Der Termin beim Friseur rückt näher. Das Verlangen nach einer drastischen Veränderung auf dem Kopf auch. Aber wirkliche Ideen, wie man sein Haupthaar mal etwas mutiger gestalten könnte, kommen einem nicht so recht in den Sinn. Dann heißt der letzte Ausweg: im Internet um Rat fragen.

Die Recherche zu diesem Blogeintrag hat mich zu einem Fan von Internetforen und kleinen Blogs gemacht. Denn mit der Suche nach Tipps für eine neue Frisur scheint es fast so wie mit dem Googeln von Krankheitssymptomen: Am Ende wünscht man sich, es ginge alles schnell vorbei. Auf Portalen wie gutefrage.net oder kleineren Blogs war ich auf der Suche nach Leuten, die vor einem anstehenden Friseurbesuch ihre Mitmenschen um Rat fragen. Ich fand so gut wie alles zwischen Alltagssexismus und der einfachen Frage: Wie soll ich mir die Haare schneiden lassen? Gleichzeitig bin ich bei der Recherche etwas abgeschweift und unter anderem in einem Drogenforum oder auf einem Lifestyleblog gelandet. Oftmals ging es um alles außer – Haare.

Ganz ursprünglich stellte sich mir aber die Frage: Warum fragen Menschen bei einer neuen Frisur überhaupt im Internet um Rat? Jeder, der schon einmal versucht hat, im Internet Hilfe zu finden, sollte doch wissen, dass man da meist eher enttäuscht wird. Ist es die Verzweiflung, sich zu entscheiden? Der Druck, sich nicht schon wieder die gleiche Frisur wie beim vergangenen Mal schneiden zu lassen? Oder einfach der Wille, aus der Langeweile heraus mal etwas ganz Verrücktes ausprobieren zu wollen? Vielleicht finde ich ja auch darauf eine Antwort bei meiner Suche.

Mein erster Eindruck: Viele wollen weg von ihrer Stammfrisur. „Einfach mal was Neues ausprobieren.“ Oder doch nur die Spitzen? Vielleicht färben? Was ist gerade angesagt? Etwas Selena-Gomez-Mäßiges? Besonders viele Frauen fragen, ob sie nicht mal eine Kurzhaarfrisur ausprobieren sollten – vielleicht einen „Under-Cut“, weil der gerade en vogue sei. Was aber auch auffällt: Oftmals geht es in den Beiträgen nicht um Tipps für eine neue Frisur. Stattdessen finden sich Männer, die Frauen ihre Abneigung zu Kurzhaarfrisuren mitteilen wollen oder Frauen, die berichten, wer außer ihnen über ihre Frisur entscheiden möchte.

Haareschneiden – legalize it!

Einer meiner ersten Funde war auf der Seite „Eve&Rave – Das Schweizer Drogenforum“. Auf dem ersten Blick ein ungewöhnlicher Ort, um nach Tipps für eine neue Frisur zu fragen. Ich erwartete Beiträge wie: „Warum ist Ecstasy gut für die Haare?“ oder „Kiffen gegen die Glatze.“ Wie sich allerdings rausstellte, war es eines der freundlicheren und hilfreicheren Foren, die ich bei meiner Recherche entdecken sollte.

Ein User namens „Graf Trip“ bat um Hilfe: „Ich muss innerhalb von 3 Monaten ein (fach-)ärztliches Gutachten mit einer Haarprobe (mind. 3cm) und zwei Urinscreenings abgeben. Am 25. September letzten Jahres habe ich zuletzt etwas konsumiert. Auf wie viel cm lasse ich meine Haare am besten runterschneiden?“ Das erklärt schon mal, warum „Graf Trip“ im Drogenforum um Hilfe bittet und nicht in einem Beautyforum. Die Antworten waren alle relativ belanglos, denn „Graf Trip“ war auf der sicheren Seite. Der Konsum war lange genug her, als dass eine ordentliche Kurzhaarfrisur ein positives Gutachten ermöglichen sollte. So konnte dieser dann auch schlussendlich vom erfolgreichen Bestehen des Tests berichten.

