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Womöglich ist jeder schon einmal aus dem Kinosaal gewandert, nachdem man endlich die lang erwartete Verfilmung des letzten Lieblingsbuches auf der großen Leinwand gesehen hat, und konnte sich diesen einen, oftmals weit verbreiteten Gedanken nicht verkneifen: „Okay, aber das Buch war irgendwie besser.“ Versuchen wir doch etwas Licht ins Dunkel zu bringen und zu klären, was die eigene Vorstellungskraft und das Eintauchen in fiktive Welten mit diesem Phänomen zu tun haben.
Vor dem Kinobesuch sind wir tief in diese Welt der Buchstaben eingetaucht, haben bei jedem Weiterblättern das Papier zwischen unseren Fingern gespürt und eine Seite nach der anderen verschlungen. Wir haben unserer Fantasie freien Lauf gelassen und Charaktere und Orte in unsere Köpfe projiziert – um uns dann ein visuelles Spektakel vor Augen zu führen, das in keiner Weise jemals unseren Vorstellungen entsprechen könnte.
Dabei bewegt sich die Wahrnehmung von Literaturverfilmungen innerhalb eines breiten Spektrums: von renommierten Buchadaptionen wie „Der Pate“, „Forrest Gump“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ bis zu Verfilmungen, die eher als Flop gelten, zum Beispiel „Fifty Shades of Grey“, „The Circle“ oder „Das Parfüm“. Darüber hinaus gibt es einige wahre Klassiker, bei denen die Buchvorlage tendenziell unbekannter ist, so etwa „Jurassic Park“, „Fight Club“, „Blade Runner“ oder diverse Werke von Stanley Kubrick und Alfred Hitchcock. Ein anderer Faktor, der in die Rezeption hineinspielt, ist der Umfang der Vorlage: Die Bekanntheit und der Anspruch einer mehrteiligen Buchreihe („Harry Potter“, „Der Herr der Ringe“) sind logischerweise höher als bei der Verfilmung einer Kurzgeschichte, die oft lediglich eine Inspiration für das Drehbuch darstellt („Minority Report“, „Das Fenster zum Hof“, „2001: Odyssee im Weltraum“).
Das Bauchgefühl sagt also gerne mal, dass die Mehrheit der Meinung wäre, das Buch sei besser gewesen. Tatsächlich überprüft wird das aber eher selten. In diesem Zusammenhang hat das audible magazin eine Studie durchgeführt, die über 100 bekannte Buchtitel mit Filmadaptionen vergleicht. Dazu wurden Userbewertungen der Reviewplattformen Goodreads und IMDb herangezogen und in einem Diagramm dargestellt.
Die Werke verteilen sich sehr breit entlang der positiven Trendlinie, allerdings auch in Richtung schlechtere Bewertungen. Die ausgewählten Buchvorlagen schneiden sowohl schwächer als auch besser als die Verfilmungen ab. Jedoch kann man nicht davon ausgehen, dass jede Person, die eine Verfilmung gesehen hat, zuvor ein Urteil über das Buch gefällt hat. Denn in der Regel sind es dann natürlich die Leser, die tatsächlich eine Aussage über den Vergleich von den beiden Versionen treffen können – und der fällt bekanntlich hin und wieder negativ aus. Aber warum ist das so? Für eine möglichst genaue Antwort auf diese Frage schauen wir uns Hintergründe und Einschätzungen aus der Wissenschaft an.
Medium versus Medium
Die Herausforderung einer Verfilmung besteht darin, das adaptierte Werk aus seiner Form zu entbinden und den technologischen und strukturellen Voraussetzungen des Films zu entsprechen. Dabei muss eine Balance zwischen Werktreue und künstlerischer Interpretation der Filmemacher geschaffen werden. Der wohl größte Unterschied zwischen den beiden Medientypen sind die sogenannten Zeichensysteme. Literatur bedient sich der Schrift und verbindet somit den ästhetischen Reiz von Papier, Wortwahl und Erzählperspektive. Den Film charakterisieren die audiovisuelle Erzählebene und damit der „kinematographische Code“, das heißt allen voran Bild, Ton und Sprache.
Aus diesem Gegensatz ergeben sich einige Hauptkritikpunkte bei Vergleichen von Büchern und deren filmischen Adaptionen. Die begrenzte Laufzeit von Filmen und die ebenso limitierte Aufmerksamkeit der Rezipienten müssen sich mit der Detailliertheit und zeitlichen Unbegrenztheit von literarischen Werken messen. Die Gefühls- und Gedankenwelt von Charakteren kann textlich viel einfacher und intensiver eingefangen werden, als es ein Schauspieler jemals darstellen könnte. Trotz der bildlichen Erzählebene des Films muss dieser oft an inhaltlicher Tiefe einbüßen. Denn Literatur vermittelt eine präzise Vorstellung der Autoren über die fiktive Welt und lässt gleichzeitig ausreichend Raum für Interpretation. Diese aktive Förderung von Fantasie ist in Büchern individuell auf jede Person zugeschnitten. Lesende nehmen somit verschiedenste Details sehr unterschiedlich wahr und malen sich eigene Welten aus, in die sie hineingesogen werden.
