Der Übergang zur bargeldlosen Gesellschaft wird in Europa immer präsenter. Am 26. April dieses Jahres stellte die europäische Zentralbank (EZB) die Ausgabe des 500-Euro-Scheins ein. Während diese Entscheidung alle EU-Länder betrifft, gibt es Staaten, die dieser Entwicklung schon längst voraus sind. Dabei handelt es sich nicht nur um die Abschaffung einer einzelnen Eurobanknote, sondern um einen flächendeckenden Abbau des Bargeldes. Doch was für Folgen hätte eine Beseitigung des Papiergeldes?

Als die Stockholmer Bank im Jahr 1661 die ersten Banknoten in Europa herausgab, wurde das Papiergeld nicht mehr nur als Ersatz für Edelmetalle angesehen, sondern vielmehr zu einem Alltagsgegenstand. Allerdings stoppte damit nicht die Evolution des Zahlungstransfers. Mit der Entstehung des Plastikgeldes in den 1950er Jahren wurden die Zahlungsmöglichkeiten weiter ausgebaut. Mittlerweile wurden Transaktionen mit der Einführung von Applikationen wie Google Pay digitalisiert.

„Bargeld braucht nur noch deine Oma – und der Bankräuber“

Als die europäischen Pioniere des Papiergeldes sind es die Schweden, die sich allmählich zu einer bargeldlosen Gesellschaft entwickeln. Denn laut Angabe der schwedischen Zentralbank im Jahr 2018, zahlt mehr als drei Viertel der Bevölkerung hauptsächlich bargeldlos. Viele Läden, Restaurants, Bars und Hotels verweigern die Annahme von Bargeld. Bezahlvorgänge für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und Toiletten erfolgen digital. Zudem spielt die App Swish, ein von schwedischen und dänischen Banken entwickeltes Zahlungssystem, eine wichtige Rolle. Laut der Webseite von Swish nutzen aktuell mehr als zwei Drittel der Schweden die Bezahl-App. Denn neben der digitalen Transaktion in Läden wird diese auch für die Spende an Kirchen sowie für die Abgabe von Almosen an Obdachlose genutzt.

Abschaffung des Papiergeldes

Schwedische Banknoten – Bild von Christoph Meinersmann auf Pixabay

Darüber hinaus machen sich Gewerkschaften für die Abschaffung des Papiergeldes stark. Mittels Initiativen wie der schwedischen Kampagne „Bargeldlos jetzt“ und Slogans wie „Bargeld braucht nur noch deine Oma – und der Bankräuber“ sagen norwegische und schwedische Gewerkschaften dem Papiergeld den Kampf an. In Deutschland ist die Situation anders. Laut einer repräsentativen Studie des Digitalverbands Bitkom im Jahr 2019 wollen sich mehr als die Hälfte der Deutschen nicht komplett vom Bargeld trennen.

Doch warum wird das Papiergeld von den einen gehasst und von anderen geliebt? Was macht das Bargeld so unerwünscht aber auch so attraktiv?

Cashless = Komfort?

Abschaffung des Papiergeldes

Inflationsgeld aus dem Jahr 1923 – Zur Zeit als das Papiergeld in Deutschland einen geringen Wert hatte – Bild von Udo Rauch (Stadtarchiv Tübingen)

Für die Abschaffung des Papiergeldes sprechen die Kostenersparnisse und der steigende Komfort sowohl für Konsumierende als auch für Banken. Dabei würden für Institutionen Transport-, Aufbewahrungs-, Organisations- und Druckkosten wegfallen. Bürgerinnen, Bürger und Läden müssen nicht mehr die Sorge tragen, das Bargeld zu zählen, es aufzubewahren, zu pflegen oder zu verlieren, da das virtuelle Vermögen zu jeder Zeit aufgerufen werden kann. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Prävention krimineller Aktivitäten. Demzufolge können durch bargeldlose Transaktionen illegale Waffenkäufe, Raubüberfälle sowie Unterstützungen terroristischer Organisationen im Ausland verringert werden. Außerdem kann der Staat gegen Schwarzarbeit, Geldwäsche und Steuerhinterziehung effizienter vorgehen. Darüber hinaus kann das Abheben und die nachträgliche Aufbewahrung des Geldes nicht mehr die Wirtschaft schädigen, da die virtuelle Tauschware weiterhin zirkulieren kann.

