Manche von euch fragen sich vielleicht, was Videospiele mit Papier zu tun haben. Der ein oder andere bringt es womöglich mit Pen&Paper oder klassischen Brettspielen in Verbindung, aber mit digitalen Games? Tatsächlich: Inzwischen greifen viele Spiele das Medium wieder auf, sei es optisch, thematisch oder als reales, haptisches Element. Doch können uns die Papierwelten genauso begeistern wie fotorealistische Games?

Wer mit Videospielen schon als Kind in Berührung kam, kann sich vielleicht noch an die Pixel-Grafik der ersten Super Mario- oder Monkey Island-Teile erinnern. Die beeindruckende Optik aktueller Gaming-Hits, wie der Fortsetzung von Red Dead Redemption (2018), hat damit nicht mehr viel zu tun: Die Grafik wird immer besser, die Welten detailreicher und die Darstellung realistischer.

Doch so manchen Gamer*innen scheint das alles mittlerweile zu komplex, zu realistisch. Immer öfter bringen Entwickler*innen nun Spiele heraus, die wieder der verpixelten Optik von früher gleichen. Besonders interessant erscheinen aber die zahlreichen digitalen Spiele, die komplett auf Welten in Papieroptik setzen. Zudem sehnen sich die Leute wieder mehr nach etwas Haptischen, das man anfassen kann. Auch hier spielt Papier eine große Rolle. Doch wo genau liegt der Reiz dieser Games?

Simulationen von Papierwelten im digitalen Spiel

So haben etwa einige Videospiele der letzten Jahre Papier als visuellen Grundbaustein für ihre Spielwelten genutzt. Sei es das schon etwas ältere Paper Mario (2001) oder das erst im März 2019 erschienene Yoshi’s Crafted World. Interessant ist laut Dr. Markus Spöhrer, Dozent für Medienwissenschaft an der Universität Konstanz, wie die verschiedenen Games die Materialität und Ästhetik des Papiers umsetzen: „Während die Perspektive der Levels in Spielen wie Paper Mario dreidimensional oder isometrisch ist, sind die Charaktere und Objekte in Relation dazu sehr flach, wirken ‚künstlich‘ oder wie ‚aufgesetzt‘. Diese Ästhetik erinnert an Scherenschnitte und klassische Animationsfilme.“

Tearaway – Papier so weit das Auge reicht

Anders geht Tearaway mit der Papieroptik um. Das Adventure-Jump-’n‘-Run des Entwicklerstudios Media Molecule kam erstmals 2013 für die Handheldkonsole PlayStation Vita heraus. Das Spiel erzählt uns die Geschichte von Atoi. Sie wird in eine Welt entsandt, die komplett aus abstrakt texturierten, bunten Zettelgebilden besteht. Ob es die Wolken im Hintergrund, Bäume oder Elche in Form von Kartons sind – alle Charaktere und Objekte besitzen diese Papieroptik und können dementsprechend zerrissen, zerknüllt oder auf andere Arten manipuliert werden. Die Entwickler*innen haben zuvor fast alle Charaktere und Objekte der Spielwelt mit echtem Papier gebaut, um diese Ästhetik möglichst authentisch zu gestalten.

Hier wurde Hauptcharakter Atoi selbst nachgebastelt. Foto: Stephan Weyrauch

Tearaway weckt sowohl auf der analogen, als auch auf der digitalen Ebene die Bastellust der Spieler*innen. Alle Bausätze zu den Charakteren sind als Sammelobjekte versteckt und können ausgedruckt und nachgebastelt werden. Zudem basteln wir Gegenstände für die Charaktere im Spiel. Zum Beispiel malen wir – ähnlich wie bei der Grafiksoftware Paint – eine Papierkrone für den Eichhörnchenkönig, die anschließend genauso ins Spiel platziert wird. Markus Spöhrer erklärt sich den Reiz der Spiele so: „Die sehr grob ‚gefalteten‘ Objekte und Figuren wirken zwar vergleichsweise recht rudimentär und detailarm, besitzen aber dennoch Räumlichkeit und deshalb einen gewissen Charme – wie die Fantasiewesen, die man als Kind aus buntem Bastelkarton gefaltet hat.“

