Carl Gustav Jung Archetypen

Was passiert, wenn wir träumen – und warum? Die Theorien reichen von Spekulationen über Geisterwelten und parallele Dimensionen bis hin zur nüchternen Reduktion des Traums auf ein neuronales Nebenprodukt. Zwischen diesen Extremen stellt das Traumverständnis von Carl Gustav Jung eine interessante Alternative dar: Im Traum sieht der Begründer der analytischen Psychologie den Schlüssel zur Selbstverwirklichung. 

„Sex sells“ heißt es ja bekanntlich, und für Sigmund Freud ist diese Formel aufgegangen: Der Psychoanalytiker und seine libido-orientierten Theorien sind den meisten Menschen ein Begriff. Weniger bekannt, aber nicht minder bedeutsam für die moderne Psychologie ist ein ehemaliger Schüler und Vertrauter Freuds: Carl Gustav Jung. Besonders fasziniert war der Schweizer von Ausnahmezuständen des menschlichen Bewusstseins, wie sie sich in Psychosen, scheinbar paranormalen Erlebnissen oder eben im Traum ausdrücken. Im Gegensatz zu vielen Forschenden war es jedoch nicht sein Anliegen, diese Phänomene  als irrelevant oder unsinnig „abzustempeln“. Jung nahm das Rätselhafte ernst.

Kronprinz der Psychoanalyse

Sigmund Freud (vorne links) mit C.G. Jung (vorne rechts). (Quelle: Wikimedia Commons.)

Ein 13-stündiger Podcast: So kann man sich das erste Treffen zwischen Carl Gustav Jung und Sigmund Freud in Wien vorstellen. Auf das gesprächsintensive Kennenlernen im Jahr 1907 folgte ein reger intellektueller Austausch. In Jung sah Freud einen würdigen Nachfolger, bezeichnete ihn sogar als „Kronprinzen der Psychoanalyse“. Beide waren an der Erforschung des Unbewussten interessiert – also den Aspekten der Psyche, die dem Ich-Bewusstsein unzugänglich sind, aber dennoch sein Fühlen und Handeln mitbestimmen.

Doch allmählich kristallisieren sich Differenzen zwischen den beiden heraus: Jung kritisierte die Vorrangstellung des Sexualtriebs in Freuds Lehre, während Freud Jungs Faszination für das Paranormale ablehnte1913 führten diese Meinungsverschiedenheiten schließlich zum Bruch zwischen den Gelehrten. Jung entschied sich gegen das Erbe Freuds und begründete seine eigene Schule – die analytische Psychologie 

Traumdeutung bei Jung und Freud

Auch in der Traumdeutung gehen Freud und Jung von einem ähnlichen Ansatz aus, bewegen sich aber dann in verschiedene Richtungen. Beide sehen im Traum einen bedeutsamen Mechanismus des Unbewussten und glauben, dass die Traumanalyse zu positiven psychologischen Transformationen führen könnenWas aber die Funktion des Traumes ausmacht und wie sich  Traumbotschaften entfalten – darin scheiden sich die Geister Jungs und Freuds. Für Freud drücken Träume Wünsche aus – oftmals auch geheime Wünsche, die vom inneren „Zensor“ des Individuums unterdrückt werden. Um der Zensur zu entgehen, tauchen diese Wünsche versteckt in Träumen auf. Jung dagegen glaubt nicht an das Versteckspiel der Träume, im Gegenteil: Im Traum spricht für ihn das Unbewusste direkt zum Menschen.  

Botschaften aus dem Inneren

Stell dir vor, du fährst auf der Autobahn. Plötzlich leuchtet ein Warnsignal in deinem Wagen auf. Es ist nichts Schlimmes – das Kühlmittel muss nur wieder nachgefüllt werden. Trotzdem solltest du dieses Zeichen lieber nicht ignorieren. In ähnlicher Weise interpretiert Jung die Funktion des Traums: Träume sind ein Feedback der Psyche an das Ich-Bewusstsein. Dieser bewusste Teil der Persönlichkeit, auch Ego genannt, stellt nach Jung lediglich einen Teil des Individuums dar. Wie der Fahrer navigiert sich das Ego durch den Alltag, ist sich aber oft nicht der inneren Mechanismen des Körpers und Geistes bewusst – ebenso wie ein Fahrer nicht immer genau weiß, was sich unter der Motorhaube seines Autos abspielt.

Hier kommen die Träume ins Spiel: Wie Warn- und Fehlersignale machen sie den Menschen auf psychische Ungleichgewichte und Störfaktoren aufmerksam. Diese inneren Botschaften sind nicht zwangsläufig große Offenbarungen. Jung unterscheidet zwischen „kleinen Träumen“, die sich mit alltäglichen Problemen beschäftigen, und dem „großen Traum“, der an kritischen Wendepunkten im Leben auftaucht.  

Der Keller unter dem Keller: das kollektive Unbewusste

Carl Gustav Jung (Quelle: Wikimedia Commons)

Auch Jung selbst hatte solch einen „großen Traum“: Er träumte, er sei in einem mehrstöckigen Haus. Zunächst befand er sich in einem prachtvoll eingerichteten Salon im oberen Stockwerk. Als er ins Erdgeschoss hinunterging, schien dort alles dunkler und älter, die Wände und Möbel wirkten mittelalterlich. Neugierig beschloss er, den Rest des Hauses zu erkunden und stieg in den Keller hinab – wo sich uraltes römisches Gemäuer über ihm wölbte. Doch das war noch nicht alles: Auf dem Kellerboden entdeckte er eine Platte mit einem Ring. Er zog daran und enthüllte wiederum eine Treppe, die in eine noch tiefere Ebene des Hauses führte.

