Ob eine Reise durch die Erinnerungen oder eine göttliche Erscheinung – manche Menschen, die dem Tod knapp entronnen sind, berichten von sonderbaren Erfahrungen und stellen die Wissenschaft vor ein Rätsel. Könnte es sich um eine Art Traumzustand handeln? Was eine Nahtoderfahrung ist, in welchen Formen sie sich zeigen kann und welche wissenschaftliche Erklärungsansätze es gibt, erklärt der folgende Beitrag.
Was kommt nach dem Tod? Kommt überhaupt etwas nach dem Tod? Eine genaue Antwort auf diese Fragen können nur jene geben, die bereits gestorben sind. Das Verlassen des eigenen Körpers oder das Treffen von verstorbenen Verwandten sind nur einige von vielen Erlebnissen, von denen Patient*innen berichten, die dem Tod knapp entronnen sind.
Aber was sind Nahtoderfahrungen? Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht. Meist versteht man darunter Erfahrungen, die Menschen erleben, während sie bereits kurzzeitig als klinisch tot gelten, aber anschließend reanimiert werden können. In der Zeitspanne bis zur Reanimation machen manche von ihnen denkwürdige Erfahrungen. Einige können sich anschließend an nichts erinnern, als hätten sie traumlos geschlafen. Andere berichten, wie sie in diesem Zustand ihren eigenen Körper verlassen und von außen oder oben beobachten konnten, wie die Ärzt*innen oder Sanitäter*innen Notoperationen oder reanimierende Maßnahmen an ihnen vollzogen. Diesen Zustand nennt man ‚außerkörperliche Erfahrung‘. Was die Betroffenen in diesem Zustand erleben ist individuell, kann aber beispielsweise eine Reise durch wichtige Erinnerungen oder zu einem Licht am Ende eines Tunnels umfassen.
Vergleicht man Nahtoderfahrungen mit Träumen, fallen einige Parallelen auf: Die Betroffenen sind während ihrer Nahtoderfahrung, ähnlich wie im Schlaf, bewusstlos und erleben individuelle, teils übernatürliche Erfahrungen. Sind Nahtoderfahrungen also eine Art Traumzustand? Genau lässt sich diese Frage nicht beantworten, auf wissenschaftliche Vermutungen kommen wir noch zu sprechen.
Was erleben Nahtoderfahrende? Ein Erfahrungsbericht
Wie intensiv eine Nahtoderfahrung sein kann, schildert die Traumatherapeutin Christine Brekenfeld im Interview mit dem YouTube-Format Hyperbole anhand ihrer eigenen Erfahrungen. Sie durchlebt fast alle bekannteren Szenarien. Während einer Notoperation machte sie eine außerkörperliche Erfahrung. Ihre Ängste und Schmerzen waren weg und sie konnte sich selbst und ihre Operation von außen beobachten. Dabei hatte sie das Gefühl, dass die Zeit stillstehe. Gleichzeitig spielte sich eine Art Lebensrückblick vor ihr ab. Jedoch sah sie nicht alle wichtigen Erinnerungen, sondern im Speziellen negative Erinnerungen, in denen sie andere verletzt hatte. Erinnerungen, die sie bereut. Anschließend kam sie tatsächlich in etwas Ähnliches wie das berühmte Licht am Ende des Tunnels, doch nahm sie diesen Tunnel eher als eine Art Strudel wahr. Ein Sog zog sie sanft durch den Strudel, langsam auf eine Enge zu. In dieser Enge sah sie eine Art weiches Licht. Sie spürte, dass sie dahin wollte. Sie berichtete: „Als ich dann in Kontakt gekommen bin mit diesem Lichten, war es ein unglaublich schönes Gefühl. So als würde ich mit etwas in Kontakt kommen, was voller Liebe ist“.
Die Bemühungen der Ärzt*innen waren erfolgreich und Christine Brekenfeld konnte reanimiert werden. Sie ist sie dankbar für ihre Nahtoderfahrung, welche für sie der schönste Moment ist, den sie je erlebt hat. Für sie war es zwar nicht eine Begegnung mit Gott, aber mit etwas Göttlichem. Betroffene ändern oft ihr Leben oder ihre Einstellungen nach einer Nahtoderfahrung. Viele werden religiös. Die Verbindung mit dem Göttlichen oder Spirituellen liegt bei einer solchen scheinbar übernatürlichen Erfahrung natürlich nahe, aber es gibt durchaus auch wissenschaftliche Ansätze, das Phänomen zu erklären.
