Der Suizid eines Menschen verursacht tiefes Leid und bedeutet großen Verlust für die Angehörigen und das soziale Umfeld. Medienberichterstattung kann sowohl Nachahmungseffekte auslösen als auch präventiv wirken. Klare Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation und des Deutschen Presserats sollen eine verantwortungsvolle Berichterstattung fördern und Suizidprävention unterstützen. 

Mit erschreckenden Zahlen weist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf das globale Problem hin: Jedes Jahr nehmen sich weltweit etwa 700.000 Menschen das Leben. In Deutschland allein verzeichnete das Statistische Bundesamt im Jahr 2022 über 10.000 Suizidfälle. Suizid ist eine Realität, die Menschen jeden Alters und jeder sozialen Schicht betreffen kann. Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen besonders stark davon betroffen sind. Trotzdem betont die WHO, dass Suizide durch eine Reihe von Maßnahmen effizient eingedämmt werden können. Auch die Medien spielen dabei eine zentrale Rolle. 

Der Werther-Effekt: Mediale Berichterstattung und Nachahmung

Goethe-Denkmal in Leipzig. Autor Leiden des jungen Werther.

So präsentiert das Goethe-Denkmal in Leipzig den Autor des Werther. (© Pixabay – Bild scholacantorum)

Der sogenannte Werther-Effekt beschreibt, wie mediale Berichterstattung über einen Suizid zu einem Anstieg der Suizidrate führen kann. Gefährdete Personen werden durch explizite Darstellungen angeregt, das Verhalten nachzuahmen. Der Begriff geht auf den Briefroman Die Leiden des jungen Werther von Johann Wolfgang von Goethe zurück. Der Roman soll nach seiner Veröffentlichung Ende des 18. Jahrhunderts eine Suizidwelle ausgelöst haben. Ein bekanntes Beispiel ist der Freitod der deutschen Adeligen Christiane von Laßberg, die eine Ausgabe des Buches bei sich getragen haben soll, als sie sich ertränkte. In Leipzig und Kopenhagen wurde das Werk sogar zeitweise verboten. Trotz einiger überlieferter Suizidfälle, die Parallelen zur Handlung des Buches aufweisen, bleibt das Phänomen historisch umstritten. Laut Kommunikationswissenschaftlerin Antonia Markiewitz von der Universität München mangelt es an ausreichend konkreten Beweisen, die einen Zusammenhang eindeutig belegen würden. 

Wissenschaftlicher Konsens: Zusammenhang zwischen Berichterstattung und Suizidrate

Hingegen ist sich die Wissenschaft überwiegend einig, dass ein Zusammenhang zwischen sensationsträchtiger Berichterstattung über Suizid und einem Anstieg der Suizidrate besteht. So führte eine explizite Berichterstattung über den Tod des Schauspielers Robin Williams in den USA zu einem Anstieg der Suizidrate um 10 Prozent. Ein bekannter Fall aus Deutschland ist der Suizid von Robert Enke aus dem Jahr 2009. Auch hier ließ sich ein Anstieg der Suizidzahlen in den Wochen nach seinem Tod nachweisen. Besorgniserregend war, dass die Berichterstattung in diesen Fällen teilweise Empfehlungen zur verantwortungsvollen Darstellung von Suiziden ignorierte. 

Der Werther-Effekt ist jedoch nicht nur auf journalistische Inhalte beschränkt. Auch explizite Darstellungen in fiktionalen Filmen und Serien können schwerwiegende Auswirkungen haben. Ein prominentes Beispiel aus den letzten Jahren ist die Netflix-Serie Tote Mädchen lügen nicht. Diese polarisierte besonders durch die sehr detaillierte und romantisierende Darstellung des Suizids der Hauptprotagonistin Hannah Baker in einer Badewanne. Die Serie wurde zusammen mit einem Making-Of veröffentlicht, in dem Psycholog*innen das Geschehen und die Thematik einordneten. Zusätzlich wurden Empfehlungen für den verantwortungsvollen Umgang mit der Serie an Schulen herausgegeben. Trotz dieser Maßnahmen konnte ein Anstieg der Suizidrate, insbesondere bei Mädchen im Alter zwischen 9 und 19 Jahren, in den USA nicht verhindert werden. Zwei Jahre nach der Erstausstrahlung entschied sich Netflix nachträglich, die umstrittene dreiminütige Suizidszene herauszuschneiden.

