Michelle Obama tut es, Beyoncé tut es, Oprah Winfrey tut es. Sie tragen welliges oder glattes Haar, färben, glätten und flechten es oder greifen gar zur Perücke. Auch im Alltag scheint der Afro immer noch eine Seltenheit zu sein. Nur vereinzelt begegnet man Schwarzen Menschen, die ihr krauses Haar in seinem natürlichen Zustand tragen. Doch wieso müssen sich im Jahr 2018 People of Color immer noch zwischen ihrem Afro und sich selbst entscheiden?

Haare als Metapher für Rasse

Als Barack Obama in das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika berufen wurde, atmete die Schwarze Community auf. Endlich zog das erste Schwarze Ehepaar ins Weiße Haus, endlich ein Schritt gegen Rassismus auf hochoffizieller Ebene. Doch der zweite Blick auf das Paar trübte im selben Moment die anfängliche Euphorie: Er, der Präsident, trug millimeterkurzes Haar, sie, die First Lady, glatte schulterlange Haare. Alles nur eine Sache der Mode? Wohl kaum. Denn in ihrer gesamten achtjährigen Amtszeit zeigten weder Barack noch Michelle ihre (vermutlich) krause natürliche Haarpracht.

Michelle Obama Portrait

Offizielles Portrait der ehemaligen First Lady Michelle Obama im Green Room des Weißen Hauses. Offizielles White House Photo von Chuck Kennedy, Wikimedia Commons, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Michelle_Obama_2013_official_portrait.jpg.

In ihrem 2013 erschienenen Roman Americanah thematisiert auch die Autorin und Frauenrechtlerin Chimamanda Ngozi Adichie das Problem mit den Haaren. So schreibt die Protagonistin Ifemelu in einem Blogeintrag:

„Eine weiße Freundin und ich sind Groupies von Michelle Obama. Neulich sage ich zu ihr – ich frage mich, ob Michelle Obama Attachments eingearbeitet hat, ihr Haar sieht heute voller aus, und das heiße Glätten jeden Tag muss es schädigen. Und sie sagt – du meinst, ihr Haar wächst nicht so? Liegt es an mir, oder ist das die perfekte Metapher für Rasse in Amerika? Haare.“

Was in der Fiktion zur Sprache gebracht wird, ist ein andauernder realer Diskurs. Eine weiße Frau zeigt gedankenlos ihre Verwunderung über die unechten glatten Haare einer Schwarzen Frau. Im ungünstigsten Fall erwähnt sie schließlich, dass sie ebenfalls ihre Locken mit dem heißen Eisen bändigt. Doch das Glätten von Haaren aus modischen Gründen hat so gar nichts mit dem Glätten von krausem Haar gemein. Das eine ist (meist) eine bewusste Entscheidung. Das andere ist indirekter gesellschaftlicher Zwang, eine Orientierung an einem von Weißen geprägten Schönheitsbild, etwas, das ein ‚Wir‘ und ein ‚Ihr‘ kreiert und Andersartigkeit wertend feststellt. Das ist Alltagsrassismus.

Der Afro – unzivilisiert und exotisch

Auch der 23-jährige Auszubildende Benny O. aus Pforzheim, der selbst seinen Afro „mit Stolz“ trägt, wie er sagt, antwortet auf die Frage, warum Michelle Obama sich die Haare glättet, schlicht: „Weil sie es sich [natürliches Haar] einfach nicht erlauben kann.“ Sie würde nicht mehr ernst genommen werden, so Benny. „Es ist traurig, dass Haare einem so viel kaputt machen können.“

Die Begriffe People of Color sowie Schwarze (S großgeschrieben) stammen aus dem Widerstand gegen Rassismus. Mehr Informationen zum Sprachgebrauch im Zusammenhang mit Rassismus gibt es auf bpb.de.

Um zu verstehen, warum es sich bei der Wahl des Haarschnitts bei Schwarzen oft nicht um eine freie, rein modische Entscheidung handelt, reicht ein kurzer Blick zurück ins Jahr 2011. Auf den Plakaten der damaligen Nivea-Werbekampagne war ein junger Schwarzer Mann mit geschorenen Haaren zu sehen. In der rechten Hand hält er den Kopf eines Schwarzen Mannes mit Bart und Afro. Seine Körperhaltung signalisiert, dass er im Begriff ist, den in seiner Hand befindlichen Kopf weit von sich zu werfen. Der Werbeslogan lautete Re-civilize yourself – rezivilisiere dich. Die Botschaft schien eindeutig: Nur ein Mann ohne Afro ist ein zivilisierter Mann. Ein Vorurteil, das bis in die Kolonialgeschichte zurückreicht und den Afro mit Ungepflegtheit, Wildheit und Unzivilisiertheit gleichsetzt.

 

„Komm, lass mal dein Haar anfassen“

Trägt ein Schwarzer Mensch heute dann doch offen einen Afro, ist die Begeisterung seitens weißer Menschen oft groß. Da liegt die Frage ‚Darf ich dir durch die Haare fahren?‘ schnell mal auf der Zunge. Und manchmal wird gar nicht erst danach gefragt, wie Benny erzählt: „Mich hat richtig genervt, dass vermehrt ältere Leute zu mir kamen und einfach meine Haare angefasst haben, ohne um Erlaubnis zu fragen. Ist halt einfach ein komisches Gefühl, wenn irgendjemand kommt und dir durch die Haare fährt.“

Benny O. mit Kappe

Zum Schutz vor ungefragten Griffen ins Haar trägt Benny eine Kappe. (Quelle: eigene Aufnahme)

Als weiche, kuschelige Wolle würde sein Haar bezeichnet werden. Was manch einer als Kompliment meint, legt sich jedoch wie ein Tarnmantel über eine rassistische Aussage, denn sie wertet und definiert eine Andersartigkeit – eine Abgrenzung zu ‚normalem‘ Haar. Sogenannter positiver auf Exotismus beruhender Rassismus.