Jeder Kauf hat seinen Preis!

Es sprechen aber auch viele Gründe für die Erhaltung des Papiergeldes. Das mit Abstand stärkste Argument ist die enge Verflechtung mit der Selbstbestimmung und Freiheit jedes Einzelnen. Im Vergleich zur digitalen Transaktion, hinterlässt das Papier keine virtuellen Fußabdrücke von uns. In der Zeit von Big Data, in der unsere Interaktionen im Netz von Konzernen und Institutionen exzessiv gesammelt werden, steht das Papiergeld für Datenschutz. Spätestens seit der globalen Überwachungsaffäre des amerikanischen Nachrichtendienstes der National Security Agency (NSA) im Jahr 2013, steht der tatsächliche Wert persönlicher Daten im Mittelpunkt unseres Bewusstseins.

Whistleblower im Skandal der Abhör- und Spionageaffäre des US-amerikanischen Nachrichtendienstes NSA

Edward Snowden – Der Whistleblower in der NSA-Affäre – Bilder von Gerd Altmann und OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Mittels digitaler Spuren können Behörden uns wie in einem Hollywood-Streifen mit Leichtigkeit lokalisieren und analysieren. Anhand mathematischer Algorithmen sind sowohl Konzerne als auch Institutionen in der Lage, ein Profil von uns zu erstellen. So wie Amazon uns mithilfe unserer Online-Bestellung personalisierte Produkte empfehlen kann, können uns staatliche Behörden dadurch zum Beispiel als Terrorverdächtige einstufen. „Wer im pakistanischen Telefonnetz geortet wird, nach giftigen Substanzen googelt und einen Wasserkocher bei Amazon bestellt, hat eine höhere Wahrscheinlichkeit ein Terrorist zu sein, als jemand, der jede Woche in einer Drogerie einkauft“, so heißt es überspitzt in einem Artikel des Schweizer Tages-Anzeiger.

Das Individuum wird zu einem Dividuum

Das Individuum als Objekt im Zeitalter der Digitalisierung und Big Data – Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Diese dystopischen Zustände sind erschreckend, aber real. Durch den im Jahr 2001 verabschiedeten „USA Patriot Act“, eine Reaktion auf die Anschläge des 11. Septembers, waren US-amerikanische Nachrichtendienste eine Zeitlang dazu befugt, uneingeschränkt persönliche Daten aus staatlichen und privaten Datenbanken zu sammeln („Matrix“ System). Da jede bargeldlose Transaktion ihre Spuren hinterlässt, sind vermeintlich vertrauliche Einkäufe transparent. Der anonyme Käufer von damals wird in der Gegenwart zu einem gläsernen Konsumenten mit individuellem Strichcode.

Komfort oder Freiheit?

Der französische Philosoph Gilles Deleuze schrieb in seinem Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, dass das Geld in einer wechselseitigen Beziehung zu der Disziplin und Kontrolle stehe (2017, S. 258). Auf der einen Seite gewähren uns bargeldlose Bezahlmechanismen den gewünschten Komfort, allerdings für den Preis der ständigen Kontrolle durch Konzerne und Staat. Zwar kann die Kriminalität durch die Abschaffung des Papiergeldes bekämpft werden, im Verhältnis dazu intensivieren sich dadurch Cyberattacken. Einerseits bekommen wir personalisierte Angebote präsentiert, andererseits wird unser Kaufverhalten in Datenbanken gespeichert und es werden Profile von uns erstellt. Anfallende Kosten können gesenkt werden, jedoch kostet es Konsumierende ihre Unabhängigkeit und Privatsphäre.

