbreitete sich – mit der Verbreitung des Papiers – daraufhin in der ganzen Welt. Eine direkte Entwicklungslinie von China nach Europa gibt es offensichtlich jedoch nicht. Nach Meinung der Volkskundler Adolf Spamer und Sigrid Metken liegen “die Wurzeln des europäischen Scherenschnitts in Buch, Schrift und Ornament” und haben nur indirekt mit der chinesischen Scherenschnittkunst zu tun.
Wie unterscheiden sich chinesische und europäische Scherenschnitt-Kulturen? Wo haben sie Gemeinsamkeiten?
Tradition – kurze Mode oder anhaltende Beliebtheit?
In Europa begann die Entwicklung des Scherenschnitts im 17. Jahrhundert. Am Anfang galt er lediglich als ein billiger Ersatz für das Porträt, weil sich nicht jeder einen Maler leisten konnte. Einen Schatten unter dem Licht werfen konnte hingegen jeder. Diese neue Form des Papierschnitts erhielt den französisch stammenden Namen Silhouette.
Zu der Zeit hatte Frankreich den Siebenjährigen Krieg erlebt und die Staatskasse war völlig aufgebraucht. Das neue Schattenbildnis war damals wegen seines kostengünstigen Preises beliebter und willkommener als die Malerei, was auch zu einer Wahrnehmung geführt hat, dass diese Kunstform eine Kunst der Armen war. Allerdings wurde sie so populär, dass sich nicht nur die Armen, sondern auch später der Adel um die Schattenbildnisse rissen.
Aber das Rad des Glücks dreht sich schnell. Aufgrund der schnellen Entwicklung sowie Verbreitung der Fototechnik im 19. Jahrhundert wurde die Bedeutung des Scherenschnitts wieder zum billigen Porträt zurückgestuft. Zweifellos erlebte diese Papierkunst einen Niedergang – bis sie im 20. Jahrhundert nicht zuletzt durch die Kunstrichtung Pop-Art neu belebt wurde und erneut in das Blickfeld der Öffentlichkeit trat.
Im Vergleich zu Europa genoss der Scherenschnitt in China schon immer große Beliebtheit. Seit seiner Entstehung gab es keine Unterbrechung. Er gehört zu den bekanntesten Sitten und Gebräuche des Landes. Scherenschnittkunst ist eine der ältesten Volkskünste Chinas und prägt andere Kunstformen tief. Deshalb wurde der chinesische Scherenschnitt 2009 in die repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen, obwohl der Scherenschnitt weltweit verbreitet ist.
Die frühesten Kunstwerke stammen aus den nördlichen Dynastien Chinas, wie ein Gräberfund in den 1950er Jahren belegt. Die thematischen Muster dieser Werke sind hauptsächlich Pflanzen und Tiere wie beispielsweise ein Affe, ein Pferd, ein Geißblatt und eine Chrysantheme. Sie wurden per Faltschnitttechnik hergestellt und sehen ganz rund und axialsymmetrisch aus, was sich von diesem Kunstwerk her leicht beweisen lässt, dass die damalige Scherenschnittkunst fast perfektioniert wurde.
Form – Umriss oder Binnenstruktur?
Am Anfang betonte die deutsche Silhouette hauptsächlich den Umriss einer Sache. Sie ähnelten einem wirklichen Schatten, der auf die Leinwand projiziert wurde. Diese Gegebenheit änderte sich bei den Kunstwerken von Lotte Reiniger, die die Binnenstruktur gern unterstrich, weshalb die Künstlerin so bekannt wurde.
Statt der echten Einzelheiten betont die Verwendung von lebendigen Linien und geschnittenen Umrissen die Essenz des Kunstwerkes. Während der Betrachtung des Papierschnitts würden die Zuschauer sich immer wieder fragen: “Was hat der Mann sich genau angezogen?”, “Was ist die derzeitige Mimik des Mädchens?”. Niemand könnte eine genaue Antwort geben. Die nicht entfaltete Leere verleiht den Betrachtern einen größeren Vorstellungsraum.
Der chinesische Scherenschnitt kombiniert hingegen gern mehrere Formen und Symbole, um verborgene Erwartungen zu äußern. Ein Beispiel dafür ist ein traditionelles Ornament des chinesischen Schnitts Hirsch und Kranich im Frühling, in dem ein Kranich und ein Hirsch zusammen durch einen frühlingshaften Wald streifen. Der Kranich steht dabei für ein langes Leben und das Wort für Hirsch wird wie das Wort für Glück ausgesprochen. Deswegen kombiniert man die Muster dieser beiden Tiere zusammen in einem Scherenschnitt, damit das Verlangen nach Wohl und Zufriedenheit geäußert werden kann.
