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Der Platz am Fenster. Ob im Zug, in der Universität, auf der Arbeit oder daheim – er lädt regelrecht zum Träumen ein. Der Blick gleitet nach draußen, bleibt irgendwo hängen und geht dann ins Leere. Was passiert mit uns, wenn wir in einer imaginären Traumwelt landen, sobald wir aus dem Fenster sehen und unsere Gedanken schweifen lassen?

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Es macht müde, entspannt die Muskeln und mindert Schmerzen – gleichzeitig ist es weltweit die häufigste illegal konsumierte Droge: Cannabis. Schon seit Jahrhunderten wird die zur Gattung der Hanfgewächse gehörende Pflanze als Heilmittel in der Medizin eingesetzt. Andererseits genießen viele auch einfach den berauschenden Zustand der Droge. Wie sich Cannabis auf Schlaf und Träume auswirken kann, beschreiben Allgemeinmediziner Franjo Grotenhermen und Cannabis-Konsumenten*innen im Interview.

Einer von immer mehr Vertreter*innen, die Cannabis als Schlafmittel einsetzen: Franjo Grotenhermen. © Franjo Grotenhermen

Seit 25 Jahren beschäftigt sich Franjo Grotenhermen mit Cannabis und Cannabinoiden. Der Allgemeinmediziner arbeitete in der Inneren Medizin, der Chirurgie und zuletzt in einer Klinik für Naturheilverfahren. Heute setzt er sich stark für den Einsatz von Cannabis als Arzneimittel ein. Auch bei Patient*innen mit Schlafstörungen sieht der 64-Jährige Cannabis als Heilmittel, dessen psychoaktive Wirkstoffe als Betäubungs- und Beruhigungsmittel funktionieren. Bereits im 19. Jahrhundert gab es hierzu erste Untersuchungen in Deutschland. Grotenhermen berichtet von Bernhard Fronmüller, der 1869 eine Studie mit 1.000 Patient*innen durchführte, die unter Schlafstörungen litten. Er verabreichte ihnen verschiedene potentielle Schlafmittel, unter anderem Cannabis. Das Ergebnis zeigte, dass sich die Schlafsituation der Patient*innen mit Cannabis in über 50 Prozent der Fälle verbesserte.

Warum wirkt Cannabis schlaffördernd?

„Auch heute geht man noch davon aus, dass THC (‚Tetrahydrocannabinol‘, Anm. d. Red.), der psychoaktive, also berauschende Bestandteil von Cannabis, bei 50 Prozent der Fälle müde macht. Das kann zum einen störend sein, wenn man einfach müde wird und nicht möchte. Es kann aber erwünscht sein, wenn man Schlafstörungen hat und dann besser damit schlafen kann“, erklärt Grotenhermen. Bei dem zweiten Cannabis-Wirkstoff CBD (‚Cannabidiol‘, Anm. d. Red.) seien sowohl schlaffördernde als auch schlafhemmende Effekte beobachtet worden. Laut Franjo Grotenhermen gibt es Patienten*innen, die sagen, „wenn ich CBD nehme, hilft mir das beim Einschlafen“. Andere hingegen würden vom CBD wacher und könnten dann nicht mehr schlafen, wenn sie zu viel CBD konsumieren. „Das ist eine sehr individuelle Reaktion, das kann man nicht verallgemeinern, weder für THC noch für CBD“, sagt der Allgemeinmediziner.

Mehr Schlaf, weniger Träume

Bei regelmäßigem Cannabis-Konsum verändern sich der Schlaf und mit ihm auch die Träume der Patient*innen. Diese Veränderung variiert jedoch von Mensch zu Mensch. Grundsätzlich wirke THC eher lädierend, „das heißt die meisten Patient*innen haben einen schlaffördernden Effekt. Zudem unterdrückt es die Träume, es unterdrückt den REM-Schlaf, den Rapid-Eye-Movement-Schlaf. Dies kann je nach Patient*in erwünscht oder unerwünscht sein“, erklärt Grotenhermen. Beim normalen Schlaf sei dieser Wegfall der Träume nicht unbedingt wünschenswert. Wer hingegen an Alpträumen leide, empfände das Ausbleiben der Träume jedoch als willkommene Wirkung. „Diese Unterdrückung des REM-Schlafs macht sich auch bemerkbar, sobald der Cannabis-Konsum reduziert wird, da die Träume dann wieder lebhafter werden“, so Grotenhermen.

