Im Alltag kennen die Experimente mit den eigenen Haaren nur selten Grenzen. Aus lockig muss glatt werden, aus blond brünett. Und irgendwie kriegt es die Friseurin/der Friseur unseres Vertrauens hin, den Vorstellungen einigermaßen gerecht zu werden. In der Fiktion, insbesondere im Animationsfilm ist die Umsetzung von menschlichem Haar aber eine der größten Herausforderungen.

Der Zeichentrick- oder Animationsfilm kam mit dem Medium Bewegtbild auf und ist nach wie vor bei den Zuschauern sehr beliebt. Doch wenn es darum geht, zu ergründen, wie die Technik dahinter funktioniert, setzen sich nur die wenigsten damit auseinander. Mit jedem neuen Film, der über die Jahre in die Kinos kam, wurde ein neuer Meilenstein hinsichtlich von Animationstechnik und Realismus gesetzt. Diese Entwicklung lässt sich insbesondere am Beispiel der Haare verdeutlichen, die immer lebensechter geworden sind. Ob nun per Zeichentrick oder am Computer generiert, jede Technik bietet andere Voraussetzungen.

Arielle — Ein haariger Kompromiss?

Hätte Arielle lieber gern Locken gehabt?

Hätte Arielle lieber gern Locken gehabt? © Giphy

Als der Computer noch nicht das gängige Hilfsmittel war, um Figuren zu animieren, und noch keine endlose Rechenpower zur Verfügung stand, waren auch die Effekte noch nicht so detailreich wie heute. Man musste sich also anders behelfen. Disneys „Arielle die Meerjungfrau“ (1989) ist hierfür exemplarisch. Arielle sollte in den ursprünglichen Überlegungen der Macher lockiges Haar haben, anstatt der uns bekannten, einheitlichen roten Haarpracht mit ein paar Konturen. Die Technik von damals erlaubte es jedoch nicht, einzelne Strähnen darzustellen. Die Umsetzung gelang mit einem analogen, foto-elektrischen Druckverfahren, auch Xerografie genannt.

Dieses funktionierte allerdings nicht so präzise wie eine Software am Computer und lieferte daher nur Ergebnisse in geringer Auflösung. Es führte unter anderem dazu, dass das Haar von Arielle als einzelne Welle unnatürlich wirkte. Vielen Zuschauern, vor allem den jüngeren, tat dies jedoch im Bezug auf den Filmgenuss keinen Abbruch. Man kann die Frisur aber auch als eine Art Stilisierung verstehen. Denn die wallende Mähne von Arielle war durchaus beindruckend. Geschmeidig, voluminös und so gar nicht kraus, eben ein für viele unerreichbares Ideal.

Computergenerierte Haare — Die Anfänge

So sympathisch die Figuren aus den alten Zeichentrickfilmen auch waren, so schnell folgte irgendwann der Wandel. In den 1990er-Jahren wurde vermehrt auf computergenerierte Effekte umgestellt, und der klassische, handgemachte Zeichentrick verschwand nach und nach von der Bildfläche. Der Animationsfilm steckte allerdings erst in den Kinderschuhen. Die Darstellung sah zwar realistischer aus als das, was man bisher in dem Bereich kannte. Dennoch war sie noch weit von der angestrebten Perfektion entfernt.

Menschenhaare in "Toy Story (1995)" unterscheiden sich nur unwesentlich von denen der Spielzeugcharaktere

Menschenhaare in „Toy Story (1995)“ unterscheiden sich nur unwesentlich von denen der Spielzeugcharaktere © Giphy

Ein Beispiel hierfür ist der erste computeranimierte Animationsfilm in Spielfilmlänge „Toy Story!“ von 1995. Ein Film, der zum Großteil von Spielzeug-Charakteren handelt, in dem aber auch vereinzelt Menschen zu sehen sind. Deren Filmauftritte wurden jedoch auf ein Mindestmaß reduziert, denn man sieht in vielen Szenen nicht mal ihre Köpfe. Da man sie jedoch nicht die ganze Zeit „verstecken“ konnte, sorgte dies bei so manchen Zuschauern für Irritationen. Die Figuren sahen für die damaligen Verhältnisse zwar gut aus, allerdings fällt insbesondere bei den Haaren etwas auf: Sie wirkten wie eine Art Helm.

