Wir waren für euch mit Kamera und Mikrofon auf Tübingens Straßen unterwegs und haben mit den verschiedensten Menschen über Helden geredet. Wer sind die Helden der Tübinger und was macht einen Helden aus? Was haben Rosa Luxemburg und Laboraffen mit Heldentum zu tun? Und für wie heldenhaft halten sich die Tübinger? Das alles erfahrt ihr in unserem Video.

 

Ein Video von Nadja Rupp und Marie Oberle.

Katherine Switzer

Es ist nun 51 Jahre her, dass Kathrine Switzer den Boston-Marathon lief. Dieser Lauf sollte in die Geschichte eingehen, denn sie war die erste Frau, die offiziell an einem Marathon teilnahm. Trotz tätlicher Angriffe, der Angst entdeckt und aufgehalten zu werden und der körperlichen Anstrengung lief sie durchs Ziel und wurde somit zu einer Heldin der Frauenbewegung.  Weiterlesen

Gesellschaftstheoretiker, Ökonom, Philosoph ‒ und Hipster!? Karl Marx ist so populär wie nie, seine Theorien haben Hochkonjunktur. Doch was ist davon noch aktuell, was aus der Zeit gefallen? Und wie steht es heute um das ‚Gespenst des Kommunismus‘?

Karl Marx wird 200 Jahre alt ‒ die deutschen Medien gratulieren höflich. „Karl Marx ‒ der deutsche Prophet“ lautet der Titel eines Doku-Dramas, das im ZDF gezeigt wird. Die Süddeutsche kommentiert: „Die Lektüre von Marx ist ein Schlüssel zur Welt von heute“, bezeichnet ihn als ‚Visionär‘. In seiner Geburtsstadt Trier gipfeln die Feierlichkeiten in Marx-Statue und Marx-Ampelmännchen. Manche(r) Journalist*in dürfte noch Tage nach dem Jubiläum in einer Eistonne liegen und den von Schreibkrämpfen geschüttelten Körper kurieren. Marx, der Visionär und Prophet ‒ was ist von seinen Vorhersagen heute noch übrig? Waren seine ‚Prophezeiungen‘ zutreffend oder bloße Kaffeesatzleserei?

Auch Päpste fürchten Gespenster

Karl Marx und Friedrich Engels als Statue in Berlin (Foto: Pixabay).

Die Autoren des „Manifests der Kommunistischen Partei“ als Statue in Berlin (Foto: jensjunge, Pixabay.com).

„Ein Gespenst geht um in Europa ‒ das Gespenst des Kommunismus.“ So beginnt das „Manifest der Kommunistischen Partei“ von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Jahr 1848. In dieser Zeit ist ‚Kommunismus‘ ein Kampfbegriff. Er wird verwendet, um politische Gegner*innen zu verunglimpfen. Bei den Herrschenden verursacht das Wort Albträume. Sie wollen ihren Untergebenen den bösen Geist austreiben ‒ am liebsten per Exorzismus. Selbst der Segen von Papst Pius IX. ist ihnen dabei sicher. Denn für Pius IX. ist Kommunismus eine Seuche und einer der großen Irrtümer der Epoche.

Marx selbst kämpft ebenfalls gegen das Gespenst. Allerdings will er der Welt die Angst vor der Spukgestalt nehmen und mit dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus aufräumen. Aus dieser Motivation heraus entsteht das „Manifest der Kommunistischen Partei“. Was Marx darin schreibt, strotzt nur so vor gesellschaftlichem Sprengstoff. Er kritisiert, wie die Oberschicht die Fabrikarbeiter*innen, das Proletariat, ausbeutet. Sein zentrales Thema ist dabei der Klassenkampf, der zur gewaltsamen Revolution, dem Aufstand des Proletariats führt. Am Ende stehe die Umgestaltung der Gesellschaft oder ihr Untergang.

Marx‘ Warten auf die Revolution

Statue von Marx in Trier

Zumindest als Statue kam er nach Trier zurück (Foto: Leo_65, Pixabay.com).

