Jeder Dichter sucht nach den schönsten Worten, um seine Empfindungen zu beschreiben. Auch das Haar findet in Erzählungen oder in der Poesie immer einen Platz. Die schönen Locken eines Jünglings oder das ergraute Haar eines alten Mannes liefern uns ein Bild von der Person und tragen dazu bei, die Atmosphäre eines Gedichts zu kreieren. Haare können in Gedichten also verschiedenste Bedeutungen einnehmen. Was es alles für Möglichkeiten gibt, soll hier anhand von drei verschiedenen Beispielen gezeigt werden.

Ludwig Uhland (1787-1862) beschreibt in seinem Gedicht „Des Sängers Fluch“ beispielsweise die Frisur und Haarfarbe der beiden Hauptfiguren und stellt somit gleich klar um wen es sich handelt.

„Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
Der ein‘ in goldnen Locken, der andre grau von Haar;
Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.“

Der Kopf als Sitz der Seele

Der Kopf gilt als Sitz der Seele und des Geistes und so wird auch dem Haar oft eine größere Bedeutung zugeschrieben. Es wird zum Würdenträger, zum Zeichen von Ehre, zum Symbol für einen Rang oder zum Träger von Traditionen. Der Kopf  – und damit auch das Haar – nehmen in vielen Kulturen eine besondere Rolle ein. Sei es heutzutage als Statementfrisur oder früher als Andenken oder Glücksbringer. Anton Alfred Noder (1864-1936) geht in seinem Gedicht „Das Haar“ noch einen Schritt weiter. Ein einzelnes Haar steht hier stellvertretend für die Attribute einer kompletten Person. Die Seele und der Geist dieser Person sind somit in dem Haar verkörpert.

„In diesem einen blonden Frauenhaar
Liegt aller Duft, der ihr zu eigen war;
Liegt aller Glanz, der ihre Stirn umfloß,
Liegt alle Anmut, die sie übergoß.“

Das Betrachten des Haares weckt in dem lyrischen Ich – dem fiktiven Sprecher hinter den Versen – nicht nur die Erinnerung an das Aussehen der Frau, sondern auch an ihren Duft und ihre Anmut. Die folgende Strophe greift neben sehen und riechen auch das Fühlen des „weichen und zarten“ Haares auf.

„So weich und fein und zart und biegsam war
Das ganze Weib, wie dieses eine Haar,
Und schling ich um den Hals den feinen Ring
Umfängt er mich, wie mich ihr Arm umfing.“

Der „feine Ring“ bezeichnet hierbei das Haar der Frau, welches das lyrische Ich sich um den Hals legt. Die Empfindung des Haares erinnert es dabei an die Umarmung der Frau. Die Person und der Moment der Begegnung werden dadurch wieder lebendig.

„Vor einer Stunde hing sie so an mir.
Ich riß mich los, wie dieses Haar, von ihr;
Doch wie ein Stück von ihrem Leben blieb
Dies Haar bei mir zurück in stummer Lieb‘.

Und so mit seinem Leuchten noch einmal,
Wie ein verlorener letzter Sonnenstrahl,
Bringt einen Tag voll Seligkeit und Glück
Mir dieses eine blonde Haar zurück.“

Schlussendlich ist das eine Haar alles, was von der Geliebten zurückbleibt. Jedoch enthält dieses Haar die Seele und den Geist der Frau und dient somit als Andenken für das lyrische Ich. Fraglich ist, ob das Haar und die damit verbundenen Erinnerungen am Ende überdauern, oder ob das Haar irgendwann in Vergessenheit gerät und damit auch die Person von der es stammt. Haare als Andenken an eine Person sind dabei gar nicht unüblich, der Beitrag Eine Haarlocke als Geschenk? -Schmuck aus Menschenhaar von Katharina gibt interessante Einblicke in das Thema.

Die Symbolkraft von Haaren

Schöne Locken oder graues Haar? Offen oder streng zusammengebunden? Eine Frisur gibt oft mehr Informationen über eine Person preis, als man im ersten Moment vermuten würde. Haare tragen Assoziationen und manchmal auch versteckte Symbole in sich. So steht das Haar in dem Gedicht „Am Turme“ von Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) symbolisch für die Freiheit und das Entfliehen von auferlegten Zwängen.

„Ich steh auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und laß gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare;
O wilder Gesell, o toller Fant,
Ich möchte dich kräftig umschlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
Auf Tod und Leben dann ringen!“

So heißt es in der ersten Strophe. Im weiteren Gedicht beschreibt die Dichterin die Wünsche der Frau, die am Turme steht: Wie sie sich in die Wellen werfen möchte, um ins Wasser zu tauchen und Fische und Meerestiere zu jagen. Oder wie sie sich an Bord eines Schiffes in einen Kampf wagen möchte. All diese Wünsche bleiben ihr jedoch verwehrt und sie klagt: „wär‘ ich ein Mann doch mindestens nur“, dann könnte sie all ihren Wünschen folgen. Die Frau kann ihrer angedachten Rolle jedoch leider nicht entkommen und muss „gleich einem artigen Kinde“ sich ihrer Rolle fügen.  Nur wenn sie alleine ist kann sie heimlich ihre Haare lösen und sich zumindest so ein wenig freier fühlen. Das Symbol der wehenden Haare im Wind ist schlussendlich das Symbol der gewünschten Freiheit und auch der heimlichen Rebellion.

Haare können, wie man sieht, die verschiedensten Bedeutungen einnehmen. Von einer schlichten Beschreibung der blonden Locken zur Metapher für eine Person oder unerfüllte Wünsche, der Symbolkraft von Haaren sind kaum Grenzen gesetzt. Wer weitere Gedichte zum Thema „Haar“ lesen möchte, kann auf der Seite der deutschen Gedichtebibliothek oder auf Aphorismen.de fündig werden.

 

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