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Aus den Augen aus dem Sinn? Der eindringliche Dokumentarfilm „Plastic China“ des chinesischen Regisseurs Jiu-Liang Wang führt uns vor Augen, welches Leben diejenigen führen, die unseren Plastikmüll für uns recyceln.

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Der American Dream ist für viele US-Amerikaner*innen und Immigrant*innen auch heute noch relevant. Doch wie sehen die Chancen aus, ihn auch zu erreichen? Und trägt Amerikas Traumfabrik Hollywood durch Filme und Serien dazu bei, die scheinbaren Ideale der USA zu verstärken? Ein kleiner Rundumblick. Weiterlesen

„Träum weiter“ – mit diesem dumpfen Gefühl, uns etwas Unrealistisches und Irreales in den Kopf gesetzt zu haben, bleiben wir oft zurück und verwerfen unsere Ideen. Dagegen wendet sich Regisseur Valentin Thurn mit seinem Dokumentarfilm Träum weiter! Sehnsucht nach Veränderung, der im September 2021 in die deutschen Kinos kommt. Er gibt der Redewendung eine ganz neue Bedeutung und ermutigt die Zuschauer*innen, zu neuen Ufern aufzubrechen.

Ein One-way-Ticket auf den Mars – diese Idee halten die meisten wahrscheinlich für eine skurrile Spinnerei. Günther Golob nicht. Er träumt davon, bei der ersten Mars-Kolonialisierung dabei zu sein und hat dafür sogar die Leitung einer Kulturagentur in Graz aufgegeben. Seither konzentriert er sich ausschließlich auf seine Bewerbung für die sogenannte Mars-One-Mission und erklärt: „Sicherheit, das war mit 40-Stunden-Job, Familie – ja alles gut, recht und schön, aber nur für mich war es zu wenig, ich musste ausbrechen aus meinem Leben.“ Und tatsächlich, die erste Prüfung hat er bestanden: Von über 200 000 Bewerber*innen wurde er mit 99 anderen für die letzte Runde ausgewählt. Der Marsflug ohne Rückkehr ist von einer privaten Investoren-Gruppe für 2026 geplant. Im Anschluss sollen weitere Flüge weitere Menschen zu dem fernen Planeten bringen.

„Das ist für mich ein riesengroßes Abenteuer. Wahrscheinlich das größte in meinem Leben und als einer der Ersten da zu sein, der sowas erleben darf, sprengt eigentlich jegliche Vorstellungskraft, aber das ist genau das, was ich will“, so Golob.

Fünf unterschiedliche Lebensträume

Van Bo Le-Mentzel in einem seiner Tiny-Häuser. © AlmodeFilm

Neben ihm sind es noch vier weitere Protagonist*innen, die der 58-jährige Regisseur Valentin Thurn über drei Jahre lang auf ihrem Weg, ihre ganz individuellen Träume zu verwirklichen, begleitet hat. Van Bo Le-Mentzel, der früher Planer eindrucksvoller Shoppingmalls und Museen war, hat seinen gut bezahlten Job während der Schwangerschaft seiner Frau an den Nagel gehängt. „Ich habe viele Dinge gemacht, die eigentlich nichts bedeuten“, sagt der Architekt. „Ich wusste, ich muss irgendwas tun, was anderen Menschen auch hilft.“ Jetzt entwirft und baut er Tiny-Häuser, schafft dadurch öffentliche Begegnungsstätten, und träumt von Wohnraum für alle und mietfreiem Wohnen – mitten in Berlin.

Carl-Heinrich von Gablenz träumt von nachhaltigen Luftschiffen. © AlmodeFilm

Auch Carl-Heinrich von Gablenz hat sein Job als erfolgreicher Manager in einem Maschinenbau-Konzern nicht mehr erfüllt. Stattdessen hat er die Idee entwickelt, Schwerlasten mit Ballons schweben und transportieren zu lassen. Hierfür kämpft er immer weiter. Obwohl er während der Finanzkrise schon einmal mit seiner Erfindung Pleite gegangen ist, hält er daran fest und gibt die umweltfreundliche Alternative zum Flugzeug nicht auf.

