Nianheng Wu, 23, ist in einer kleinen Stadt in der Provinz Sichuan, China aufgewachsen. Seit fast einem Jahr wohnt sie schon in Deutschland und studiert Computerlinguistik und Allgemeine Sprachwissenschaft. Als Kind hatte sie nicht wirklich persönliche Helden, vielmehr Personen und fiktive Charaktere, die sie einfach nur toll fand. Sie ist ein großer Fan von Detektiv Conan und liebt auch Thor aus dem Marvel Cinematic Universe. Das Thema Helden findet sie schwierig, weil nicht alles schwarz und weiß ist. Es gibt kein Schema, nach dem man Helden bestimmen kann. Man sollte sie immer kritisch analysieren und dann entscheiden, ob es auch Helden sind.
Was macht für dich einen Helden aus?
Ich finde, dass ein Held jemand ist, der immer das große Ganze im Hinterkopf hat. Er oder sie sorgt sich um die größeren Dinge des Lebens, also wenn es um die Menschheit oder die Umwelt geht. Wenn der Person bewusst ist, dass sie schwach ist oder keinen großen Einfluss hat, und sie trotzdem versucht, ihr großes Ziel zu erreichen. Personen, die sich für die Rechte anderer Menschen einsetzen. Kleinere Taten, die eine Person vollbringt, machen sie nicht gleich zum Helden. Vielmehr sind es die großen Taten, die auf Dauer einen positiven Effekt auf die Menschheit und Umwelt haben. Menschen, die sehen, dass es viele Probleme und Schwierigkeiten in der Welt und vor ihrer Nase gibt und trotzdem für das Wohl der Gesellschaft kämpfen.
Was denkst du – wie und wann wird der Begriff Held falsch gebraucht?
Man bezeichnet andere Leute viel zu oft als Helden, es ist fast schon eine Redewendung. Viele Menschen nutzen den Begriff auch einfach nur um zu zeigen, dass sie jemanden für seine Taten wertschätzen. Um ihre Dankbarkeit auszudrücken. Meiner Meinung nach ist das dann kein Held. Jemand ist dann ein Held, wenn er sich für die Menschheit oder Umwelt einsetzt.
In den USA werden Soldaten beispielsweise oft als Helden gefeiert, obwohl ich der Ansicht bin, dass das, was sie tun, schrecklich ist. In China ist es eigentlich fast genauso wie in den USA. Die Regierung bezeichnet alle Soldaten als Helden, wobei das ja eher Propaganda ist. Als würde man versuchen, Kinder anzulocken und sie dazu zu ermutigen, Soldaten zu werden, weil sie dann auch Helden sind. Viele Menschen in der Bevölkerung stimmen der Regierung zu, ich sehe das aber nicht ein. Politiker werden dort auch als Helden bezeichnet, wie der Präsident Chinas. Die Menschen bewundern ihn sehr, wenn sie sehen, wie lange er arbeitet, oder wenn er kleinere Städte besucht, um sich mit den Bewohnern zu unterhalten. Für sie ist er ein Held. Das ist alles Propaganda, es ist schließlich sein Job, diese ganzen Dinge zu tun. Mein Problem ist, dass man das Wort Held einfach zu oft benutzt.
In Europa und Amerika ist der Gedanke, dass jeder ein Held sein kann, sehr beliebt, und es werden sehr viele Menschen, die deiner Ansicht nach keine wären, als Helden bezeichnet. Wie sieht es denn in China aus?
In China gibt es so eine Art Mainstream-Denken darüber, was ein Held ist, das von der Regierung befürwortet und gesteuert wird – wie etwa im Fall der Soldaten. Bei Politikern ist es aber so, dass nur bestimmte von der Regierung als Helden anerkannt werden. Zwei davon sind Mao Tse-Tung und Xi Jinping, der aktuelle Staatspräsident. Tse-Tung hat schreckliche Dinge getan, die in China nicht wirklich angesprochen werden, schon fast ignoriert werden. Man redet einfach nicht darüber. Die Menschen wissen darüber Bescheid, reden aber nicht über die Details, weil Tse-Tung ein Held ist und auch von der Regierung als einer hingestellt wird.
Jinping ist narzisstisch, mehr als jeder andere in der Geschichte Chinas. Neben Tse-Tung ist er der Einzige, der so viel Aufmerksamkeit und Bewunderung bekommt. Es gibt sehr viele Poster und Skulpturen von ihm; die Regierung betreibt Propaganda, um ihn als bewundernswerten Helden darzustellen. Er sei doch ein Held des Modernen Chinas, weil China dank ihm so viele Fortschritte macht und am Höhepunkt ist. Nach der Kulturrevolution unter der Regierung Tse-Tungs wollten die Menschen nicht mehr, dass jemand wie Tse-Tung wieder an die Macht gelangt, aber so viel Zeit ist vergangen und Jinping hat es dann doch irgendwie geschafft.
Wenn man amerikanische Superheldenfilme mit den chinesischen vergleicht, gibt es da Gemeinsamkeiten?
Chinesische Superheldenfilme sind durch den Nationalismus in China geprägt. Menschen, die für ihr Land kämpfen und sich dabei auch opfern, sind in solchen Filmen Helden. Zwei beliebte Filme, die das gut darstellen, sind Operation Red Sea und Special Force: Wolf Warrior 2. Ich bin aber der Meinung, dass das auch das Mainstream-Denken in China reflektiert. Viele Menschen bewundern Soldaten und jegliche Politiker, die sich für das Land einsetzen. Man sollte dann trotzdem nicht vergessen, dass jegliche Medien, Filme und Literatur von der Regierung kontrolliert werden und dass alles, was veröffentlicht wird, erst begutachtet wird. Dieses Denken wird also gezielt von der Regierung beeinflusst.
Wer ist dein persönlicher Held und warum?
Was ich komisch finde ist, dass manche Helden auch Idioten sein können. Mao Tse-Tung war der erste Präsident im Modernen China; er war eine großartige Person, als er den Krieg gegen die Japaner gewonnen hat. Er hat China auf ein anderes Level gebracht. Aber was er dann danach gemacht hat, finde ich schrecklich. Er hat sehr viele Menschen, die ihm nicht zugestimmt haben, umgebracht. Im ersten Teil wäre er dann für mich ein Held, aber im zweiten Teil wäre er ein Monster.
Ein anderer, persönlicher Held ist zum Beispiel dieser Kanadier, dem ich auf Instagram folge. Er ist Fotograf für National Geographic und fotografiert hauptsächlich Tiere, die unter Wasser leben, rund um den Globus. Sein Ziel ist es den Menschen klarzumachen, dass unsere Umwelt immer schlechter wird. Und dass Menschen diese Tiere, die vom Aussterben und Klimawandel bedroht sind, schützen sollten. Er riskiert sein Leben beim Tauchen, um Material für seine Dokumentarfilme zu sammeln, nur um Leuten zu zeigen, dass etwas Ernstes mit unserer Umwelt passiert.
Was andere über das Thema Helden denken, kannst du hier lesen.
Es ist sehr interessant, dass hier (politische) Repräsentation, Propaganda und Heldendarstellung bei Soldaten und Politikern in Opposition zu wahrem Heldentum stehen. Diese Aspekte werden in der Debatte um Helden oft nicht berücksichtigt. Gutes tun aus Gründen der Selbstdarstellung ist nicht schwer, die Kunst besteht vermutlich darin, etwas Gutes zu tun, ohne darüber zu sprechen.