Auf den Knall des selbst beschworenen Pulverfasses wartet Marx vergeblich. Lediglich der Pariser Juniaufstand im Jahr 1848 entzündet sich an der Sozialen Frage ‒ doch der erhoffte Flächenbrand bleibt aus. In Großbritannien, dem Vorreiter der Industrialisierung, gibt es kein Revolutionsbestreben. Es wäre ein Vorzeigebeispiel für seine Theorie gewesen. An benachteiligten Proletarier*innen hätte es nicht gemangelt. Stattdessen gewährt Großbritannien Marx Zuflucht vor den Exorzist*innen. Ausgerechnet der Staat, der wie kaum ein zweiter das symbolisiert, was der Kommunist verabscheut. Das ist wohl britischer Humor.

Im Exil rückt Marx vom Klassenkampf ab und wendet sich der Ökonomie zu. Die Wirtschaftsordnung produziere Krisen, Krisen führten zu Umstürzen, so sein neues Mantra. Er schreibt es in „Das Kapital“ nieder. Wieder beginnt das Warten auf die prognostizierte Revolution. Zumindest kann sich der Exil-Trierer damit trösten, dass er nicht alleine warten muss. Um ihn scharen sich ganze Horden von Marxist*innen. Mit unnachgiebigem Blick fixieren sie den Boden ihrer Kaffeetassen. Dort wollen seine Jünger*innen die Anzeichen für die bevorstehende Revolution erkennen, orakeln in Wirtschafts- und Börsenberichten um die Wette. Doch was sie auch im Kaffeesatz zu lesen glauben ‒ die Revolution nach Marx‘ Vorbild lässt sich nicht herbeireden.

Die Wahrheit im Kaffeesatz

Während der Begründer des Marxismus mit seinen Revolutionsprognosen irrt, soll er an anderer Stelle Recht behalten. Bei all der Kritik, mit der er sich am Wirtschaftssystem des Kapitalismus abarbeitet, so erkennt Marx dennoch dessen Potenzial. Der Kapitalismus bietet die Möglichkeit, Wohlstand zu erzeugen, wenn auch ungleich verteilt. Marx denkt über europäische Grenzen hinaus, spricht bereits im „Manifest der Kommunistischen Partei“ vom ‚Weltmarkt‘. Er sieht die Globalisierung voraus und warnt vor der Selbstbereicherung durch Manager*innen.

Porträt von Karl Marx

Voll im Trend mit Hipster-Bart, schon im Jahr 1875 (Foto: John Jabez Edwin Mayall).

Auch das Gespenst des Kommunismus hat seinen Schrecken nicht verloren. Der böse Geist soll dem Staatsapparat vielerorts ausgetrieben werden. Das zeigen diverse Kommunist*innenverfolgungen, beispielsweise in der NS-Zeit. Eine Hetzjagd, die Marx schon 1848 thematisiert. Die Plätze der Exorzist*innen haben mittlerweile andere eingenommen. So tun sich die USA auch nach Ende des Kalten Krieges damit schwer, kommunistische Staaten zu akzeptieren. Denn so viel ist klar: Kommunismus ist unamerikanisch.

Der Hipster Karl Marx

Am aktuellsten bleibt dabei aber seine Kapitalismuskritik, denn die Soziale Frage wird weiterhin diskutiert. Marx deckt die Schwächen des Systems auf: Lohn- und Leistungsdruck auf Seiten der Angestellten, Konzentration der Gewinne bei den Unternehmer*innen. Das führt zur wachsenden Ungleichheit zwischen beiden Gruppen, dazu kommen hohe Mietpreise und Wohnungsmangel in den Städten. Nein, das ist keine zeitgenössische Kritik aus Martin Schulz‘ Wunschwahlprogramm. Das ist Marx ‒ direkt aus dem 19. Jahrhundert. Der Begründer des Marxismus ist aktuell und liegt im Trend. Auch seine äußerliche Erscheinung würde heute wohl kaum aus der Reihe fallen: Die Haare zum ‚Man Bun‘ gebunden, ein anerkennendes Nicken beim Betreten gewisser Berliner Clubs und Cafés wäre ihm sicher. Das erkennt allerdings nur, wer sich von seinem an Kriegstreiberei grenzenden Klassenkampf-Gerede nicht abschrecken lässt.