Ein Symbol gegen den Klimawandel setzt auch der Designer Joy Lohmann. Er träumt davon, schwimmende Recycling-Inseln aus Müll zu bauen, um so beispielsweise Menschen vor der Überschwemmung zu retten und aufzunehmen. In eine ganz andere Richtung geht der Wunsch von Line Fuks: Sie und ihre Partnerin Katja wandern gemeinsam mit den Kindern nach Portugal aus, damit diese nie mehr in die Schule müssen und ihnen das Freilernen in Eigenregie ermöglicht werden kann.

Joy Lohmanns Recycling-Inseln mit Symbolkraft. © AlmodeFilm

Line Fuks‘ Kinder lernen auf einem Bauernhof in Portugal in Eigenregie – ganz ohne Schulpflicht. © AlmodeFilm

„Nur wer träumt, kann auch wirklich Zukunft erfinden“

Dokumentarregisseur Valentin Thurn ©ThurnFilm

„Wir haben hinter den Filmtitel bewusst ein Ausrufezeichen gesetzt“, erklärt Valentin Thurn im Interview mit Zwischenbetrachtung. „Wohlwissend, dass es diese negative Konnotation gibt, denn da kann man natürlich nicht dran vorbeigehen, dass Träumer oder Visionäre in dieser Gesellschaft oft nicht ernst genommen werden. Wir meinen das aber affirmativ, denn nur wer träumt, kann auch wirklich Zukunft erfinden.“ Bei Kino-Diskussionen um seine beiden mehrfach ausgezeichneten Filme Taste the Waste und 10 Milliarden – wie werden wir alle satt?, in denen er sich mit den Themen Welternährung und Lebensmittelverschwendung beschäftigt hat, habe er beobachtet, dass vor allem die jüngere Generation nach grundlegenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft strebe und auf der Suche nach echten Alternativen sei. In einer Zeit des andauernden Produzierens und Konsumierens, der fehlenden Ruhe und Überreiztheit der Sinne bleibe häufig keine Zeit zum Reflektieren und Träumen. Die Folge: keine Zukunftsentwürfe und -visionen, keine Alternativen zum Bestehenden.

„Ich will dazu beitragen, diese Lähmung zu überwinden, indem ich zeige, wie Menschen neue Visionen und Utopien entwerfen und auch versuchen, diese zu realisieren. Manches davon ist handfest, anderes vielleicht eher unrealistisch. Aber das ist nicht entscheidend: Wichtig ist, dass wir uns wieder darauf fokussieren, das eigene Potential zu erkunden und etwas zu wagen“, so Thurn.

Momente des Nichtstuns und sinnfreien Auswohnens

Auch er selbst habe sich lange Zeit in einem Hamsterrad befunden, in dem ihm die Momente gefehlt hätten, die er im Sinne seines Films als Träume definiert: „Ich meine damit nicht das Träumen in der Nacht, sondern ich meine die schöpferischen Momente, die Momente sinnfreien Auswohnens. Gedanken, die manchmal aus dem Nichtstun oder bei Routinetätigkeiten, sei es beim Fahrradfahren, Laufen, Aus-dem-Fenster-Starren oder Duschen jenseits der Arbeit entstehen. Wenn man das zulässt, entsteht Neues. Das sind die Träume, die ich meine.“ Dabei gehe es zunächst einmal nicht um gewinnbringende Projekte, betont Thurn. Sie seien oftmals vielmehr jenseits des Geldverdienens angesiedelt – „man macht etwas, weil man es für richtig erachtet.“ Und zwei Eigenschaften dürfen dabei nicht fehlen, weiß der Regisseur nach den drei Jahren: Selbstliebe und eine Portion Größenwahn.

Der Film läuft ab dem 30. September 2021 in den deutschen Kinos. © AlmodeFilm

Titelbild: © AlmodeFilm

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Grüne Käfer, rote Schuhe oder gelbe Blumen. Farben in Träumen faszinieren uns und regen nicht selten zur Traumdeutung an. Aber was ist, wenn wir in Schwarzweiß träumen? Wie das mit unseren Medienerfahrungen zusammenhängen könnte, klärt ein Blick in die ‚Traumfarbforschung‘ der letzten hundert Jahre.  