„Ich kriege auch oft genug zu hören, dass ich exotisches Haar habe. Dass es nicht so alltäglich ist. Dass man das hier halt nicht so oft antrifft.“ Um sich ein bisschen Kontrolle zurückzuholen, trägt Benny meistens eine Kappe. „Solange ich eine Kappe trage, kommen die Leute seltener zu mir her und sagen: Komm, lass mal dein Haar anfassen. Da erkennen sie meine Haare ja nicht wirklich.“

Ein langer Weg zur Normalisierung

Mittlerweile macht sich besonders in den USA und den französisch sprechenden Staaten eine Gegenbewegung bemerkbar. Die Natural-Hair-Bewegung soll Schwarze Frauen dazu ermutigen, ihr natürliches, meist krauses Haar offen zu tragen. Prominentestes Beispiel ist unter anderem die Schauspielerin Lupita Nyong’o, die selbst mit dem weißen Schönheitsideal zu kämpfen hatte und heute zu ihrem natürlichen Haar steht. Trotzdem muss auch sie immer noch für die Anerkennung ihrer frei gelebten Natürlichkeit kämpfen, wie das Beispiel aus dem Jahr 2017 zeigt. In der Novemberausgabe der britischen Grazia zierte die Schauspielerin das Cover. Ihre Haare auf dem Bild: abrasiert. Auf Instagram veröffentlichte Lupita daraufhin Originalaufnahmen desselben Shootings, auf denen ihre krausen Haare aufgrund des Zopfes, den sie trägt, am Hinterkopf deutlich zu erkennen sind. Ihre Enttäuschung über diese Retusche brachte sie mit dem Hinweis, auch ein Vorbild für Kinder zu sein, klar zum Ausdruck.

Mit und ohne Afro: Original und Retusche von Lupita Nyongo'o

Original und Retusche. Screenshot eines Beitrags aus dem offiziellen Instagram-Account von Lupita Nyongo’o.

Wie lange es dauert, bis die Gegenbewegung nicht nur in den Konferenzräumen großer Magazine und Zeitschriften angekommen ist, sondern auch im Alltag einzelner People of Color, bleibt abzuwarten. Solange müssen Benny und all die anderen Schwarzen Menschen weiterhin um die Normalität und De-Exotisierung ihrer Natürlichkeit kämpfen.

Nivea stampfte nach starker öffentlicher Kritik die Werbekampagne von 2011 bald wieder ein. 2017 startete die Firma eine neue Werbekampagne mit dem Slogan White is Purity – Weiß ist Reinheit. Auch diese Kampagne zog Nivea nach heftiger Kritik zurück.

 

 

Literaturhinweise:

  • Celia Parbey (2018): Don’t touch my hair – Ich bin es leid, dass mir fremde Leute in die Haare fassen, ein lesenswerter Erfahrungsbericht, online unter: https://editionf.com/afrohaar-ist-politisch
  • Chimamanda Ngozi Adichie (2014): Americanah, deutschprachige Ausgabe, erschienen im Fischer-Verlag
  • Siegfried Jäger (1993): Rassismus und Rechtsextremismus – Gefahr für die Demokratie, online unter http://library.fes.de/fulltext/asfo/01014001.htm#E10E3
  • Stuart Hall (1989): Rassismus als ideologischer Diskurs

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Deutsche duschen im Durchschnitt fünfmal die Woche. Ob morgens oder abends – es erfolgt dabei der Griff zur Shampoo-Flasche. Eine angenehm duftende, manchmal klare, manchmal weiße Flüssigkeit wird ins Haar einmassiert und gleich wieder ausgespült. Shampoo ist ein ganz alltägliches Produkt und aus dem Badezimmer nicht mehr wegzudenken. Doch warum ist das herkömmliche Haarwaschmittel überhaupt flüssig? Was ist in dieser wohlriechenden Flüssigkeit enthalten? Und seit wann gibt es Shampoo? Weiterlesen

Gezwirbelt, gesteckt oder lässig zusammengebunden: Der „Man Bun“ wurde bereits 2013 in europäischen Metropolen als männliche Trendfrisur etabliert. Selbst Stars wie Leonardo DiCaprio, Harry Styles oder Jared Leto tragen die ursprünglich weibliche Frisur auf dem roten Teppich. Doch steht der männliche Dutt im Zeichen einer ‚neuen Männlichkeit‘?

Egal ob glatte Mähne oder lockige Haarpracht - Mann trägt "Bun". Photo by Marlies Althöfer.

Egal ob glatte Mähne oder lockige Haarpracht – Mann trägt „Bun“. Photo by Marlies Althöfer.

Der englische Begriff „bun“ bedeutet ins Deutsche übersetzt Haarknoten oder Dutt und wird üblicherweise mit einer Frauenfrisur in Verbindung gebracht. Ein Dutt ist schnell gemacht: dazu müssen die Haare einfach am Hinter- bzw. Oberkopf zu einem Knoten zusammengebunden oder gezwirbelt werden. Jedoch gibt es nicht den einen Dutt, sondern unzählige Varianten und Frisiermöglichkeiten – vom klassischen Ballerinadutt bis hin zum lässig verspielten „Messy Bun“ gehört er zu einer der vielfältigsten Frisurentrends.

Mittlerweile ist auch der „Man Bun“, übersetzt als „Männerdutt“, „Männerknoten“ oder auch „Herrenknoten“, auf dem männlichen Kopf keine Seltenheit mehr. Erstmals entdeckte die New York Times den Männerdutt 2012 in New Yorks Künstlervierteln Williamsburg und Bushwick, bevor der Haartrend nach Europa kam. Der Haarknoten des Mannes hat dabei nichts mit dem akkurat drapierten Chignon (dem französischen Begriff für einen fein zusammengesteckten Dutt) zu tun, sondern sitzt locker auf dem Hinterkopf auf. Außerdem ist der Frauen- wie Männerdutt eine äußerst praktische Frisur, da er unkompliziert zu frisieren ist und alle Haare zusammenhält. Eine Frisur, die Ästhetik und Pragmatismus vereint. Doch nicht nur der moderne Mann des 21. Jahrhunderts trägt „bun“. Der männliche Haarknoten blickt auf eine lange Geschichte bis vor über 2.200 Jahren zurück.

Die Geschichte des „Man Buns“

In China wurde der Haarknoten bereits im dritten Jahrhundert vor Christus getragen. Dies beweisen die Terrakotta-Soldaten des ersten Kaiser Chinas Qin Shi Huang Di. Die Armee aus mehr als 7000 lebensgroßen Tonsoldaten ließ Qin Shi Huang Di zum Schutze seiner Grabstätte bauen. Auf vielen Bildern der Terrakotta-Armee ist zu sehen, dass die Soldaten den Haarknoten tendenziell seitlich am Oberkopf und streng zusammengebunden tragen.

"Bun" mit Geschichte: Schon im 3. Jahrhundert v. Chr. trugen die Terrakotta-Soldaten der Grabstätte von Kaiser Qin Shi Huang Di den Männerdutt. Photo by Denis Pan on Unsplash.

