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Denkt man an Fenster, so kommt einem vieles in den Sinn. Schöne Ausblicke ins Freie, intime Einblicke ins Private oder vielleicht der Blick auf die neusten Produkte. Was die wenigsten wissen: Neben Welten und Waren werden auch Menschen in Koberfenstern zur Schau gestellt.

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Das Mannheimer Schloss ist Deutschlands größtes Barockschloss und das Herzstück der Quadratestadt Mannheim. Heutzutage Hauptgebäude der Universität – damals die Residenz der Pfälzer Kurfürsten. Die hatten beim Bau ein klares Ziel: das berühmte Schloss Versailles zu übertrumpfen. Und zwar mit der Zahl der Fenster.

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Glas ist ein faszinierendes Material, das in der heutigen Welt allgegenwärtig ist – von den Fenstern in unseren Häusern bis hin zu den Bildschirmen unserer Smartphones. Doch wie wurde aus dem Werkstoff für hübsche kleine Gegenstände die transparente Füllfläche für Fensteröffnungen? Weiterlesen

Sie sind klein, bunt und unzerstörbar. Sie halten fest zusammen. Aus ihnen kann eine ganze Welt geschaffen werden. Seit Jahrzehnten sind Legosteine aus Kinderzimmern nicht mehr wegzudenken. Wie die Plastiksteine zu Spieleklassikern wurden und warum manche sie für das genialste Spielzeug der Welt halten, erfährst du in diesem Beitrag. Weiterlesen

zEs rettete Soldaten das Leben, umschmeichelte die Beine einer Frau, war Symbol des Wirtschaftswunders und zählt zu den revolutionärsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts: Nylon. Eine Kunstfaser, die die Welt eroberte. Wie Nylon in den 1950er Jahren für viele Frauen zum Traum aus Kunstoff wurde, verrät Modedesignerin Edith Eiermann. Weiterlesen

Musik lässt sich erst speichern, seit es Tonträger gibt. Dass diese aus Plastik sind, hat viele Vorteile – aber auch so seine Tücken. Ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt anhand von Schallplatten, Walkmans, CDs und MP3-Playern, wie Plastik den Musikkonsum revolutionierte.

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Ein Leben ohne Plastik? Heute unvorstellbar. Den großen Durchbruch schaffte der Kunststoff in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Von der Toilettenspülanlage über Fenster- und Türenbau bis hin zur Dachrinne: Installateur, Heizungsbauer und Hobby-Historiker Kai-Jan Kutscher verrät, welche Kunststoffe während des Plastik-Boom in den 1950er Jahren im Haus verbaut wurden. Weiterlesen

„Sandmann, lieber Sandmann, es ist noch nicht soweit. Wir sehen erst den Abendgruß, ehe jedes Kind ins Bettchen muss, du hast gewiss noch Zeit.“ Dieses Lied tönte erstmals am 22. November 1959 aus dem Fernsehen – und zwar demjenigen der DDR. Das Sandmännchen ist der Gewinner eines politischen Wettrennens. Wir fragen in unserem Beitrag, wie die Sendung entstand und was sie über die deutsch-deutsche Geschichte erzählt.

Die Geschichte von einem kleinen Mann, der Kindern das Einschlafen erleichtert, ist keine Erfindung des deutschen Fernsehens. Schon davor gab es in der europäischen Literatur Sagengestalten, die Sand verstreuen, um Kinder zum Schlafen zu bringen.

Sandmann Darstellung E.T.A. Hoffmann

Eher unheimlich: der Sandmann von E.T.A. Hoffmann. © Wikimedia Commons

Doch das nicht nur auf liebevolle Art und Weise. Der Sandmann des romantischen Schriftstellers E.T.A. Hoffmann beispielsweise wirft Sand in die Augen der Kinder, sodass sie blutig aus dem Gesicht fallen. Einen Gegensatz dazu bildet im 19. Jahrhundert der Sandmann des dänischen Märchendichters Hans Christian Andersen mit dem Namen Ole Lukøje. Ins Deutsche übersetzt heißt er „Ole Augenschließer“. In diesem Märchen besucht Ole Lukøje am Abend die Kinder, erzählt Geschichten und verschließt ihnen die Augen mit „süßer Milch“. Die Kinder, die den Tag über brav waren, bekommen von seinen Geschichten schöne, farbige Träume. Die Kinder, die nicht so brav waren, bekommen weniger gute Träume. 