Die aktuelle Lesart der Werke dürfte auch den heutigen Hype um seine Person erklären ‒ und die überschwänglichen Journalist*innen. Dennoch irrte sich Marx gerade bei seinen großen Revolutionsprognosen.  Besonders das „Manifest der Kommunistischen Partei“ sollte frei nach Mao Zedong im Kern ein Papiertiger bleiben. So findet sich beim Blick in Marx‘ Tasse nicht nur Wahres im Kaffeesatz ‒ obwohl Marx‘ Kaffee keineswegs abgestanden schmeckt.

2.500 Freelancer, 20 festangestellte Mitarbeiter*innen, 800 Anfragen – pro Monat: Marcel Kopper verhilft mit seiner Ghostwriting-Agentur „GWriters“ Kund*innen zu einem akademischen Titel. Ein Gespräch über dreiste Studierende, moralische Skrupel und Anrufe von Eltern, die verzweifelt einen Ghostwriter für ihre Kinder suchen. 

Herr Kopper, wie vielen Studierenden haben Sie schon zu einem Abschluss verholfen?

Diese Frage höre ich nicht zum ersten Mal (lacht). Offiziell noch keinem. Denn unsere Ghostwriter schreiben keine Abschlussarbeiten, sondern erstellen lediglich Dossiers als Mustervorlagen, an denen sich Studierende orientieren können – es sind Lösungsvorschläge, die wir anbieten. Mehr nicht.

Ein achtseitiges Dossier kostet bei Ihnen bis zu 600 Euro, je nach Fachrichtung und Zeitvorgabe. Eine Dissertation kann schonmal in der Preisklasse eines Kleinwagens liegen. 

Wie gesagt: Musterbeispiel einer Dissertation.

Glauben Sie wirklich, dieses Manuskript heften dann die Kund*innen als „Musterbeispiel“ in ihre Ordner und archivieren es im Regal?

Natürlich nicht. Aber wofür die von uns erstellten Manuskripte letztlich verwendet werden, darauf haben wir keinen Einfluss. Sollte ein Student tatsächlich einen von unseren Ghostwritern verfassten Text unter seinem Namen einreichen und vorher eine eidesstaatliche Selbständigkeitserklärung unterzeichnet haben, liegt eine so genannte „schriftliche Lüge“ vor. Das ist an sich nicht strafbar, kann aber, je nach Hochschulgesetz, zu einem Disziplinarverfahren und eventuell auch zur Exmatrikulation führen.

„Wir bedienen nur die Nachfrage“

Sie haben also kein schlechtes Gewissen?

Mit dieser Frage habe ich schon gerechnet (lacht). Die Antwort: Nein. Warum denn auch? Deswegen weisen wir jeden Kunden ausdrücklich darauf hin, dass er sich an die jeweilige Prüfungsordnung und das Hochschulgesetz halten muss und unsere Arbeiten nur Musterbeispiele sind. Zu prüfen, ob sich der Kunde auch daran hält, ist nicht unsere Aufgabe. Das Ghostwriting ist so alt wie die Schrift und an sich vollkommen legal. In Griechenland wurden beispielsweise schon 400 Jahre vor Christus Plädoyers oder Reden von sogenannten Logographen geschrieben.

Findet nichts Anstößiges an seiner Arbeit: Marcel Kopper, Geschäftsführer von „GWriters“

Gesellschaftlich ist Ihre Arbeit dennoch verpönt.

Damit kann ich leben, denn wir bedienen nur die Nachfrage. Außerdem besteht unser Geschäft nicht nur aus Ghostwriting. Wir bieten auch Lektorate an oder Schreibtrainings für Akademiker.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Ghostwriting-Agentur zu gründen?