„Bun“ mit Geschichte: Schon im 3. Jahrhundert v. Chr. trugen die Terrakotta-Soldaten der Grabstätte von Kaiser Qin Shi Huang Di den Männerdutt. Photo by Denis Pan on Unsplash.

Auch Buddha (ca. 623-543 v. Chr. nach buddhistischer Zeitrechnung) machte Gebrauch von der praktischen Knotenfrisur. Das, was auf seinem Kopf wie eine Krone anmutet, ist in Wirklichkeit sein Haar, das er zu einem Dutt geformt hat.

Ein großer Zeitsprung ins 16. und 17. Jahrhundert zeigt: auch japanische Samurai und Rikishi, also professionelle Sumo-Kämpfer, trugen einen kleinen Haarknoten auf dem Ober- bzw. Hinterkopf. Die Frisur sollte den Samurai-Kriegern dabei helfen, den Helm zu fixieren, da er bei offenem Haar schnell ins Rutschen geriet. Japanische Sumoringer tragen den „Topknot“ auch heutzutage noch im Ringkampf. Der Knoten ist dabei relativ locker, teilweise etwas hängend am Hinterkopf angebracht.

Keine Krone, sondern "Man Bun". Schon Buddha trug ihn. Photo by Sabine Schulte on Unsplash.

Keine Krone, sondern „Man Bun“. Schon Buddha trug ihn. Photo by Sabine Schulte on Unsplash.

Im 21. Jahrhundert war der Fußballer David Beckham einer der ersten Männer, der den „Man Bun“ populär und gleichzeitig zu seinem Markenzeichen machte. Daraufhin folgten ihm viele andere Sportler wie Zlatan Ibrahimović oder Tennisspieler Xavier Malisse bis die Trendwelle dann auch nach Hollywood überschwappte und viele Schauspieler, wie beispielsweise Chris Hemsworth, Orlando Bloom oder Kit Harrington den Frauenstil übernahmen.

Der „Man-Bun“-Trend im Internet  

Vom „how to get“ bis zum „how to tie“ ist alles dabei. Das Internet bietet eine unerschöpfliche Quelle rund um den Themenkomplex Männerknoten. Wie sehr der Haartrend im Netz angekommen ist, zeigt neben den unzähligen „How-to“-Tutorials auf Youtube auch die äußerst gesteigerte Anzahl an Suchanfragen, die in dem von Google veröffentlichten „Beauty Trends 2015“-Report (einer Datensammlung und Auswertung der Suchanfragen zum Thema Beauty mit dem Schwerpunkt Haartrends) zum Tragen kommt. Im Jahr 2015 wurde bei Google erstmals häufiger nach Männerhaar als nach Frauenfrisuren gesucht – ganze sechs Prozent mehr Suchanfragen, was bis dato einmalig in der Geschichte war.

Der fulminante Aufstieg des "Man Bun" im Vergleich zum "Cromb Over". Ausschnitt aus dem "Beauty Trends 2015"-Report von Google.

Der fulminante Aufstieg des „Man Bun“ im Vergleich zum „Comb Over“. Ausschnitt aus dem „Beauty Trends 2015“-Report von Google.

 

Aus Googles Report resultiert, dass der „Man Bun“ als „top rising look“ im Jahr 2015 einen enormen Hype im Netz auslöste. Während andere Männerfrisuren, wie etwa der „Comb Over“, über die Jahre hinweg immer mal wieder gesucht wurden, gingen die Suchanfragen beim Männerknoten 2015 fulminant nach oben. Generell, so die Zusammenfassung des Reports, setzen Männer sich mittlerweile vielmehr mit den Macharten von Frisuren auseinander, indem sie sich online Erklärvideos anschauen und gezielt mit bestimmten Produkten auseinandersetzen, die dem gewünschten Hairstyle zu seiner Perfektion verhelfen sollen. Nicht zu unterschätzen ist dabei der große Einfluss von prominenten Personen, die Frisurentrends dominieren.

Ob der „Man Bun“ als Zeichen einer neuen Männlichkeit zu deuten ist? Diese Entscheidung bleibt jedem selbst überlassen. Gewissermaßen ist die Trendfrisur im Zuge der Unisexisierung gängiger Modeprinzipien zu verstehen. Im Gegensatz zu einigen sehr ordentlich zurechtgemachten Dutt-Varianten der Frauen ist der Look des „Man Buns“ gewollt wild, gewollt ungewollt, gewollt zwanglos. „Undone Look“ eben. Er steht trotz des weiblichen Einschlags für eine lässige Männlichkeit, die Uneitelkeit suggerieren soll. Ganz grundsätzlich stellt der „Man Bun“ sich gegen den geschniegelt und gestriegelten „Dandy-Look“. Führt man sich das Bild des japanischen Samurai-Kriegers oder des Sumoringers vor Augen, so unterstreicht der Haarknoten die archaische Stärke des Mannes. Der „Man Bun“ ist also weder feminin noch eitel, sondern haariges Statement für die neue Lässigkeit des Mannes.

 

Weitere Links zum Thema:

https://www.desired.de/frisuren/haarstyling/man-bun/

https://www.theodysseyonline.com/the-man-bun-history

http://www.fashionbeanhttp://twistedsifter.com/2015/11/if-politicians-had-man-buns/s.com/article/man-bun-guide/

https://www.welt.de/icon/article148393535/Die-kuriose-Welt-der-Man-Bun-Erklaervideos.html

Zur Belustigung – Politiker mit „Man Bun“

If Politicians Had Man Buns (27 Photos)

 

Lassen sich Geister wirklich beschwören oder täuschen uns die eigenen Sinne? Unsere Reporterin hat es beim Gläserrücken ausprobiert. Ein Selbsttest bis zur Schmerzgrenze mit hohen Erwartungen und Vanilleduft.

