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Ischgl. Mit 45 Skiliften und 238 Pistenkilometern gehört es zu einem der beliebtesten Skigebiete Tirols. Jährlich verbringen hier tausende Menschen ihren Winterurlaub. Aber was passiert eigentlich, wenn sich ein Skifahrer verletzt? Wir haben für euch mit dem Pistenchef von Ischgl, Serafin Siegele, über den Alltag der Bergretter gesprochen.
Heiß strahlt die Januar Sonne auf die eisigen Pisten Österreichs. Fans des Wintersports aus ganz Europa stürmen die Skigebiete, fahren begeistert mit den Liften auf die Berge und mit noch größerer Begeisterung die Berge auf Skiern wieder hinab. Mit jeder neuen Abfahrt werden sie selbstbewusster, schneller und waghalsiger. Auch ein junger Mann will mit seinem Können prahlen, gibt Gas und gerät ins Schleudern. Er weiß nicht, wie er bremsen soll, seine Skier verkanten sich, er stürzt und kommt von der Piste ab. Tief rutscht er eine Böschung hinunter, sein schmerzerfüllter Schrei hallt von den Bergwänden wider. Andere Skifahrer kommen schlitternd an der Kante zum Stehen und blicken panisch auf den Verletzten hinab, laut hört man sie aufkeuchen. Denn die Beine des jungen Mannes stehen in einem seltsamen Winkel von seinem Körper ab.
Die Bergretter von Ischgl
Unfälle auf den Pisten sind keine Seltenheit. Der lang ersehnte Skiurlaub kann schnell und unerwartet im Krankenhaus enden. Selbst erfahrene Skifahrer kommen auf Eisplatten oft ins Rutschen oder werden beim Tiefschneefahren abseits der Pisten von Lawinen überrascht. Unverzichtbar sind deswegen Menschen, die in den Skigebieten für Sicherheit sorgen und Erste Hilfe leisten. So hat auch das Skigebiet von Ischgl eine Bergwacht, bestehend aus dem Pistenchef Serafin Siegele und seinem 18-köpfigen Team. Seit 28 Jahren arbeitet Siegele nun schon für die Bergwacht und könnte sich keinen schöneren Job vorstellen, als jeden Tag mit den Skiern in der Natur unterwegs zu sein und Menschen helfen zu können.
Während die Urlauber am Morgen ihren ersten Kaffee brühen, fahren Serafin und seine Mitarbeiter bereits mit der Gondel hoch in die nebelverhangenen Berge. Täglich sind 12 der 18 Mitarbeiter im Einsatz. Jeder von ihnen bekommt eine Piste zugeteilt, die er kontrollieren muss. Es werden die Sicherheitsmarkierungen geprüft, Gefahrenstellen abgesichert und eisige Pisten gesperrt. Tagsüber sind Siegele und sein Team außerdem im Bereitschaftsdienst. Wenn sie auf ihrem Stützpunkt die Meldung erhalten, dass sich ein Skifahrer verletzt hat, brechen sie sofort auf. Vor Ort sichern sie zuerst die Unfallstelle ab, leisten die Erstversorgung des Verletzten und transportieren ihn hinterher entweder zur Talstation oder ins Krankenhaus ab. Auch ein Rettungshubschrauber ist in Ischgl stationiert, der die Schwerverletzten nach Zams oder Feldkirch bringt. In besonders schlimmen Fällen fliegt der Hubschrauber auch bis zum Krankenhaus in Innsbruck. Bänderverletzungen am Knie oder an der Schulter kommen laut Siegele jedoch am häufigsten vor. „Diese Einsätze sind für uns Routine und wir wissen genau, wie vorgegangen werden muss. Lawineneinsätze hingegen sind sehr gefährlich, auch für uns erfahrene Retter. Manchmal kommt man zu dem verunfallten Wintersportler und muss feststellen, dass man ihn nicht mehr retten kann, weil die Verletzungen tödlich waren.“
Ruhe bewahren
Der zu Beginn geschilderte Unfall ereignete sich bereits 1982, dennoch kann Serafin Siegele ihn bis heute nicht vergessen. Der junge Mann, der von der Piste abkam, brach sich beide Beine und beide Hände. Die Beine waren um 180 Grad nach hinten gebogen und der Verletzte schrie lauthals vor Schmerzen. Serafin und sein Kollege gaben ihm einen Handschuh zum draufbeißen, während sie seine Beine nach vorne zogen und wieder gerade ausrichteten. Ein Rettungshubschrauber brachte ihn dann ins Krankenhaus von Innsbruck. Noch heute schaudert Siegele, wenn er an den Anblick des Verletzten denkt.
Doch egal wie furchtbar der Unfall ist – die Bergretter selbst müssen Ruhe bewahren. Sie müssen sicher arbeiten, immer mitdenken und dürfen auf keinen Fall in Panik geraten. Es ist alles andere als einfach, die aufkommenden Emotionen zu unterdrücken, um rational handeln zu können. Aber in diesem Moment tragen sie nicht nur die Verantwortung für sich selbst, sondern auch für den Verletzten. Nach solch schwierigen Einsätzen trifft Serafin Siegele sich abends in einer ruhigen Runde mit seinen Mitarbeitern. Sie tauschen sich über den Einsatz aus, diskutieren, was hätte anders gemacht werden können, und klären, was beim nächsten Mal besser laufen muss. „Darüber zu reden ist enorm wichtig, um mit der psychischen Belastung umgehen zu können“, sagt Siegele. „Vor allem dann, wenn es Schwerverletzte oder Tote gab.“
Ein heldenhaftes Team
Doch auch an anderen Abenden trifft sich der Pistenchef mit seinem Team auf einer gemütlichen Hütte. Sie essen gemeinsam und plaudern über den Job und das Leben. Seine langjährigen Mitarbeiter, die gleichzeitig auch wahre Freunde für ihn sind, weiß Siegele sehr zu schätzen. Er ist zwar ihr Vorgesetzter, aber er sieht sich auf Augenhöhe mit ihnen.
Obwohl die Bergretter täglich sehr vielen Menschen helfen und nicht selten Leben retten, sagt Siegele ganz eindeutig: „Wir sind keine Helden, das wollen wir auch gar nicht sein. So wie Pizzaboten Essen ausliefern oder Ärzte Krankheiten heilen, versorgen wir verletzte Skifahrer auf den Pisten. Wir machen einfach nur unseren Job. Es ist unsere Aufgabe, Menschen zu helfen.“
Dennoch hat Siegele bei seiner Arbeit etwas sehr Wichtiges über das Leben und seine Mitmenschen gelernt. Verunglückte – egal ob jung oder alt, arm oder reich – sind immer dankbar, wenn man ihnen hilft. Wenn jemand verletzt auf der Piste liegt, macht es keinen Unterschied mehr, woher er kommt oder wie teuer der Ski-Anzug ist. In der Not sind alle Menschen gleich, und die Bergretter sind für alle Menschen in Ischgl da. Eindeutig ein heldenhaftes Team, finden wir.
Ebenfalls bei Lawinenunglücken im Einsatz: Rettungshunde