Außerdem beinhalten diese Scherenschnitte viele weitere Details und Bedeutungen. Beispielsweise steht ein Kind mit einem größeren Fisch für eine gute Ernte. Man kann davon ausgehen, dass jedes Ornament seine eigene Aussagekraft hat und das Muster immer metaphorisch ist. Mittels dieser Kunstform kann eine schöne Gestalt einer Utopie geschaffen werden. Der traditionelle Scherenschnitt trägt die guten Wünsche der Chinesen von Generation zu Generation weiter.
Farbe – schwarz-weiß oder farbig?
Die Farben des deutschen Schnittes sind in dieser Kunstform von großer Bedeutung. Infolge des Ursprungs, als ein geworfener Schatten auf der Leinwand in früherer Zeit, wurden Schwarz und Weiß die Hauptfarben der Silhouette. In seinem faszinierenden Werk Zur Farbenlehre beschreibt Goethe die Farben wie folgt: „Das Schwarze, als Repräsentant der Finsternis, läßt das Organ im Zustande der Ruhe, das Weiße, als Stellvertreter des Lichts, versetzt es in Tätigkeit.“
Diese Kombination von Farben hat den Zwiespalt zwischen Schatten und Licht so dramatisch in Szene gesetzt, dass damit stärkere Eindrücke vermittelt werden können. Obwohl der Scherenschnitt mit der technischen Entwicklung nicht mehr auf Schwarz und Weiß begrenzt ist, erfüllen diese Farben bis heute noch die deutsche Silhouette.
Die Situation in China ist aber ganz anders. Im Allgemeinen wird rotes Papier für das chinesische Papierschneiden bevorzugt. Der Farbe Rot wird ein Gefühl von Freude, Wärme und Fröhlichkeit nachgesagt. Die Vorliebe für leuchtende Farben basiert auf der kulturellen Tradition in China. So heißt es bei Konfuzius: “Wenn du die Bedeutung des Lebens nicht kennst, wie verstehst du den Tod?”. Der Sinn des Lebens war und ist immer noch über das Jenseits und die Seele nachzudenken. Nach der Meinung der Chinesen, wird die schwarze Farbe stets mit dem Tod, Dunkelheit und negativen Emotionen assoziiert, während die hellen Farben für die Vitalität des Lebens stehen. Es ist daher offensichtlich, warum Chinesen die hellen Farben und vor allem Rot für den Scherenschnitt bevorzugen.
Es stimmt, es ist nur ein Papier. Aber das Spiel zwischen Licht und Schatten sowie die Formen und der Einsatz von Farben verleihen der Scherenschnittkunst eine einzigartige Schönheit, mit der das Papier zur Kunst wird.
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Der chinesische Scherenschnitt finde ich persönlich sehr schön und sinnvoll. Es ist auch ein wichtiger Teil der traditionelle Kultur. Aber zurzeit interessieren sich viele Menschen insbesondere jüngere Menschen nicht für diese Kunstform. das finde ich sehr schade.
Ein gelungener sowie umfangreicher Einblick in die europäische und chinesische Scherenschnittkunst. Was mir an dieser Kunstform überaus gefällt, ist die Unverfälschtheit in ihrem Kern. Während heutzutage Bilder und Bewegtbilder anhand der Apparatur, der Effekte und dem Schnitt nicht mehr die reine Wahrheit ihrer Essenz darstellen können, besitzt die Scherenschnittkunst noch die entsprechende Authentizität. Durch ihren offenen Spielraum ergeben sich Interpretationsmöglichkeiten und die damit einhergehende kritische Auseinandersetzung zwischen dem Betrachtenden und dem Kunstwerk.
Chinesische Papierschnittkunst hat eine lange Geschichte und dokumentiert das Alltagsleben der Menschen und Festivalrituale wie den Papierschnitt des neuen Jahres. Das westliche Papierschneiden scheint jedoch abstrakter zu sein und wird verwendet, um die Geschichte zu beschreiben. Haha, die Silhouettenkunst von Lotte Reiniger ist auch von der chinesischen Papierschnittkultur beeinflusst.