Cannabis wird als Schlafmittel in Tropfenform, als Kapseln oder zum Inhalieren verschrieben. © Pixabay

Cannabis als Medikament

Vor allem für Personen mit Schlafstörungen jeglicher Art nutzt Franjo Grotenhermen Cannabis als Schlafmittel. Allgemein sei Cannabis in der Medizin noch sehr ungebräuchlich. Es gelte immer noch der Mythos, dass Cannabis nicht bei psychischen Erkrankungen eingesetzt werden sollte, weil es genauso psychiatrische Probleme verursachen könne. Den meisten Ärzt*innen fehle hier die Erfahrung und das Wissen, wann Cannabis situationsverbessernd und wann es -verschlechternd wirke. Franjo Grotenhermen gehört zu einer größer werdenden Gruppe von Mediziner*innen, die auch in Deutschland Cannabis als Heilmittel einsetzen und die ausgelöste Müdigkeit und den beruhigenden Effekt zur Behandlung von Krankheiten nutzen.

Vor allem Patient*innen mit posttraumatischen Belastungsstörungen, die durch extreme Belastungen wie etwa Krieg oder Missbrauch als Kind ausgelöst werden, leiden häufig unter Alpträumen. Hier sei Cannabis ein sehr gutes Mittel, um diese Personen von ihrem nächtlichen Leiden zu befreien. Bei Patient*innen mit beispielsweise schizophrenen Psychosen beeinflusse Cannabis hingegen die Krankheit häufig ungünstig. Hier müsse man differenzieren. Grotenhermen berichtet: „Als ich vor 25 Jahren angefangen habe, mich mit Cannabis zu befassen, dachte ich auch, dass Cannabis bei psychiatrischen Belastungen nicht eingesetzt werden sollte, sondern nur bei körperlichen Belastungen, Schmerzen, Spastik. Doch das hat sich bei mir komplett verändert.“

Erholsamerer Schlaf durch Cannabis

Sein Einsatz von Cannabis als Schlafmittel zahlt sich aus. Grotenhermen berichtet von einem Patienten, der durch einen Aufenthalt im Schlaflabor die positive Wirkung von Cannabis bestätigte. Hier wurden Einschlafzeit und Schlafdauer einmal mit und einmal ohne Cannabis ermittelt. Die Schlafdauer unter Cannabis-Konsum war ungefähr zwei Stunden länger. Der Patient empfand seinen Schlaf zudem als erholsamer und fühlte sich ausgeschlafener. Bei anderen Schlafmitteln sei genau hier eine Schwachstelle, da viele Betroffene ihren Schlaf unter Schlafmitteln als nicht erholsam empfinden und sich nicht ausgeruht und fit fühlen, sogar noch eine gewisse Restmüdigkeit beschreiben.

„Ich schlafe ein, bin komplett weg und ich wache auch so wieder auf.“

Regelmäßige Cannabis-Konsument*innen bestätigen den schlaffördernden Effekt. Die 26-jährige Laura M. (Name ist der Redaktion bekannt), die an posttraumatischen Belastungsstörungen leidet und täglich Cannabis konsumiert, beschreibt ihren Schlaf sehr drastisch: „Ich rauche und werde müde, ich kann Sorgen quasi abschalten und bin dann, sobald ich eingeschlafen bin, was relativ zügig geht, sofort zack, weg, und im gleichen Atemzug bin ich genauso sofort wieder zack, wach, sobald der Wecker klingelt. Das ist quasi alles eine Masse in einem, es gibt also keine Einschlafphase oder, dass ich mal früher wach werde, sondern ich schlafe ein, bin komplett weg und ich wache auch so wieder auf.“ Auch der 24-jährige Paul H. (Name ist der Redaktion bekannt) konsumiert täglich und beschreibt seinen Schlaf als „bewusstlos, tief, fest und ohne langfristige Erinnerung an meine Träume“.

So einfach das Einschlafen mit Cannabis ist und so ruhig der Schlaf sein kann, genauso unangenehm wird es für Konsument*innen jedoch, wenn sie weniger kiffen: „Dann ist es so, dass sich das Einschlafen wirklich wahnsinnig zieht. Dass ich viel unruhiger schlafe, dass ich nachts wach werde, dass ich zum Beispiel auch so etwas wie Harndrang verspüre, wenn ich mal müsste, was sonst alles komplett verschoben wird. Und dass die Träume so extrem sind, dass ich über den Schlaf hinweg auch öfters aufwache. Morgens in den ersten Tagen bin ich völlig gerädert, erst ab der fünften Nacht merke ich, dass ich wesentlich erholter bin“, so Laura M. „Es ist mehr Schlaf als Koma“, so Paul H.