Die Forschung am Tod und das Problem belastbarer Daten
Das Phänomen der Nahtoderfahrung wird wissenschaftlich noch nicht sehr lange erforscht. Das liegt unter anderem daran, dass reanimierende Maßnahmen selbst noch nicht allzu alt sind: Erst 1957 wurden wiederbelebende Maßnahmen vom Arzt Peter Safar in seinem Buch Das ABC der Wiederbelebung beschrieben. Dementsprechend kam es erst in den 1970er Jahren zu eigentlicher Forschung zu Nahtoderfahrungen. Trotzdem lässt sich immer noch nicht mit Sicherheit sagen, wie Nahtoderfahrungen entstehen.
Das Problem: Das neuronale Netz im Gehirn versagt beim Hirntod. Es sollte also unmöglich sein, mit dem Gehirn nach dem Tod noch etwas wahrzunehmen. Die Nahtoderfahrung geschieht aber anscheinend gerade dann, wenn man bereits klinisch tot ist. Abgesehen davon ist es sehr schwer, an Studienteilnehmer*innen für Befragungen zu kommen. Von tausenden Patient*innen, an denen Reanimierungsversuche vorgenommen werden mussten, überlebten in einer Studie nur 330. Von den Überlebenden konnten nur 100 ausführlicher befragt werden, weil der gesundheitliche Zustand es bei den anderen nicht zuließ. Von diesen wiederum erinnerten sich weniger als zehn Personen an ihre Nahtoderfahrung. An dem Beispiel wird deutlich, wie schwer es ist, belastbare Datenmengen für eine Studie zu sammeln.
Nahtoderfahrungen: Ein finaler Akt des Gehirns?
Die Erforschung von Nahtoderfahrungen hat also ihre Schwierigkeiten, dennoch gibt es mögliche Erklärungsansätze. Neuere Messungen der Gehirnaktivitäten von Sterbenden zeigen, dass das Gehirn kurze Zeit nach dem Herzstillstand ein letztes Mal einen starken Anstieg an Aktivität aufweist. Dieser Anstieg der Gehirnaktivität wird von Neurolog*innen ‚Wave of Death‘, also Welle des Todes genannt. Auch nach dieser Welle sendet das Gehirn noch für eine Weile Signale aus. Diese Welle des Todes lässt sich vereinfacht gesagt dadurch erklären, dass die aufgrund von Sauerstoffmangel sterbenden Gehirnzellen eine Art letzte Energiereserve freisetzen, bevor sie in sich zusammenfallen. Es ist also möglich, dass diese letzte Gehirnaktivität mit der Wahrnehmung von Nahtoderfahrungen zusammenhängt. Darüber hinaus ließen sich ähnliche Zustände, wie die für Nahtoderfahrungen typische außerkörperliche Erfahrungen, bei Epilepsieerkrankten durch die Stimulation bestimmter Areale im Gehirn auslösen. Auch das spricht dafür, dass unser Gehirn der Auslöser des Zustands ist. Daher vermuten viele Forscher*innen, dass es sich bei Nahtoderfahrungen um komplexe Halluzinationen handelt. Sollte dies zutreffen, wären Nahtoderfahrungen tatsächlich eng mit Träumen verwandt, da auch Träume aus psychologischer Sicht eine Unterform der Halluzinationen darstellen.
Forscher*innen sind sich zumindest einig, dass Nahtoderfahrungen keine religiösen Ursprünge haben. Im Gegenteil, Nahtoderfahrungen können nicht nur unabhängig von Religion und Kultur gemacht werden, sie werden sogar von dieser beeinflusst: Während manche christliche Patient*innen beispielsweise in ihren Nahtoderfahrungen Jesus treffen, machen Patient*innen aus anderen religiösen und kulturellen Kontexten ganz andere Erfahrungen.
Es gibt also Erklärungsansätze, die auf einen biologischen Ursprung des Phänomens hinweisen, aber letzten Endes weiß man nicht, was genau bei einer Nahtoderfahrung passiert. Eines ist jedoch sicher: Für Betroffene sind sie oft eine positive Erfahrung, viele verlieren durch sie die Angst vor dem Tod.
Trotz aller Unklarheiten in der Forschung gelangen wir also zur Erkenntnis, dass man selbst in den schlimmsten Situationen noch etwas Schönes wahrnehmen kann, und dass man beim Tod vielleicht, nur vielleicht von seinem Gehirn in einen letzten, wunderschönen Traum geschickt wird, welcher alle Schmerzen vergessen lässt. Eine schöne Aussicht, oder?
Titelbild: © Timon Studler auf Unsplash
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