Wenn deine Frisur dich lesbisch macht

Den Klassiker des Frisurenratgebers finde ich dagegen auf gutefrage.net. Eine Dreizehnjährige fragt nach Tipps für den morgigen Friseurtermin. Vom Bob bis Ombré Hair ist bei den Antworten alles dabei. Das Auffälligste bei diesem Beitrag, aber auch zahlreichen anderen Gesuchen, sind nicht die vielen Rechtschreibfehler, die zahlreichen freundlichen Versuche, jemanden vor einer Haarkatastrophe zu bewahren, oder die vielen ernst gemeinten Tipps. Nein. Es sind irgendwelche Typen, die mit überraschender Regelmäßigkeit die Beiträge kommentieren: „Ich finde Mädchen/Frauen sollten lange Haare haben“ oder „Auf keinen Fall abschneiden. Wäre schade drum; liebe langes Haar“.

Als Mann ist man es gewohnt, sich im Alltag und ganz besonders im Internet für die Aussagen seiner Geschlechtsgenossen zu schämen. Aber was ich in den Beautyforen oder Kommentarspalten der Blogs lesen muss, sorgt für eine besondere Form der Fremdscham. Diese Aussagen führen vor allen Dingen zu Fragen wie: „Darf man eigentlich keine kurze Haare haben?“ In einem Beitrag bittet Userin Lanja um Hilfe. Sie hat seit Kurzem eine Kurzhaarfrisur und ist seitdem ständigem Gefrage ausgesetzt, wann sie sich denn jetzt endlich wieder die Haare wachsen lasse. Sie beendet ihre Zeilen mit der Frage: „Muss man als Frau unbedingt lange Haare haben?“

Mit der Aussage dieses Posts können sich scheinbar auch Andere identifizieren. Eine Nutzerin berichtet von ihrer Mutter, die lieber lange „Mädchenhaare“ mag. Wiederum eine Andere erzählt von einer Konfrontation, in denen ihre kurzen Haare als ein Indiz für Homosexualität bezeichnet wurden. Es ist scheinbar immer noch ein Problem, wenn das eigene Schönheitsideal nicht mit den gesellschaftlichen Vorstellungen übereinstimmt. 

Alle Kritiker haben eine Gemeinsamkeit: Sie finden keine Argumente für ihre Abneigung gegenüber kurzen Haaren bei Frauen. Sie stellen ihre Meinung einfach in den Raum – ungefragt und unreflektiert. Dass sie dabei keine Rücksicht auf die Gefühle ihrer Mitmenschen nehmen, scheint ihnen nicht bewusst zu sein.

Wenn der Neandertaler mitbestimmen will

Fast noch tragischer wird es, wenn der Partner oder die Partnerin versucht, Einfluss auf die eigene Frisur zu nehmen. Und wer widmet sich heutzutage einem solch wichtigen und komplexen Problem? Richtig: Blogger. In ihrem Bloggerselbstbewusstsein, in dem sie scheinbar jede noch so komplexe Problemstellung lösen kann, stellt sich Nike Jane die Frage, ob denn der Partner oder die Partnerin bei der Wahl der Frisur bestimmen dürfe.

Sie beschreibt, wie sich ihr Freund vehement gegen eine potenzielle Kurzhaarfrisur auf ihrem Kopf ausspricht. Mit, so ihre Aussage, durchaus berechtigten Argumenten. Mir fallen an dieser Stelle leider nur Argumente ein, warum sie diesen Typ schnellst möglich in den Wind schießen sollte. Auf die Aussagen ihres Freunds, dem „Neandertaler“, bemerkt sie richtig, ob „die Objektivierung der Frau denn irgendwann mal ein Ende nehme und wie unmodern und sexistisch und chauvinistisch man eigentlich sein könne […]?“ Und dann schießt sie sich selbst ins Abseits. Auf den Vorschlag ihres Neandertalers, dass sich doch beide die Haare „raspelkurz“ schneiden lassen könnten, verliert sie die Fassung:

„Weil ich mit Wuschel-untauglichen Frisuren bei Männern nunmal nichts anfangen könne und natürlich, ich würde ihn auch mit Glatze lieben, aber das lange Haar und der Bart, beides gehöre nunmal zu ihm wie sein Name an meiner Tür und so weiter und so fort.“ Was hat denn jetzt auch noch der Schlager von Marianne Rosenberg damit zu tun? Mit dieser Aussage endet Gott sei Dank auch ihr an Oberflächlichkeit kaum zu überbietender Blogbeitrag. Er führt also zu nichts, außer zur Darstellung von zwei egozentrischen Ansichten zweier vermeintlich Liebender.