Dieser schicksalhafte Traum inspirierte Jung zu seiner zentralen These: Unterhalb des persönlichen Unbewussten gebe es noch eine tiefere, instinktive, archaische Ebene der Psyche – das kollektive Unbewusste. Diese Ebene existiert in jedem Menschen, unabhängig von seinem Charakter und seiner Herkunft. Träume können sowohl dem „ordentlichen Obergeschoss“ entspringen – also der individuellen Psyche – als auch dem „Keller im Keller“. In dieser Untiefe der Menschheitsseele werden die ewigen Probleme der eigenen Spezies aufgegriffen. Solche kollektiven Träume und Symbole bezeichnet Jung als „archetypisch“.  

Die Sprache der Träume lernen

Doch woher weiß ich, welche Botschaft mir der Traum vermitteln will? Wie kann ich herausfinden, ob ich im Traum die archetypische Angst vor dem Tod oder bloß die typisch studentische Angst vor Deadlines verarbeite? Warnsignale im Auto sind meist eindeutig, was man von Träumen nicht gerade behaupten kann. Wenn Träume also Mitteilungen sind, wieso sind sie so verworren? Nach Jung liegt es nicht daran, dass Träume etwas verbergen. Sie teilen dem Träumenden etwas laut und deutlich mit – nur eben in ihrer eigenen Sprache. Träume arbeiten in einem anderen Modus als das rationale Alltagsbewusstsein, ebenso wie Dichter*innen sich anders ausdrücken als Wissenschaftler*innen.  

Werde, wer du bist – die Individuation

Carl Gustav Jung zufolge sprechen im Traum die verborgenen Facetten der Psyche zum Menschen. Doch wieso sollte der Mensch überhaupt zuhören? Für Jung war der Traum vor allem als Hilfsmittel im Prozess der Individuation von Bedeutung. Individuation bedeutet „zu werden, wer man ist“ – also sein volles inneres Potenzial auszuschöpfen. Darin sah Jung das höchste Ziel des Menschen. Das Individuum erreicht dieses Optimum, indem es die Polarität innerhalb der eigenen Psyche – das Persönliche und das Kollektive, das Männliche und das Weibliche, das Licht und den Schatten – zu einem harmonischen und authentischen Ganzen vereint. Für Jung sind Träume also Wegweiser auf der Reise zum Selbst. Wann und ob man ans Ziel kommt, kann einem niemand verraten. Die letzte und wichtigste Medaille verleiht sich das Individuum selbst.  

Die Medaille der Individuation muss sich jeder selbst verleihen – in diesem Sinne ist dies ein sehr archetypisches Meme.  (Quelle: Knowyourmeme.com)

 

 

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

 

„Wenn wir träumen, betreten wir eine Welt, die ganz und gar uns gehört. Vielleicht durchschwimmt er gerade den tiefsten Ozean oder gleitet über die höchste Wolke“, flüstert Hogwarts-Schulleiter Albus Dumbledore im dritten Harry-Potter-Film über den vermeintlich schlafenden Harry gebeugt. Wenn Dumbledore nur wüsste, dass Fans der Buchreihe vermuten, Harry hätte ihn, Hogwarts und die gesamte Zauberwelt nur erträumt. Wir schauen uns eine der verrücktesten Harry-Potter-Theorien genauer an.

Kuriose Fantheorien gibt es nahezu über jedes bekannte Franchise: Fans interpretieren gern Zweideutiges, rätseln über ungelöste Geheimnisse oder rücken mal eben die gesamte Geschichte in ein anderes Licht. Davon bleibt auch die von der britischen Schriftstellering J.K. Rowling erschaffene Harry-Potter-Welt nicht verschont. Theorien wie solche, dass Harrys bester Freund Ron in Wahrheit ein zeitreisender Dumbledore sei, kursieren in zahlreichen Foren und werden heiß diskutiert. Eine dieser Theorien sticht jedoch besonders heraus: Harry sei eigentlich gar kein Zauberer, sondern hätte sich seine Abenteuer nur erträumt. Die miserable Erziehung durch Tante und Onkel Dursley, seinen Zieheltern, hätte Harry dazu veranlasst, sich in eine andere Welt zu fantasieren – in eine, in der er selbst der Held ist und die Macht hat, das Böse zu bekämpfen. Was soll man auch anderes tun, wenn man Zeit seines Lebens in einem Schrank unter der Treppe eingesperrt ist?

Die Theorie stellt Harry als einen psychisch hochgradig belasteten Jugendlichen vor, welcher als Bewältigungsstrategie gleich eine ganze Welt erträumt. Demnach seien Harrys Eltern auch gar nicht von dessen Erzfeind Lord Voldemort getötet worden, sondern tatsächlich bei einem Autounfall gestorben. Ganz so, wie die Dursleys es Harry auch beigebracht haben, um ihn so fern wie möglich von seinem Schicksal als Zauberer zu halten. Das Aufwachsen ohne Eltern und die schlechte Behandlung durch die Dursleys führten schließlich zu seinem psychisch labilen Zustand. So erschütternd diese Theorie auch klingt, die originellen Ausschmückungen der Fans erlauben es unserer Meinung nach, zur genaueren Betrachtung ein klein wenig Galgenhumor in den Gerüchtekessel zu streuen.

