In einem vergangenen Beitrag hat uns Lena bereits die haarigen Redewendungen nähergebracht. Dabei haben wir uns gefragt, was eigentlich hinter solchen Redensarten steckt. Warum sagen wir zum Beispiel, dass jemand Haare auf den Zähnen hat? Und können wir solche Redewendungen bedenkenlos nutzen? Mehr in diesem Faktencheck.
Man hört sie überall und tagtäglich auf dieser Welt: Redewendungen. Wir verwenden sie, um etwas bildhaft auszudrücken, und meinen das Gesagte nur selten wörtlich. Für Menschen, die eine Sprache erst lernen müssen, stellen sie deshalb mitunter eine der größten Herausforderungen dar. Darüber hinaus werden Idiome (sprachwissenschaftliche Bezeichnung für Redewendungen) meist genutzt, ohne deren tatsächlichen Hintergrund zu kennen. So verhält es sich beispielsweise mit dem Ausdruck ‚bis zur Vergasung‘, was so viel heißt wie etwas bis zum Überdruss oder bis zur völligen Erschöpfung zu tun. Ursprünglich bezog sich die Wendung auf den Übergang eines flüssigen Aggregatzustands zu einem gasförmigen. Dennoch wird die Redensart oftmals mit der Massenvernichtung von Juden assoziiert. Daher steht die Nutzung dieser Wendung auch in der Kritik.
Glücklicherweise halten sich solche negativ konnotierten Idiome in Grenzen. Viele Redewendungen gehen auf Brauchtümer oder Vorstellungen aus längst vergangenen Zeiten zurück. Besonders viele der haarigen Redensarten haben mittelalterliche Wurzeln und finden sich bereits in der mittelhochdeutschen Literatur wieder.
Sich die Haare raufen
Wer völlig verzweifelt und ratlos ist, rauft sich sprichwörtlich die Haare. So beschreibt auch die Süddeutsche Zeitung das erste Vorrundenspiel, das die deutsche Mannschaft am 17. Juni 2018 zum ersten Mal nach 36 Jahren verloren hat. Letztlich hat es die Mannschaft nicht mal ins Achtelfinale geschafft, was sicherlich nicht nur für deren Fans zum Haare raufen sein dürfte. Doch warum sagt man eigentlich, dass man sich die Haare rauft, wenn man verzweifelt ist?
Ein Blick in das Nibelungenlied, das bereits zwischen 1190 und 1210 entstanden ist, schafft Abhilfe. In der Klage, die auf das Lied folgt und in der die Verstorbenen des Liedes betrauert werden, heißt es an einer Stelle: „Viele hochgeborene Jungfrauen rissen sich die Haare vom Kopf.“
Dargestellt wird eine sogenannte Klagegebärde, die die Trauer nach außen hin visualisiert. Wie Sabrina Hufnagel in ihrer Studie über die Nibelungenklage beschreibt, rissen sich besonders Frauen die Haare vom Kopf. Denn während der Trauerphase war jeglicher Schmuck, also auch körperlicher, fehlplatziert. Das hatte zur Folge, dass Trauernde im wahrsten Sinne des Wortes ihre Trauer verkörperten. Heute reißt man sich im Trauerfall zwar nicht mehr die Haare aus, doch in verzweifelten Situationen rauft man sich immer noch sprichwörtlich die Haare.
Sich in die Haare kriegen
In den vergangenen Wochen bekamen sich CDU und CSU im sogenannten „Asylstreit“ mächtig in die Haare. Doch wirklich an den Haaren gezogen haben sich Horst Seehofer und Angela Merkel sicherlich nicht. Warum spricht man also bei einem Streit davon, sich in die Haare zu kriegen?
Tatsächlich bezieht sich diese Redensart ursprünglich auf einen Kampf, bei dem man sich an den Haaren zieht. Im Französischen heißt es beispielsweise ‚se crêper le chignon‘, was so viel bedeutet wie ‚einander in den Haarknoten greifen‘. Wer am Ende einen zerzausten Kopf hat, hat verloren. Kein Wunder also, dass man heute immer noch davon spricht, sich in die Haare zu kriegen, wenn zwei sich streiten.
Immerhin besteht zwischen CDU und CSU nun offiziell Einigkeit. Mit einem beherzten Griff in den Haarschopf wäre wohl der Streit von Merkel und Seehofer sicher schneller entschieden worden. Doch auch wenn diese Vorstellung zugegebenermaßen zum Schmunzeln ist, ist es doch beruhigend, dass sich beide Parteien friedlich einigen konnten. Und trotzdem: fraglich bleibt, wer denn nun eigentlich als Sieger vom Platz gegangen ist.
