Das Mannheimer Schloss ist Deutschlands größtes Barockschloss und das Herzstück der Quadratestadt Mannheim. Heutzutage Hauptgebäude der Universität – damals die Residenz der Pfälzer Kurfürsten. Die hatten beim Bau ein klares Ziel: das berühmte Schloss Versailles zu übertrumpfen. Und zwar mit der Zahl der Fenster.
Über 440 Meter erstreckt sich die Schaufassade vor den Mannheimer Quadraten. Der große Ehrenhof öffnet förmlich seine Arme zur Stadt, die sich vom Schloss aus nach Norden erstreckt. Aber ganz gleich aus welcher Himmelsrichtung man auf das Mannheimer Schloss blickt, fallen einem die unzähligen Fenster auf. Nicht nur an der der Stadt zugewandten Seite sind die Fassaden übersät mit Fenstern, sondern auch an den Seiten zu den Innenhöfen und an der Rückseite. Sie verleihen dem Schloss eine beeindruckende Symmetrie und lassen von überall einblicken, wie viele Räume das Schloss haben muss. Dabei ist mittlerweile bekannt, dass die damaligen Musikzimmer der Fürsten oft noch Vorzimmer und davor noch Wartezimmer besaßen. Doch die Zahl der hinter den Fenstern liegenden Zimmern war zur Barockzeit nicht das einzige Beeindruckende.
Fenster – Ausdruck von Luxus und Reichtum
Schon zur Zeit der Römer wurden in Europa die ersten Fenster aus Glas hergestellt. Es waren kleine, sehr unregelmäßige Scheiben und der Prozess außerordentlich teuer. Erst im 17. Jahrhundert wurde Fensterglas in England bei Schlössern in größerer Stückzahl verwendet, um Reichtum zu demonstrieren. Dann dauerte es noch einmal knapp 200 Jahre, bis im 19. Jahrhundert neue Methoden entwickelt wurden, dünnes Flachglas in großen Mengen wirtschaftlich herstellen zu können. Die Anzahl und Größe der Fenster eines Bauwerks demonstrierte unmissverständlich, wie reich der Erbauer dafür sein musste.
In den meisten Barockschlössern hat man aus den Fenstern einen beeindruckenden Ausblick auf weitläufige Gärten, Labyrinthe oder einen Tempel am Horizont. Statt mit einer großzügigen Parkanlage besticht in Mannheim die Stadt selbst mit einer ganz eigenen Symmetrie: Während andere barocke Schlossgärten mit ihrem symmetrischen Aufbau, Fluchtpunkten und Sichtachsen die Kontrolle und Beherrschung über die wilde Natur signalisieren, liegt dem Mannheimer Schloss die quadratisch strukturierte Stadt zu Füßen. Deren Straßen sind alphabetisch und mit Zahlen durchnummeriert: Parallel zur Schaufassade trägt jede weitere Straße den nächsten Buchstaben im Alphabet. Und vom Ehrenhof nach rechts und links ausgehend zählt man einfach von eins an hoch. So findet man sich immer in der Innenstadt zurecht und weiß sofort, wie weit man es zur nächsten Adresse innerhalb der Quadrate hat.
Schöner, größer, weiter
Wie es der Sonnenkönig Ludwig XIV. in Frankreich vormachte, wollte sich jeder bedeutende deutsche Fürst danach ein ebenso prachtvolles Schloss wie Versailles erbauen. Schwetzingen, Mannheim, Bayreuth und Sanssouci besitzen alle sehr bekannte deutsche Barockschlösser. Und jedes sollte mithalten können mit Versailles – wenn schon nicht mit der schieren Größe, dann jeweils auf seine eigene Art und Weise. Während Schwetzingen heute für den schönsten Schlossgarten gelobt wird, besticht Sanssouci mit seinen Gartenterrassen und 168 Fenstertüren, in denen Wein und Feigen wachsen. Im Sommer werden diese Fenstertüren geöffnet, um die Artenvielfalt der Pflanzen zu demonstrieren. Und in zu kalten Jahreszeiten dienen sie als eine Art Wintergarten. Nur für die Wasserspiele hat es im flachen Potsdam nicht gereicht, die Friedrich der Große gerne nach dem Vorbild seiner Schwester Wilhelmine aus Bayreuth gebaut hätte. In der von Wilhelmine gestalteten Eremitage in Bayreuth gibt es bis heute stündlich große Wasserspiele vor dem Sonnentempel aus natürlichem Wasserdruck.
Dieses Wetteifern stellte jedoch den Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz vor ein Problem. Das Mannheimer Schlosses ist eingeschlossen zwischen der Stadt, dem Rhein und dem Neckar, welcher nicht weit vom Schloss in den Rhein mündet. Für eine große sternförmige Befestigung nach Süden hatte er kein Geld. Und für weitläufige Gärten gab es nicht genügend Platz. Also musste der Kurfürst auf ein anderes Mittel zurückgreifen, um sich seinen Platz in der Rangliste der bedeutendsten Schlösser zu sichern.
Alles nur Legende?
Die Pfalzgrafen bei Rhein wollten ihre besondere Stellung im Heiligen Römischen Reich verdeutlichen. Die Konservatorin der Region Kurpfalz, zuständig für das Mannheimer Schloss sagt, Karl Theodor hatte die Absicht, genau ein Fenster mehr ins Mannheimer Schloss zu bauen als in Versailles. Wissenschaftliche Nachforschungen, ob dieses Ziel tatsächlich erreicht worden ist, sind ihr jedoch keine bekannt. Das Mannheimer Schloss hat 1554 Fenster. Aber reicht das, um das große Versailles zu übertrumpfen? Heutzutage müsste man sagen, nicht ganz: Mit allen zum Schloss zugehörigen Gebäuden kommt man im größten Barockschloss Europas in Versailles auf über 2.000 Fenster. Ist also alles nur ein Mythos?
Die Schlosskonservatorin gibt zu bedenken: Kurz vor 1800 sei bei der Rückeroberung Mannheims von der französischen Besatzung der Westflügel des Schlosses und das daran angebundene Opernhaus zerstört worden. Dieser Flügel habe symmetrisch zum großen Schneckenhof im Ostflügel seinen eigenen von Bauten umgebenen Platz mit zahlreichen Fenstern in den Hof hinein und nach außen gehabt. An diesem Westflügel befand sich außerdem das Jesuitenkolleg. Dessen heute noch erhaltene Kirche ist ursprünglich direkt mit dem Schloss verbunden gewesen. Das Opernhaus, der Hof des Westflügels und das Kolleg wurden nach der Zerstörung aber nicht mehr wiederaufgebaut. Und damit natürlich auch nicht deren Fenster.
Es ist also durchaus vorstellbar, dass das Barockschloss einst ein Fenster mehr hatte als Versailles. Heute freuen sich jedenfalls die Mannheimer Studenten, dass man – ganz unabhängig ob mehr oder weniger Fenster als Versailles – im Sommer viele der Mannheimer Fenster für etwas frische Luft beim Lernen öffnen kann.
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