Ein Ausraster bringt Harry geradewegs in die Psychiatrie

Der Fantheorie zufolge hatte Harry die miese Erziehung und die Sticheleien seines Cousins und Ziehbruders Dudley satt und beendete den Aufenthalt bei Onkel und Tante mit einem gewaltigen Knall. Im ersten Teil Harry Potter und der Stein der Weisen ist es der Halbriese Hagrid, welcher Harry aus den Fängen der Dursleys befreit, Dudley als Strafe ein Schweineschwänzchen ans Gesäß zaubert und den kleinen Zauberer dorthin bringt, wo er eigentlich hingehört: Nach Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei. In ‚Wahrheit‘ soll es Harry selbst gewesen sein, der in einem wilden Anfall den wehrlosen Dudley angegriffen und gefährlich verletzt hat. Das Resultat: der direkte Weg in die Psychiatrie. Bye, Harry.

„Harry, du bist ein Zauberer“, heißt es im ersten Teil an dieser Stelle. Was Hagrid laut Fantheorie wohl eigentlich sagen wollte: „Harry, du bist psychisch krank.“
© Runa Marold

Hogwarts ist gar keine Schule

An dieser Stelle öffnet sich erstmals die Tür zu Harrys fantastischer Traumwelt. Anstatt einer Psychiatrie hat der vermeintliche Zauberer plötzlich ein sagenumwobenes Schloss voller Magie, Wunder und jeder Menge Obskuritäten vor sich. Geister tauchen aus Esstischen hervor, Treppen verschieben sich nach eigenem Willen, Kinder bringen Federn mit Zauberformeln zum Schweben, und in einer geheimen Kammer haust ein gefährlicher dreiköpfiger Hund. Klingt ziemlich irre, oder? Dachten sich auch die Vertreter*innen der Fantheorie und fühlten sich sofort an abstruse Bilder aus anderen filmischen Interpretationen von Psychiatrien erinnert. Harry soll sich demnach von den verrückten Machenschaften anderer Anstaltbewohner*innen inspirieren lassen und darauf aufbauend seine Fantasie-Zauberwelt ersonnen haben. Dumbledore und die anderen Lehrer*innen seien eigentlich die angestellten Ärzt*innen, welche ihr Bestes versuchen um die psychisch kranken Insassen zu behandeln. Und der dreiköpfige Hund? Vielleicht nur eins der von Harry gehassten Therapie-Kuscheltiere. Wer nennt so ein Monstrum schließlich Fluffy?

Hogwarts, die Schule für Hexerei und Zauberei – ist in Wahrheit gar nicht so magisch? Wilkommen in der Psychiatrie, Harry.
© Runa Marold

Harry ist der Star seiner eigenen Welt

Zauberer-Dasein hin oder her, Harrys Identität besteht bei weitem nicht nur aus der Fähigkeit, mit Zaubertricks zu begeistern. Er ist obendrein auch noch der berühmteste Junge der ganzen Zauberwelt. Ein weiteres Indiz für die Fans: Ein vernachlässigter Junge ohne feste Bindungen stellt sich vor, als Auserwählter heldenhaft gegen das Böse zu kämpfen und plötzlich Freunde zu finden, die ihm kopfüber in jede Gefahr folgen. Im auf Besen ausgetragenen Schulsport Quidditch zeigt Harry unvergleichbares Talent, Dumbledore höchstpersönlich ist an ihm interessiert wie an keinem anderen, und der Oberbösewicht Lord Voldemort hat es nur auf ihn abgesehen. Geht es noch klischeehafter?

Harry, der Held aller Zauberer und Hexen? Wer’s glaubt.
© Runa Marold

Dumledore ist Harrys persönlicher Therapeut

Dumbledores Interesse an Harry begründet sich in den Büchern über das wundersame Triumphieren von Baby-Harry über Lord Voldemort. Zahlreiche Gespräche finden über die Jahre hinweg zwischen Harry und Dumbledore statt, alle von ihnen sind von den weisen Ratschlägen des Schulleiters geprägt. Tiefgründige Gespräche über Harrys Dasein? Moment, das klingt doch ganz nach Therapie – denken sich die Verfechter*innen der Theorie und sehen Dumbledore in Wahrheit in der Rolle eines Psychiaters. Anhaltspunkt für diese Interpretation bietet eine im ersten Buch stattfindende Unterhaltung der beiden über den Spiegel Nerhegeb, welcher seinen Betrachter*innen ihre sehnlichsten Wünsche zu offenbaren vermag. Dumbledore warnt Harry davor, dass es Menschen gäbe, die bei seiner Betrachtung wahnsinnig geworden wären. Sie wüssten nicht mehr, ob ihnen der Spiegel etwas Wirkliches oder etwas Wünschenswertes zeige. Hat Harry hier die offene Warnung vor dem Abdriften in seine Traumwelt verarbeitet? Wer weiß. Im Buch erklärt Dumbledore daraufhin, dass er beim Blick in Nerhegeb sich selbst mit einem Paar dicker Wollsocken sehe. Vorausgesetzt, dieses Gespräch entspringe auch nur Harrys Fantasie: Was würde Freud wohl dazu sagen?