Ich schalte das Licht aus. Wir sitzen zu dritt im Halbdunkeln um den Tisch im Wohnzimmer unserer Wohngemeinschaft. Darauf liegt ein Kreis aus mit Buchstaben und Zahlen beschrifteter Blätter, in der Mitte stehen ein Glas und zwei weiße Kerzen. Die Kerzen sollen böse Geister fernhalten und verströmen einen aufdringlichen Vanilleduft. Wir legen alle unseren Zeigefinger auf das Glas, dann beginnen wir mit der Séance. „Großer Geist, wir rufen dich“, sagen wir im Chor – und ich muss mir ein Lachen verkneifen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einen Geist beim Gläserrücken zur rufen. Das hat meine Mitbewohnerin Teresa erzählt. Sie ist die Einzige von uns, die schon an solchen Sitzungen teilgenommen hat. Nachdem sich der Geist durch ein Zeichen bemerkbar gemacht hat, sollen wir ihm Fragen stellen. Alles ist erlaubt, nur die Zukunft ist Tabu. Durch das Glas soll sich der Geist uns mitteilen. Denn dieses soll sich nach einer Weile scheinbar von selbst bewegen und erst langsam, später teilweise rasant zu den Blättern rücken. Diese sind mit allen Buchstaben des Alphabets, den Zahlen von 0 bis 10 sowie ja und nein beschriftet. Der auf diese Weise entstandene Text wird als Mitteilung des gerufenen Geistes gedeutet und von einem Teilnehmer oder einer Teilnehmerin der Séance protokolliert.

„Bist du da?“

Auf dem Wohnzimmertisch sind alle Utensilien fürs Gläserrücken aufgebaut.

Gläserrücken in der Wohngemeinschaft (Foto: Hannah V.)

Uns antwortet der Geist vorerst nicht. Wir wiederholen in kurzen Abständen unseren Satz und fragen danach: „Bist du da?“ Aber das Glas bewegt sich nicht. „Vielleicht sollten wir einen anderen Spruch ausprobieren?“, frage ich nach einer Weile. Teresa zuckt mit den Schultern und geht googeln. Unsere Handys haben wir nämlich alle aus dem Zimmer verbannt. Die Signale könnten den Geist stören, habe ich nachgelesen. Deshalb kann ich die Séance auch nicht aufnehmen, was mich als Journalistin ein bisschen stört. Denn ein kurzes Video von uns um den Wohnzimmertisch mit geschlossenen Augen im Kerzenschein wäre bestimmt gar nicht schlecht.

Trotzdem gibt es online etliche Videos von Séancen, die alle angeblich keine Fälschungen sein sollen. Einmal fliegt das Glas plötzlich in die Luft und zerspringt an der Zimmerdecke, ein anderes Mal bewegt es sich, obwohl die beiden jungen Männer ihre Finger zurückgezogen haben. Bei einem Selbstversuch Darmstädter Journalismusstudenten erscheint ein 36-jähriger Geist aus Calw namens Hoep. Ganz ernst kann ich das alles nicht nehmen.

Gläserrücken soll Zugang zu Verborgenem schaffen

Es gab und wird immer Phänomene geben, die Menschen nicht erklären können. Das sei aber laut dem Verein „Sekten-Info Nordrhein-Westfalen“ schwer zu akzeptieren. Wenn Menschen mit Logik oder Wissenschaft nicht weiterkämen, versuchten sie diese Phänomene anders zu deuten. Eine Möglichkeit dafür sind okkulte Praktiken – zu denen neben Kartenlegen, Pendeln oder Astrologie auch Gläserrücken zählt. Das lateinische Wort „okkult“ bedeutet „verborgen“. Okkulte Praktiken sollen demnach Zugang zu diesem Verborgenen schaffen und es begreifbar machen. Gläserrücken gehört zu den beliebtesten gemeinschaftlich betriebenen okkulten Praktiken. Denn es erfordert wenig Aufwand und alle benötigten Gegenstände sind leicht zu beschaffen oder selbst herzustellen. In der Regel werden Séancen nachts durchgeführt – vor allem auch zur Geisterstunde.

Vielleicht hätten wir doch auf Nummer sicher gehen und bis Mitternacht mit unserer Sitzung warten sollen. Seit mehr als zwanzig Minuten rufen wir abwechselnd nach dem großen Geist und fragen, ob jemand mit uns sprechen möchte. Bisher möchte das niemand. Obwohl mein ausgestreckter Arm langsam zu schmerzen anfängt, fühle ich mich sehr entspannt – fast wie im Yoga, wenn wir immer wieder dasselbe Mantra wiederholen. Dennoch frage ich mich, was wir falsch machen. Wir haben einen zweiten Spruch ausprobiert, haben inzwischen die Augen geschlossen und den Tisch gewechselt, weil darin Metall verbaut ist. Eigentlich machen wir alles richtig. Nur durch die Stimmen aus dem Nachbarzimmer könnte sich der Geist jetzt noch gestört fühlen. Meine andere Mitbewohnerin schaut eine Serie. Sie hatte uns von Anfang an für verrückt erklärt. „Ihr spinnt doch“, sagte sie, als ich ihr das erste Mal von unserer geplanten Séance erzählte. Das funktioniere nicht, sei alles wissenschaftlich bewiesen.

Eine wissenschaftliche Erklärung gibt es tatsächlich. Demnach entsteht die Bewegung des Glases durch den so genannten Carpenter-Effekt, den der englische Physiologe William Benjamin Carpenter erstmals 1852 beschrieb. Bei diesem wird durch Gedanken oder Vorstellungen eine Bewegung ausgelöst – wenn beispielsweise beim Autofahren der Beifahrer eine imaginäre Bremse tritt, weil ihm der Fahrer zu schnell fährt. Die Bewegung des Beifahrers resultiert aus dem Wunsch, das Auto zu bremsen. „Während des Gläserrückens baut sich eine ähnliche Erwartungshaltung auf: Funktioniert es oder funktioniert es nicht?“, so der Neurologe Tim von Oertzen im MDR. „Jeder will eigentlich, dass es funktioniert – weil man es ja gerne erfahren möchte.“ Die Wünsche, Hoffnungen oder Ängste der Teilnehmer können zu Muskelkontraktionen führen, die das Glas bewegen. „Es ist nicht so, dass jemand aktiv das Glas schiebt, aber unbewusst werden Bewegungen auf das Glas übertragen“, erklärt von Oertzen. Gläserrücken werde deshalb auch durch die bewusste oder unterbewusste Zielvorstellung der beteiligten Personen beeinflusst. Wenn die Teilnehmer*innen demnach eine positive Einstellung haben, erhalten sie eher ein positives Resultat; sind sie negativ eingestellt fällt dieses eher negativ aus.

