"Zeig mir deine Screenshots" Umfrage im Brechtbau

Ob als Erinnerungshilfe, zur Weiterleitung von Informationen oder einfach aus Gewohnheit – Screenshots haben sich zu einem festen Bestandteil unseres digitalen Alltags entwickelt. Um tiefere Einblicke in diese Smartphone-Fenster zu gewinnen, habe ich mich im Brechtbau in Tübingen umgehört.

„Jetzt bin ich aber ein bisschen aufgeregt“, gesteht mir Alex, 45 Jahre alt, als ich ihn nach seinem letzten Screenshot frage. Während ich ihn anspreche, pinnt er gerade einen Aushang für eine Werkstudentenstelle an die Pinnwand des Instituts für Medienwissenschaft. Es ist nachmittags, die meisten Lehrveranstaltungen sind bereits vorbei und viele Studierende unterhalten sich in kleinen Gruppen im Foyer, auf der Liegewiese oder in der Cafeteria. Nach kurzer Suche findet Alex den letzten Screenshot auf seinem Smartphone: ein Rückblick auf ein Urlaubsfoto aus Dublin, das er selbst aufgenommen hat. Ein Foto von einem Foto also. Er erklärt mir, dass er das Bild gemacht hat, um es seiner Partnerin zu schicken, mit der er dort den Urlaub verbracht hat. Ich frage mich: warum dann die Aufregung? 

Ein Screenshot vom 02.07.2017 von einer Rückblende aus dem Dublin Urlaub von Alex. Es ist ein Holztisch zu sehen auf dem Gebäck und eine Tasse Tee steht.

Alex‘ Screenshot zeigt eine Urlaubserinnerung.

Was ist eigentlich ein Screenshot? 

Die wörtliche Übersetzung von „Screenshot“ ins Deutsche ist „Bildschirmfoto“. Im Fotografie-Jargon steht „Shot“ jedoch auch für Aufnahme. Es geht also um eine Aufnahme des Bildschirms, eines digitalen Fensters, das wir in diesem Moment betrachten. Der Mechanismus ist auf den meisten Geräten ähnlich: ein paar Tasten werden zusammen betätigt und schon erscheint ein blitzähnliches Symbol auf dem Bildschirm, das von einem Klickgeräusch – ähnlich dem, welches beim Auslösen einer Kamera entsteht – begleitet wird. Kinderleicht und ruckzuck. So halten wir temporäre digitale Fenster dauerhaft fest und können sie uns immer wieder anschauen. 

Wieso halten wir unseren Bildschirm überhaupt fest?

Als ich mir meine eigene Bildschirmfoto-Galerie auf dem Handy anschaue, sehe ich fast 1.400 Screenshots aus den letzten acht Jahren, was mich zunächst schockiert. So viele? Beim Durchscrollen möchte ich 90 Prozent am liebsten sofort löschen. Was habe ich mir dabei gedacht, Rezepte, Dekoinspirationen, Wettervorhersagen, bevorstehende Events, Tickets, Memes, Zitate und noch vieles mehr festzuhalten? Wahrscheinlich wollte ich mir das alles irgendwann noch einmal ansehen. Schnell wird mir jedoch klar, dass ich auf die meisten Bildschirmfenster nie wieder einen zweiten Blick geworfen habe und sie seitdem nur Datenmüll in meiner Cloud produzieren.   

Der Blick durch meine Screenshots fühlt sich auch intim an und ich beginne Alex’ Aufregung zu verstehen. Ich glaube nicht, dass ich mich wohl dabei fühlen würde, jemand anderen diese Galerie durchschauen zu lassen. Da ist zum Beispiel der Screenshot dieses einen Chats, über den ich fünf Jahre nach der Aufnahme nur schmunzeln kann. Oder dieser Influencer-Rabattcode, den ich zum Glück nie eingelöst habe – jetzt kommt er mir peinlich vor. Beide lösche ich. 

Auf der Suche nach weiteren Bildschirmfotos im Brechtbau 

Die Studentin Steffi sitzt an einem Tisch in der Cafeteria im Brechtbau und zeigt mir ihren Screenshot.

Steffi präsentiert mir ihren Screenshot ohne zu zögern.

In der Brechtbau-Cafeteria treffe ich Steffi, 22 Jahre alt, die Deutsch, Philosophie und Ethik auf Lehramt studiert. Auch sie zeigt mir ihren letzten Screenshot: eine Einladung zur Studentischen Vollversammlung, zu der sie mit einer Kommilitonin gehen möchte. Machen wir also häufig Bildschirmfenster, um sie weiterzuleiten? 

Ruben und Georg stehen im Foyer des Brechtbaus.

Ruben und Georg treffe ich im Foyer des Brechtbaus.

Das gilt zumindest auch für Georg (25) und Ruben (26), die beide Lehramt in den Fächern Deutsch, Religion und Sport studieren. Georg ist aufgefallen, dass die Möglichkeiten, eine Partnerin oder einen Partner online kennenzulernen, unendlich sind. Daraufhin hat er einem Freund nach einer Google-Suche über muslimische Dating-Apps einen Screenshot davon weitergeleitet. Ruben hat seinen Standort auf Google Maps gescreenshotet und per Messenger verschickt. Vermutlich gehören die Bildschirmaufnahmen der beiden erneut zur Kategorie: Nie-wieder-anschauen. 

Screenshot von der Studentin Steffi, auf dem sich eine Mail mit herzlicher Einladung zur StudentischenVollversammlung (StudVV) befindet.