Lieber Harry, neigst du etwa in Wahrheit auch zur Gerontophilie? Dumbledore ist zumindest nicht gerade in deinem Alter.
© Runa Marold

Die augenscheinlich Verrückten in Harrys Welt

Wäre Hogwarts eine Psychiatrie, würde das bedeuten, dass Harrys Mitschüler*innen in Wahrheit seine Mitpatient*innen sind. Die Fantheorie begründet diese Behauptung damit, dass einige von ihnen offenbar auch in Harrys Traumwelt nicht mehr alle Tassen im Schrank hätten. Allen voran hüpft die schrullige Luna Lovegood mit ihrem Glauben an Wesen, welche sogar in der Zaubererwelt nur als Hirngespinste belächelt werden. Ihr Name Luna erinnert an lunacy, das englische Wort für Wahnsinn, was diese Deutung unterstützen soll. Ein weiteres Indiz soll der unter Verfolgungswahn leidende Alastor „Mad-Eye“ Moody darstellen. Er tritt im vierten Teil der Reihe zunächst als neuer Lehrer auf, wird am Ende des Schuljahrs jedoch durch die Täuschung über seine wahre Identität selbst zur Gefahr. Sein Nachname bedeutet so viel wie launisch oder unausgeglichen. „Immer wachsam“, poltert Moody stets seinen Schüler*innen entgegen, und die Fantheorie heißt damit die Paranoia in der Hogwarts-Psychiatrie willkommen.

Alastor „Mad-Eye“ Moody und Luna „Loony“ Lovegood: als wäre Harrys eigener Wahnsinn noch nicht genug. © Runa Marold

Lord Voldemort ist Harrys dunkle Seite

Zu guter Letzt vermutet die Fantheorie hinter dem gefährlichen Hauptantagonisten Lord Voldemort eine Projektion von Harrys innerem Wahnsinn. Zwischen beiden Figuren existieren tatsächlich viele Parallelen: Beide sind als Waisen aufgewachsen, gelten in der Zauberwelt als Halbblüter und ihre Zauberstäbe tragen mit den Federn desselben Phönix’ den gleichen Kern. Im Laufe der Geschichte hat Harry immer wieder Visionen und Träume von Voldemort, später teilen sie sogar ihre Gedanken. Der sich durch alle Bücher ziehende Kampf der beiden soll Harrys Bemühungen verarbeiten, Herr über seine psychischen Probleme zu werden. Ein weiteres Indiz sei außerdem der Mord an Harrys Mitschüler Cedric Diggory. Dieser stelle, so die Vermutung, Harrys Wunsch-Ich dar: ein glücklicher, überall beliebter und gut behüteter Junge. Zu perfekt um wahr zu sein, denkt sich Fantheorie-Harry und benutzt sein Alter-Ego Voldemort um Cedric in seiner Traumwelt zu töten. Böser Harry.

Harrys stillschweigende Gedanken: „Tod den Muggeln, Tod den Schlammblütern! Weltherschafft, muhahaha.“ Dream big, Harry.
© Runa Marold

Ein Fünkchen Wahrheit?

Den Galgenhumor beiseite genommen, erscheint die Fantheorie je nach Betrachtungsweise sogar durchaus plausibel. J.K. Rowling erwähnte bereits in einem Interview, dass sie auch selbst mehr als einmal daran gedacht habe, dass Harry im Schrank tatsächlich verrückt geworden sei und ein Fantasieleben entwickelt habe. Auch wenn es denkbarer erscheint, dass die eigentliche Intention für den Kinder- und Jugendroman eine andere war – eines steht fest: Harry Potter ist zu Zaubereien fähig, von denen unsereins nur zu träumen wagt. Und das kann wahrlich neidisch machen. Den heldenhaften Zauberer zu einem Fall für die Psychatrie zu degradieren, wirkt also durchaus menschlich. Es zeigt das Bedürfnis, diese magische und fantastische Welt mit der eigenen Realität in Einklang zu bringen. Wenn wir von einem Leben als Zauberer oder Hexe träumen können, wieso sollte es Harry in unserer Welt nicht genauso ergehen? So oder so ist es stets spannend zu beobachten, welche wundersamen gedanklichen Abzweigungen sich uns dank der Träumereien von Fans eröffnen können. Oder wer ist hier eigentlich am Träumen?

 

Vielen Dank an Zwischenbetrachtung-Autorin Runa Marold für die visuellen Pointen!

Titelbild: ©unsplash

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Schon öfter mal dasselbe geträumt? Oder wiederkehrende Traumszenen mit neuen Charakteren und Handlungssträngen erlebt? Wie bei einer Seifenoper bastelt sich das Unterbewusstsein gerne Wiederholungen zusammen, gerne auch dramatisch: immer wieder gejagt werden, aus der Höhe fallen oder die Kontrolle über ein Fahrzeug verlieren. Woher kommt es, dass so viele Menschen wiederkehrende Träume haben? Und was bedeuten sie?