„Wir hatten nach der Sitzung solche Angst“

Teresa hat als 13-Jährige bereits an einer erfolgreichen Séance mit Freundinnen teilgenommen. Damals hat sich tatsächlich ein Geist bemerkbar gemacht – zumindest vermutet sie das. Ganz sicher ist sie sich nicht. „Es kann immer jemand dabei sein, der sich einen Spaß daraus macht und das Glas absichtlich verrückt“, sagt sie. „Trotzdem hatten wir nach der Sitzung solche Angst, dass wir lieber bei meiner Freundin übernachtet haben, statt nach Hause zu fahren.“

Es gibt in Deutschland mehrere Beratungsstellen der Bundesländer, Kirchen oder Polizei, die über Okkultismus aufklären. Zwar scheinen hierzulande nicht viele Menschen regelmäßig an okkulten Praktiken teilzunehmen – offizielle Zahlen dazu gibt es keine, aber dennoch kommt es auch zu tragischen Vorfällen. So wie vor mehr als zwanzig Jahren in Forchheim. Dort hatte der vermeintliche Geist seines verstorbenen Freundes dem 15-jährigen Thomas und dessen 18-jährigen Freund Markus beim Gläserrücken erzählt, wie süß das Sterben sei. Woraufhin sich die beiden Jugendlichen mit Auspuffgasen das Leben nahmen. Der geplante Selbstmord zweier weiterer Mitglieder der Clique konnte nur durch Zufall verhindert werden.

Kein Spuk im Stuttgarter Altbau

So dramatisch geht unsere Sitzung zum Glück nicht zu Ende. „Wie war die Erfahrung für euch?“, fragt Teresa in die Runde, während ich das Licht einschalte. „Enttäuschend“, sagt mein Freund Alex. Nachdem uns fast vierzig Minuten kein Geist geantwortet hat, haben wir die Séance beendet. Und ich fühle mich darin bestätigt, dass es keine Geister gibt. Dabei war ich wirklich offen dafür, mich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. „Kurz hatte ich wirklich das Gefühl, das Glas hätte sich bewegt“, sagt Teresa. „Aber als ich die Augen aufgemacht habe, stand es noch an genau derselben Stelle wie vorher.“ Wir schweigen betreten. „Vielleicht lag es am Ort?“, frage ich. Wir wohnen zwar in einem Stuttgarter Altbau – aber das will ja nichts heißen. „Nächstes Mal sollten wir auf den Friedhof gehen“, sagt Teresa. Ich stelle mir vor, wie wir im Kreis um unsere beschrifteten Blätter sitzen und die Vanillekerzen flackernde Schatten an die Grabsteine werfen. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?

Schlangen in Menschengestalt, blutsaugende Dämonen und tödliche Intrigen am Königshof: Die chinesische Kultur ist voller geheimnisvoller Gespenster-Geschichten. Doch hinter dem Überirdischen verbergen sich dann doch ganz irdische Motive.

Eines Tages fragte ein Schüler Konfuzius über das Wesen der Geister. Der Meister sprach: „Wenn man noch nicht den Menschen dienen kann, wie sollte man den Geistern dienen können!“ Konfuzius sprach niemals über Zauberkräfte und widernatürliche Dämonen. Dennoch haben die Mythen über Geister und Gespenster auch im Konfuzianismus zahlreiche Anhänger – selbst unter Würdenträgern und Literaten. Hier nun eine Auswahl der populärsten chinesischen Gespenster-Geschichten.

Yao (妖) – Geister mit menschlichem Aussehen

Green Snake

Szenen aus dem Film „Green Snake“, einer Verfilmung der Geschichte der weißen Schlange aus dem Jahr 1993 (@ Shanghai Film Co., Ltd. All rights reserved).

In der Song-Dynastie (960–1279) gab es einen gut aussehenden jungen Mann namens Xu Xian. Eines Tages machte er einen Spaziergang am Westsee. Da sah er zwei schöne Frauen, die vom heftigen Regen nass geworden waren. Er hatte Mitleid und gab den beiden seinen Regenschirm, während er dem Regen ausgesetzt war. Die Frau mit weißer Kleidung, die Bai Suzhen hieß, verliebte sich auf Anhieb in ihn. Auch Xu fühlte sich von der Frau angezogen. Nach der Hochzeit machte das Ehepaar eine Apotheke am Westsee auf. Alle Menschen bewunderten die neuen Nachbarn für ihre Schönheit und Großzügigkeit. Nur ein buddhistischer Mönch warnte Xu vor seiner Frau. Er behauptete, dass Bai eine böse Hexe sei und den Menschen Unglück bringe. Dann schlug er Xu vor, am Drachenbootfest seine Frau auf einen Xionghuang-Schnaps (einen traditionellen Kräuterschnaps) einzuladen. Xu begann zu zweifeln und tat an dem Tag genau das. Kurz nachdem Bai den Schnaps getrunken hatte, erschien ihre eigentliche Figur: eine weiße Schlange. Der weißen Schlange war  es nach tausendjähriger Meditation endlich gelungen, Menschengestalt anzunehmen. Und Bais sogenannte Schwester war in Wirklichkeit eine grüne Schlange. Sie zaubert an dem Tag des ersten Treffens von Xu und Bai Suzhen einen Platzregen herbei, um ihr dabei zu helfen, Xu um den Finger zu wickeln.

Das Schriftzeichen Yao (妖) steht im Altchinesischen auch für die weibliche Schönheit. Aber in der patriarchalen Kultur wandelte sich die Bedeutung des Wortes allmählich und bezeichnete Tier- und in einigen Fällen auch Pflanzengeister, die Menschengestalt annehmen und die Menschen verführen, weil diese unrechte Begierden haben oder mutwillig Verbrechen begehen.

Guai (怪) –  Geister mit bizarrem Aussehen

Buchcover Jingwei

Der Dialog zwischen dem Vögelchen und dem Gott des Meeres. Titelblatt eines illustrierten Buch über die Legende von Jingwei (Foto: @Tomorrow Publishing House All rights reserved).

Nüwa, die jüngste Tochter von Yandi, einem Kaiser in der Vorgeschichte, führte ein naives und sorgenfreies Leben. Eines Tages spielte sie am Strand des Ostmeeres und war von der schönen Blauen angezogen. Sie schwamm fröhlich ins Meer. Nach und nach wurde das Meer stürmisch, während ihre Kräfte schwanden. Sie konnte nicht ans Ufer kommen, aber sie wollte nicht sterben. Wegen dieses starken Wunsches verwandelte sie sich in einen kleinen Vogel. Das Vögelchen hatte einen farbigen Kopf und griff sich jeden Tag Steinchen vom Westberg, die sie mit roten Klauen ins Ostmeer warf. Als der Gott des Meeres seine Rache entdeckte, lachte er es aus. Selbst eine Million Jahre reichen nicht aus, das Meer aufzufüllen. Das hartnäckige Vögelchen antwortete nun: „Ich werde nie aufhören und eines Tages, vielleicht nach zehn Millionen Jahren, werde ich es aufgefüllt haben.“ Weil es immer „Jingwei“ schrie, nannte man es auch so.