Meine Mitgründer und ich waren schon während des Studiums als Ghostwriter aktiv. Deswegen haben wir früh begriffen, dass man damit Geld verdienen kann. Ich war dann aber zunächst Verkaufsleiter einer Supermarktkette. Bis mir meine Mitgründer im Mai 2012 eine ausgedruckte Kündigung für meinen damaligen Arbeitgeber schenkten. Daraufhin beschlossen wir, eine Agentur zu gründen, die akademische Ghostwriter vermittelt. Mitte 2012 sind wir an den Start gegangen, und unsere Plattform hat sich nun in Österreich, der Schweiz, Großbritannien, Polen und der Türkei etabliert.

Wie viele Kund*innen betreuen Ihre Ghostwriter?

Monatlich wenden sich etwa 800 Interessenten an uns.

Das Geschäft boomt. 

Oh ja. Wir können uns nicht beklagen (lacht).

„Da melden sich Studenten, die wollen, dass ein Ghostwriter ihre Klausur schreibt, mit Knöpfen im Ohr oder Kamerabrille – wie bei James Bond.“

Woran liegt das? 

Wir betreuen nicht nur Studierende, sondern auch Großkonzerne, Verlage, Lehrinstitute und Privatpersonen. Allerdings kommen die meisten Kunden von der Uni. Da sind die Gründe für einen Auftrag vielfältig: private oder gesundheitliche Probleme oder schlicht Überforderung. Die meisten wenden sich aus Verzweiflung an uns. Ihnen fehlt Erfahrung im wissenschaftlichen Schreiben und eine gute Betreuung ihrer Universitäten. Sie bekommen Arbeit aufgehalst, die sie unmöglich allein bewältigen können. Das hat auch viel mit der Bologna-Reform zu tun: mehr Zeitdruck, striktere Vorgaben und weniger Freiheit. Teilweise bekommen wir sogar verzweifelte Anrufe von Eltern, die Ghostwriter für ihre Kinder suchen.

Manche Studierende sind einfach nur faul. 

Das ist ein klassisches Vorurteil. Tatsächlich ist das typische Bild vom reichen Sohn eines Industriellen, der einfach nur aus Faulheit eine fertige Arbeit haben möchte, eher selten. Wir haben viel häufiger verzweifelte Anfragen etwa von alleinerziehenden Müttern, die nebenbei studieren und feststellen, dass sie das nicht unter einen Hut bekommen.

„Andere sagen auch einfach: Was ihr mir schreibt, ist mir egal.“

Das heißt aber nicht, dass es nicht auch Fälle gibt, in denen sich Kunden aus Bequemlichkeit an Sie wenden.

Die gibt es natürlich auch. Es ist schon erstaunlich, dass manche lieber 500 Euro für eine zehnseitige Hausarbeit zahlen, anstatt sich selbst mal ein paar Tage hinzusetzen und daran zu arbeiten. Oftmals zahlen das dann sogar die Eltern. Und manche Anfragen sind wirklich dreist: Da melden sich Studenten, die wollen, dass ein Ghostwriter ihre Klausur schreibt, mit Knöpfen im Ohr oder Kamerabrille – wie bei James Bond. Einer wollte sogar einen neuen Studentenausweis besorgen und ein Foto von einem Ghostwriter draufkleben. Solche Anfragen lehnen wir natürlich ab.

Das ist dreist.

Es geht noch dreister: Im November 2012 hat sich ein Kunde eine Masterarbeit schreiben lassen – als Weihnachtsgeschenk für den Ehepartner. Manche verschenken auch Gutscheine für unser Angebot.

Haben Sie Stammkund*innen?

Aber sicher. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kunden, die sich für eine Hausarbeit Rat bei uns gesucht haben, sich spätestens bei ihrer Abschlussarbeit wieder an uns wenden.

„Wenn ich es nicht anbiete, bietet es eben jemand anderer an. So ist das eben. That’s life.“

Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Ghostwritern und Kund*innen ab?