Diesen Sinneseindruck beim Publikum nennt man in der Filmsprache „Uncanny Valley“, zu deutsch: „unheimliches Tal“ oder „Akzeptanz-Lücke“. Der Zuschauer nimmt das Gesehene also nicht mehr nur als gute Animation wahr, sondern als Abbild der Realität, bei der irgendetwas nicht zu stimmen scheint. Gerade bei animierten Menschen tritt dieser Effekt häufiger auf, was mitunter ein Grund ist, warum sich die großen Filmstudios wie Disney oder Pixar oft entscheiden, Tiere oder andere Wesen als Hauptcharaktere zu nehmen.

Merida – Legende des neueren Animationsfilms

Mit der Zeit kam durch gewachsenen Mut und Anspruch auch die Möglichkeit auf, sich an den Detailreichtum der Haare zu wagen. Disney beziehungsweise Pixar konnte mit den Filmen „Die Monster AG“ (2001), „Die Unglaublichen“ (2004) und vor allem „Rapunzel – Neu verföhnt“ (2010) große Erfolge feiern, was die Darstellung von Haaren angeht. Der bemerkenswerteste Sprung gelang Pixar dabei mit dem Abenteuer-Animationsfilm „Merida – Legende der Highlands“ (2012). Hier setzten die Macher nämlich genau das um, was mit „Arielle“ gut drei Jahrzehnte zuvor noch nicht möglich war: die umfassende Gestaltung von feinen, lockigen Haaren der Protagonistin Merida. Der Film dreht sich um die gleichnamige Heldin, eine lebhafte, schottische Prinzessin, die sich in ein Abenteuer stürzt und ihr Königreich von einem Fluch befreien will. Um eben diese Lebhaftigkeit der Prinzessin zu unterstreichen, bedarf es echten lockigen Haars.

„Lockiges Haar trotzt der Schwerkraft“ – Claudia Chung, Simulation Supervisor von Pixar

Ein Haarschopf aus 1.500 Kurven

Der für „Die Monster AG“ erstmals etablierte und zuvor eingesetzte Haar-Simulator konnte diesen Anforderungen nicht gerecht werden. So wurde im Vorfeld der Produktion für „Merida“ eine innovative Software entwickelt. Ein neuer Algorithmus machte es möglich, die Locken ähnlich dem physikalischen Verhalten einer elastischen Sprungfeder zu bewegen. Sie ziehen sich auseinander, wenn die Figur sich bewegt, und hüpfen in die Ausgangsposition zurück, wenn die Figur wieder ruht. Zudem setzt sich Meridas glänzend roter Haarschopf aus 1.500 individuell gefertigten Kurven zusammen, die alle physikalisch korrekt aufeinander reagieren. Das Ergebnis ist eine der ikonischsten Haarprachten der jüngeren Animationsgeschichte, die trotz ihrer imposanten Erscheinung fotorealistisch erscheint und nur in den feinsten Details stilisiert wurde.

Nichtsdestotrotz können die Macher hinter den Kulissen nur mit der Technik arbeiten, die ihnen zum Zeitpunkt der Produktion gegeben ist. Wer weiß also, was uns in Zukunft an Animations-Praktiken erwartet. Vielleicht erscheinen uns die Haare von Merida in zehn Jahren also auch wieder als unrealistisch. Was aber gewiss immer bleibt, ist die Identifikation mit den Motiven der Charaktere.

 

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3 Kommentare
  1. Sahra
    Sahra sagte:

    Tatsächlich war Merida durch den detaillierten Facettenreichtum ihrer Haare der Animationsfilm, der bei mir großes Staunen auslöste und mein Herz für Animationsfilme öffnete. Als Verfechterin des alten Zeichtrick-Disneyfilms hatte es Animation bei mir anfangs wirklich schwer. Mittlerweile bin ich aber echt begeistert und manchmal auch ein bisschen unheimlich berührt, wie realistisch Animation aussehen kann. Auf jeden Fall ein cooler Beitrag zum Thema!

  2. njohn
    njohn sagte:

    Als Kind haben mich die (unrealistischen) Haare von Arielle & Co. tatsächlich nie wirklich gestört. Wie du sagst, es tut dem Filmgenuss keinen Abbruch 🙂 Trotzdem hat sich seitdem natürlich einiges gemacht und es ist spannend zu sehen, wie sich die Technik bei Animationsfilmen im Laufe der Jahre verändert und verbessert hat. Und was heute alles möglich ist. Ein sehr interessanter Beitrag!

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  1. […] seit Pippi Langstrumpf denkt man sofort an ein freches und unabhängiges Mädchen. Dazu die Locken, die sich unter keine Haube zwängen […]

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