Um die eigenen Haare nicht der Öffentlichkeit preiszugeben, verdecken sie vor allem muslimische Mädchen und Frauen oft mit einem Kopftuch. Das soll ihnen jetzt, zumindest den jüngsten von ihnen, in Österreich verboten werden. Doch was genau bewegt die Politiker*innen zu einem solchen Entschluss, und welche Kritik gibt es daran? Stimmen von Expert*innen, Muslimas selbst und ihr gemeinschaftliches Plädoyer – weder für noch gegen das Kopftuch.  

Die Kopftuchdebatte ist nicht neu und trotzdem immer wieder aktuell. Momentan sorgt ein Entschluss von Österreichs rechtskonservativer Regierung für eine erneute Diskussionswelle: Auf Initiative des Vizekanzlers Heinz-Christian Strache (FPÖ) hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im April ein Kopftuchverbot angekündigt. Das solle für Mädchen in Kindergärten und Volksschulen (diese entsprechen den deutschen Grundschulen) gelten. Dazu gab er die Ausarbeitung eines sogenannten „Kinderschutzgesetzes“ in Auftrag, berichtet der Standard.

Eine sichere Sache ist das Verbot jedoch noch nicht. Um das Gesetz durchzusetzen, braucht Kurz eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und damit die Unterstützung der sozialdemokratischen SPÖ oder der liberalen NEOS. Beide zeigen sich nicht abgeneigt, doch SPÖ-Chef Christian Kern erinnert daran, dass Kurz zu seiner Zeit als Integrationsstaatssekretär noch davor gewarnt hatte, die Integrationsdebatte auf „plumpe Botschaften wie Kopftuch ja oder nein“ zu reduzieren – und stellt damit die Glaubwürdigkeit des Kanzlers in Frage.

Ein Appell an den Respekt

Merve (24) weiß, was kultureller Spagat bedeutet. (Quelle: eigene Aufnahme)

„Meine Haare gehören natürlich zu mir – und als ich anfing, Hijab zu tragen, habe ich anfangs sogar ein bisschen das Gefühl gehabt, einen Teil meiner Identität verloren zu haben“, antwortet Merve Kayikci, 24, auf die Frage, was ihr ihre Haare bedeuten. Die Medienstudentin und Bloggerin erklärt weiter, das Kopftuch  sei natürlich ihre eigene Entscheidung gewesen – aber sie habe den damit verbundenen Verlust unterschätzt. „Plötzlich war ich eindeutig Muslima, immer und überall, für jeden sichtbar. Und musste meinen Glauben ständig rechtfertigen, zu jedem Islam-Thema fundiertes Wissen beweisen und eine Meinung haben. Aber das hat mich und meine Überzeugung letztendlich nur stärker gemacht.“

In einem Gespräch mit dem Spiegel unterstreicht Merve die Einseitigkeit des Verbots. Schließlich war sie in der fünften Klasse, als sie angefangen hatte, ein Kopftuch zu tragen, „genauso religiös mündig oder unmündig wie [ihre] christlichen Freunde, die zur Kommunion gingen.“

Kalle (24) appelliert an den Respekt – egal ob eine Frau sich für oder gegen ein Kopftuch entscheidet. (Quelle: eigene Aufnahme)

Auch Kalle Kadir, 24, ist Muslimin und hat sich schon viel mit dem Thema Kopftuch beschäftigt. Sie selbst trägt keines: „Ich bin in einer sehr ‚lockeren‘ Familie aufgewachsen. Was aber nicht bedeutet, dass ich mich persönlich nicht trotzdem viel mit dem Islam beschäftigt habe und ihn für mich individuell auslebe.“ Die Soziologie-Studentin möchte ungern über die Lebensweisen anderer urteilen, denn für sie gilt: „Jeder hat das Recht, so zu leben, wie er oder sie es für richtig hält.“ Das sei aber manchmal, im Hinblick auf muslimische Werte, gar nicht so einfach – jedenfalls nicht in Deutschland. Umso wichtiger sei es, auch die Entscheidung von Frauen für ein Kopftuch zu respektieren. „Jeder sollte das zeigen dürfen – oder eben auch nicht zeigen, womit er oder sie sich wohl fühlt. Jeder ist so individuell, dass man sie oder ihn nicht auf Dinge wie ein Kopftuch reduzieren sollte.“

Tragen überhaupt viele muslimische Mädchen im Kindesalter ein Kopftuch?

Christian Mowarek bezweifelt das. Er ist Geschäftsführer des gesellschaftspolitisch engagierten Vereins Wiener Kinderfreunde, der rund 160 Kindergärten in Österreich leitet und unter anderem auch Beratungseinrichtungen und Elternbildungs-Angebote anbietet. Bisher habe es in keiner Bildungseinrichtung Anlass gegeben, über ein Kopftuchverbot nachdenken zu müssen, berichtet er. „Prinzipiell würde ein Kopftuchverbot im Kindergarten kein Integrationsproblem lösen, sondern dazu führen, dass strenggläubige Eltern ihre Kinder aus dem Kindergarten nehmen, was zum Nachteil des Kindes im Hinblick auf seine Integration und Entwicklung wäre.“  Auch die Frauenbeauftragte der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Carla Amina, hält dagegen: „Das Tuch sollte in Kindergarten und Volksschule auch gar nicht Thema sein, denn dafür brauche es nach gängiger islamischer Auslegung erst die geistige und körperliche Reife.“

Laut der genannten Experten würde ein Verbot also an der Realität vorbeigehen. Die Politik will es trotzdem – sogar, wenn bei der aktuell laufenden Untersuchung herauskommen würde, dass nur sehr wenige muslimische Mädchen überhaupt von einem Verbot betroffen wäre. Das ändere trotzdem nichts am Entschluss, das Verbot auf den Weg zu bringen – denn das sei vor allem eine „symbolische Handlung“, betont Bildungsminister Heinz Faßman. Symbolisch – für eine neutrale Erziehung und die freie Entfaltung des Kindes. Doch müsste das dann nicht für Kinder aller Religionen gelten?