dänische Sandmann Darstellung

Ole Lukøje von Hans Christian Andersen verteilt am Abend „süße Milch“. © Wikimedia Commons

Als das Märchen auch ins Deutsche übersetzt wurde, wurde aus der „süßen Milch“ der Schlafsand. Vielleicht nicht zuletzt, weil „die süße Milch“ eine Anspielung auf den giftigen Opiatsaft des Schlafmohns war.

Die Geschichte nach dem Krieg

In der Nachkriegszeit fassten auch die Medien das Ritual auf, den Kindern vor dem Schlafengehen eine Geschichte vorzulesen. So wurde im Berliner Rundfunk ab 1946 Das Abendlied gesendet. Es war eine Produktion der Hörfunk-Redakteurin und Kinderbuchautorin Ilse Obrig. Die Figur des Sandmanns gab es jedoch noch nicht. Sie kam erst am 19. Mai 1956 in die Radiosendung. Im Deutschen Fernsehfunk (DFF) wurde dann am 8. Oktober 1958 der Abendgruß daraus. Das Fernsehen gewann in dieser Zeit an Popularität, und Ilse Obrig, die inzwischen zum westdeutschen „Sender Freies Berlin“ (SFB) gewechselt hatte, plante zusammen mit der Puppengestalterin Johanna Schüppel ein kleines Männchen, das dem Radio-Sandmann ein Fernsehgesicht geben sollte.

So sieht das Sandmännchen des Westdeutschen Fernsehens aus. © Wikimedia Commons

Die finanziellen Mittel für dieses Projekt waren beschränkt, sodass Obrig und Schüppel eine einfache Handpuppe gestalteten. Auch wenn die erste Sendung schon Monate zuvor fertig produziert war, wollte man mit der Veröffentlichung noch bis in die Vorweihnachtszeit, zum 1. Dezember 1959, warten.

Ein Wettlauf mit dem Westen

Als der ostdeutsche DFF Wind von der Idee bekam, brach für die DDR ein Wettlauf mit dem Klassenfeind an. Dass das Westfernsehen nun die West- Zuschauer*innen des allseits beliebten Abendgrußes abwerben könnte, wollte man beim DDR-Fernsehzentrum in Berlin-Adlershof unbedingt verhindern. Also wurde der Puppengestalter Gerhard Behrendt beauftragt, ein eigenes Sandmännchen zu erschaffen, und bekam mit Harald Sekowski einen Ausstatter für die Trickfilmbühne und für vielfältige Sandmännchen-Fahrzeuge an die Seite. Trabant, Boot und sogar Weltraumfahrzeug bastelte Harald Sekowski für das Sandmännchen.

Der Puppengestalter Gerhard Behrendt (links) im Trickfilmstudio. © rbb

Dazu schrieb der Komponist Wolfgang Richter in nur einer Nacht das eingangs erwähnte Titellied. Zunächst hatte das 24 Zentimeter kurze Männchen übrigens noch keinen Bart. Um sich vom westdeutschen Gegenstück abzugrenzen, nannte man die Trickfilmpuppe – wie auch die Sendung – nun Unser Sandmännchen.

Der Traum wird wahr

Könnte an Walter Ulbricht erinnern: das erste Sandmännchen mit Bart. © rbb

Für die DDR ging ein Traum in Erfüllung, denn das Sandmännchen ging tatsächlich eine Woche früher auf Sendung als sein westdeutsches Gegenstück. Seinen Bart erhielt das Sandmännchen erst im Sommer 1960 – ein kleines Detail, das an den damaligen SED-Chef Walter Ulbricht erinnern könnte. Seit 1959 lief nun im Deutschen Fernsehfunk um kurz vor sieben Uhr, beinahe jeden Abend, Unser Sandmännchen. In den Geschichten besuchte es Kinder auf der ganzen Welt – häufig in sozialistischen Ländern – und zeigte ihnen auf einem kleinen Fernsehgerät Geschichten zum Einschlafen. Neben Märchen und Alltagsgeschichten fanden sich jedoch auch staatstreue Besuche im Pionierferienlager, bei der Volksarmee und bei den Grenztruppen.

