Schmuck aus Menschenhaar? Das klingt erst einmal befremdlich, für manch einen vielleicht sogar unappetitlich. Dieses Kunsthandwerk hat aber eine lange Tradition. Beschäftigt man sich näher damit, so erkennt man die Romantik und Kunstfertigkeit, die dahintersteckt.

Das Kopfhaar galt schon in der Bibel als Sitz der Lebenskraft. Eine Strähne des eigenen Haars zu verschenken, wurde dann in der Renaissance (14. bis 16. Jh.) zu einem echten Liebesbeweis. Ein solches Geschenk war ein Zeichen der Freundschaft und drückte den Wunsch aus, nicht in Vergessenheit zu geraten. Auch in Literatur und Dichtung taucht das Motiv der verschenkten Locke immer wieder auf. So verteilte beispielsweise die todkranke Eva St. Clare in „Onkel Toms Hütte“ (1852) Haarlocken von sich an ihre Freunde, damit diese sich an sie erinnern.

Ab dem 16. Jahrhundert verschenkte man meist nicht mehr nur eine einfache Haarlocke. Das Haar wurde zum Werkstoff, aus dem man aufwendige Schmuckstücke fertigte. Eine Haarlocke der Liebsten, oder daraus gefertigter Schmuck, war für den Liebenden ein kostbares Erinnerungsstück. Zum Beispiel beschrieb der Dichter Martin Opitz von Boberfeld Anfang des 17. Jahrhunderts ein Armband, geflochten aus dem Haar seiner Liebsten, als „Zeichen ihrer Treu und ihrer Liebe Pfand“.

19. Jahrhundert – Blütezeit des Haar-Schmucks

Filigrane Ohrringe aus Menschenhaar 1840 Schmuck

Ohrringe aus geflochtenem Haar, Deutschland um 1840. Aus dem Besitz von Hofer Antikschmuck, Berlin. Picture by Florian Horsthemke, Hofer Antikschmuck Berlin (CC BY 3.0)

Seinen Ursprung hat der Schmuck aus Haaren im viktorianischen England. Von dort verbreitete sich das bemerkenswerte Kunsthandwerk vor allem in Nord- und Mitteleuropa. Die Blütezeit dieser Haararbeiten war die Biedermeierzeit im 19. Jahrhundert. Der Schmuck war Teil der Alltagsmode und wurde nicht mehr nur als Symbol getragen.

Ab dem 18. Jahrhundert fertigte man aus dem ungewöhnlichen Werkstoff nicht nur Schmuckstücke, sondern auch aufwendige Bilder in den verschiedensten Größen an. Haar-Schmuck wurde vor allem als Freundschaftsgeschenk oder anlässlich von Verlobungen sowie Hochzeiten beliebt. Die Erinnerungsbilder wurden in erster Linie zum Gedenken an besondere Ereignisse oder Verstorbene geschaffen. Für Frauen gab es Ohrringe, Armbänder, Ringe, Halsketten und Broschen. Männer trugen vor allem Uhrenketten aus dem Haar der Geliebten oder der Ehefrau. Die Kunstwerke wurden geklöppelt, geflochten oder geklebt. Für diesen Bedarf arbeiteten Näherinnen, Perückenmacher, Coiffeure oder Novizinnen in Klöstern an den Auftragsarbeiten.

Haararbeiten, Fingerringe 18. Jahrhundert Schmuck

Haararbeiten, Fingerringe 18. Jh. British Museum. Obere Reihe: Schleifen-Knoten, 1764; Gewebte Haararbeit, 1768; Haararbeit auf Elfenbein, 1774. Untere Reihe: Haare auf bemaltem Elfenbein, 1785; Haare auf bemaltem Elfenbein, 1790; Gewebte Haararbeit, 1797. Picture by Kotomi_ (CC BY-NC 2.0)

Ein vergessenes Handwerk?

Haarbilder werden heute allerdings nicht mehr hergestellt. Diese bestanden aus Haar, das teilweise geflochten, verwebt, um Drähte gewickelt oder geknotet wurde. Auch mit Klebstoffen wurde dabei gearbeitet. Zum Beispiel klebte man Haarsträhnen auf einen Untergrund und schnitt daraus kleine filigrane Formen aus. Oder man zermahlte das Haar zu einem Puder und verwendete es, um damit zu „malen“. Besonders letztere Techniken wurden auch für teils unvorstellbar kleine Haarbilder verwendet, die dann als Schmuckstücke getragen wurden. Doch es gab auch große Haarbilder, die als Wandschmuck an Verstorbene erinnerten. Hierfür formte man aus den Haaren vor allem Blumen und Blumensträuße, aber auch Szenerien oder sogar ganze Stammbäume.