Ein sehr europäischer Blick

Nike Löble, 24, die ihren Bachelor in Islamwissenschaft an der Universität Tübingen absolviert hat und seit einigen Monaten für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Palästina arbeitet, kann das Verbot nicht nachvollziehen. „Schon allein deswegen, weil es nur auf die islamische Kopfbedeckung bezogen ist. Die ewige Debatte sagt doch vor allem eines aus: Dass wir immer noch unseren weißen, europäischen Blick auf den muslimischen, vermeintlich ‚anderen‘ Körper haben, den man aus dieser Perspektive heraus bestimmen darf. Das ist das eigentlich Bedrohliche.“

Fest steht: Die Debatte um das Kopftuchverbot ist eine hoch politische. Darin lassen sich verschiedenste Minister über die Bekleidung muslimischer Mädchen und Frauen aus. Weniger klar ist, woher der Drang kommt, individuelle Entscheidungen und Werte zu übergehen, die Erziehungskompetenz von Eltern sowie deren Wohlwollen für ihre Kinder in Frage zu stellen. Und mit einem einseitigen, nur auf den Islam fokussierten Verbot die „staatliche Neutralität“ gewährleisten zu wollen. Während Sebastian Kurz vermeintlich religiöse Bevormundung durch staatliche ersetzt, rollen viele Muslimas mit den Augen. Egal, ob sie selbst Kopftuch tragen oder nicht – ihre Bitte, sie nicht immer wieder und wieder nur darauf zu reduzieren, wird lauter.

Ein ausführliches Interview mit einer Muslima hat Sahra geführt – auch sie hat sich auf Shades of Hair mit der brisanten Kopftuch-Debatte beschäftigt.

Quellen:

Der Standard (2018): Kopftuchverbot kommt durch „Kinderschutzgesetz.“

Deutschlandfunk (2015): Der zentrale Vers zum Kopftuch.

Spiegel Online (2018): Muslime zum Kopftuchverbot. „Meine Tochter soll selbst entscheiden.“

Welt (2018): „Kopftuchverbot bei Achtjähriger suggeriert, dass sie ein sexuelles Objekt ist.“

6 Kommentare
  1. Jan Doria
    Jan Doria sagte:

    Ein lobenswerter Beitrag! Ich bin kein Muslim, aber ich kann die Kopftuch-Debatte aus den genannten Gründen auch schon nicht mehr hören.

  2. HumBoo
    HumBoo sagte:

    Ein sehr guter und informativer Beitrag, in dem mehrere Perspektiven auf die Kopftuch-Debatte aufgezeigt werden. Mir gefällt vor allem, dass du die Meinung verschiedener Menschen in Form von Zitaten einbringst. Das macht den Beitrag umso interessanter.

    Ich persönlich bin für Vielfalt und daher auch dafür, dass jeder Mensch selbst entscheiden soll, wie er sich in der Öffentlichkeit zeigt. Wenn Politiker (und Andere) davon sprechen, dass die Integration mit dem Kopftuchverbot einhergeht, ist das für mich mehr als heuchlerisch. Integration funktioniert durch ein gegenseitiges Respektieren und aufeinander Zugehen und nicht durch das Abschaffen des Kopftuchs.

  3. Lara Eberl
    Lara Eberl sagte:

    Wow, wirklich toller Beitrag! Ich finde es super, dass du mehrere Meinungen eingeholt hast und trotz der eindeutigen Aussage des Artikels so objektiv berichtest. Für mich ist es nach wie vor unverständlich, wie dieses Thema überhaupt zu so einer riesigen, emotional geladenen Diskussion führen konnte. Natürlich sehen viele darin ein wichtiges Symbol/ eine bestimmte Aussage, aber warum lässt man nicht jeden mal das tun, was er für richtig hält, solange er damit niemand anderem schadet? Das würde bestimmt für ein besseres Miteinander sorgen als überzogene Diskussionen und geplante Verbote.

  4. Laura Schneider
    Laura Schneider sagte:

    Ein spannender Artikel, den ich voll und ganz nachvollziehen kann! Bei der ganzen Thematik fällt mir immer noch sehr schwer zu verstehen, warum ein Kopftuch solch ein großes Problem sein kann. Streng gläubige Katholiken dürfen auch nicht einfach anziehen, was sie wollen. Auch Zeugen Jehovas wird ein Kleidungsstil vorgeschrieben. Zudem schränkt niemanden ein Kopftuch ein – weder mich noch die tragende Person. Und sollte es um unterdrückte Frauen gehen – dieses Problem wird man in einigen „gut situierten deutschen Häusern“ ebenso oft finden, wie bei Muslimen.

  5. SarahLanz
    SarahLanz sagte:

    Einerseits denkt man sich, dass zu diesem Thema langsam mal alles gesagt sein sollte und andererseits ist es immer wieder aktuell und wichtig, eine Position dazu zu zeigen. Das machst du mit dem Artikel und den verschiedenen Stimmen darin echt gut. Man bekommt Lust, mitzudiskutieren 🙂

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  1. […] den Schleier metaphorisch zu lüften und mit Vorurteilen aufzuräumen, lohnt es sich immer noch, Debatten zum Thema zu führen. Dabei ist aber wichtig, miteinander und nicht übereinander zu reden. Deshalb durfte […]

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