Obwohl wiederkehrende Träume seit langem bekannt sind, hat sich die Forschung noch relativ wenig um deren Ursachen, Entstehungsbedingungen, Häufigkeit und Inhalte gekümmert. Und wenn, dann haben Traumforscher*innen auch unterschiedliche Interpretationen von wiederkehrenden Träumen: In der psychotherapeutischen Gestalttherapie zum Beispiel werden wiederkehrende Träume als Ausdruck des aktuellen psychischen Ungleichgewichts eines Individuums angesehen. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud betrachtete wiederkehrende Träume als Ausdruck eines neurotischen Wiederholungszwanges. Carl Gustav Jung wiederum glaubte, dass wiederkehrende Träume nicht nur auf das Vorhandensein eines psychischen Konflikts hinweisen, sondern dass sie auch „von besonderer Bedeutung für die Integration der Psyche“ sind. Die beiden Granden der Psychoanalyse stimmen jedoch zumindest darin überein, dass wiederkehrende Träume mit ungelösten Schwierigkeiten im Leben des Träumenden zu tun haben.

Liegt es am eigenen Wohlbefinden?

Ronald Brown und Don Donderi von der McGill Universität in Kanada untersuchten speziell den Zusammenhang von wiederkehrenden Träumen mit dem Wohlbefinden. Die Ergebnisse zeigen: Die Gruppe von Personen mit wiederkehrenden Träumen berichtete über ein geringeres Maß an Wohlbefindens als die Gruppe ohne solche Träume. Zum Beispiel seien Menschen, die häufig träumen, weniger anpassungsfähig in Bezug auf Angst, Depression, persönliche Anpassung und Stress durch Lebensereignisse. Nicht nur das, die sogenannten ‚rekurrenten‘ Träumer*innen träumten häufiger von Angst, Feindseligkeit, Versagen und Unglücksfällen.

Laut einer Studie der Harvard University aus dem Jahr 2014 treten wiederkehrende Träume bei 60 bis 75 Prozent der Erwachsenen auf und sind bei Frauen häufiger als bei Männern. Zu den häufigen Themen gehören unter anderem: angegriffen oder gejagt werden, fliegen, fallen, gefangen sein, zu spät kommen, einen Test verpassen oder durchfallen, die Kontrolle über ein Auto verlieren, einen Zahn verlieren und nackt sein.

Sich mit Ängsten und Unsicherheiten konfrontieren

Können wiederkehrende Träume eigenständig gelindert oder beseitigt werden? Bis jetzt gibt es keine einheitliche und klare wissenschaftliche Methode, aber Wissenschaftler*innen und Experten*innen haben einige solide Vorschläge. Eine kalifornische Gesundheits- und Therapie-Webseite rät, ein Schlaftagebuch zu führen, um so viele Informationen wie möglich über die eigenen Träume zu sammeln. Dies wird dabei helfen, die tieferen Gründe zu erforschen, warum diese Träume erscheinen. Wie das berühmte Sprichwort sagt: „Sich selbst zu kennen ist der Anfang der Weisheit“. Letztlich sind es wir selbst, die auf Entdeckungsreise gehen.

Im nächsten Schritt geht es darum, den wiederkehrenden Traum zu analysieren und herauszufinden, was uns der Traum sagen will, welche Bedeutung also hinter ihm steckt. Sun Tzu, ein chinesischer Militärstratege, Schriftsteller und Philosoph, sagte einmal: „Wenn man den Feind kennt und sich selbst kennt, braucht man das Ergebnis von hundert Schlachten nicht zu fürchten“. Dies gilt auch für den wiederkehrenden Traum. Wie wir wissen, können wiederkehrende Träume von ungelösten Problemen im Leben ausgelöst werden. Um sie zu verstehen, muss man also die eigenen versteckten Ängste, Unsicherheiten oder negativen Emotionen kennen, die Probleme verursachen können. Und darüber nachdenken, was einen im Moment stresst oder aufregt. Vielleicht muss man sogar tief in der Vergangenheit graben, um herauszufinden, ob es Traumata gibt, mit denen man sich noch nicht auseinandergesetzt hat. Danach ist es an der Zeit, die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Es ist sinnvoll Schritte zu ergreifen, um die Probleme in eigenen Leben zu lösen und den Stress zu bewältigen, egal ob es sich um die Arbeit, eine Beziehung, den Verlust eines geliebten Menschen oder etwas anderes handelt.

Wiederkehrende Träume können mit versteckten Ängsten, Unsicherheiten und negativen Emotionen zusammenhängen. © Gwendal Cottin on Unsplash

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

 

Wem im Traum die Zähne ausfallen, muss sich nach dem Onlineportal Lexikon der Traumdeutung auf ein großes Unglück, etwa einen Trauerfall in der Familie oder eine schwere Krankheit gefasst machen. Passionierte Traumdeuter*innen und das Internet wissen immer schnell Bescheid. Doch was hat es mit diesen Deutungen eigentlich auf sich? Im Interview berichtet uns der Traumexperte Klausbernd Vollmar von der Symbolik unserer Träume. 
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Träume: Nur absurd-konfuse Bilder vor unseren Augen oder steckt mehr dahinter? Oft fragt man sich, ob diese Nachtgespenster etwas mitteilen wollen. Laut Sigmund Freud tun sie das tatsächlich – zwar nicht als Weissagung über die Zukunft, sondern als Auskunft über uns selbst.