Vom leeren Nichts zu lebhaften Träumen

Wenn sie täglich Cannabis konsumieren, träumen die Befragten überhaupt nichts, können sich an keine Träume erinnern. Die Betroffenen berichten, dass sie aufgrund der Symptome spüren, wenn sie einen Alptraum haben, sie wachen etwa verschwitzt auf – die Inhalte sind jedoch nicht mehr da, denn „alles geht unter, weil es nicht genug Nachdruck hat“. Umso stärker kehren die Träume dann zurück, sobald der Cannabis-Konsum reduziert oder abgesetzt wird. Bereits drei bis vier Tage nach komplettem Absetzen des Cannabis‘ beginnen sich bei Laura M. und Paul H. Schlaf und Träume wieder umzustellen. Vor allem die ersten Nächte ohne Cannabis seien dann schrecklich. Ohne Cannabis binden sie vor allem ihren Alltag in ihre Träume ein.

Der Inhalt ist dann „viel mehr darauf basierend, worüber ich mir Sorgen mache und was ich mit dem Cannabiskonsum sonst eher etwas verniedliche sozusagen. Da kommen dann tatsächlich auf wahnsinnig extreme Art und Weise die Dinge, die im Alltag Relevanz haben und Sorgen bereiten. Da wird alles viel realistischer und man wird in viel mehr Schwachstellen sozusagen getroffen. Ich träume dann die krassesten Szenarien“, erklärt die 26-Jährige. Gleichzeitig beschreibt der 24-Jährige seinen Schlaf ohne Cannabis als „erholsamer, bewusster, mehr Träume, es ist mehr Schlaf als Koma“. Vor allem die Erinnerung an die Träume kehrt durch den Entzug zurück, die REM-Schlafphase wird nicht unterdrückt. Paul H. erläutert: „Wenn ich nicht kiffe, dann ist es auf jeden Fall so, dass ich, wenn ich aufwache, eigentlich immer noch weiß, was ich geträumt habe.“

Der Grat zwischen wünschenswerten und nachteiligen Effekten ist bei Cannabis-Konsum also sehr schmal, worauf Allgemeinmediziner Franjo Grotenhermen, Verfechter von Cannabis als Schlafmittel, hinweist. Vor allem der Schlaf wird durch Cannabis sehr individuell beeinflusst.  Für Menschen mit Schlafproblemen oder psychischen Erkrankungen kann erholsamer Schlaf mithilfe von Cannabis ein Segen sein – traumreiche Nächte bleiben hier jedoch auf der Strecke.

Titelbild: © Pixabay

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Ein Schlag, ein kreischendes Geräusch, Metall auf Metall. Die Schwerkraft scheint aufgehoben, oben ist unten und unten ist oben. Der Gestank nach Benzin. Ein furchtbarer Schmerz. Stille. Immer derselbe Alptraum. So kann es Menschen gehen, die mit Traumata zu kämpfen haben. Über den Zusammenhang von Alpträumen und Traumata haben wir mit einer Traumatherapeutin gesprochen.

„Manchmal fühle ich mich ein bisschen wie Sherlock Holmes“, sagt Almute Nischak, studierte Tübinger Ethnologin. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie als Traumatherapeutin mit dem Schwerpunkt dissoziative Störungen. Als Quereinsteigerin gelangte sie über die Biographieforschung und die systemische Familientherapie zur Traumatherapie. „Ich schaue gemeinsam mit den Klient*innen, zu welchen Symptomen die erlebte Traumatisierung geführt hat und begleite sie dann in der Aufarbeitung des Erlebten.“

Alpträume können dabei ein Hinweis unter vielen anderen sein. Auch Erinnerungen, die tagsüber von der Ablenkung des Alltags unterdrückt werden, doch in der Nacht die Träume infiltrieren. Dies können unter anderem einzelne Szenen, Erinnerungsfetzen oder Gefühle der Bedrohung sein. Der Alptraum am Tag kann dabei zum Alptraum der Nacht werden: „Zum Einschlafen muss sich das Bewusstsein zurückziehen und damit fällt eine wichtige Kontrollinstanz weg. Wenn etwas unterdrückt wird, kann das hochploppen“, erklärt die Therapeutin. Das Wegfallen der Kontrolle durch unser Bewusstsein ist für traumatisierte Menschen oft schwierig, denn einzuschlafen erfordert auch das Vertrauen, gut durch die Nacht zu kommen und wieder aufzuwachen.