Guai (怪), ähnlich wie Yao (妖), haben menschliche Eigenschaften. Sie denken und handeln. Der größte Unterschied zwischen den beiden ist das Aussehen. Yao (妖) ähneln dem Menschen, während Guai (怪) tierische oder andere ungewöhnliche Gestalten annehmen.

Gui (鬼) – Gespenster, die Toten

Filmplakat "A Chinese Ghost Story"

Das Plakat des Film „A Chinese Ghost Story“ aus dem Jahr 1987 (@Cinema City Co., Ltd. All rights reserved).

In der Ming-Dynastie (1368–1644) gab es einen großzügigen Mann aus der Provinz Zhejiang namens Ning Caichen. Auf dem Weg in die Stadt Jinhua ruhte er sich in einem Tempel aus. Die imposante Halle war menschenleer. In der ersten Nacht konnte er nicht einschlafen. Plötzlich hörte er Flüstern. Er stand auf und ging zum Fenster. Dort sah er eine schöne Frau, die ihn fragte, ob sie bei ihm übernachten dürfte. Er wollte nicht. Die Frau versuchte ihn zu überreden. So beschimpfte Ning sie so laut, bis sie schließlich wegging. Am nächsten Tag kam ein Gelehrter mit seinem Diener vorbei. Sie übernachteten in einem Zimmer auf der östlichen Seite des Tempels. In der Nacht starben der Gelehrte und sein Diener plötzlich. Man fand ein kleines Loch in der Mitte ihrer Fußsohlen, aus dem noch ein bisschen Blut floß. In dieser Nacht kehrte die ominöse Frau zurück und bat Ning, sie zu retten. Sie gab zu, dass sie, Nie Xiaoqian, im Alter von achtzehn Jahren starb und neben dem Tempel begraben wurde. Danach wurde sie von einem mächtigen Yao (妖) gezwungen, Männer zu verführen. Der tötete die Männer, indem er ihnen das Blut aussaugte. Weil Ning sie abgelehnt hatte, wurde der Gelehrte umgebracht. Sie schlug vor, den Ort so früh wie möglich zu verlassen. Sie bat ihn, ihre Urne mitzunehmen und an einem sicheren Ort zu begraben. Ning glaubte ihr und kehrte sofort in seine Heimat zurück. Nie half ihm von nun an beim Haushalt und passte auf seine Familie auf.

Gui (鬼), anders als Guai (怪) und Yao (妖), steht nur für die Geister der toten Menschen. In den chinesischen Mythen gingen alle Gespenster in die Unterwelt, die Yingjian (阴间) oder Difu (地府) heißt. Nie, die Hauptfigur in der Geschichte, konnte in der jenseitigen Welt keinen Frieden finden, weil ihr Körper an einem falschen Ort begraben wurde und dann unter die Kontrolle des bösen Geistes geriet.

Mo (魔) – mächtige Geister, die Dämonen

„Die Reise nach Westen“ ist einer der vier klassischen Romane der chinesischen Literatur. Es geht in diesem Werk um die Reise des Mönchs Xuanzang und drei seiner Anhänger nach „Westlicher Himmel“, dem heiligen Ort. Von dort soll er die Heiligen Schriften Buddhas in das antike China bringen. Unterwegs lagen insgesamt 81 Hindernisse vor ihnen, die von zahlreichen bösen Geistern verursacht wurden. Hier stelle ich nur ein Hindernis davon vor. Eines Tages kamen die vier in ein Land, das Biqiuguo heißt. Der König dort litt an starken Schmerzen. Sein Schwiegervater machte den grausamen Vorschlag, eintausend Kinder zu verhaften, damit der Schwiegervater Medikamente aus ihren Herzen und Lebern machen könnte.  Die Vier wollten die Kinder retten. Sie fanden schließlich heraus, dass der sogenannte Schwiegervater ein Hirsch und seine Tochter, die Königin, ein Fuchs war. Sie berichteten dem König davon. Dieser beschloss, dass die vier Mönche die bösen Geister töten dürfen.

Anders als die drei anderen Begriffe ist Mo (魔) ein Fremdwort. Am Anfang wurden mit Mo (魔) unrechte Gedanken beim Prozess der Meditation bezeichnet. Allmählich hielt man alle bösen Geister für Mo (魔), die die mächtigeren Gui (鬼), Guai (怪) oder Yao (妖) sein können.

In den zahlreichen Mythen zeigt sich, dass Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus verschiedene Vorstellungen über Tote und Spukwesen haben. Yao (妖), Mo (魔), Gui (鬼), Guai (怪), die Geister und Gespenster und die antiken Mythen über sie spiegeln auch die damaligen gesellschaftlichen Ideen wider. Sie behandeln die großen Menschheits-Motive wie Liebe und Hass, Tugend und Untat, Ehre und Betrug – und zeigen zugleich, wie vielfältig die chinesische Kultur ist.

https://www.psychologies.co.uk/events/competition-signed-her-movie-poster.html

Immer wieder treffen wir im Film auf verschiedene Vorstellungen der Zukunft. Eine von ihnen scheint immer öfter eine von Technologien beherrschte Welt zu sein. Ob apokalyptisch, positiv oder abstrakt – die Technologie scheint untrennbar mit vielen Versionen der Zukunft verwoben zu sein. Der Film „HER“ stellt den Zuschauer*innen eine neue Welt vor. Diese ist ästhetisch, modern und … voller Gespenster? Weiterlesen

Gruselgeschichten über verfluchte Orte ziehen ihre Zuhörer förmlich in ihren schaurig-schrecklichen Bann. Ob der Tower of London in England oder das Winchester House in den USA, Gruselorte gibt es überall. Auch in Baden-Württemberg. Diese Reihe stellt drei der sehenswertesten Spukorte im Ländle vor.

Der Fluch von Großerlach

Großerlach am 30. April 1916 – Die Witwe Rosine Kleinknecht vernimmt am frühen Morgen aus dem Stall ihres Bauernhofs lautes Gebrüll. Als sie die Stalltüre öffnet stellt sie fest, dass eines ihrer Kälber losgebunden worden ist und ihr Vieh aufgeregt mit den Hinterbeinen ausschlägt und schwitzt. Sie bindet das Kalb fest und schließt den Stall. 