Der Kunde stellt einen Auftrag, und sein individueller Projektbetreuer schaut in unserem Pool an akademischen Autoren, welcher aufgrund seiner wissenschaftlichen Erfahrung und Fachrichtung am geeignetsten erscheint, das Dossier zu erstellen. Die meiste Kommunikation läuft schriftlich über diesen Betreuer. Darüber hinaus fungiert er auch als Mediator bei fachlichen Diskussionen, steuert den gesamten Arbeitsprozess und koordiniert die Korrekturschleifen und Qualitätskontrollen.

Welche Arbeiten betreuen Sie am häufigsten?

Grundsätzlich bieten wir Schreib-Betreuung in allen Bereichen an. Unser Fokus liegt aber klar auf akademischen Arbeiten: Essays, Exposés, Facharbeiten, Forschungsprojekte. Naturgemäß werden Seminararbeiten und Hausarbeiten am meisten nachgefragt. Meistens in den Fächern BWL und Jura im Umfang von 30 bis 50 Seiten.

Wie konkret sind die Vorstellungen, mit denen Kund*innen zu Ihnen kommen?

Das ist unterschiedlich. Manche haben ganz genaue Vorstellungen und machen uns exakte Vorgaben, was die Gliederung und die verwendeten Quellen betrifft. In anderen Fällen wissen die Kunden eigentlich gar nicht so richtig, was sie wollen. Andere sagen auch einfach: Was ihr mir schreibt, ist mir egal.

War ein(e) Kund*in schonmal unzufrieden?

Natürlich können wir keine Garantie für eine gute Note geben. Nochmal: Wir liefern keine fertigen Arbeiten, sondern nur Vorlagen. Deswegen arbeiten wir mit einem mehrstufigen Qualitäts-System. Der Kunde bekommt mehrere Teillieferungen, zu denen er uns Rückmeldung geben kann. Das Feedback wird kostenlos eingearbeitet und am Ende wird jede Arbeit von einem zweiten Ghostwriter lektoriert und mit einer Plagiats-Software geprüft. Der Kunde ist also am Arbeitsprozess aktiv beteiligt und weiß, was er kriegt. Wir garantieren, dass jede Arbeit von einem akademischen Experten aus der jeweiligen Disziplin verfasst wird. Wissenschaftlich ist die auf hohem Niveau.

Verschaffen Sie nicht denen einen unfairen Vorteil, die es sich leisten können, Sie zu beauftragen?

Das schon. Aber ganz ehrlich: Wenn ich es nicht anbiete, dann bietet es eben jemand anderer an. So ist das eben. That’s life.

Herr Kopper, vielen Dank für dieses Gespräch.

Wahlen – ein Grundpfeiler demokratischer Systeme. Im Grundgesetz steht, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Genauer: vom deutschen Volk. Wer in Deutschland wählen möchte, muss im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sein. Doch was ist mit Menschen, die seit langer Zeit in Deutschland leben, Steuern zahlen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben, aber keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen? Diese Menschen sind in deutschen Parlamenten nicht repräsentiert – wie Gespenster der Demokratie.

In einer parlamentarischen Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland wählt das Volk seine politischen Vertreter*innen. Diese Gruppe von Menschen bildet das Parlament. Prinzipiell steht dahinter die Idee, dass das Parlament ein Abbild der Gesellschaft sein soll. In der politischen Realität ist das häufig nicht der Fall. So sind Frauen im Deutschen Bundestag mit ca. 30 Prozent deutlich unterrepräsentiert. Aber auch auf andere Weise findet eine Verzerrung statt. So haben drei Viertel der Parlamentarier*innen im Bundestag einen akademischen Abschluss. Die meisten von ihnen, rund 20 Prozent, sind Jurist*innen. Dafür gibt es mehrere Gründe, wie etwa die Entwicklung hin zur Berufspolitik. Aber Vertreter*innen all dieser Bevölkerungsgruppen können theoretisch, durch die Teilnahme an Wahlen, die Zusammensetzung der Parlamente mitbestimmen. Die laut tagesschau.de ca. elf Millionen Menschen in Deutschland ohne deutschen Pass werden überhaupt nicht in den deutschen Parlamenten repräsentiert. Ihnen ist sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht verwehrt.

