Pfarrer: Gedanklich verbindet man sie mit Sonntagsgottesdiensten und mit Auftritten bei den traditionellen Festes des Lebens, wie Taufen, Hochzeiten oder Beerdigungen. Hinter diesen zeremoniellen Rollen steckt jedoch ein sehr vielseitiger Beruf. Ein typischer Bürojob mit fester Arbeitszeit ist das Pfarramt nämlich nicht.

Seit 2009 ist Pfarrer Christoph Wiborg an der evangelischen Eberhardskirche in Tübingen tätig, nach einem Theologiestudium in Marburg und Heidelberg. Man stellt im Gespräch mit Pfarrer Wiborg schnell fest, dass er sowohl Humor als auch einen angenehmen Umgang mit Menschen hat.

Welche Aufgaben hinter der öffentlichen Rolle des Pfarrers stecken, wie er seinen Alltag gestaltet, welchen Aufgaben er sich gerne oder weniger gerne widmet und inwiefern die zunehmende Säkularisierung in Deutschland seine Arbeit betrifft  all diese Fragen hat er beantwortet.

Pfarrer Christoph Wiborg (Quelle: Christoph Wiborg)

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf bekommen?

Ich bin unkirchlich aufgewachsen. Meine Mutter war katholisch und mein Vater evangelisch. Mit 14 Jahren wurde ich von einem sehr netten Pfarrer konfirmiert. Mit dem konnte man sehr gut diskutieren. Außerdem war der Vater von einem Jugendfreund Pfarrer, und das führte dazu, dass der Freund und ich gemeinsam in einer Jugendgruppe tätig wurden. So habe ich mich vor der Entscheidung gesehen: Soll ich Jugendreferent oder Pfarrer werden? Ich habe meinen vertrauten Pfarrer um Rat gebeten und er hat mich ermutigt: “Du kannst gut mit Menschen umgehen” und mir erklärt, als Pfarrer habe man mit allen Altersklassen zu tun.

Ich habe 1985 Abitur gemacht und war politisch engagiert. Der christliche Glaube war ein Ansporn dazu, mich für Frieden und soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Ich hoffte, durch den Pfarrberuf etwas in der Welt bewegen zu können. Dann habe ich angefangen zu studieren, aber das Studium damals war sehr theoretisch. Erst im siebten Semester habe ich ein Gemeindepraktikum gemacht und dort einen klareren Einblick bekommen, was es bedeuten könnte, Pfarrer zu werden.

Hat Ihr Studium Sie auf den Beruf vorbereitet?

Ich würde sagen, dass es mich gut darauf vorbereitet hat, über Glaubensfragen zu sprechen. Man muss ja als Pfarrer tatsächlich oft über solche theologischen Fragen reden. Aber die unterschiedlichen Arbeitsfelder eines Pfarrers, die hat das Studium nicht beleuchtet. Da hat mir erst das Vikariat einen Einblick gegeben.

Wie sieht der Arbeitstag eines Pfarrers aus?

Für mich gibt es gewisse fixe Verpflichtungen, die den Alltag strukturieren, so wie die Schule, den Konfirmandenunterricht und die Gottesdienste. Außerdem nehme ich regelmäßig an Sitzungen und Besprechungen des Kirchengemeiderats, der Gesamtkirchengemeide und des Kirchenbezirks Tübingen teil.

Und da fängt es schon an, dass man sich selbst strukturieren muss: Als geschäftsführender Pfarrer habe ich auch die Aufgabe, Dienstbesprechungen mit den Mitarbeitern zu führen. Fast jeden Tag besuche ich Senioren, um ihnen zum Geburtstag zu gratulieren. Zusätzlich habe ich sehr viele Planungs- und Verwaltungstätigkeiten zu erledigen. Und dann gibt es die Seelsorge: Hin und wieder kommen Menschen, die ein Gespräch möchten. Auch ins Pfarramt kommen häufig Menschen, die in Not sind, weil sie kein Geld oder nichts zu essen haben. Dann muss ich gucken, ob wir etwas für sie tun können.

Was sind Aspekte Ihres Berufs, die Ihnen besonders gefallen?

Die Arbeit mit Kindern macht mir besondere Freude. Kinder haben eine große Konzentrations- und Auffassungsfähigkeit. Es ist eine schöne Erfahrung für mich, wenn sie so ungeteilt zuhören. Beerdigungen sind ein weiteres Arbeitsfeld, wo man ganz besonders merkt, dass man gebraucht wird. Es gibt niemanden, der auch in dieser Weise etwas zu sagen hätte. Man merkt, dass die Menschen ein Stück weit darauf angewiesen sind und man bekommt oft auch danach ein positives Feedback.

Des Weiteren schreibe ich gerne Predigten und halte gerne Gottesdienste. Die Nähe zu den Menschen im Gespräch macht mir an meinem Beruf Freude. 

Gibt es auch Aufgaben, die Ihnen nicht so gut gefallen?