 

Das Sandmännchen im Pionierlager der DDR. © Gisela Krzyiwinski, rbb

Das Sandmännchen wurde mehr als eine einfache Trickfilmpuppe für die Bürger*innen der DDR. So nahm Sigmund Jähn 1978 das Sandmännchen mit, als er als erster Deutscher in den Kosmos flog. Sein sowjetischer Kollege brachte „Mascha“ mit ins All, eine Puppe, die eine ähnliche Rolle im Russischen Fernsehen einnahm wie das Sandmännchen im ostdeutschen Fernsehen. Dort verheirateten die Astronauten die beiden Puppen. Die Zuschauer*innen der DDR konnten von den Reisen des Sandmännchens indes nur träumen. Im Gegensatz zu ihnen kam das Sandmännchen auch nach Kuba, in den Irak, Vietnam, nach Ägypten und Japan.

An dem Heißluftballon störten sich Parteifunktionäre, nachdem zuvor zwei Familien in einem solchen in den Westen geflohen waren. © rbb

Immer mit einem seiner zahlreichen und spektakulären Fortbewegungsmittel wie U-Boot, Flugzeug, Schiff oder Zweirad. Als es jedoch in der Sendung vom 18. September 1979 mit einem Heißluftballon anreiste, störten sich Parteifunktionäre entschieden an der Kindersendung. Das hatte wohl den Grund, dass kurz zuvor zwei Familien aus Thüringen über die innerdeutsche Grenze nach Bayern geflohen waren. Mit einem selbstgebauten Heißluftballon.

Das Sandmännchen bleibt

Der Mauerfall bedeutete für das Sandmännchen erst einmal „Gute Nacht“. Denn der ostdeutsche DFF wurde 1991 aufgelöst. Die Produktion der Sandmännchen-Sendungen wurde damit ebenfalls eingestellt. Das löste heftigen Protest bei den Zuschauer*innen aus. Der Fernsehchef bekam zahlreiche Beschwerdebriefe, sodass die Sendung auch nach der Auflösung des Fernsehsenders schließlich weiter produziert wurde. So überlebte Unser Sandmännchen als eine der ganz wenigen Fernsehproduktionen der DDR. Denn auch nach der Auflösung des Deutschen Fernsehfunks wurde das Ost-Sandmännchen weiter im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) und im Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) produziert und ausgestrahlt. Der ORB, heute Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb), wurde innerhalb der ARD mit der weiteren Produktion des Sandmännchens beauftragt. Sein westdeutscher Bruder war schon vor der Wende aufgrund zu niedriger Einschaltquoten nach und nach aufgegeben worden.

Das Sandmännchen im Elbsandsteingebirge. © Gisela Krzyiwinski, rbb

Auch heute kann man das Sandmännchen noch jeden Tag um 18.54 im rbb, MDR und im Kinderkanal KiKa sehen. Seit mehr als 60 Jahren verstreut es nun Traumsand und ist damit die älteste deutsche Kinderfernsehsendung, die bis heute produziert wird.

 

 

 

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Träume Kopf bunte Wolke

Im März 1933 kommen Hitler und die Nationalsozialisten an die Macht. Wenig später beginnt Charlotte Beradt, die Träume ihrer Mitmenschen zu sammeln. Die deutsch-jüdische Journalistin spricht mit Verwandten, Nachbarn, mit einem Unternehmer, Schneiderinnen, Ärzten und mit dem Milchmann. Sechs Jahre lang dokumentiert sie, wie das totalitäre System zuerst die Träume und dann das Leben ausfüllt. 1939 muss sie fliehen, 1966 erscheint ihr Buch: Das Dritte Reich des Traums. Was leisten Träume als historische Quellen?  