Snipperclips – Rätselspaß zum Ausschneiden

Ein ganz anderes Game, welches sich auf thematischer und optischer Ebene mit Papier beschäftigt, ist Snipperclips: Cut it out, together. Das Spiel erschien 2017 für die Konsole Nintendo Switch. Das kooperative Rätsel-Spiel besitzt einen optisch sehr ansprechenden Papierstil. Doch auch die cleveren Rätsel, die es zu lösen gilt, basieren auf der Beschaffenheit des Materials. So kontrolliert man im Spiel die beiden Papierfiguren Snip und Clip, die nicht viel tun können, außer sich zu bewegen, zu hüpfen und sich zu drehen. Zudem – und das ist quasi die Essenz des Spiels – können sie sich überlagern und gegenseitig Teile auseinander herausschneiden. Die Spieler*innen müssen herausfinden, welche Formen die beiden Figuren annehmen müssen, um so diverse Aufgaben zu lösen, zum Beispiel einen Bleistift in einen Spitzer zu schieben. Im folgenden Trailer könnt ihr sehen, wie das Spiel funktioniert:

Basteln und Videospielen – geht das?

Auch mit Nintendo Labo hat das japanische Unternehmen für jede Menge Aufmerksamkeit gesorgt. Hierbei wird die Nintendo Switch mit Gadgets aus Pappe erweitert, sodass passende Spiele authentischer erlebt werden können. Der Clou dabei ist, dass der Akt des Spielens bereits vor dem eigentlichen digitalen Erlebnis beginnt. Mit etwas Fingerspitzengefühl baut man sich zum Beispiel eine Pappkonstruktion, die in Kombination mit der Konsole eine funktionierende Angelrute bildet. Für den Aufbau braucht man weder eine Schere, noch Klebstoff – es geht lediglich um das Falten und Zusammenstecken der einzelnen Elemente. Im anschließenden Spiel werden dann über verschiedene Sensoren die Bewegungen – etwa das Drehen an der Angelkurbel – auf die abnehmbaren Controller weitergeleitet und somit ins Spiel übertragen. „Der Name Labo ist selbstverständlich eine Abkürzung für ‚Laboratory‘ – im Namen und Konzept steckt also das spielerische Experimentieren, die Verknüpfung von analogen mit digitalen Materialien und Medien. Das ist ein sehr interessanter Aspekt, da die Spieltheorie seit der Antike Analogien zwischen dem Experimentieren und dem Spielen nennt“, erklärt Spöhrer. Er will demnächst an genau diesem Aspekt der Labo-Reihe forschen und hebt die Erweiterung der handwerklichen, kreativen und logischen Fähigkeiten im Spiel hervor.

Papier und Technik ergänzen sich gegenseitig

Durch das Kurbeln an der Angel bekommt der Spieler ein haptisches Feedback. Foto: Tinh té Photo

Natürlich kann die, wenn auch ziemlich stabile, Pappe nach einer gewissen Zeit auch etwas unter den Strapazen leiden und ein paar unschöne Verformungen aufweisen. Doch vielleicht macht gerade das den Reiz aus. Denn auch wenn die Nintendo Labo-Spiele meistens nicht sonderlich tief greifend oder komplex sind, geht es einfach um das Herstellen des eigenen Spielzeugs. Anstatt nur mit einem einfachen Controller in der Hand auf dem Sofa zu sitzen, bekommt der Spieler hier ein authentisches, haptisches Gefühl und kann selbst kreativ werden.

„Ich schätze, hier geht es darum, dass letztendlich eine Art ’serious game‘ entsteht, das dies zunächst gar nicht von sich behauptet. Anstatt das vielfach kritisierte Medium Videospiel mit seinem teilweise pädagogisch gesehen recht negativen Diskurs auf sich alleine zu stellen, wird ein erprobtes ‚kreatives‘ Medium hinzugefügt.“, so Spöhrer. Vielleicht muss das Digitale das Analoge also gar nicht unbedingt ersetzen: Vielmehr scheinen sich Papier und Technik hier gegenseitig auf innovative Art und Weise zu ergänzen.