Mit seinem Werk Die Traumdeutung bringt Freud 1899 eine neue Sichtweise in die bestehenden Traumtheorien. Sein Ansatz liegt in der Psychoanalyse: Wenn Menschen schlafen, verarbeitet ihr Unterbewusstsein alle möglichen Reize und Anregungen des Tages, welche dann in Form des Traums an das schlummernde Bewusstsein weitergereicht werden. Als tragendes Motiv der Traumentstehung benennt Freud dabei die ‚Wunscherfüllung‘. Jeder Traum ist laut ihm eine Erfüllung eines Wunsches oder mehrerer Wünsche, was bei manchen Träumen offensichtlich ist und bei anderen nur durch tiefgehende Analyse herausgearbeitet werden kann. Denn unser Geist macht es uns nicht immer leicht, die eigentlichen Gedanken der Traumbilder zu erkennen – sonst wäre die Selbstreflektion wohl zu einfach. Doch was ist der Grund für diese Bilderrätsel im Kopf?

Der innere Kampf gegen sich selbst

Sigmund Freud

Deutete Träume als Tor in unsere Psyche: Sigmund Freud. © Wikimedia-Commons / Max Halberstadt

Freud zufolge sträuben wir uns ganz natürlich gegen gewisse Wünsche und unterdrücken sie, sowohl bewusst als auch unbewusst. Beispiele wären: Sich wünschen, an einer unschönen Situation nicht die Schuld tragen zu müssen. Oder jemandem etwas ‚Schlechtes‘ wünschen. Wenn wir dann schlafen, kommen manche dieser Gedanken wieder ans innere Tageslicht. Das kann man sich so vorstellen, dass in uns eine psychische Instanz das letzte Tagesgeschehen prüft und Anregungen findet, welche im Unterbewusstsein verdrängte Wünsche aufwirbeln. Die Instanz stellt dann den sogenannten ‚latenten Traumgedanken‘ her, der einen Wunsch aufgreift, welcher uns beschäftigt. Doch es gibt laut Freud auch eine zweite psychische Macht, die eine Art Kontrollfunktion ausübt. Wenn der Inhalt des Traumgedankens dieser zweiten Instanz nicht gefällt, wird der Wunsch entsprechend ‚zensiert‘. Der Inhalt des Traums wird dann vertauscht und verkleidet, um verstörende Elemente, die nicht ans Bewusstsein gelangen sollen, herauszufiltern. Diesen Streitprozess der zwei Instanzen nennt Freud die ‚Traumarbeit. Die Traumarbeit überträgt letztlich den latenten Traumgedanken auf einen ‚manifesten Trauminhalt‘, also jene durcheinander gewürfelten, audiovisuellen Bilder, an welche wir uns nach dem Aufwachen erinnern. Dabei bedient sich die erste Instanz einer Menge Tricks, um der Zensur der zweiten Instanz zu entgehen.

Verschiebung: Das Irrelevante im Scheinwerferlicht

Traumarbeit

Freuds Methoden bei der ‚Traumarbeit‘. © Franziska Frank

Um den Traumgedanken nun in entstellter Form so zu verpacken, dass er nicht der Zensur unterliegt, werden insbesondere zwei Methoden bei der Traumarbeit genutzt: Die ‚Verschiebung‘ und die ‚Verdichtung. Verschiebung bedeutet, dass der Fokus des Trauminhalts nicht auf den eigentlichen Kern des Traumgedanken, sondern auf etwas Anderes gesetzt wird. Nebensächliches wird in den Vordergrund gerückt und stattdessen mit dem eigentlichen Traumgedanken assoziiert. Dafür werden laut Freud häufig die Erinnerungen des letzten Tages als Anregung verwendet, da diese noch nicht mit anderen Gedankengängen übermäßig assoziiert wurden und somit ‚frisches‘ Material darstellen. Als Beispiel schildert Freud einen Traum, in welchem er in einer selbstgeschriebenen botanischen Monografie blättert. Hinterher erinnert er sich, tags zuvor ein ähnliches Buch im Schaufenster gesehen und nicht weiter beachtet zu haben. Doch sein Unterbewusstsein habe eine Assoziation hergestellt: Freud hatte vor Jahren einen Aufsatz zur Cocapflanze verfasst, welcher die Aufmerksamkeit eines Doktors erregte und diesen auf die Idee von medizinischer Verwendung von Kokain brachte. Freud erzählt, dass er letztens daran erinnert wurde, als er eine Festschrift der Erfolge des Herrn erhielt. Er fühlt, beim Erfolg des Doktors unberücksichtigt geblieben zu sein. Diese Erinnerung sei der eigentliche Auslöser der Wunscherfüllung – „Ich habe den Erfolg auch verdient“ – aber die Verschiebung habe den neidischen Gedanken entstellt und mit dem gesehenen Buch im Schaufenster verknüpft. Woher kommt die Verbindung? Der Verfasser der Festschrift, welcher Freud begegnete, hieß Gärtner, dessen Frau wurde von Freud als blühend wahrgenommen.

Verdichtung: Eins bedeutet vieles

Die zweite Methode nennt Freud ‚Verdichtung. Das heißt, dass der Traumgedanke mehrmals im Trauminhalt eingewebt wird. Das kann sich in Form von starker Kompression mehrere Assoziationen zeigen. Ein Objekt im Traum kann also vieles auf einmal bedeuten. Zugleich werden einander ähnliche Assoziationen als Einheit zusammengefasst, sodass sich zum Beispiel ‚Mischpersonen‘ bilden. So entstehen komprimierte Trauminhalte, hinter denen eigentlich eine Menge mehr steckt. Freud beschreibt beispielhaft einen Traum, in welchem er eine Mischung der Gesichter seines Onkels und eines Freundes vor sich sieht. In seiner Analyse bewertet er beide Personen als „Schwachköpfe“, was der Wunscherfüllung seines Traumes diente. Die Verdichtung soll also bewirken, dass so viel wie möglich vom mit der Wunschvorstellung verknüpften Inhalt zusammengepresst wird.