„Der einzige Mensch, der in Deutschland noch ein Privatleben führt, ist jemand, der schläft.“ So beschreibt NS-Reichsorganisationsleiter Robert Ley schon 1934 die totale Konsolidierung politischer und kultureller Macht durch das nationalsozialistische Regime. Zwischen staatlichem Terror, politischer Gleichschaltung und allgegenwärtiger Propaganda schufen die Nationalsozialisten** schon früh und in vollem Bewusstsein das Fundament für die Verbrechen des kommenden Jahrzehnts. Mit denselben Worten beginnt Charlotte Beradts Buch Das Dritte Reich des Traums – ein ungewöhnliches, fesselndes Werk, das völlig unverdient in Vergessenheit geraten ist. Heute fristet es ein Nischendasein zwischen Antiquariaten, FAZ-Literaturkritiken und fragwürdigen musikalischen Neuinterpretationen. Dabei ist die Entstehungsgeschichte des Werks mindestens so spannend wie die geschilderten Träume selbst.

Geheime Träume im Dritten Reich

Charlotte Beradt, damals 26, lebt in Berlin, als die Nationalsozialisten an die Macht kommen. Sie arbeitet als Journalistin, bis der Staat ihr noch im gleichen Jahr das Berufsverbot ausspricht. Im Zuge der Massenverhaftungen von Kommunist*innen und Sozialist*innen nach dem Reichstagsbrand wird sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Journalisten und Schriftsteller Heinz Pol, inhaftiert. Als sie wenig später freikommt, leidet Beradt unter Alpträumen und allgegenwärtigen Ängsten der Verfolgung. Sie beginnt, die Träume der Menschen in ihrem Umfeld zu sammeln: säkulare, jüdische Bürger*innen aus der Mittelklasse.  

Nach dem Reichtagsbrand wurde Charlotte Beradt vom NS-Regime verhaftet. Ihre Träume ließen sie fortan nicht mehr los. © Wikimedia Commons

„Nutznießer des Systems oder begeisterte Jasager waren mir schwer zugänglich und ihre inneren Reaktionen (…) ohnehin nicht aufschlussreich. Ich fragte Schneiderin, Nachbar, Tante, Milchmann, Freund, fast immer ohne Preisgabe des Zweckes, denn ich wollte möglichst ungefärbte Antworten“, schreibt Beradt über ihr Vorhaben. Und so sammelt sie in den folgenden sechs Jahren im Geheimen die Träume von über dreihundert Menschen. Um sich selbst und die Befragten zu schützen, versteckt sie die Texte im Deckel anderer Bücher. Manche sendet sie getarnt als Briefe ins Ausland, in wieder anderen chiffriert sie die Namen von bedeutenden Nazis: Aus Hitler wird Onkel Hans, aus Goebbels Gerhard, und die Partei nennt sie Familie. Fünfzig dieser Träume veröffentlicht sie 1966 aus dem Exil in New York als Buch: Das Dritte Reich des Traums. 

Heute schwer zu finden: Die deutsche Erstauflage, Nympenburger-Verlag, 1966.

Der Traum des Herrn S.

Erster Impuls für ihr Vorhaben ist der Traum eines befreundeten Fabrikbesitzers, des Herrn S. Drei Tage nach der Machtübernahme träumt er, wie Goebbels persönlich in seine Fabrik kommt. Er lässt die Arbeiter*innen in zwei Reihen, rechts und links, antreten. 

„Dazwischen muss ich stehen, und meinen Arm zum Hitlergruß heben. Es kostet mich eine halbe Stunde, den Arm, millimeterweise, hochzubekommen. Goebbels sieht meinen Anstrengungen wie einem Schauspiel zu, ohne Beifalls-, ohne Mißfallensäußerung. Aber als ich den Arm endlich oben habe, sagt er fünf Worte: ‚Ich wünsche Ihren Gruß nicht‘, dreht sich um und geht zur Tür. So stehe ich in meinem eigenen Betrieb, zwischen meinen eigenen Leuten, am Pranger, mit gehobenem Arm. Ich bin körperlich dazu nur imstande, indem ich meine Augen auf seinen Klumpfuß hefte, während er hinaushinkt. Bis ich aufwache, stehe ich so.“ 