Wie der Aufbau eines solchen Modells aussehen kann, haben Rocket Beans TV Gaming im untenstehenden Video getestet:

Aus Alt und Neu mach Schön

Nintendo Labo versucht, Kindern und auch Erwachsenen, die das Basteln aus den Augen verloren haben, wieder ein wenig näherzubringen. Obwohl wir also in den meisten Lebensbereichen schon längst im digitalen Zeitalter angekommen sind, scheint es etwas in uns zu geben, das sich nach der analogen Welt zu sehnen scheint: Nach der haptischen und optischen Beschaffenheit von Papier. Deshalb versuchen wohl einige Entwickler*innen, die Schönheit von selbst gebastelten, kreativen Papierwelten in ihre Videospiele aufzunehmen. Eine schöne Art und Weise, Analoges und Digitales zu verbinden, anstatt immer nur auf die Unterschiede zu pochen.

 

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4 Kommentare
  1. Maximilian Hirt
    Maximilian Hirt sagte:

    Sehr interessanter Beitrag und vor allem spannend das anzusprechen!
    Ich bin auch von den kreativen Looks von Spielen wie Yoshi’s Crafted World (oder auch die Wolloptik in Woolly World) begeistert. Es schafft einen eigenen Charme und Alleinstellungsmerkmal in der Branche, die in vielen Bereichen sich nur mit noch fotorealistischer Grafik gegenseitig übertrumpfen möchte. Dabei geht oft das Wichtigste verloren: Gameplay. Nintendo hatte schon immer die Nase vorn, wenn es darum ging Spiele für alle Jeden zu entwickeln und schafft es nun auch mit Labo eine Zielgruppe anzusprechen, die nicht unbedingt viel mit Spielen zu tun hat (ähnlich wie bei der Wii damals). Vielleicht ist die Sehnsucht auch eine Art Parallelentwicklung, wo doch AR und VR so stark im Trend liegt – bei der die immersive Interaktion nur „gefaked“ wird.

  2. FredericaTsirakidou
    FredericaTsirakidou sagte:

    Ich kannte bis jetzt nur Snipperclips aber dein Beitrag hatl Lust auf mehr Spiele dieser Art gemacht. Vor allem Tearaway mit den eingebauten Papierelementen sieht echt vielversprechend aus. Ich glaube der Reiz bei der Nintendo Switch ist einfach „etwas in der Hand zu haben“ und analog mit dem Digitalen verbunden zu sein, dann macht das Ganze gleich viel mehr Spaß. Gaming hat mit solchen innovativen Kreationen zum Teil dieses „Gammel auf der Couch“ Image verloren. Danke für den interessanten Beitrag.

  3. ZikunZhao
    ZikunZhao sagte:

    Ein sehr interessanter Text, vielen Dank für den Beitrag!
    Er erinnert mich an ein Computerspiel namens Epistory-Typing Chronicles, das ich zuvor gespielt habe. Es geht um die Abenteuer eines kleinen Mädchens in der Welt des Origami. Die Verwendung des Elements von Papier in Computerspielen ist eine sehr coole und kreative Idee, was zu den Spieler ein ganz neuartiges Gameerlebnis bringen könnte. Vielleicht werden die Produzenten mehr Papierelementen in Zukunft in Game-Design einfließen lassen.

  4. Rebecca Sahin
    Rebecca Sahin sagte:

    Nintendo Labo kannte ich schon, alles andere war eher neu für mich. Sieht schon cool aus! Mich interessiert, wieviel teurer solch eine Konsole mit Pappe ist… werde ich gleich mal recherchieren! Interessant ist auch die Tatsache, dass sich viele wieder die herkömmlichen, verpixelten Spiele zurückwünschen – hätte ich nun wirklich nicht gedacht. Klar, eine Super Nintendo oder eine Nintendo 64 ist ein totaler Klassiker… Aber neue Spiele auf „alt“ machen? Wusste ich nicht, dass das so gut ankommt… Danke für deinen tollen Beitrag!

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