Ein Kind sitzt auf einem Dreirad. Die Räder quietschen, das Lenkrad wackelt und der Blick nach vorne offenbart eine menschenverlassene Stadt. Unzählige Wolkenkratzer machen ihrem Namen alle Ehre und verschwinden im Grau des Himmels. Die Gassen dazwischen engen auf den ersten Blick ein. Sobald das Dreirad um die Ecke quietscht, breitet sich die Entfernung zwischen den Betonfassaden jedoch ins Unendliche aus. Eine Unendlichkeit von Schwarz-, Weiß- und Grautönen. Kein Fensterrahmen, kein Straßenschild, keine Dreiradpedale in dieser Stadt sind in Farbe getaucht. Alles ist schwarzweiß. An diesen Traum kann ich mich erinnern, seit ich Dreirad fahren kann. Zumindest glaube ich mich daran erinnern zu können. Ein Traum ganz ohne Farbe – kann das überhaupt sein?  

Traum oder Film?

Die Traumforschung ist sich darin einig, dass Sorgen, Tätigkeiten und Erfahrungen aus dem Alltag den Inhalt eines Traums beeinflussen. Meine Dreiradfahrt durch den schwarzweißen Großstadtdschungel erinnert jedoch eher an eine Szene aus einem Film Noir. In der nächsten Sequenz könnte sich ein graugekleideter Ermittler, an eine Betonwand gelehnt, seine Zigarette anzünden. Eine in Schatten getauchte Frau würde derweil in eines der Hochhäuser stöckeln, den Blick des Ermittlers auf ihrem Rücken…

Bereits 1926 sprach der Regisseur René Clair von einer besonderen Nähe zwischen Zuschauer*innen eines Kinofilms und Träumenden, die in den Bann ihres Traums gezogen werden. Der klinische Psychologe Robert Van de Castle beschreibt in seinem Buch Our Dreaming Mind tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Trauminhalten. Vor allem emotionale Szenen sollen demnach beeinflussen, welche Geschichten sich nachts in unserem Unterbewusstsein abspielen. Aber auch die formalen Aspekte von Medien scheinen sich in Träumen wiederzufinden. 1961 behauptete der Psychoanalytiker Ángel Garma sogar, Träume seien wie Stummfilme, ohne Ton oder Farbe.

Technicolor-Träume

Können Medien also auch beeinflussen, ob wir in Farbe träumen oder nicht? Die Psychologin Eva Murzyn wollte in einer 2008 veröffentlichten Studie genau diese Frage beantworten. Hintergrund dafür lieferten Unstimmigkeiten, die der Philosoph Eric Schwitzgebel feststellen konnte, als er frühe Traumstudien mit später durchgeführten Erhebungen verglich. Im frühen 20. Jahrhundert waren nicht nur Filme schwarzweiß, sondern auch Träume sollen im Regelfall keine Farben enthalten haben. In einer 1915 durchgeführten Studie träumten nur 20 Prozent der Proband*innen in Farbe. Ebenfalls im Jahr 1915 gründete der US-amerikanische Geschäftsmann Herbert Kalmus das Filmunternehmen Technicolor, welches circa vier Jahrzehnte später den Farbfilm revolutionieren sollte. Nicht ohne Grund nannten Traumforscher*innen Farbträume damals ‚Technicolor-Träume‘.

Während sich heute ganze Webseiten und Bücher der Frage widmen, was bestimmte Farben im Traum zu bedeuten haben, waren all diese Traumfarben in den Fünfzigern nur eins: Symptome einer psychischen Krankheit. Forscher*innen des St. Louis Krankenhauses in Missouri fanden diese bei psychisch erkrankten Patient*innen etwa drei Prozent häufiger als bei anderen Patient*innen des Krankenhauses. Auffällig ist nun, dass sich diese Auffassung in den Sechzigern änderte. In einer Studie von 1962 gaben rund 83 Prozent der Befragten an, in Farbe zu träumen. Parallel zu diesem neuen Farbanstrich der Traumwelt machte aber auch eine ganze Industrie Fortschritte in Richtung Farbe: die Filmindustrie.