Wahlen in Deutschland

Damit man das Wahlrecht in der Bundesrepublik wahrnehmen kann, egal ob auf Bundes- oder Landesebene, muss man die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Menschen, die in Deutschland leben, aber keine deutschen Staatsbürger*innen sind, dürfen dieses wichtige Instrument der politischen Mitbestimmung nicht nutzen. Trotzdem müssen diese Menschen dieselben Pflichten unseres Sozialstaates wahrnehmen wie deutsche Staatsbürger*innen.

Wahlen in der Bundesrepublik sind unter anderem in Artikel 20 des Grundgesetzes festgelegt:

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

Im Jahr 1990 präzisierte das Bundesverfassungsgericht diese Regelung. Nach dem Grundgesetz wird das Volk durch die Deutschen gebildet. Genauer: deutsche Staatsangehörige. Deshalb ist es Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft nicht möglich, das deutsche Wahlrecht auszuüben.

Zwei dieser Personen sind der türkische Arbeiter Bülant Balci (40) und die kasachische Studentin Lena Korobkova (29). Beide leben seit etwa 15 Jahren in Deutschland. Beide würden in Deutschland gerne wählen, dürfen aber nicht. Für beide gibt es allerdings zur Zeit Hindernisse, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. „Ich hätte gerne die deutsche Staatsbürgerschaft, aber meine Deutschkenntnisse sind zu schlecht, um sie zu bekommen“ sagt Balci.

Lena Korobkova müsste ihren kasachischen Pass abgeben, damit sie die deutsche Staatsbürgerschaft erhält. Das ist allerdings mit einem enormen bürokratischen Aufwand und hohen Gebühren verbunden. Für die Studentin ist das aktuell nicht zu stemmen.

Trotzdem erachtet sie die deutsche Staatsbürgerschaft als sinnvolles Zulassungskriterium für die Wahlen in Deutschland. „Durch den Einbürgerungstest hast du bewiesen, dass du dich mit der deutschen Gesellschaft auseinandergesetzt hast. Du hast bewiesen, dass du dich mit politischen Themen beschäftigt hast und dir so eine Meinung bilden kannst.“

Es gibt noch weitere Argumente, die gegen ein Ausländerwahlrecht sprechen. Manche Sorgen sich, dass Zuwanderer*innen existierende Machtverhältnisse zu sehr verschieben. Sie könnten eigene Parteien gründen und so etablierte Parteien schwächen oder politische Kräfte aus den Herkunftsländern könnten durch die Einwanderer*innen Einfluss auf die Politik der neuen Heimatländer ausüben. Ein Argument ist auch, dass das Wahlrecht die Motivation mindere, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Dies könnte sich negativ auf die Identifikation mit dem neuen Heimatland auswirken und die Integrationsbereitschaft hemmen.

Die doppelte Staatsbürgerschaft

Bülant sieht dieses Argument nicht. Das Recht zu wählen habe keinen Einfluss auf den Integrationswillen. Auch die Verknüpfung mit der Staatsbürgerschaft müsse nicht sein. Er selbst würde zwar sehr gerne wählen, aber nicht, wenn er dafür die türkische Staatsbürgerschaft aufgeben müsse. „Ich möchte den deutschen Pass. Aber ich möchte auch den türkischen nicht abgeben. Zwei Pässe sind besser. In der Türkei möchte ich auch noch wählen.“ Er möchte sein Leben hier mitbestimmen. Aber ein Großteil seiner Familie lebe noch in der Türkei und darum sei es ihm wichtig, dort durch Wahlen die Politik mit zu beeinflussen.

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsdebatte, ist die Frage wichtig, wie man mit Menschen umgeht, die nicht in Deutschland geboren sind. Ist die Staatsbürgerschaft noch ein zeitgemäßes Kriterium, um den Einwohner*innen Deutschlands den Zugang zu Wahlen zu ermöglichen? Fakt ist, es gibt sehr viele Menschen in Deutschland, die Teil unserer Gesellschaft sind, aber nicht über wichtige Regeln, die auch sie betreffen, mitbestimmen dürfen. Sozusagen politische Gespenster.