Typische Träume und ihre Bedeutung nach Freud
Nacktheit im Traum Hinweis auf unerlaubten Wunsch mit kindlichem Ursprung
Tod von Personen Wunsch nach Abwesenheit mit kindlichem Ursprung
Prüfung im Traum Träumer spürt Verantwortungsdruck, Traum erinnert an bereits gemeisterte Situation
Man kommt nicht von der Stelle Willenskonflikt zu einem Wunsch zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein

Traumdeutung als Königsdisziplin der Psychoanalyse

Freuds Werk „Die Traumdeutung“ mit Plüschtieren auf einem Kopfkissen

Freud ist überzeugt, dass die meisten verdrängten Wünsche in unserer Kindheit begründet werden. © Franziska Frank

Freud zufolge stellen Träume als Wunsch-Erfüller ein Tor in unsere Psyche und eine Möglichkeit dar, uns selbst besser zu verstehen. Das liegt unter anderem an seiner Überzeugung, dass die meisten verdrängten Wünsche in unserer Kindheit begründet werden und uns noch bis ins Erwachsenenalter begleiten. Auch Wünsche, die uns peinlich sind oder heutzutage erschrecken würden. Freud zufolge wäre das zum Beispiel der unerlaubte Wunsch nach sexuellem Verkehr mit einem Elternteil. Er argumentiert, dass solche Wunscherfüllungen dann zu den sogenannten Alpträumen führen, weil ein Interessenskonflikt zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein aufgedeckt wird. Das Bewusstsein erschrickt dann über den Ausdruck des Wunsches.

Freuds Traumtheorie wird bis heute angewendet, diskutiert und kritisiert. Alfred Adler und Carl Gustav Jung, beide jeweils Begründer anderer Gebiete der Psychologie, bemängeln an der Traumdeutung den Fokus auf Sexualität, die laut Freud bei der (oft kindlichen) Wunschentwicklung eine tragende Rolle spielt. Freud spricht auch jedem einzelnen Traum einen Sinn zu, und wenn man die Wunscherfüllung nicht erkennen kann, so liegt es seiner Ansicht nach an einer mangelhaften Deutung. Überprüfbar sind Traumdeutungen letztendlich nicht, da wir keinen Blick in das Unterbewusstsein werfen können.

Aber wer möchte, kann in den nächsten Nächten ja ganz bewusst über seine Träume nachdenken – und sich fragen, ob geheimnisvolle Wünsche dahinter lauern.

Titelbild: © Franziska Frank

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Wieso träumen wir? Wie kann ich meine Träume deuten? Und wie werden wir Alpträume los? Das und mehr verrät uns Traumforscher und Psychologe Michael Schredl im Interview. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und forscht an Fragestellungen rund um das Thema Träume. Mit seinen eigenen Träumen setzt er sich seit über 30 Jahren auseinander.

Herr Schredl, können Sie beschreiben, wieso wir überhaupt träumen? Hat das Träumen eine bestimmte Funktion für den Körper?

Die Frage ist bis heute unbeantwortet. Was wir auf jeden Fall wissen ist, dass jeder Mensch jede Nacht träumt. Das Gehirn als biologische Maschine schläft nicht, es hat sogar relativ viele Aufgaben während des Schlafes. Da werden Informationen, die tagsüber aufgenommen worden sind, nochmal bearbeitet und verbessert abgespeichert. Diese Funktionen sind recht gut belegt. Allerdings ist es eben so, dass diese Funktionen auf neuronaler Ebene funktionieren. Das heißt, da ist die Frage: Muss man dazu träumen?

Es gibt inzwischen auch viele Traumforscher, die sagen, es macht schon Sinn, dass wir gerade die Sachen, die uns tagsüber beschäftigen, auch in den Träumen nochmal verarbeiten. Es ist interessanterweise auch so, dass Träume sich häufig mit sozialen Themen beschäftigen, mit sozialer Interaktion. Und dann gibt es die Idee, dass das Träumen zum Üben da ist. Dass man besser mit anderen Leuten zurechtkommt, weil das ja auch evolutionär wichtig ist, um einen Partner zu finden, sich fortzupflanzen oder sozial in einer Gruppe integriert zu sein. Es gibt eben viele Theorien, aber man weiß nicht, ob es tatsächlich stimmt, weil es eben niemanden gibt, der nicht träumt. Man kann nicht vergleichen, wie es wäre, wenn man nicht träumen würde, weil alle Menschen träumen.

Sie sind Traumforscher. Bei der Recherche zum Thema hatte ich nicht den Eindruck, dass es viele Kolleg*innen gibt, die denselben Beruf wie Sie ausüben, oder?