Das Bild handlungsunfähiger Träumender, die zum passiven Objekt, zum Opfer der Willkür eines totalitären Staates werden, ist in den gesammelten Träumen omnipräsent. Beradt betont: Was Herrn S. zustieß, sei zwar traurig, aber eben keine Tragödie. Es sei vielmehr das typische und gewollte Geschehen im Zuge des Umwandlungsprozesses, den das System an ihm vornehme. „Er ist nicht einmal zum Nicht-Helden, er ist zur Nicht-Person geworden.“ In späteren Briefen erläutert sie, weshalb diese erste Erzählung sie so bewegte: „Der Traum des Fabrikbesitzers, der direkt aus der Werkstatt des totalen Regimes zu kommen schien, wo der Mechanismus seines Funktionierens erzeugt wird, festigte in mir einen Gedanken, den ich schon flüchtig gehabt hatte: daß Träume wie dieser nicht verlorengehen sollten. (…) Ich fing also an, von der Diktatur diktierte Träume zu sammeln“. 

Zwischen Repräsentativität und Authentizität 

Teils kollektives Traumtagebuch, teils literarisches Werk, bewegt Beradts Buch sich in einem Spannungsfeld zwischen Repräsentativität und Authentizität. Einerseits fehlen die objektiven Standards und die methodische Nachvollziehbarkeit, die für jegliche Form der Verallgemeinerbarkeit notwendig wären. Das ist gewiss dem Entstehungskontext geschuldet: Alle Erzählungen beruhen auf schriftlichen und mündlichen Erinnerungen der rund dreihundert Befragten, alle Subjekte eines totalitären Regimes. Ob eine Verzerrung der Traumberichte stattfand, sei es in den ursprünglichen Schilderungen der Träumenden selbst oder durch die Autorin in zweiter Instanz, ist nicht mehr nachzuvollziehen. 

Andererseits sind die Träume in ihrer Klarheit auf beängstigende Weise authentisch, geradezu prophetisch. Selten reflektieren Beradts Subjekte bloß das Erlebte. Oft schildern sie stattdessen in Deutlichkeit das, was bevorsteht. Da ist etwa der jüdische Anwalt, der 1935 im Traum durch Lappland flieht, auf der Suche nach dem „letzten Land der Welt, wo Juden noch gelitten sind“. Der Zollbeamte, ein Deutscher, lässt ihn nicht durch. „Du bist Jude“, schreit er, und wirft seinen Pass zurück aufs Eis. Beradt bemerkt, dass sich „die Träume aus dem Jahr 1933 nicht sehr von denen aus späteren Jahren“ unterschieden: „Meine aufschlussreichsten stammen aber aus den ersten Jahren des noch leise tretenden Regimes in seinem Urzustand.“ Während das öffentliche Leben vielerorts noch unberührt ist, wird das totalitäre System in den Träumen der frühen Dreißiger bereits manifest. Isolation, Kontrolle in allen Bereichen des Lebens, Auslöschung des Individuums.

Im Kapitel „Das wandlose Leben“ berichtet ein Arzt von einem Traum, den er im Winter 1933 hat.

„Während ich mich nach der Sprechstunde, etwa gegen neun Uhr abends, mit einem Buch über Matthias Grünewald friedlich auf dem Sofa ausstrecken will, wird mein Zimmer, meine Wohnung plötzlich wandlos. Ich sehe mich entsetzt um, alle Wohnungen, soweit das Auge reicht, haben keine Wände mehr. Ich höre einen Lautsprecher brüllen: ‚Laut Erlaß zur Abschaffung von Wänden vom 17. des Monats.’“ 

Beeindruckt von seinem Traum, hält er ihn am kommenden Morgen schriftlich fest. In der Folgenacht träumt er, er werde beschuldigt, Träume aufzuschreiben. So kündigt sich ihm der kommende Totalitarismus im Schlaf an. Eine Nacht später träumt er: „Ich lebe auf dem Meeresgrund, um unsichtbar zu bleiben, nachdem die Wohnungen öffentlich geworden sind.“ 