Nirgends war die Reaktion auf diesen Gespensterblog so positiv wie in der kleinen Runde von lateinamerikanischen Frauen, der ich vor kurzem von unserem Projekt erzählte. Als einzige Deutsche war ich ganz überrascht von deren Begeisterung für das Thema Gespenster. Ein Interview über gruselige Zimmer, verstorbene Verwandte und darüber, wie sich der christliche Glaube mit Spiritualität vereinbaren lässt.

Jessica Lizeth Catacora Castañeda ist 27 und Masterstudentin der Humangeographie in Tübingen und die perfekte Kandidatin für einen vergleichenden Blick, denn sie kennt sich in Deutschland genauso gut aus wie in Peru: Insgesamt elf Jahre hat sie bisher in Deutschland gelebt und kann voller Sarkasmus über Latinoklischees sprechen. Dem Thema Gespenster widmet sie sich aber mit Ernsthaftigkeit.

Jessi, hast du schon mal einen Geist gesehen?

Nein, aber ich habe von einigen Leuten gehört, denen das passiert ist. Meiner Großtante zum Beispiel. Nachdem ihr Mann gestorben ist, hat sie ihn eines Abends gespürt. Sie lag alleine im Bett und hat gefühlt, dass jemand sie umarmt und ganz fest drückt, das war er. Danach hat sie angefangen zu beten.

Sind Geister meistens verstorbene Personen?

Ja, verstorbene Verwandte, die man gut kennt. Aber es gibt sicher auch andere Geister. Wenn man offen ist und eine Sensibilität dafür hat, dann sieht man sie. Mir passiert das aber nicht.

Bist du nicht offen dafür?

Ich bin zu ängstlich. Ich will nichts sehen, sonst mache ich mir zu viele Gedanken. Ich spüre etwas, aber ich sehe keine Geister. Wenn meine Freundin Vivian von ihrer verstorbenen Mutter erzählt, dann habe ich immer das Gefühl, dass sie da ist. Ich spüre ihre Präsenz. Aber das ist ein angenehmes Gefühl.

Im Haus meiner Oma gibt es ein Zimmer, in dem ich einfach nicht einschlafen kann.

Geht von den Geistern kein Gefühl von Gefahr für dich aus?

Nein, eigentlich nicht. Aber wenn ich jetzt so drüber nachdenke… Im Haus meiner Oma gibt es ein Zimmer, in dem ich einfach nicht einschlafen kann. Es ist das Gästezimmer. Dort kann ich nicht alleine sein mit geschlossener Tür, das macht mir einfach Angst. Und es geht nicht nur mir so! Meine Schwester, meine Cousins – alle, die dort schlafen, haben Alpträume. Es gab mal einen Brand im Haus, und der ging von diesem Zimmer aus. Danach haben sie ein Buch über schwarze Magie im Zimmer gefunden, es gehörte meiner Tante.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Geistern und schwarzer Magie?

Ja und nein. Schwarze Magie ist für mich Aberglaube. Aber ich denke, wenn man etwas sucht, dann findet man auch etwas. Wie bei diesem Spiel, Ouija. Wenn man negative Energien ruft, dann bekommt man wahrscheinlich auch eine Antwort. Ich glaube, es gibt eine Dimension, von der wir nichts wissen. Dort kommen die Geister her. Aber wie die Aufteilung dort ist, also Gut, Böse, Teufel und so weiter, das weiß ich nicht.

Wie passt das alles in Peru zusammen: Der Glaube an Geister, vielleicht auch an schwarze Magie, und dann der christliche Glaube?

In Peru haben wir eine Mischung aus Katholizismus, Aberglauben und dem Glaubenssystem der Kulturen, die vorher da waren. In Lateinamerika sind die Leute sehr offen. Es ist sehr multikulturell, und es gab historisch eine starke Mischung verschiedener Vorstellungen. Eine Person kann gleichzeitig an viele Dinge glauben. In den Anden wird z.B. auch die Erde verehrt, ohne dass das dem Glauben an Himmel und Hölle und den christlichen Gott widersprechen muss.