Medien als Traumvorbilder

Die Dreistreifenkamera von Technicolor revolutionierte Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts die Filmindustrie. © Marcin Wichary

Die internationalen Kinoleinwände erstrahlten ab den Vierzigern in immer mehr Farben, Ende der Sechziger produzierte die Traumfabrik fast alle Filme in Color. Zudem besaß die Mehrheit aller US-amerikanischen Haushalte 1972 einen Farbfernseher. Farbmedien ersetzten Stück für Stück ihre schwarzweißen Vorgänger. Eva Murzyn stellt in ihrer Studie zwei Ansätze vor, die erklären, wie diese Entwicklung für den Umbruch in der Traumforschung verantwortlich sein könnte: Entweder beeinflussen Medien direkt die Traumform und somit auch die Farbgebung, oder sie beeinflussen lediglich die Annahmen darüber, wie Träume auszusehen haben. Da Träume nur selten im Langzeitgedächtnis gespeichert werden, vergisst man schnell Details zu Form und Inhalt des Geträumten.

Allein die Annahme, dass Träume typischerweise schwarzweiß sind, kann die Wahrnehmung verzerren und eigene Träume im Nachhinein farblos erscheinen lassen. Frühe Dokumentationen zu Träumen legen laut Murzyn nahe, dass Menschen vor dem 20. Jahrhundert mehrheitlich in Farbe träumten. Damals, so argumentiert die Psychologin in ihrer Dissertation, gab es auch noch keine Filme, die als Vorlage zur eigenen Realitäts- und Traumwahrnehmung dienten. Menschen, die hauptsächlich Schwarzweißfilme konsumieren, passen ihr Traumerlebnis also an das mediale Vorbild an. Die Träume erscheinen somit in Retroperspektive farblos.

Die Farben der Kindheit

Und wie kommt es, dass Menschen heute noch behaupten, schwarzweiße Träume zu haben? Eva Murzyn untersuchte in ihrer Studie die Träume von 60 Personen darauf, ob sie diese als grau oder bunt wahrnehmen. Dabei teilte sie die Proband*innen in zwei Gruppen auf: die unter 25-Jährigen und die über 55-Jährigen. Den Traumtagebüchern und Befragungen konnte Murzyn schließlich entnehmen, dass in der jungen Gruppe durchschnittlich nur etwa 4 Prozent der Träume schwarzweiß ausfallen. Die älteren Proband*innen hingegen konnte sie nochmals in zwei Gruppen spalten. Diejenigen, die bereits im Grundschulalter Farbfernsehen konsumierten, träumten zu über 90 Prozent in Farbe. Von den Studienteilnehmenden, die mit Schwarzweißmedien aufwuchsen, behauptete jede*r Vierte noch immer, in Grautönen zu träumen. „Es könnte also eine kritische Periode in der Kindheit geben, in der Filme eine wichtige Rolle dabei spielen, wie unsere Träume aussehen“, mutmaßt Murzyn. 

Der schwarzweiße Großstadttraum aus meiner Kindheit kann also noch immer nicht vollständig erklärt werden. Ich gehöre zweifellos zur Generation Farbfernsehen und träume auch sonst nicht in Grautönen. Aber wer weiß, vielleicht hat das dreiradfahrende Mädchen vor dem Schlafengehen ein paar Blicke auf einen schwarzweißen Krimi erhaschen können. Oder vielleicht verzerrte ein späterer Stummfilmmarathon die Erinnerung an die Fahrt durch den Wald aus Wolkenkratzern. Denn Medien haben eine Wirkung auf die Farbwelt unserer Träume – egal, ob sie sich bereits im Schlaf in Grautönen abspielen oder unser Gedächtnis das Geträumte erst im Nachhinein schwarzweiß einfärbt. 