Viele der alten Flechtmuster und Techniken zur Fertigung von Schmuck aus Menschenhaar sind mittlerweile nicht mehr bekannt. Das Handwerk ist aber nicht völlig vergessen. Es gibt auch heute noch, vor allem in der Schweiz, Haarkünstler, die diese Arbeiten noch beherrschen. Das sind zum Beispiel Goldschmiede, die sich auf das Flechten mit Haaren spezialisiert haben. Allerdings wird heutzutage nicht mehr nur Menschen-, sondern auch Pferdehaar verarbeitet.

Das Flechten in der Jatte

Deswegen kann man selbst heute nachvollziehen und zeigen, wie ein Schmuckstück aus Menschenhaar entsteht: Das Haar wird gewaschen und die einzelnen Haare werden der Länge nach sortiert. Dann werden sie einzeln abgezählt und zu gleichmäßigen Strähnen zusammengebunden. Diese werden anschließend mit Gewichten gespannt und in einem Flechtstuhl, Jatte genannt, zu Strängen verflochten. Das Flechten funktioniert wie in einer komplizierten, überdimensionalen Strickliesel. Durch verschiedenste Flechtmuster und Variationen der Haarmenge entstehen so Muster und Strukturen, filigrane Geflechte und letztlich einzigartige Schmuckstücke. Das aufwendige Handwerk erfordert Sorgfalt und Zeit. Daher können solche Auftragsarbeiten recht kostspielig sein.

Man kann sich aber nicht nur moderne Schmuckstücke aus Haar anfertigen lassen. Auch antike Stücke, ob Schmuck oder Wandbilder, sind noch erhalten. Vieles befindet sich in Museen und es gibt auch Sammler dieser Raritäten aus echtem, mehrere hundert Jahre altem Menschenhaar. Selbst bei der ZDF-Trödelsendung „Bares für Rares“ tauchten schon Schmuckstücke aus Haaren auf. Viele dieser alten, kuriosen Kostbarkeiten liegen auch einfach in den Schmuckkästchen unserer Großmütter.

Manch einer fragt nun vielleicht mal bei den eigenen Eltern oder Großeltern nach, ob sie so etwas irgendwann einmal besessen haben oder vielleicht sogar noch besitzen. Andere denken jetzt vielleicht sogar darüber nach, ob sie sich ein solches Schmuckstück anfertigen lassen würden. Wer nun aber immer noch denkt, Schmuck aus Haaren wäre einfach nur bizarr, der kennt vielleicht noch nicht die aktuellen „Trends“ für frischgebackene Mütter. Da werden nicht nur Haare, sondern auch Muttermilch und sogar Stücke von der Nabelschnur in Schmuckstücken verarbeitet…

Weitere Quellen:

http://www.haarschmucksammlung.de/
http://www.hairwork.ch/
https://www.zdf.de/show/bares-fuer-rares/objekte-vom-14-august-114.html 
Jeanne Marie von Gayette-Georgens: Geist des Schönen in Kunst und Leben. Praktische Aesthetik für die gebildete Frauenwelt, Berlin 1870.
Titelbild: Objekt aus Menschenhaar, Pioneer Museum, Sweetwater Texas. Picture by Sheila Scarborough (CC BY 2.0).

5 Kommentare
  1. Yu-Hsuan
    Yu-Hsuan sagte:

    Hochinteressant! Das Echthaar macht das Geschenk einzigartig. Ich habe im Internet weiter geguckt, und es gibt sogar Unterwäsche, die aus Haaren gemacht wurde. Unglaublich…

    Hier kann man den Beitrag schauen: https://goo.gl/PKHQEV

    • Jasmin
      Jasmin sagte:

      Verrückt!
      Ich persönlich würde aber keine Unterwäsche aus Menschenhaar tragen wollen … 🙂

  2. Alexandra
    Alexandra sagte:

    Aus meiner Sicht ein sehr außergewöhnlicher Beitrag! 🙂 Ich habe von diesem Kunstwerk auch noch nie etwas gehört. Es ist beeindruckend, dass dahinter eine filigrane und anspruchsvolle Arbeit steckt. Wenn man die Bilder betrachtet, dann hätte ich es gar nicht gewusst, dass in diesem Schmuck Haare eingearbeitet sind, wenn es nicht dabei stehen würde 😀

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  1. […] habe ich das Haar in der Suppe gefunden: Ich las von Sonderlingen, die sich aus ihren Schmalzlocken Armbänder und Unterwäsche stricken. Und lernte, dass manche Trichotillomanie-Erkrankte ihre Haare essen. Ich wollte tiefer in […]

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