Nähe und Abgrenzung zur Traumdeutung

Charlotte Beradts Portrait in der englischsprachigen Erstveröffentlichung, 1968. ©️ openlibrary.org

Wer in Beradts Werk Bezüge zur Traumdeutung und zur Psychoanalyse nach Jung sieht, liegt nicht falsch. Mehrmals beschreibt Beradt, wenn auch nie explizit, was man als das kollektive Unbewusste verstehen könnte: „Träume scheinen zwar die Wirkung äußeren politischen Geschehens im menschlichen Innern minuziös aufzuzeichnen wie ein Seismograph, doch sie stammen aus einer unwillentlichen psychischen Tätigkeit. Sie scheinen voller Aufschlüsse über die Affekte und Motive von Menschen während ihrer Einschaltung als Rädchen in den totalen Mechanismus“.  

Doch in der entscheidenden Sache trennt sich Beradt dann von der Tradition der großen Traumtheorien. Freud und Jung wollen die Wirklichkeit interpretativ erschließen. Sie wollen verstehen, was Träume für das Individuum bedeuten. Damit sind sie unausweichlich angewiesen auf einen „Versteher“ – einen, der wach ist, während andere träumen. Beradt beansprucht keine solche Sonderstellung für sich. Ihr Verständnisinteresse ist stets politisch motiviert, stets kollektiv und immer im Kontext des nationalsozialistischen Regimes. Den praktischen Nutzen ihrer Traumsammlung definiert sie gleich zu Beginn: „So könnten Traumbilder die Struktur einer Wirklichkeit deuten helfen, die sich gerade anschickte, zum Alptraum zu werden.“ 

Doch Beradt sieht nicht mehr und nicht weniger als ihre Befragten. Gerade weil die Theorie verstummt, haben die Träume hier Raum zum Sprechen. Beradt bewegt sich ohne Urteil, ohne Interpretation zwischen den Traumerzählungen. Sie wird Zeugin von Angst, von Ohnmacht und vom daraus resultierenden Schamgefühl. „Die meisten wollten ihre quälenden Träume vergessen, jedenfalls sprachen sie nicht gern darüber.“  

„Aber wir haben nichts mehr“

Das letzte Kapitel widmet Charlotte Beradt ihren jüdischen Mitbürger*innen und denen, die Widerstand leisten. Wenn auch nur im Traum. Da ist etwa der wiederkehrende Traum einer älteren jüdischen Frau.

„Mein Mann und ich waren in ein weit entferntes Land emigriert. Wir waren ganz allein, niemand half uns. ‚Warum heben wir kein Geld vom Sparbuch ab?‘ fragte ich meinen Mann. ‚Da ist nichts mehr drauf.‘ ‚Dann hol doch Geld bei der Bank.‘ ‚Wir haben nichts mehr.‘ ‚Dann hol was aus dem Safe.‘ ‚Da ist auch nichts mehr drin.‘ ‚Dann nimms aus Deinem Portemonnaie.‘ ‚Aber wir haben nichts mehr.‘ Die Alpträume ihres Mannes gingen noch weiter: Als ihm Hitler – wie im Märchen – die Erfüllung eines Wunschs gewährt, antwortet er ohne zu zögern: ‚Ein Paß für mich und meine Frau.‘ „

Es folgt der einzige Tyrannenmord im Buch.  

„Ich träume oft, ich fliege über Nürnberg, fische mit einem Lasso Hitler mitten aus dem Parteitage heraus und versenke ihn zwischen England und Deutschland im Meer. Manchmal fliege ich weiter nach England und erzähle der Regierung, zuweilen Churchill selbst, wo Hitler geblieben ist und daß ich es getan habe.“ 

Bildgewaltig, aber kein bloßes Beiwerk: Illustration für einen Magazinartikel, den Beradt 1939 aus dem Exil in New York schreibt.