Kurze Zeit später hört die Witwe das Jungtier erneut brüllen und als sie nachsieht, sind zwei Kälber losgebunden. Wie das passieren konnte, ist für Rosine Kleinknecht unerklärlich, da niemand im Stall gewesen sein kann. Daraufhin bindet sie das Vieh sowohl mit Stricken als auch mit Ketten fest. Ohne Erfolg. Der Vorgang wiederholt sich mehrere Male. Ihr Vieh wird dabei beinahe von den sich zuziehenden Ketten erwürgt.

Der Spuk lässt auch in den beiden darauf folgenden Nächten nicht nach. In der dritten Nacht wacht das kleinste der Kinder auf und behauptet aufgeregt, einen schwarzen Geißbock am Bett der Witwe gesehen zu haben. Als man das Kind aus dem Haus schafft, beginnt auch die siebenjährige Tochter zu phantasieren. Sie bildet sich ein, grüne Augen und Ohren zu haben. 

Von der Ruhe bis zum Chaos

Vom 3. bis 5. Mai wird es ruhiger im Hofe der Witwe Kleinknecht. Eine Woche später droht die Situation jedoch zu eskalieren: Ein Holzscheit fängt auf dem Herd an zu tanzen und kehrt immer wieder zurück, obwohl man ihn mehrmals aus dem Fenster wirft. Am Abend stürzen fünf Milchhäfen vom Brett und zerbrechen. Am 15. Mai findet der Spuk seinen Höhepunkt. Das Vieh im Stall wird geschlagen, alle Milchgeschirre, Mostkrüge, Teller und vieles mehr fliegen auf den Boden oder werden sogar auf Personen geworfen. Ein Augenzeuge packt einen der schwebenden Mostkrüge, woraufhin ihm ein Milchhafen an den Kopf fliegt. Ein Bauer, der den Spuk mit einer Peitsche auszutreiben versucht, wird übel zugerichtet und dem Amtsdiener wird die Mütze vom Kopf geschlagen. 

Zu guter letzt heben sich alle Türen aus den Angeln und fallen zu Boden, die Betten werden zerrissen und mehrere Personen werden durch umherfliegende Gegenstände verletzt. Daraufhin wird der Bauernhof am selbigen Tage von Familie Kleinknecht verlassen und geschlossen. 

Tübinger Professoren sprechen von Schwindel

Die Geschichte vom spukenden Bauernhof machte damals schnell die Runde. Durch zunächst noch regionale Zeitungen, breitete sich die Botschaft immer weiter auf das gesamte Kaiserreich aus.

So kommt es, dass drei Professoren der Psychologie aus Tübingen im Juli 1916 nach Großerlach reisen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sie kommen zu folgendem Ergebnis: „Obwohl wir das Vorhandensein abnormer Vorgänge nicht von vornherein ausschlössen, kamen wir zu der bestimmten Überzeugung, dass ein Grund für eine solche Annahme hier nicht vorliegt“. Das Protokoll der Professoren Oesterreich, Heuchler und Haering kann man noch heute in der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg nachlesen. Das Stadtarchiv Ludwigsburg soll damals den Fall vollständig archiviert haben. So heißt es auf der Homepage der Gemeinde Großerlach.

Großerlach heute

Das beschauliche Dorf im Rems-Murr-Kreis zählt heute mit seiner Anekdote zu den bekanntesten Spukorten weltweit. Im Ranking der Stuttgarter Nachrichten zu den „Top Ten der gruseligsten Orte der Welt“ landete Großerlach 2017 auf Platz 9. 

Die Gruselgeschichte gehört zur Identität der Stadt und ist auch auf der Homepage der Gemeinde nachzulesen. Bürgermeister Christoph Jäger hat Mitleid mit der Witwe Rosine Kleinknecht: „Eigentlich ist das eine tragische Geschichte. Die Frau hat nahezu ihren gesamten Besitz verloren. Bis heute ist nicht klar, was da genau passiert ist. Es gibt nur viele Spekulationen“, sagte er den Stuttgarter Nachrichten.

Die geisterhaften Vorgänge haben sich bis heute nicht wiederholt. Der Spuk-Hof in Großerlach wurde bereits abgerissen. Augenzeugen sind lange verstorben. 

Obwohl die Geschichte unter der lokalen Bevölkerung wenig verbreitet ist, ist Großerlach immer noch eine beliebte Anlaufstelle für vor allem internationale Geisterjäger und Fans von Gruselgeschichten. Noch heute reisen Spukbegeisterte von weit her in den Rems-Murr-Kreis, um den geheimnisvollen Ereignissen um Rosine Kleinknechts Hof auf die Spur zu kommen.

Im zweiten Teil der Reihe geht die Reise nach Freudenstadt. Wer sich bis dahin auch auf Spurensuche nach Großerlach begeben will, kann sich an der hier eingefügten Karte orientieren.

 

 

Mit ihrer ausgeprägten Fantasie basteln sich Kinder ihre Welt. Helden mit Superkräften, die täglich die Welt retten, Engel mit wunderschönen weißen großen Flügeln bis hin zu dem Weihnachtsmann mit seinem dicken Bauch, der selbstverständlich trotzdem durch alle noch so engen Schornsteine passt. Doch was ist eigentlich mit Gespenstern?  Weiterlesen

Manche genießen den Duft von Shampoo- und Pflegeprodukten, anderen sträuben sich die Haare beim Gedanken an Trockenhaube, Bleichmittel und Co. Doch was genau passiert mit unseren Haaren, während wir uns im Friseursessel zurücklehnen? Wie beeinflusst Chemie Form, Farbe und Struktur unserer Haare? Ein Blick unter die glänzende Oberfläche von Dauerwellen und künstlichen Haarfarben.

Haare waschen und föhnen, färben und tönen, glätten und wellen, blondieren und aufhellen, shampoonieren und pflegen, entfernen und ankleben. Wie es scheint, reicht ein Besuch beim Friseur aus, um jedem beliebigen Haartrend zu folgen. Wir setzen uns in einen gemütlichen Sessel, lesen ein paar Zeitschriften und im Handumdrehen verlassen wir den Salon mit einer neuen Frisur. Dabei benötigen die meisten Frisuren mehr als nur ein paar Handgriffe – nämlich Chemie!
Hier erfahren wir, welche chemischen Prozesse dem chemischen Glätten, einer Dauerwelle, sowie dem Haare färben und tönen zugrunde liegen.