Trauma ist nicht gleich Trauma

Traumata können ganz unterschiedlich aussehen. Sobald ein Punkt der Bedrohung erreicht sei, erklärt Nischak, der extrem zu viel sei und die menschlichen Bewältigungsmöglichkeiten radikal überfordere, schalte der Körper auf einen Notfallmodus um: fliehen oder kämpfen. Dabei ist auch das traumatisch wirkende Ereignis von Bedeutung, aber vor allem die Vulnerabilität der Person. Diese kann abhängig sein von Alter, Geschlecht, Vorerfahrungen oder der Biographie. Ist weder fliehen noch kämpfen in dieser Situation möglich, erstarren wir unwillkürlich. Traumata haben viele Gesichter, sind mal laut und mal ganz leise: Vergewaltigung, Unfälle oder auch katastrophale Naturereignisse können genauso traumatisierend wirken wie extreme Vernachlässigung oder Verwahrlosung. Traumatisierungen können zu jedem Zeitpunkt im Leben eines Menschen passieren, auch im Mutterbauch.

Alpträume gehören zur Symptomgruppe der Intrusionen, erklärt Nischak. Das sind unwillkürlich einschießende Bilder, Erinnerungsfetzen oder auch Körperwahrnehmungen aus dem traumatisch Erlebten, ausgelöst durch äußere oder innere Schlüsselreize. Das Gehirn verarbeite nachts, was es tagsüber oder auch früher erlebt hat. Dabei können die Alpträume in seltenen Fällen ein Flashback darstellen. Darunter versteht Nischak ein Erinnerungsbruchstück, eine Körpererinnerung, die zum Zeitpunkt der Traumatisierung teilweise eins zu eins abgespeichert wurde und unwillkürlich Einfluss nimmt auf die Person – wie auch auf ihre Träume: „Bei Kindern sind es häufig Kinderperspektiven, aus denen das Geschehene gesehen wurde. Der Moment der Traumatisierung wird abgespeichert, wie er in dem Entwicklungsstand wahrgenommen wurde.“ Wichtig sei aber: Wer Alpträume hat, hat nicht zwangsläufig ein Trauma erlebt.

Detektivarbeit am Alptraum 

Almute Nischak erzählt von einer Frau, deren Erinnerung an mehrfache Vergewaltigungen als Kind erst über Träume an die Oberfläche des Bewusstseins kamen:

„Sie zeigte die für eine Posttraumatische Belastungsstörung relevanten Symptome, konnte sich aber nicht an alle traumatisierenden Ereignisse erinnern. Im Laufe des therapeutischen Prozesses erhielt sie über ihre Träume Hinweise, was noch geschehen war.“

Alpträume können dabei Gefühle der Angst, des Schreckens, des Ausgeliefertseins, der Ohnmacht und des Feststeckens im Alptraum widerspiegeln. „Manche Menschen merken auch, dass sie träumen, sie sind sich dessen bewusst und versuchen sich aus dem Alptraum rauszukämpfen. Weil es im Traum so unerträglich ist.“

Den Alptraum umschreiben

Eine Technik der Traumatherapie kann das Umschreiben von (Alp-)Träumen sein. Dabei schreiben die im Fachjargon sogenannten Klient*innen zuerst ihre Träume auf: „Dann fokussieren wir uns auf den ohnmächtigen, peinigenden Part“, erklärt Nischak. „Trauma heißt meist, dass etwas nicht vollendet, etwas stecken geblieben ist. Durch das Umdeuten und Umschreiben dieses Parts holt sich der Mensch aus der passiven Rolle in die Aktivität, in das Handeln.“ Das ist allerdings nicht ganz einfach und erfordert viel Geduld und Übung. Ein anderer Weg, mit Alpträumen zu arbeiten, ist das klassische Traumtagebuch.

Was der Traumatherapeutin an ihrem Beruf besonders gefällt? „Für mich ist es jedes Mal ein dankbares Gefühl, dass meine Klient*innen sich so öffnen, obwohl sie Schlimmes erlebt haben. Es ist ein unglaublich zufriedenstellendes Erlebnis, wenn Menschen dann mit sich in Kontakt kommen und mit der Zeit wieder Herr oder Frau im eigenen Haus werden.“ So kann der Alptraum ein Ende finden – am Tag und in der Nacht.

Titelbild: © Pixabay

 

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