Träume im Vordergrund

Die Träume in Das Dritte Reich des Traums sind kein illustrierendes Beiwerk zum Buch – sie sind das Buch. Und gerade weil Charlotte Beradt sie so prominent in den Vordergrund stellt, sprechen sie lauter als jede Interpretation. Beradt gelingt es, die Perfidität der nationalsozialistischen Diktatur ganz abseits von Zahlen und Ereignissen auf besondere Art bloßzustellen: Der autoritäre Staat, nachdem er bis in die letzten Fasern des sozialen und privaten Lebens vorgedrungen ist, erhebt den ultimativen Anspruch: die Gedanken und Träume seiner Subjekte zu bestimmen. „Der einzige Mensch, der in Deutschland noch ein Privatleben führt, ist jemand, der schläft.“ Und so mag es sein, dass am Ende auch Robert Ley, der 1945 Suizid beging, die eigens gebaute Tyrannei unterschätzte. Charlotte Beradt aber sollte Recht behalten. Und während die Verbrechen der Nationalsozialisten immer weiter von der Welt des Erlebten in die Welt des Erzählten rücken, ist ihr Werk aktueller denn je:

„Es festigte sich in mir der Gedanke, den ich schon flüchtig gehabt hatte: daß Träume wie dieser nicht verlorengehen sollten. Sie könnten zur Evidenz gehören, wenn dem Regime als Zeitphänomen einmal der Prozeß gemacht würde.“

 

** Da die zentralen Machtpositionen im Nationalsozialismus von Männern besetzt waren, wurde in diesem Beitrag an wenigen Stellen bewusst auf gendersensible Sprache verzichtet. Das heißt nicht, dass andere Geschlechter aus der Verantwortung genommen werden, sondern soll lediglich eine Diskussion über die Frage anregen, wie angesichts historischer Stoffe angemessen gegendert werden kann.

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Papier. Zweifellos eine der wichtigsten Erfindungen in der Geschichte der Menschheit. Papier ist in unserer heutigen Gesellschaft fast so selbstverständlich wie Autos, fließendes Wasser und Strom. Und fast genau so wichtig. Aber wann und wo entstand das Papier überhaupt und wie fand es seinen Weg zu uns?

Die Erfindung des modernen Papier

Historische Aufzeichnungen datieren die Erfindung des Papiers auf das Jahr 105 nach Christus. Die erste Vorstufe des modernen Papiers wurde demnach in China während der Han-Dynastie von dem Beamten Cai Lun erfunden. Zwar zeigen archäologische Funde, dass ein Vorläufer des modernen Papiers schon mehrere Jahrhunderte zuvor existierte, allerdings ist die von Cai Lun verwendete Herstellungsmethode die historisch erste dokumentierte Herstellungsmethode von Papier. Bei jener Herstellungsmethode wurde die Rinde von Maulbeerbäumen zusammen mit Hanf, Lumpen und Fischnetzen in Wasser vermischt. Der daraus entstandene Brei wurde anschließend zu einem dünnen Blatt gepresst und zum Trocknen in der Sonne aufgehängt.

Ausbreitung der Papierproduktion von China auf verschiedene Teile Asiens

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Papierherstellung nach der Methode Cai Luns. © Wikimedia Commons

Das daraus entstandene Papier wurde zunächst zum Verpacken von Delikatessen verwendet, fand bald jedoch auch als Schreibmaterial Verwendung. Vor der Erfindung des Papiers wurde in China hauptsächlich auf Bambusmatten, Tierknochen oder Seidenstücken geschrieben. Jene Schreibmaterialien waren in der Praxis allerdings entweder zu schwierig zu lagern oder – wie im Falle der Seidenstücke – zu teuer, um flächendeckend eingesetzt zu werden. Das von Cai Lun produzierte Papier war dagegen leicht und flexibel und konnte zudem vergleichsweise preiswert und schnell hergestellt werden.

Auf Grund dieser Eigenschaften wurde das Papier von Cai Lun bald in ganz China verwendet und breitete sich über die nächsten Jahrhunderte hinweg sowohl entlang der Seidenstraße, als auch in Korea und Japan aus. Die dortige Papierproduktion begann im siebten Jahrhundert und verwendete neben den bereits in China verwendeten Materialien wie Hanf und Maulbeere auch Materialien wie Reisstroh, Bambus und Algen.