Wie kann ich mir das vorstellen mit den Geistern in Peru, ist es normal, dass man sie für real hält?

Ja, darüber wird gar nicht diskutiert! Man erzählt einfach davon, als Teil der Realität. Manchmal klingt es vielleicht komisch, wenn man so zusammen am Tisch sitzt, aber man glaubt das, was die anderen sagen. Das sind dann gar keine Gruselgeschichten, sondern eher so: Der hat uns vor kurzem besucht, oder die war gestern da. Oder jemand erzählt von seinen Träumen. Meine Mutter nimmt z.B. vieles in ihren Träumen wahr.

Hier gibt es auf jeden Fall auch Geister! Mit Sicherheit! Die Leute sind nur nicht offen dafür, oder es ist gesellschaftlich nicht akzeptiert.

Und wie findest du im Vergleich dazu den Umgang mit Geistern in Deutschland?

Hier gibt es auf jeden Fall auch Geister! Mit Sicherheit! Die Leute sind nur nicht offen dafür, oder es ist gesellschaftlich nicht akzeptiert. Auch der Glaube ist hier anders. Es gibt eine rationale Seite im Glauben, das ist so ein großer Unterschied zu Lateinamerika. Man hinterfragt hier immer alles, und das ist auch irgendwie gut. Aber vielleicht blockiert das diese andere Welt, die man nicht erklären kann.

Ist das schlecht für uns? Fehlt uns etwas?

Ich weiß nicht. Es ist vielleicht einfacher, nur an das zu glauben, was man sehen und anfassen kann. Aber in Peru könnte man manchmal ein bisschen rationaler sein. Ein Gleichgewicht zwischen Vernunft und Aberglaube wäre vielleicht nicht schlecht. Andererseits mag ich diese Seite von Lateinamerika, die Offenheit. Es ist alles möglich, man versucht nicht, eine Antwort auf alles zu haben. Man ist nicht so arrogant zu sagen: Das müssen wir erklären können mit Physik und Molekülen. Manchmal hilft das. Aber deswegen haben wir halt in Lateinamerika nicht die Max-Planck-Institute [lacht].

Dafür habt ihr Gabriel García Márquez.

Ja, stimmt, den haben wir!

Wenn die Angst vor Haaren das Leben bestimmt, fällt oft der Ausdruck „Chaetophobie“. Unser Reporter hat sich auf die Spuren solcher Phobiker begeben: Seine Selbstfindung führte von der britischen Boulevardpresse bis zu den finsteren Abgründen der Tübinger Gastronomie.

Weiterlesen

Der autobiographische Film „Heute bin ich blond“ erzählt die Geschichte von Sophie. Sie ist 21, feiert, lebt und lacht gerne. Als sie erfährt, dass sie eine seltene Krebsart mit schlechten Heilungschancen hat, beschließt sie, der Krankheit auf eine ungewöhnliche Weise den Kampf anzusagen. Weiterlesen

In einem vergangenen Beitrag hat uns Lena bereits die haarigen Redewendungen nähergebracht. Dabei haben wir uns gefragt, was eigentlich hinter solchen Redensarten steckt. Warum sagen wir zum Beispiel, dass jemand Haare auf den Zähnen hat? Und können wir solche Redewendungen bedenkenlos nutzen? Mehr in diesem Faktencheck.

Weiterlesen

Das Thema Haare ist kurios und facettenreich zugleich. Es geht nicht nur um Waschen, Pflegen und Frisieren. Haare lassen sich in sehr vielen Bereichen wiederfinden: Kultur, Religion, Gesellschaft, Wissenschaft und Sprache sind nur einige davon. Wir haben in den bisherigen Beiträgen schon vieles gelesen. In diesem Quiz findest du weitere interessante Fakten rund um das Thema Haare. Wie gut kennst du dich aus? Mach das Quiz und erfahre mehr! Weiterlesen