Eurobanknoten vor der kompletten Abschaffung?

Eurobanknoten – Bild von moerschy auf Pixabay

Die Abschaffung des Bargeldes ist ein zweischneidiges Schwert, wobei die Entscheidung zwischen Komfort oder Freiheit immer wieder getroffen werden muss. Papiergeld ist definitiv mehr als nur eine Tauschware. Es gewährt uns die Freiheit, selbst darüber zu bestimmen, welche Daten wir jemanden preisgeben möchten und es verleiht uns Integrität und Selbstentfaltung in einem demokratischen System.

 

Weitere Blog-Artikel zum Thema Papiergeld:

Geld wächst nicht auf Bäumen, sondern auf dem Baumwollfeld

Papierfälschung auf Knopfdruck

Wissenswertes zum Artikel:

Deleuze G. (2017). Postskriptum über die Kontrollgesellschaften im Buch Unterhandlungen. 6. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Die Ausgabe des 500-Euro-Scheins wird abgestellt: https://www.deutsche-handwerks-zeitung.de/500-euro-schein-abschaffen-kosten-in-milliardenhoehe/150/3093/326993

Der Beginn des Plastikgeldes: https://www.welt.de/finanzen/article137181507/Alles-begann-mit-einem-vergessenen-Portemonnaie.html

Schweden – Auf dem Weg in eine bargeldlosen Gesellschaft: https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/umfrage-der-bundesbank-deutsche-bleiben-dem-bargeld-treu/20961234.html

Weitere Argumente für die Abschaffung des Bargeldes: https://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/geld-ausgeben/bargeldloses-bezahlen-bei-allen-einkaeufen-15894324.html

Weitere Argumente für die Erhaltung des Bargeldes: https://www.sueddeutsche.de/kultur/digitalisierung-wer-das-bargeld-abschafft-schafft-die-menschlichkeit-ab-1.4101868

Mehr zum Thema des virtuellen Fußabdruckes: https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-06/bargeldloses-bezahlen-karte-handy-daten

Wissenswertes über die NSA-Affäre: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/nsa-affaere-worum-geht-es-a-1134779.html

 

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6 Kommentare
  1. Lisa Ellinger
    Lisa Ellinger sagte:

    Sehr interessanter Artikel! Dass die Schweden die „europäischen Pioniere des Papiergeldes“ sind und nun aber auch die Vorreiter in Sachen bargeldloser Zahlungsverkehr sind, war mir nicht bewusst. Da es sich um das gleiche Land handelt, zeigt es umso deutlicher, dass man nicht unbedingt an Traditionen festhalten muss, sondern sich auch auf Veränderungen einlässt. Diese Mentalität fehlt hierzulande manchmal etwas. Ich finde es oft ärgerlich, dass man in Deutschland noch so abhängig vom Bargeld ist – und damit eben auch von einem Geldautomaten in der Nähe. Ist der gerade mal wieder außer Betrieb oder gar nicht vorhanden, hat man ein Problem oder muss darauf hoffen, dass Freunde einem für das Mittagessen was auslegen können 😉 Das Argument mit der Kontrolle und dem Fußabdruck finde ich aber auch nicht unwesentlich. Zwar wäre dann trotzdem nachvollziehbar, wo ich das Geld abgehoben habe und mich somit aufhalte, aber über das Kaufverhalten wäre dann zumindest nichts bekannt. Bin auf jeden Fall gespannt, wohin die Reise geht.

  2. Larissa Dahner
    Larissa Dahner sagte:

    Ich persönlich halte Bargeld inzwischen auch nicht mehr für extrem notwendig. Es ist gemütlicher nicht immer zur Bank zu rennen, wenn der Geldbeutel mal wieder leer ist. Als ich in Kopenhagen auf einem Street Food Markt war, stach mir oft ein Schild ins Auge worauf ausdrücklich stand, dass man nicht bar zahlen kann, sondern wirklich nur mit Karte. Das hat mich überrascht, aber gleichzeitig fand ich es toll. In diesem Belangen sind einige Länder Deutschland auf jeden Fall schon um einiges voraus, aber ich denke, dass die Deutschen einfach sehr, sehr gerne alles in bar zahlen wollen, um ihre Ausgaben besser kontrollieren zu können.