Richtlinien für verantwortungsvolle Suizidberichterstattung

Doch wie sollte ein verantwortungsvoller Umgang der Medien mit dem Thema Suizid aussehen? Aufgrund der hohen Verantwortung von Medienschaffenden braucht es klare Richtlinien. Der Deutsche Presserat hat unter anderem in Ziffer 8 Schutz der Persönlichkeit des Pressekodex klare Vorgaben für die Berichterstattung über Selbsttötungen festgelegt. Hier wird betont, dass Zurückhaltung geboten ist, insbesondere bei der Nennung von Namen, der Veröffentlichung von Fotos und der detaillierten Beschreibung der Umstände. Auch die WHO hat eine umfassende Guideline veröffentlicht, die auf über 40 Seiten Medienschaffende professionell aufklärt, sensibilisiert und konkrete Tipps gibt, wie sie arbeiten sollten. Diese Richtlinien zielen darauf ab, eine verantwortungsvolle Berichterstattung zu fördern. Besonders betont wird die Wichtigkeit, den Rezipierenden Informationen darüber bereitzustellen, wo sie bei Suizidgedanken Hilfe suchen können.  

Die WHO räumt zudem mit Mythen auf: Entgegen der weit verbreiteten Annahme führt das bloße Thematisieren von Suizid nicht automatisch dazu, dass Menschen sich eher das Leben nehmen. Im Gegenteil, ein offenes Gespräch kann Betroffenen andere Optionen aufzeigen oder ihnen die Zeit geben, ihre Entscheidung zu überdenken, und somit einen Suizid verhindern. Die Richtlinien unterstreichen, dass ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Thema Suizid Leben retten kann.

Der Papageno-Effekt: Präventive Wirkung der Medien

In wissenschaftlichen Publikationen wird neben dem bekannten Werther-Effekt auch der Papageno-Effekt genannt. Dieser Effekt, benannt nach der Figur des Papageno aus Mozarts Oper Die Zauberflöte, beschreibt das Phänomen, dass Medien auch eine präventive Rolle im Umgang mit Suizidgedanken spielen können. Thomas Niederkrotenthaler, Professor für Public Health mit Schwerpunkt Suizidpräventionsforschung an der Medizinischen Universität Wien, konnte diesen Effekt 2010 empirisch nachweisen. Papageno, der in der Oper aufgrund von Liebeskummer selbstmordgefährdet ist, erhält in letzter Minute Unterstützung und erfährt alternative Wege, seine Probleme zu bewältigen. Dieses Narrativ von Hoffnung und Bewältigungsmöglichkeiten bildet das Herzstück des Papageno-Effekts.

Auch Antonia Markiewitz weist darauf hin, dass die aktuellen Bemühungen im Bereich des Papageno-Effekts darauf abzielen, lebensrettende Elemente in der Suizidberichterstattung zu identifizieren. Ein zentraler Ansatzpunkt liegt dabei in der Darstellung von Alternativen zum Suizid, von bewährten Bewältigungsstrategien sowie von individuellen Erfolgsgeschichten über das Überwinden suizidaler Krisen. Diese Maßnahmen tragen aktiv dazu bei, den Papageno-Effekt zu fördern. Sie fungieren als inspirierende Vorbilder und bieten Betroffenen nicht nur Hoffnung, sondern auch konkrete Anleitungen, wie sie ihre eigene Krise überwinden können. 

**Wenn ihr selbst depressiv seid, wenn ihr Suizid-Gedanken habt, dann kontaktiert bitte die Telefonseelsorge im Internet oder über die kostenlosen Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder 116 123.**

 

Beitragsbild: © Michal Fošenbauer auf Pixabay

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