© Titelbild: Unsplash

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Von wegen, Grün steht für Ruhe und Hoffnung. In diesen acht Disney-Filmen spielt die Farbe Grün eine bedeutende Rolle, wenn es um die Bösewichte und deren magische Kräfte geht. Ihre Gemeinsamkeit: Das Böse ist grün! Doch um den Schurken ihren durch und durch bösen Charakter zu verleihen, dürfen zwei weitere Farben ebenfalls nicht fehlen. Weiterlesen

Bei Nacht können Schatten bedrohlich wirken. Wäscheberge auf Stühlen verwandeln sich in stumme Beobachter, die in der Dunkelheit lauern. Doch was passiert, wenn man das Licht anmacht und auf dem Stuhl tatsächlich jemand sitzt? Nachtsichtaufnahmen in Horrorfilmen spielen mit dieser Furcht vor den Schatten und zeigen, was uns eigentlich wirklich Angst macht.
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Wer kennt sie nicht, die grünen Ziffern der Matrix, die den Bildschirm runterlaufen. Und nicht nur hier spielt die Farbe Grün eine wichtige Rolle. Auch alle Szenen, die sich in der Matrix abspielen, sind von einem Grünstich durchzogen. Sogar Sushi hat damit zu tun – und das ist garantiert kein Fehler in der Matrix! Weiterlesen

Irgendwas mit Medien, als Influencer mit coolen Videos viel Geld verdienen, meine Leidenschaft zum Beruf machen. Das wollen viele, aber wie geht das? Weiterlesen

Schnelle Schnitte in Pappe. Ritsch, ratsch, ritsch, ratsch. So schnell, wie kaum jemand schneiden kann. Wenn ich mit der Schere so schnell schneiden würde, wäre das Endprodukt höchstens als Konfetti verwendbar. Nicht so bei Lotte Reiniger. Bei ihr entstanden künstlerische, filigrane Scherenschnittfiguren in Sekundenschnelle. Sie machte Silhouetten, weil sie es konnte.  Weiterlesen

Womöglich ist jeder schon einmal aus dem Kinosaal gewandert, nachdem man endlich die lang erwartete Verfilmung des letzten Lieblingsbuches auf der großen Leinwand gesehen hat, und konnte sich diesen einen, oftmals weit verbreiteten Gedanken nicht verkneifen: „Okay, aber das Buch war irgendwie besser.“ Versuchen wir doch etwas Licht ins Dunkel zu bringen und zu klären, was die eigene Vorstellungskraft und das Eintauchen in fiktive Welten mit diesem Phänomen zu tun haben.

Vor dem Kinobesuch sind wir tief in diese Welt der Buchstaben eingetaucht, haben bei jedem Weiterblättern das Papier zwischen unseren Fingern gespürt und eine Seite nach der anderen verschlungen. Wir haben unserer Fantasie freien Lauf gelassen und Charaktere und Orte in unsere Köpfe projiziert – um uns dann ein visuelles Spektakel vor Augen zu führen, das in keiner Weise jemals unseren Vorstellungen entsprechen könnte.

Dabei bewegt sich die Wahrnehmung von Literaturverfilmungen innerhalb eines breiten Spektrums: von renommierten Buchadaptionen wie „Der Pate“, „Forrest Gump“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ bis zu Verfilmungen, die eher als Flop gelten, zum Beispiel „Fifty Shades of Grey“, „The Circle“ oder „Das Parfüm“. Darüber hinaus gibt es einige wahre Klassiker, bei denen die Buchvorlage tendenziell unbekannter ist, so etwa „Jurassic Park“, „Fight Club“, „Blade Runner“ oder diverse Werke von Stanley Kubrick und Alfred Hitchcock. Ein anderer Faktor, der in die Rezeption hineinspielt, ist der Umfang der Vorlage: Die Bekanntheit und der Anspruch einer mehrteiligen Buchreihe („Harry Potter“, „Der Herr der Ringe“) sind logischerweise höher als bei der Verfilmung einer Kurzgeschichte, die oft lediglich eine Inspiration für das Drehbuch darstellt („Minority Report“, „Das Fenster zum Hof“, „2001: Odyssee im Weltraum“).