Immersion, Imagination und Individualität
Gemäß der Literaturwissenschaftlerin Sandra Poppe ist unsere Verarbeitung von visueller Wahrnehmung ein zentraler Aspekt der Immersion, also der gefühlten Präsenz durch vollkommenes Eintauchen in fiktive Welten. Auch wenn die Zugänge unterschiedlich sind, bieten sowohl Text als auch Film durch die Gestaltung eines fiktionalen Hintergrunds eine Plattform für Bedeutungserzeugung und Sinnvermittlung. Die Medienkulturwissenschaftlerin Robin Curtis argumentiert demnach, dass Immersion bei Zuschauenden durch die tatsächlich sichtbare Raumwahrnehmung im Film entsteht. In der Literatur entwickelt sie sich erst durch aktive Beteiligung der Lesenden an der räumlichen Imagination.
Jedes Lesen eines Textes ist eine eigene Vision, eine persönliche Adaption von Papier auf die Leinwand des inneren Auges. Filmwelten werden den Zuschauenden aber mit einer festgelegten Visualisierung als unveränderlich präsentiert. Dadurch ist es unmöglich, alle vorausgegangenen Fantasien der Lesenden zu erfassen, geschweige denn umzusetzen. In Büchern werden Welten mit individuellster Vorstellung entworfen und Handlungslücken mit eigener Vorstellungskraft gefüllt. In Filmen müssen hingegen häufig komplexe Handlungsstränge kompensiert und Szenen zum Verständnis entfernt oder erfunden werden. Aus diesem Grund werden auch regelmäßig Charaktere weggelassen, beispielsweise der mythische Tom Bombadil aus „Der Herr der Ringe“, der Poltergeist Peeves aus „Harry Potter“ oder Katniss‘ beste Freundin Madge Undersee aus „Die Tribute von Panem“. Es wäre reiner Zufall, wenn Filmschaffende auch nur eine einzige Fantasie eines ganz bestimmten Lesers genauso treffen würden. Den spezifischen Erinnerungen und Bildern im Kopf, die man oft über viele Stunden verinnerlicht hat, kann die Verfilmung daher kaum gerecht werden.
Genauso muss die Verfilmung aber als ein individuelles, künstlerisches Erzeugnis gesehen werden. Filmemacher sollten die Freiheit besitzen, ein Werk nach eigenen Vorstellungen und Interpretationen zu erschaffen – ohne das Buch aus den Augen zu verlieren. Das Gleichgewicht von Werktreue und eigenständiger Auslegung ist eine Gradwanderung: Weder sollte man sich zu eng an die Vorlage halten, noch sich zu weit von ihr entfernen. Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen der beiden Medien zweierlei: Das filmische Endprodukt ist ein heterogenes Zusammenspiel diverser Vorstellungen von Regisseuren, Drehbuchautoren, Kameraleuten, Cuttern, Tontechnikern und so weiter, während ein Buch mehr oder weniger aus einem homogenen Guss des Autors kommt.
Die Notwendigkeit des Vergleichs
Kann und soll man Literatur und ihre Verfilmung dann überhaupt vergleichen? Wenn die Medientypen ohnehin so verschieden, die Kontraste in Form und Inhalt unvermeidbar und die Wahrnehmungen zu individuell sind? Die Antwort ist „Ja“! Die Unterschiede von bedeutenden Romanen und Filmadaptionen fordern den Vergleich und damit auch die Polarisierung geradezu heraus. Wann immer sich jemand Literatur annimmt und sie filmisch inszeniert, kann und muss dieses Ergebnis hinterfragt und verglichen werden. Wie wir fiktive Welten wahrnehmen und in sie eintauchen, individuelle Fantasien und Erlebnisse aus ihnen ziehen und letztlich ganz eigene Ansprüche an Verfilmungen stellen: Die daraus entstehende Diskussion und kulturelle Auseinandersetzung von Papier und Leinwand ist womöglich sogar das, was Buchverfilmungen erst so spannend macht. Abschließend gilt also zu sagen:
„… erstens ist jedes Buch unverfilmbar
und zweitens nur so lange, bis es verfilmt wird.“
– Andreas Kilb, deutscher Filmkritiker
Literatur:
Curtis, R. (2008). Immersion und Einfühlung. Zwischen Repräsentationalität und Materialität bewegter Bilder. montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, 17 (2), 89-107.
Henneberg, R. (2019). Diese Filme sind als Hörbücher besser. Abgerufen am 31. Mai, 2019, von https://magazin.audible.de/film-vs-buch-vs-hoerbuch/.
Hurst, M. (1996). Erzählsituationen in Literatur und Film: Ein Modell zur vergleichenden Analyse von literarischen Texten und filmischen Adaptionen. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
Marie, V. (2011). Die Schwierigkeiten einer Literaturverfilmung am Beispiel von Patrick Süskinds Roman „Das Parfum“, verfilmt von Tom Tykwer. Hochschule Mittweida, Mittweida.
McFarlane, B. (2007). Reading film and literature. In D. Cartmell & I. Whelehan (Hrsg.), The Cambridge Companion to Literature on Screen. New York: Cambridge University Press.
Poppe, S. (2007). Visualität in Literatur und Film: Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
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