Es ist eine Saga, die schon Jahrtausende alt ist, es jedoch bis ins 21. Jahrhundert überstanden hat: die des Donnergott Thor. Marvel hat es geschafft, die Figur Thor an unser heutiges Verständnis von Helden anzupassen und damit kommerziell sehr erfolgreich zu sein. Aus dem alten nordischen Gott wurde ein Superheld.
Wer heutzutage ein Gewitter erlebt, denkt zunächst an vieles – an umgestürzte Bäume, an das offene Fenster zuhause, an den vergessenen Regenschirm oder vielleicht sogar an die verschiedenen physikalischen Mechanismen, die sich bei dem Naturschauspiel abspielen. Eher wenige verbinden damit etwas Mystisches, ja sogar Göttliches. Reist man um einige Jahrtausende zurück, in den Norden von Europa, fallen die Assoziationen schon etwas anders aus. Verantwortlich für das Grollen und Krachen ist der Sohn des Göttervaters Odin, Thor.
Thor, der Donnergott
Der Donnergott Thor ist nach Odin der oberste und gefürchtetste der Götter. Furchtbar fährt Thor auf seinem Wagen daher, rollend, donnernd, über den Wolken, gezogen von Ziegenböcken. Noch furchterregender ist er, wenn er seinen Hammer „Mjölnir“ schwingt, gegen die Feinde der Götter und der Menschheit. Als Held und Verteidiger alles Lebens wird er verehrt, doch gleichzeitig wird sein Zorn gefürchtet. Es ist also kein Wunder, dass die Legende von Thor die Jahre überstanden hat, auch wenn heute vermutlich eher der Klimawandel anstatt Thor für ein heftiges Gewitter verantwortlich gemacht wird.
Das Heldenbild des allmächtigen und furchterregenden Gottes scheint in unserer Zeit jedoch nicht mehr den Reiz zu haben, den es früher hatte. Aufgrund dessen haben diverse Produzenten das Bild des Thor angepasst an unser modernes Bild eines Helden. Besonders Marvel und deren Mastermind Stan Lee haben mit der Figur Thor in ihren Comics und späteren Filmadaptionen das Bild des alten Thor aufpoliert und für das moderne Publikum zugänglich gemacht.
Thor als Marvel-Held
Marvel ist ein amerikanischer Comic-Verlag, der seit 1939 zahlreiche Superhelden zum Leben erweckt hat (darunter unter anderem Superman, Hulk und viele weitere bekannte Figuren). Die Filme, die auf diesen Comics basieren, gehören zu den erfolgreichsten weltweit. Das Besondere an dem sogenannten „Marvel Cinematic Universe“ (MCU) ist, dass es sich hierbei um mehrere Filmreihen handelt, die jeweils die Geschichte ihres Haupt-Superhelden erzählen. Gleichzeitig kann dieser aber auch auf andere Bewohner des MCU treffen. So sind die einzelnen Filme oft stark miteinander verwoben.
In der Comicserie „Thor“ ist der gleichnamige Superheld ursprünglich ein gehbehinderter Arzt namens Donald Blake, der in einer Höhle in Norwegen einen Stock entdeckt. Dieser verwandelt sich dann in den Hammer Mjölnir und verleiht seinem Besitzer die göttlichen Fähigkeiten des Thor. In späteren Comics wurde die Geschichte in so weit verändert, dass Odin seinen Sohn als Bestrafung ohne Gedächtnis auf die Erde geschickt hat, welcher dann zu Donald Blake wurde und langsam sein Gedächtnis wiedererlangt.
Diese Erzählstruktur und Herkunftsgeschichte findet man in nahezu jeder zeitgenössischen (Super-)Heldengeschichte und Verfilmung: eine eigentlich „normale“ Person kommt auf irgendeine Weise zu besonderen Kräften, die sie zunächst verwirren. Dann tritt eine Bedrohung auf und der einstige Normalo wächst über sich hinaus und schafft es zum Helden für viele zu werden.