Michael Schredl ist Traumforscher und bietet am ZI Mannheim eine Alptraum-Sprechstunde an. © ZI Mannheim

Ja, da haben Sie recht. Wir sind eine relativ kleine Gruppe. Träume sind ja definiert als subjektives Erleben während des Schlafes – somit hat die Traumforschung auch eine starke Verbindung zur Neurowissenschaft. Wobei man schon unterscheiden muss, dass die Neurowissenschaft eher den Schlaf und die Gehirnfunktionen untersucht. Das Träumen selbst, das subjektive Erleben, ist die Domäne der Psychologen.

Was hat Sie persönlich am Thema Träumen so fasziniert, dass Sie sich für den Beruf als Traumforscher entschieden haben?

Es liegt natürlich bei mir schon lange zurück, dass ich angefangen habe, mich für psychologische Themen zu interessieren. Ich habe dann ein Traumbuch gekauft, neben das Bett gelegt und angefangen, Träume aufzuschreiben. Was mich da immer fasziniert hat war, dass Träume so kreativ sind. Es sind immer sehr interessante Geschichten gewesen am Anfang, also Abenteuergeschichten zum Beispiel, und das hat mir damals schon Spaß gemacht. Das war ein Grund, wieso ich regelmäßig Träume aufschreibe, schon seit 30 Jahren, und mich eben auch vermehrt für das Thema interessiert habe.

„Träume sind kreative Darstellungen von Themen, die einen tagsüber beschäftigen.“

Es gibt ja auch verschiedene Vorgehensweisen, um Träume zu deuten. Man kann zum Beispiel Symbole nachschlagen, die dann bestimmte Bedeutungen hätten. Wie denken Sie über diese Art von Traumdeutung?

Die Traumdeutung, gerade Symboldeutung, hat ja schon eine lange Tradition. Aus meiner Sicht ist das aber wenig hilfreich, weil die Träume so kreativ sind, dass jeder Träumer und jede Träumerin eigene Umsetzungen von Dingen hat, die ihn oder sie tagsüber beschäftigen. Träume sind kreative Darstellungen von Themen, die einen tagsüber beschäftigen. Kreativ heißt für mich, dass es eben nicht so ist, dass eine schwarze Katze eine feste Bedeutung hat. Sondern dass jede Person ihre eigenen Symbole, ihre eigene Art hat, etwas darzustellen.

Ich mache mal ein Beispiel. Sie haben einen Verfolgungstraum, ein riesiges Monster taucht vor Ihnen auf. Nun kann man sich überlegen: Wieso habe ich von einem Monster geträumt? Aber wenn man schaut, was in dem Traum passiert ist, nämlich dass man Angst hatte und weggelaufen ist, wird es von Psychologen als Vermeidungsverhalten bezeichnet. Das heißt, der Traum hat eine kreative, dramatisierte Form von Vermeidungsverhalten beschrieben. Die Idee dahinter ist, dass der Traum ein Thema aufgreift, möglicherweise eine unangenehme Aufgabe oder ein Gespräch, die im Wachzustand vermieden wurden, und der Traum das plastisch macht.

Viele Menschen kennen auch Alpträume. Woher kommen solche negativen Träume?

Alpträume werden definiert als Träume mit so starkem negativem Affekt, dass dieser zum Erwachen führen kann. Meistens ist es Angst, es kann aber auch Wut, Ekel oder Trauer sein. Es gibt tatsächlich Personen, die eine Veranlagung dazu haben. Wir sind gerade dabei zu schauen, ob es auch mit Hochsensibilität zu tun hat. Wir vermuten, dass es einfach Menschen gibt, die sensibler, kreativer und empathischer sind und leichter an Alpträumen leiden. Der zweite Punkt ist dann der aktuelle Stress.

„Je mehr man Angst vor der Angst hat, desto größer wird sie.“

Gibt es wirklich Mittel, um die Alpträume komplett verschwinden zu lassen?

Jede Person hat im Traum ihre eigene Art und eigene Symbole, um Dinge darzustellen, erzählt Traumforscher Michael Schredl. © Unsplash

Tatsächlich gibt es eine sehr einfache und sehr wirkungsvolle Therapieform, die man sogar selbständig anwenden kann. Im englischen Sprachraum wird sie als Imagery Rehearsal Therapy bezeichnet, also eine Vorstellungsübungs-Therapie. Bei Ängsten ist es so: Je mehr man Angst vor der Angst hat, desto größer wird sie. Bei den Alpträumen ist das gleiche Prinzip wirksam. Nur ist es bei Alpträumen sogar noch einfacher, weil man sich einfach während des Tages vorstellt, wieder in der Alptraumsituation zu sein und sich dann vorstellt, was man anders machen würde. So kann man sich etwa möglichst plastisch ausmalen, sich umzudrehen anstatt wegzulaufen und vielleicht noch Helfer im Hintergrund zu haben. Und dann das Monster zu konfrontieren und aktiv die Situation zu bewältigen, anstatt durch das Aufwachen aus der Situation herauszugehen.

Bei der Therapie wird die Vorstellung über zwei Wochen tagsüber für fünf Minuten wiederholt und geübt. Das wirkt sich auf die Träume aus. Interessanterweise nicht nur auf die Träume, die man geübt hat, sondern auch auf andere Träume, weil man die Einstellung lernt: Wenn ich im Traum Angst habe, überlege ich, was ich tun kann. Und das ist tatsächlich ganz wirksam, die Therapie hilft ungefähr bei 70 Prozent der betroffenen Menschen.

 

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