Das Bauchgefühl sagt also gerne mal, dass die Mehrheit der Meinung wäre, das Buch sei besser gewesen. Tatsächlich überprüft wird das aber eher selten. In diesem Zusammenhang hat das audible magazin eine Studie durchgeführt, die über 100 bekannte Buchtitel mit Filmadaptionen vergleicht. Dazu wurden Userbewertungen der Reviewplattformen Goodreads und IMDb herangezogen und in einem Diagramm dargestellt.

Die Werke verteilen sich sehr breit entlang der positiven Trendlinie, allerdings auch in Richtung schlechtere Bewertungen. Die ausgewählten Buchvorlagen schneiden sowohl schwächer als auch besser als die Verfilmungen ab. Jedoch kann man nicht davon ausgehen, dass jede Person, die eine Verfilmung gesehen hat, zuvor ein Urteil über das Buch gefällt hat. Denn in der Regel sind es dann natürlich die Leser, die tatsächlich eine Aussage über den Vergleich von den beiden Versionen treffen können – und der fällt bekanntlich hin und wieder negativ aus. Aber warum ist das so? Für eine möglichst genaue Antwort auf diese Frage schauen wir uns Hintergründe und Einschätzungen aus der Wissenschaft an.

Medium versus Medium

Die Herausforderung einer Verfilmung besteht darin, das adaptierte Werk aus seiner Form zu entbinden und den technologischen und strukturellen Voraussetzungen des Films zu entsprechen. Dabei muss eine Balance zwischen Werktreue und künstlerischer Interpretation der Filmemacher geschaffen werden. Der wohl größte Unterschied zwischen den beiden Medientypen sind die sogenannten Zeichensysteme. Literatur bedient sich der Schrift und verbindet somit den ästhetischen Reiz von Papier, Wortwahl und Erzählperspektive. Den Film charakterisieren die audiovisuelle Erzählebene und damit der „kinematographische Code“, das heißt allen voran Bild, Ton und Sprache.

Aus diesem Gegensatz ergeben sich einige Hauptkritikpunkte bei Vergleichen von Büchern und deren filmischen Adaptionen. Die begrenzte Laufzeit von Filmen und die ebenso limitierte Aufmerksamkeit der Rezipienten müssen sich mit der Detailliertheit und zeitlichen Unbegrenztheit von literarischen Werken messen. Die Gefühls- und Gedankenwelt von Charakteren kann textlich viel einfacher und intensiver eingefangen werden, als es ein Schauspieler jemals darstellen könnte. Trotz der bildlichen Erzählebene des Films muss dieser oft an inhaltlicher Tiefe einbüßen. Denn Literatur vermittelt eine präzise Vorstellung der Autoren über die fiktive Welt und lässt gleichzeitig ausreichend Raum für Interpretation. Diese aktive Förderung von Fantasie ist in Büchern individuell auf jede Person zugeschnitten. Lesende nehmen somit verschiedenste Details sehr unterschiedlich wahr und malen sich eigene Welten aus, in die sie hineingesogen werden.

Immersion, Imagination und Individualität

Gemäß der Literaturwissenschaftlerin Sandra Poppe ist unsere Verarbeitung von visueller Wahrnehmung ein zentraler Aspekt der Immersion, also der gefühlten Präsenz durch vollkommenes Eintauchen in fiktive Welten. Auch wenn die Zugänge unterschiedlich sind, bieten sowohl Text als auch Film durch die Gestaltung eines fiktionalen Hintergrunds eine Plattform für Bedeutungserzeugung und Sinnvermittlung. Die Medienkulturwissenschaftlerin Robin Curtis argumentiert demnach, dass Immersion bei Zuschauenden durch die tatsächlich sichtbare Raumwahrnehmung im Film entsteht. In der Literatur entwickelt sie sich erst durch aktive Beteiligung der Lesenden an der räumlichen Imagination.