Der erste Teil der Filmreihe zu dem nordischen Gott ( „Thor„) bricht mit dieser Struktur. Wir lernen Thor in Asgard, der Heimatstadt der Götter im Weltall, kennen. Er ist zwar ausgesprochen mächtig und erfahren im Kampf, jedoch auch überheblich und arrogant. Als er aufgrund dessen einen Jahrhunderte alten Krieg erneut entfesselt, verbannt ihn sein Vater Odin auf die Erde. Bei dem Aufprall auf unserem Planeten verliert er seinen Hammer und damit auch einen großen Teil seiner Macht. Kurz nach seiner unsanften Landung trifft er auf das Forscher-Trio Jane Foster, Erik Selvig und Darcy Lewis, die im Laufe des Films zu seinen Gefährten werden. Thor muss sich nun auf die Suche nach seinem Hammer begeben und entwickelt sich dabei vom zornigen, pubertären Jungen zu einem sympathischen, witzigen jungen Gott. Dieser ist den Menschen, mit all ihren Emotionen und Fehlern, doch ähnlicher, als er selbst geglaubt hat. Auf seiner Suche wird er von alltäglichen Kleinigkeiten der Menschenwelt überrumpelt, muss die Enttäuschung seines Vaters verarbeiten und gleichzeitig mit seinem zornigen und machthungrigen Adoptivbruder Loki fertig werden.
Ob Thor seinen Hammer wiederfindet? Wie sich wohl die Gefühle zwischen ihm und der Forscherin Jane weiterentwickeln? Ob Thor am Ende seine Arroganz gänzlich ablegen kann um zum selbstlosen Held der Menschheit werden zu können? Dies soll hier nicht aufgelöst werden.
Wir lieben Verwundbarkeit
Während Thor in den nordischen Sagen ein allmächtiger Gott als ein Held war, ist der moderne Marvel-Thor schon eher der klassische Superheld. Die Faszination des Gottes, der über Wetter herrscht und fast jedes Ungeheuer besiegen kann, ist heute noch vorhanden. Jedoch hat Marvel, die primär unterhalten wollen, schon in den Comics erkannt, dass ein unbesiegbarer und furchteinflößender Gott nicht den größten Unterhaltungsfaktor bieten wird. Wer will schon über jemanden lesen, der nie Probleme hat?
Durch die „Umwandlung“ des Gottes in einen eher klassischen Helden wird die Figur um einiges zugänglicher. Er besitzt immer noch die Stärke eines Gottes und ist sicherlich auch furchteinflößend. Gleichzeitig macht er Fehler, die er – ganz Mensch – zunächst nicht einsehen kann. Er lacht, trauert, liebt und zweifelt an sich selbst. Trotzdem handelt er selbstlos und wäre bereit, sein eigenes Leben für seine Lieben zu geben – ob der Gott Thor soweit gegangen wäre?
Speziell Superhelden sind immer in gewisser Weise verwundbar, emotional oder körperlich. Sonst wären sie zu übermächtig, zu weit weg von uns, ja schlichtweg zu langweilig. Und trotz dieser Schwächen stellen sie sich (meist) vollkommen in den Dienst der Gerechtigkeit. Sie zeigen uns: jeder von uns kann ein Superheld werden. Natürlich glauben die wenigsten Erwachsenen daran, an Kräfte durch radioaktive Spinnen oder super Genmanipulationen. Trotzdem kann man sich mit ihnen identifizieren. Die Geschichten wirken, denn wir lieben diese Unperfektheit unserer Helden.
Beitragsbild: Pixabay
Interessanter Beitrag. Ich kannte die Comic Geschichte von Thor gar nicht, sondern nur den Film. Die Figur von Donald Blake scheint mir noch weiter vom Ursprung Thors entfernt zu sein, als die Darstellung im Film.