Magische Inhaltsstoffe und chemische Zauberformeln

Chemie ist heute weder aus einem Friseursalon wegzudenken noch aus unserem eigenen Vorrat an Haarpflegeprodukten und -tools. Wir benutzen die Glätteisen, Lockenstäbe, Färbemittel und Tönungen jedoch meistens ohne zu wissen, wie diese auf unsere Haare einwirken. Natürlich, sie bekommen einen „ultimativen Glanz“, „mehr Volumen“, werden zu einer „wilden Mähne“, „lassen die Haarpracht neu erstrahlen“ und verhelfen grauem Haar zu „einem faszinierenden Farbergebnis.“ Sie zaubern „24h sichtbar mehr Haarfülle ohne zu beschweren“ und geben „extrastarken Halt“, wenn wir mal durch den Wind sind.
Das hört sich gut an und sieht meistens ansprechend aus, aber spätestens wenn wir die lange Liste der Inhaltsstoffe überfliegen, verstehen wir doch nicht so ganz, wie diese neue Zauberformel jetzt eigentlich funktioniert.

Dieses kurze Video auf Englisch zeigt euch, woraus unsere Haare bestehen. Das ist wichtig um zu verstehen, wie chemische Prozesse beim Hairstyling ablaufen.

Glatt oder gelockt – eine Frage der Chemie

Um glattes Haar zu wellen und gewelltes Haar zu glätten, müssen die Querverbindungen innerhalb des Haares gelockert oder sogar aufgebrochen und neu zusammengefügt werden. Wasser- und Wärmeeinwirkung löst vor allem die Wasserstoffbrücken auf, die beständigeren Disulfidbrücken bleiben aber erhalten.

Die Wasserstoffbrücken lösen sich, indem sich im nassen Haar Wassermoleküle zwischen die Wasserstoffbrücken einlagern und diese so aufbrechen. Deswegen kann das nasse Haar sich einer neuen Form, beispielsweise der eines Wicklers oder einer Bürste, optimal anpassen.
Wenn wir unser Haar anschließend trocknen, lösen sich die Wassermoleküle wieder auf und die Wasserstoffbrücken schließen sich in ihrer neuen Form. Aus diesem Grund ist es möglich, dass auch sehr lockige Haare in nassem Zustand zunächst glatt sind. Ebenfalls können glatte Haare, indem sie nass geflochten und getrocknet werden, kurzzeitig wellig bleiben. Diese reversible Umformung der Haare kann durch das Föhnen mit Rundbürsten oder im geflochtenen Zustand, aber auch durch die Hitze von Glätteisen und Lockenstäben erzielt werden.

Nicht jede Schönheit ist vergänglich!

Soll die Haarpracht von Dauer sein, kommen die chemische Glättung oder eine Dauerwelle infrage. Dabei lösen sich nun auch die beständigeren Schwefelbindungen. Dies geschieht durch alkalische Cremes oder Pasten, die der Friseur gleichmäßig ins Haar einarbeitet. Durchdringen diese die äußere Haarschicht, können sie in die Mikrofibrillen der Fasern eindringen und die Disulfidbrücken aufbrechen. Durch diese Öffnung der Proteinstruktur wird das Haar verformbar. Das erweichte Haar nimmt nun die Form des Lockenwicklers (bei der Dauerwelle) oder einer glatten Oberfläche (bei der chemischen Glättung) an. Ein Oxidationsmittel wie Wasserstoffperoxid kann die Schwefelbrücken wieder schließen. Die Formänderung wird fixiert und bleibt nun auch unter Wassereinfluss erhalten.

Disulfidbrücken sind zunächst geschlossen (links), werden denn aufgebrochen (mitte) und schließlich neu zusammengefügt (rechts)

Farbe bekennen

Wer sich Abwechslung durch neue Farbe wünscht, muss sich entscheiden, ob die Veränderung dauerhaft oder nur für einen begrenzten Zeitraum anhalten soll. Eine Tönung verliert bereits nach einigen Haarwäschen an Intensität, wohingegen das Färben der Haare dauerhaft anhält. Der Unterschied besteht darin, dass bei einer Tönung die natürlichen Farbpigmente in den Haaren erhalten bleiben. Die Farbe der Tönung lagert sich an das Keratin in den Mikrofibrillen an und bildet eine Farbschicht um diese herum, die sich mit der Zeit wieder löst.
Beim Haarefärben kommen hingegen Alkalien zum Einsatz. Diese werden ins Haar eingearbeitet und lassen es aufquellen. Dadurch entstehen Zwischenräume in der Schuppenschicht, die Platz für die neuen Farbstoffe machen. Die haareigenen Farbpigmente werden mit Wasserstoffperoxid zerstört, was zu einer starken Aufhellung führt. Anschließend können die neuen Farbpigmente sich in die Faserschicht einlagern und für eine dauerhafte Haarfärbung sorgen.

Ein bisschen Chemie schadet nie?

Der Mythos von „Zauberformeln für die perfekte Frisur“ oder „magischer Sprungkraft für definierte Locken“ ist damit, genau wie Rapunzels meterlanger Zopf, eindeutig in die Ecke der Märchen gerückt. Dass chemische Prozesse beim Friseur die entscheidende Rolle spielen, mag ernüchternd sein. Aber es bestätigt, dass wir lieber den Friseur den Zauberstab schwingen lassen sollten, bevor wir uns selbst an Bleichmittel und Co herantrauen.

Du willst deine Haare noch genauer unter Lupe nehmen? Hier erklären Chemiker die Vorgänge haarklein:

http://daten.didaktikchemie.uni-bayreuth.de/umat/haare/haare_chemie.htm

http://www.lehrer.at/html/kosmetik/pdf/OS-BIO-HAAR-A3.pdf

Video Icons u.a. von: https://www.flaticon.com/, https://icons8.de/free-icons und  https://www.freepik.com/free-icons

Jeder Dichter sucht nach den schönsten Worten, um seine Empfindungen zu beschreiben. Auch das Haar findet in Erzählungen oder in der Poesie immer einen Platz. Die schönen Locken eines Jünglings oder das ergraute Haar eines alten Mannes liefern uns ein Bild von der Person und tragen dazu bei, die Atmosphäre eines Gedichts zu kreieren. Weiterlesen