Steffi nimmt die Einladung zur StudVV gerne an.

Ruben hat einen Screenshot von seinem Standort in Tübingen auf Google Maps gemacht.

Ruben wollte mit seinem Screenshot seinen Standort teilen.

Screenshot von Georg, der die Ergebnisse einer Google-Suche für "muslimische dating app" zeigt.

Georg hat auf Google nach muslimischen Dating-Apps gesucht.

Potenzial für eine längere Halbwertszeit könnte der Screenshot von So Young haben. Sie ist 20 Jahre alt, kommt aus Südkorea und verbringt ein Auslandssemester in Tübingen, wo sie Sportwissenschaft studiert. Sie zeigt mir eine Bildschirmaufnahme in koreanischer Hangeul-Schrift mit einigen englischen Begriffen. Dabei erklärt mir So Young, dass es sich um einen Reiseplan für London handelt. Dort wird sie in wenigen Tagen zusammen mit Freunden hinreisen. Für mich sieht das ziemlich durchdacht aus (obwohl ich bis auf die englischen Begriffe nichts entziffern kann) und ich könnte mir vorstellen, dass sie in der folgenden Woche noch öfter einen Blick darauf werfen wird. 

Der Screenshot von So Young zeigt einen Plan für eine London-Reise auf südkoreanisch.

So Young ist mit ihrem Screenshot für die bevorstehende London-Reise gewappnet.

Die Studentinnen Christina und Polina sitzen mit ihren Laptops aufgeklappt an einem runden Tisch im Brechtbau.

Christina und Polina sind Erasmus-Studentinnen.

Christina und Polina (beide 20) verbringen ebenfalls ein Erasmus-Semester in Tübingen. Sie studieren Germanistik und kommen ursprünglich aus der Ukraine. Christina hat ihren letzten Screenshot für eine Lexikografie-Aufgabe gemacht. Polina hat die Herkunft des Wortes „Hocus Pocus“ gegoogelt und wollte dies festhalten. Das kann ich gut nachvollziehen, denke ich. Nicht den Hokus Pokus, aber wie oft wollte ich schon Google-Suchen oder Definitionen als Screenshot festhalten, in der Hoffnung, dass ich sie mir dadurch besser merken oder schneller auf Wissen zurückgreifen kann. So richtig aufgegangen ist das bei mir zumindest nie. Werde ich es deshalb in Zukunft lassen? Vermutlich nicht. 

Auf Christinas Screenshot ist ein Wörterbucheintrag zu sehen.

Christinas Screenshot entstand bei einer Lexikografie-Aufgabe.

Screenshot von Polina, der die Ergebnisse einer Google-Suche für "Hocus Pocus" zeigt.

Polina möchte sich die Etymologie von „Hocus Pocus“ merken.

Schließlich treffe ich Emily und einen Kommilitonen von ihr, die mit ihren Laptops vor sich aufgestellt auf der Liegewiese sitzen. Beide schauen skeptisch, als ich nach ihren letzten Screenshots frage und sind sich sicher, dass sie mir diese lieber nicht zeigen wollen. Ich habe eine Ahnung, um was es geht, und bin gespannt. Emily, die Koreanistik und Medienwissenschaft studiert, ist dann aber erleichtert, dass es sich doch „nur“ um eine Bildschirmaufnahme einer Busverbindung handelt, die sie zur Uni bringt. Sie könne sich nie merken, wann der Bus fährt, und macht deshalb häufig Bildschirmfotos von ihren Verbindungen. Ich erinnere mich an die zahlreichen Screenshots dieser Art, die auch in meiner Galerie schlummern. Emilys Kommilitone bleibt leider dabei: seine letzte Bildschirmaufnahme ist nicht für fremde Augen gedacht. Schade, denke ich. Das hätte interessant werden können. 

Emilys Screenshot zeigt ihre Busverbindung von der Kreuzstraße zur Hölderlinstraße in Tübingen.

Ob Emily den Bus wohl bekommen hat?

Loslassen von Bildschirmfenstern ist schwieriger als gedacht

Nach Abschluss meiner Umfrage stelle ich fest, dass die meisten Screenshots, die auf unseren Geräten verwahrt sind, eher unspannend sind und meist nur für einen kurzen Moment einen Nutzen haben. Dennoch frage ich mich, wo all die skandalösen Screenshots von Streitgesprächen auf WhatsApp oder Snapchat-Bildern liegen, die ich gehofft hatte, zu finden. Eine Kommilitonin erzählt mir, dass sie Screenshots von Chats sofort aus ihrer Bildergalerie löscht, falls sie mal einen weiterleitet. Ich möchte mir ein Beispiel daran nehmen und meine Screenshot-Galerie gleich ausmisten. Und vielleicht das nächste Mal kurz überlegen, bevor ich überhaupt einen Screenshot mache, den ich nie wieder brauche oder der eher nicht zur wiederholten Betrachtung gedacht ist. Als ich den gesamten Ordner in den Papierkorb werfen möchte, zögere ich jedoch es könnte ja doch noch etwas Wichtiges dabei sein, das ich eines Tages noch einmal benötige, oder? 

 

Was war euer letzter Screenshot? Lasst es mich in den Kommentaren wissen! Wenn Ihr noch nicht genug von unseren Fenster-Beiträgen habt, dann folgt uns auf Instagram (look outside)! Mehr zum Thema lest ihr außerdem hier (look inside).

© für alle Bilder: Anna Broer/privat