Plädoyer für mehr Mut

All diese Beiträge lassen mich realisieren, wie viel Unsicherheit heute noch bei der Wahl der Frisur besteht. Es scheint ein Drahtseilakt zwischen Selbstverwirklichung und gesellschaftlicher Akzeptanz zu sein. Und wenn dann noch der Freund keine kurzen Haare mag, ja dann gute Nacht. Vielleicht begibt man sich gerade wegen dieser Unsicherheit hinaus ins Internet. Und fragt nach, was denn die anderen so für Ideen haben oder was sie so empfehlen können.

In diesen Beiträgen wagen viele Menschen etwas und vertrauen in gewisser Weise auf die Hilfe aus der Community. Und dann schlägt ihnen meistens leider lediglich Animosität entgegen. Dabei konnte in all diesen Foren und Blogs keiner Aussagen wie „Frauen sollten lange Haare haben“ oder „Kurze Haare lassen Frauen lesbisch aussehen“ auch nur im Ansatz argumentativ untermauern. Warum artikulieren diese Leute denn dann überhaupt ihre Meinung? Warum bedrängen sie mit solchen Aussagen Menschen, die einfach darauf gehofft haben, Unterstützung zu finden?

Somit bleibt mir also nur ein Plädoyer für mehr Selbstbewusstsein und Mut. Schießt im Zweifel alle Kritiker in den Wind! Verlasst euch auf die ernst gemeinten Ratschläge und auf das eigene Gefühl. Selbst, wenn es am Ende wieder „der Pony und die Seiten etwas gestuft“ wird.

Etwas ernsthafter widmet sich meine Kommilitonin Anna dem Thema, warum man auch heute noch als Frau mit einer Kurzhaarfrisur polarisiert.

4 Kommentare
  1. Jane Fan
    Jane Fan sagte:

    Oberflächlich ist übrigens der, der meint, aus der Ferne Menschen beurteilen zu können, Herr Tim. Würdest du dich mit der deutschen Medienlandschaft auskennen, wüsstest du, dass die Autorin Nike (nicht Nick) van Dinther sich seit Jahren für Frauenrechte (und das Selbstbewusstsein tausender Frauen) einsetzt – durch wichtige Texte, Interviews in großen Magazinen und zahlreiche Panel Diskussionen. Ich hoffe, sie liest deinen Brei hier nicht. So viel Zeit wie du hat sie für ihren kurzen Schwenk aus dem Leben nämlich bestimmt nicht auf das Thema Haare verbraten. Liebe Grüße aus Berlin, eine dankbare Jane Wayne Leserin.

    • Tim F.
      Tim F. sagte:

      Ehrlichen Dank für deine Meinung und den Hinweis auf die Unsauberkeit in Bezug auf den Namen. Das habe ich direkt angepasst. Ich fürchte, wir alle drei wollen das Gleiche und reden aneinander vorbei. Aus dem Blogeintrag an sich ging für mich nicht deutlich hervor in welche Richtung es gehen sollte. Alles was ich las war eine bloße Darstellung und Manifestation von etwas, dass uns in dieser Diskussion nicht weiter bringt. Wer sich über die Meinung des Partners zu den eigenen Haaren beschwert, sollte doch nicht genauso reagieren, wenn sich die Situation dreht. Auch wenn es erstmal das initiale Gefühl ist. Wenn ich aber deinen Kommentar richtig verstehe, möchten wir beide, dass jeder sich frei entscheiden kann, bei dem was sie oder er tut, wie sie oder er sich kleidet und auch dabei, was sie oder er auf dem Kopf trägt. Wenn wir uns gemeinsam darauf einigen können, haben wir, meiner Meinung nach, die Debatte in eine sinnvolle Richtung geführt. Inwieweit ich allerdings Werbung unter dem Beitrag mache, wird für mich nicht ersichtlich. Herzliche Grüße aus dem ICE-Wlan irgendwo in der hessischen Einöde zwischen Kassel und Frankfurt.

  2. Ich nochmal
    Ich nochmal sagte:

    Achso, aber Hauptsache noch schön Werbung für dich unter ihrem Artikel machen… Chapeau!

  3. Marie Oberle
    Marie Oberle sagte:

    Sehr cooler Beitrag! Wer von uns hat nicht schon mal das Internet um Rat gefragt und ist an den Tipps und Kommentaren verzweifelt und war am Ende noch verwirrter als zuvor. Nicht nur beim Thema Haare gibt es zu viele Neandertaler-Meinungen.

Kommentare sind deaktiviert.