Ausbreitung der Papierherstellung in Arabien und Südeuropa

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Arabische Art der Papierherstellung. © Wikimedia Commons

Trotz dieser Verbreitung versuchte China das Geheimnis der Papierherstellung über mehrere Jahrhunderte hinweg bestmöglich zu hüten, um andere Nationen davon abzuhalten, ihr eigenes Papier herzustellen, um eine Monopolstellung bei der Papierproduktion zu bewahren. Dies änderte sich jedoch im Jahre 751 nach Christus, als das chinesische Heer in der Schlacht am Talas von der Streitmacht des arabischen Abbasiden-Kalifats besiegt wurde. Dabei wurden auch mehrere chinesische Papiermacher gefangen genommen, wodurch sich die Kunst der Papierproduktion auch in der arabischen Welt ausbreiten konnte.

Es sollte jedoch noch mehrere Jahrhunderte dauern, bis das Papier auch nach Europa kam, da auch die Araber das Wissen um die Papierherstellung zunächst geheim hielten. Tatsächlich gelangte die Kunst der Papierherstellung erst im Jahre 1150 nach Europa, in al-Andalus, einem damals unter muslimischer Herrschaft stehenden Teil Spaniens. Dort wurde in der Stadt Xativa die erste Papiermühle Europas erbaut. Das dort produzierte Papier stieß auf Grund seiner im Vergleich zu Pergament eher geringen Haltbarkeit und seiner arabischen Herkunft in Europa allerdings zunächst auf Skepsis. Tatsächlich erließ der deutsche Kaiser Friedrich der Zweite sogar ein Papierverbot, welches besagte, dass Urkunden und Erlässe nicht auf Papier geschrieben werden durften.

Ausbreitung des Papiers in Europa

Den Siegeszug des Papiers konnte dies jedoch nicht schmälern und so breitete sich das Papier bald über ganz Europa aus. Die weitere Geschichte des Papiers in Europa lässt sich vor allem dank der Wasserzeichen des damaligen Papiers nachvollziehen, die auch der Forschungschwerpunkt von Dr. Erwin Frauenknecht sind. Die historisch ältesten Wasserzeichen traten gegen Ende des 13. Jahrhunderts in der italienischen Stadt Fabriano auf. Sie dienten laut Dr. Frauenknecht sowohl als Herkunftssymbol, als auch als Qualitätsmerkmal des Papiers.

Einige dieser Wasserzeichen sind der Forschung bis zum heutigen Tage erhalten geblieben, weshalb sich dank jener Wasserzeichen auch heute noch feststellen lässt, aus welcher Stadt oder Region mittelalterliche Papiere ursprünglich kamen. Die Wasserzeichen lassen dabei erkennen, dass sich das Papier zuerst im Süden Europas in Ländern wie in Italien und Spanien durchsetzte, sich dann über die Alpen hinweg nach Norden hin ausbreitete und schließlich auch seinen Weg nach Deutschland fand.

Für die Geschichte des Papiers in Deutschland ist zunächst die Gleismühle bedeutend. Sie wurde 1390 durch den Kaufmann Ulman Stromer in Nürnberg gegründet und war die erste Papiermühle Deutschlands. Dies hatte zur Folge, dass Nürnberg zu einem wichtigen Zentrum der Papiermacher wurde. Neben Nürnberg entwickelten sich zudem auch die Städte Ravensburg und Basel zu bedeutsamen Zentren der Papierherstellung.

Zu den ersten Papiermühlen im Umkreis von Tübingen zählen laut Dr. Frauenknecht die Mühlen in Urach und Söflingen, sowie eine Papiermühle in Reutlingen, welche Ende des 15. Jahrhunderts gegründet wurde. Interessant ist hierbei, dass Tübingen trotz des Status als Universitätsstadt keine eigene Papiermühle besaß, sondern das Papier hauptsächlich von den Papiermühlen der näheren Umgebung, etwa aus Reutlingen oder Bad Urach, bezog.

Mehr Informationen zu Herrn Dr. Frauenknecht sind unter folgendem Link zu finden:

https://www.hi.uni-stuttgart.de/institut/team/Frauenknecht/

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