Haare auf den Zähnen haben
Im November 2014 erscheint auf Zeit Online ein Artikel über die Autorin Petra Reski, die zu diesem Zeitpunkt ihren ersten Roman über die italienische Mafia veröffentlichte. Darin beschreibt die Autorin des Artikels Petra Reski unter anderem als Frau „mit Haaren auf den Zähnen“. Aber warum?
Blicken wir in die Geschichte zurück: Bereits 1543 schreibt der reformatorische Theologe Sebastian Franck in seinem Weltbuch, dass Geistliche nicht fromm seien, sondern Haare auf der Zunge hätten und man ihnen besser nicht vertraue. Über die Zeit wandelte sich jedoch die negative Konnotation dieses Ausdrucks. So findet man ca. 240 Jahre später in Schillers Die Räuber folgenden Satz: „Ich kenne dich, du bist ein entschlossner Kerl – Soldatenherz – Haar auf der Zunge!“ Mittlerweile spricht man vermehrt von den Zähnen als der Zunge. Woher der Wandel kommt, ist aber nicht ganz klar. Gemeint ist dennoch dasselbe: Jemand ist so behaart, dass die Haare sogar auf unbehaarten Stellen wachsen.
Diese übertreibende Redewendung ist heute meist auf energische Frauen bezogen, die sich verbal zu wehren wissen. Die Haare stehen dabei in Zusammenhang mit männlicher Behaarung, die als Zeichen für Stärke und Couragiertheit gilt. Das verdeutlicht die Übersetzung des Wortes ‚behaart‘ ins Französische: ‚poilu‘ meint wörtlich nämlich den Behaarten und wird umgangssprachlich verwendet, um einen energischen, tapferen Mann und schließlich einen Frontsoldaten zu beschreiben. Wenn das nicht gleich an Schillers entschlossenen Kerl mit dem Soldatenherz erinnert?
Ähnlich wie das eingangs erwähnte Beispiel, empfiehlt es sich jedoch, die Nutzung dieser Redewendung zu überdenken. Denn es zeichnet ein schwaches Frauenbild, in dem Eigenschaften wie Entschlossenheit und Ehrgeiz ausschließlich Männern zugeschrieben werden. Und gleichzeitig weist es darauf hin, dass eine Frau nur dann stark sei, wenn sie sich dieser ‚unweiblichen‘ Eigenschaften bemächtigt.
Damit zeigt sich, dass es immer wieder lohnenswert ist, auch altbekannte Redewendungen zu hinterfragen. Wer außerdem mehr über die kritische Auseinandersetzung mit Frauenbildern lesen möchte, dem seien folgende Beiträge empfohlen:
- Körperhaare – Instrument des Sexismus? von Lena
- Hauptsache glatt – Über das weibliche Schönheitsideal unserer Generation von debbelapple
- Wie kommt es an, wenn sich eine Frau ihre Haare abrasiert? von Ananas
Literatur:
- Duden (2012): Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik
- Christoph Drösser (2009): Stimmt’s? Vom moralischen Reden, Kolumne auf Zeit Online
- Lutz Röhrich (1991): Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten
- Sabrina Hufnagel (2016): Nibelungische Memoria. Zur Erinnerungsfunktion von Emotionalität und Geschlecht in der ‚Klage‘
Mehr zum Thema und weitere spannende Beiträge gibt es auf unserem Blog Shades of Hair. Außerdem halten wir unsere Leser*innen auf Facebook, Twitter und Instagram mit regelmäßigen Neuigkeiten rund um unseren Blog auf dem Laufenden.
Sehr interessanter Beitrag! Ich finde es immer wieder faszinierend wie viele Sprichwörter wir ganz automatisch benutzen ohne wirklich zu wissen was dahintersteckt…
Sehr interessanter Beitrag! Ich finde es immer wieder faszinierend wie viele Sprichwörter wir benutzen ohne zu wissen wo sie herkommen und was sie ursprünglich zu bedeuten hatten…
Danke Luna! Geht mir ähnlich wie dir. Anfangs dachte ich auch nicht, dass das Thema wirklich etwas hergibt, war dann aber doch über die Ergebnisse erstaunt. Vor allem der starke Bedeutungswandel und der frauenfeindliche Gehalt von „Haare auf den Zähnen“ hat mich echt überrascht.
Schön und interessant geschriebener Beitrag. Ich finde es auch schön, dass du die verschiedenen Redewendungen mit Beispielen erklärst, wie zum Beispiel dem aktuellen CDU/ CSU-Thema. Somit bleiben die Erklärungen einfach besser im Kopf.