Die Verwaltungstätigkeit gefällt mir nicht so gut. Die vielen Sitzungen finde ich etwas ermüdend. Man hat das Gefühl, dass man kaum vorankommt. Da kreist viel um sich selbst. Wissen Sie, wenn Sie auf dem Land Pfarrer sind, hat man ein bisschen sein eigenes Königreich. Aber wenn Sie in einer Kirchengemeinde so wie Tübingen sind, da gibt es sehr viele zeitliche Verluste durch diese Sitzungen und Reden. Das ist etwas, was ich mühselig finde.

Wie sehen Sie die Rolle eines Pfarrers für die Gesellschaft?

Meine Aufgabe ist es, deutlich zu machen, dass es hinter unserer Wirklichkeit eine andere Wirklichkeit gibt, die uns trägt. Ich versuche dies vorzuleben, und diesen Glauben in die Welt zu tragen.

Betrifft die zunehmende Säkularisierung in Deutschland auch Ihr Arbeitsumfeld?

Es betrifft uns natürlich alle. Wir haben aus demographischen Gründen einen steten Rückgang zu verkraften, sowohl deutschlandweit als auch in Tübingen.

Die Evangelische Kirche hat seit 2000 einen sogenannten “PfarrPlan” entwickelt, mit dem Stellen in sechs Jahresschritten auf Grund der abnehmenden Mitgliederzahlen abgebaut werden. Beim Pfarrplan 2024 wird in meiner Gemeinde von zwei Pfarrstellen eine Viertelstelle gestrichen werden. Also muss ich gucken, dass wir umstrukturieren und danach trotzdem unsere Arbeit machen können. Viele Gemeinden müssen sich überlegen, wie sie mit weniger Personal trotzdem weiter arbeiten können und das ist letztlich eine Frage der Prioritäten: Wozu sind wir eigentlich da? Was müssen wir an Angeboten erhalten? Der PfarrPlan geht von weiter sinkenden Mitgliederzahlen aus. Ich frage mich aber, ob es nicht auch irgendwann einen Zeitpunkt gibt, wo der Sockel erreicht ist.

In Tübingen gibt es ja viele Studenten und 25 bis 30 Jahre ist das Hauptaustrittsalter. Oft ist die Ummeldung an einen neuen Wohnort der Anlass für den Austritt. Oder aber die Menschen erhalten zum ersten Mal ihre Steuerbescheinigung und sehen, was sie an Kirchensteuer abgeben müssen.

Hat die Kirche ein Programm, um dem Mitgliederrückgang entgegen zu wirken?

Das ist eine Frage der Einschätzung. Die Landeskirche hat schon ein Programm entwickelt, das für mehr Werbung sorgen soll. Aber auf der anderen Seite wird Personal abgebaut, was dazu führt, dass es immer weniger menschliche Kontakte gibt. Das macht es schwierig.

Die Leute suchen noch die Verbindung zur Religion. Was viele in Frage stellen, ist die Institution Kirche. Wir haben in Deutschland eine Mentalität, so nach dem Motto “Was bringt mir das?”. Ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass die Leute weniger religiös sind, sondern eher daran, dass sie monetär denken und Kosten-Nutzen rechnen. Es ist die Frage, ob man das ändern kann.

Wie sieht Werbung für die Kirche aus?

Bei uns nennt man das Mission: Wie mache ich deutlich, dass das Produkt Evangelium wichtig ist? Ich glaube, man kann es nur klar machen durch authentische Menschen, die sagen: Für mich ist das wichtig im Leben. Ich versuche das in der Schule zu vermitteln. Man kommt nicht darum herum, dass Menschen diese Botschaft erzählen müssen. Wenn Menschen das nicht tun, dann kann ich so viele Plakate hängen wie ich möchte  das bringt dann nichts.

Herr Wiborg, vielen Dank für das Gespräch.

 


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2 Kommentare
  1. FredericaTsirakidou
    FredericaTsirakidou sagte:

    Religion is a difficult topic and that’s how I imagine the role of clergy in the „secular world“ as he calls it. However, I find it interesting that he is talking about how people leave the church in the Tübingen area. Coming from a big city where religion was never really important, I am surprised at how many people in their twenties actually go to church here and participate in religious events. This is still a bit confusing to me! I love how you show that this is indeed an abstract, somehow intangible job. Saying you are a priest in 2019 is probably quite a conversation starter. Still, you manage to authentically show his perspective, motives and goals. As you mention, religion also means community work and helping people, which I think is a beautiful side of religion (besides the many problems of religion). Amazing article!

  2. ZikunZhao
    ZikunZhao sagte:

    Meine Familie und Freunde haben keine Religion. Für uns (oder für viele Chinesen) ist „das Brot“ wichtiger als „die Liebe“, also geht die Befriedigung von Materie in der Regel durch spirituellen Glaube voraus. Jeder hat seinen Glaube (ob religiös oder nicht), und ich kann nicht einfach beurteilen.
    Religion ist ein sehr tiefgründiges und weitreichendes Thema, und dieses Interview gab mir ein besseres Verständnis für den Beruf des Pfarrers. Danke Dir.

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