  3. Rebecca Sahin
    Rebecca Sahin sagte:

    Danke für deine Recherchen zu diesem wichtigen Thema. Ich selbst befinde mich da auch immer wieder in einem Zwiespalt. Generell finde ich es auch bequemer und praktischer, alles bargeldlos bezahlen zu können, auf der anderen Seite gefährdet es natürlich auch den Datenschutz einzelner Personen und es ist eine ständige Kontrolle durch den Staat möglich. Aber ich finde, dass die Vorteile von Bargeldabschaffung fast überwiegen – für mich persönlich zumindest. Was mich auch sehr beeindruckt hat in deinem Beitrag war diese Bezahl-App in Schweden, die man für Spenden nutzen kann… Da stellt sich mir folgende Frage: Wie werden diese Spenden genau verteilt unter den verschiedenen Kirchen und Obdachlosen?

  4. FredericaTsirakidou
    FredericaTsirakidou sagte:

    Jetzt weiß ich was ich freilich NICHT in den Skanidinavien Urlaub mitnehme. Oft ist es freilich bequemer mit Karte zu zahlen, auch wenn man sich freilich ein bisschen schämt, wenn es nur für kleine Beiträge ist. Ich selbst habe mich an dieses ständige Kartenzahlen gewöhnt und dann ist es gut, wenn Freunde mit einem schimpfen, damit man sich mal vor Augen führt was das eigentlich bedeutet. Jeder ach so kleine Einkauf in Etablisments ist jetzt registriert und abrufbar. Der digitale Einkauf ist aber schon so fest im Alltag eingebunden, dass man freilich nicht darüber nachdenkt, dass man überwacht werden könnte. Der Weg aus dem riesigen Panoptikum ist also freilich der zerknitterte Geldschein in der Hosentasche. Man muss sich halt freilich die Frage stellen, ob man Komfort und Bequemlichkeit will und zu welchem Preis! Ich hab gehört da gab es ein paar coole Veranstaltungen zu dem Thema dieses Semester 😀
    Toller und kritischer Beitrag!

  5. Shanting Hu
    Shanting Hu sagte:

    Vielen Dank für Ihren Blog. Das erinnert mich an Chinas bargeldlose Gesellschaft. Und ich habe auch einige Unterschiede zwischen China und Deutschland in der bargeldlosen Gesellschaft festgestellt. Im heutigen China verwendet beispielsweise fast jeder oder jeder Internetnutzer elektronische Zahlungen wie Alipay, und wir verwenden selten Bankkarten. Aber in Deutschland muss ich Bargeld mitnehmen. Außerdem sind manche Leute immer sehr neugierig, wenn ich im Supermarkt mit Apple Pay bezahle. Haha, das macht mich sehr interessant. Ich unterstütze die bargeldlose Gesellschaft immer noch mehr, weil es wirklich praktisch ist. Ich denke, dass die damit verbundenen Probleme gelöst werden können.

  6. ZikunZhao
    ZikunZhao sagte:

    Danke für Deinen interessanten Beitrag. Obwohl das Papiergeld noch heutzutage oftmals benutzt wird, werden Handypayment und elektronische Zahlungen immer häufiger und populärer. Aber für das Bankwesen und die Finanzwirtschaft ist die Existenz des Bargelds immer noch notwendig und deswegen ist es fast unmöglich, durch die neue Zahlungsmittel ersetzt zu werden. Persönlich bevorzuge ich bargeldloses Zahlungsmittel, weil es ziemlich bequem ist — keine Münzen mehr 😀 !

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