Verfilmung Buch Leinwand Kino

© Anja Weber

Jedes Lesen eines Textes ist eine eigene Vision, eine persönliche Adaption von Papier auf die Leinwand des inneren Auges. Filmwelten werden den Zuschauenden aber mit einer festgelegten Visualisierung als unveränderlich präsentiert. Dadurch ist es unmöglich, alle vorausgegangenen Fantasien der Lesenden zu erfassen, geschweige denn umzusetzen. In Büchern werden Welten mit individuellster Vorstellung entworfen und Handlungslücken mit eigener Vorstellungskraft gefüllt. In Filmen müssen hingegen häufig komplexe Handlungsstränge kompensiert und Szenen zum Verständnis entfernt oder erfunden werden. Aus diesem Grund werden auch regelmäßig Charaktere weggelassen, beispielsweise der mythische Tom Bombadil aus „Der Herr der Ringe“, der Poltergeist Peeves aus „Harry Potter“ oder Katniss‘ beste Freundin Madge Undersee aus „Die Tribute von Panem“. Es wäre reiner Zufall, wenn Filmschaffende auch nur eine einzige Fantasie eines ganz bestimmten Lesers genauso treffen würden. Den spezifischen Erinnerungen und Bildern im Kopf, die man oft über viele Stunden verinnerlicht hat, kann die Verfilmung daher kaum gerecht werden.

Genauso muss die Verfilmung aber als ein individuelles, künstlerisches Erzeugnis gesehen werden. Filmemacher sollten die Freiheit besitzen, ein Werk nach eigenen Vorstellungen und Interpretationen zu erschaffen  ohne das Buch aus den Augen zu verlieren. Das Gleichgewicht von Werktreue und eigenständiger Auslegung ist eine Gradwanderung: Weder sollte man sich zu eng an die Vorlage halten, noch sich zu weit von ihr entfernen. Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen der beiden Medien zweierlei: Das filmische Endprodukt ist ein heterogenes Zusammenspiel diverser Vorstellungen von Regisseuren, Drehbuchautoren, Kameraleuten, Cuttern, Tontechnikern und so weiter, während ein Buch mehr oder weniger aus einem homogenen Guss des Autors kommt.

Die Notwendigkeit des Vergleichs

Kann und soll man Literatur und ihre Verfilmung dann überhaupt vergleichen? Wenn die Medientypen ohnehin so verschieden, die Kontraste in Form und Inhalt unvermeidbar und die Wahrnehmungen zu individuell sind? Die Antwort ist „Ja“! Die Unterschiede von bedeutenden Romanen und Filmadaptionen fordern den Vergleich und damit auch die Polarisierung geradezu heraus. Wann immer sich jemand Literatur annimmt und sie filmisch inszeniert, kann und muss dieses Ergebnis hinterfragt und verglichen werden. Wie wir fiktive Welten wahrnehmen und in sie eintauchen, individuelle Fantasien und Erlebnisse aus ihnen ziehen und letztlich ganz eigene Ansprüche an Verfilmungen stellen: Die daraus entstehende Diskussion und kulturelle Auseinandersetzung von Papier und Leinwand ist womöglich sogar das, was Buchverfilmungen erst so spannend macht. Abschließend gilt also zu sagen:

„… erstens ist jedes Buch unverfilmbar

und zweitens nur so lange, bis es verfilmt wird.“

– Andreas Kilb, deutscher Filmkritiker

 

Literatur:

Curtis, R. (2008). Immersion und Einfühlung. Zwischen Repräsentationalität und Materialität bewegter Bilder. montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, 17 (2), 89-107.

Henneberg, R. (2019). Diese Filme sind als Hörbücher besser. Abgerufen am 31. Mai, 2019, von https://magazin.audible.de/film-vs-buch-vs-hoerbuch/.

Hurst, M. (1996). Erzählsituationen in Literatur und Film: Ein Modell zur vergleichenden Analyse von literarischen Texten und filmischen Adaptionen. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.

Marie, V. (2011). Die Schwierigkeiten einer Literaturverfilmung am Beispiel von Patrick Süskinds Roman „Das Parfum“, verfilmt von Tom Tykwer. Hochschule Mittweida, Mittweida.

McFarlane, B. (2007). Reading film and literature. In D. Cartmell & I. Whelehan (Hrsg.), The Cambridge Companion to Literature on Screen. New York: Cambridge University Press.

Poppe, S. (2007). Visualität in Literatur und Film: Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

 

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