In Ostasien kennt jedermann das 9–jährige Mädchen Maruko-Chan. Die Protagonistin der populären Manga-Serie ist seit 1986 bekannt und findet bis heute viele Liebhaber unter den Erwachsenen. Ein Grund dafür sind die heiteren Alltagsgeschichten des kleinen Mädchens sowohl in der Schule als auch zu Hause mit ihrer Familie. Noch einer ist sicherlich ihre sympathische Frisur, die die Leute in Taiwan immer an eines erinnert: die Haar-Vorschrift an Schulen.
Hoher Konformitätsdruck an taiwanischen Schulen
Während ihrer Teenagerzeit neigen deutsche Schüler dazu, verschiedene Frisuren auszuprobieren, um herauszufinden, welche gut zu ihrer Persönlichkeit passt. Allerdings gilt das nicht für Leute in Ländern wie Japan, Korea, China, Taiwan oder sogar in Amerika und Kanada. Die Schulregeln bezüglich der Frisuren der Schüler sind dort mehr oder weniger streng. Zum Beispiel verlangen 60 Prozent der staatlichen Highschools in Tokyo von Schülern mit hellerem Haar, zur Anmeldung eine „Bescheinigung mit Kindheitsfoto” abzugeben. Wie die japanische Zeitung Asahi Shimbun herausgefunden hat, müssen die Schüler so beweisen, dass ihre natürliche Haarfarbe tatsächlich nicht schwarz ist. Denn schwarzes Haar steht in Japan für Tradition.
Sehr strikt war die Haar-Vorschrift an Schulen in Taiwan bis zum Jahr 2005. An manchen Schulen durfte die Haarlänge der Mädchen drei Zentimeter unter dem Ohr nicht überschreiten, gleichzeitig aber auch nicht so kurz wie bei einem Jungen sein. Eine solche Frisur nennt man mittlerweile mit einem Gramm Ironie „Wassermelonen-Hut”. Für Jungen war es genauso hart: ein kurzer Bürstenschnitt war angesagt, ein Symbol der Militarisierung der Ausbildung.
„Haar-Vorschrift? Es ist gut für euch!”
Die Schulen begründen die Vorschriften und regelmäßigen Kontrollen damit, so die Konformität beziehungsweise Ordnung in der Schule zu sichern. Ein weiteres Argument ist, dass die Schüler so Zeit sparen, da sie sich statt auf ihre Frisur auf das Lernen konzentrieren können. Außerdem wird die Aufmerksamkeit auf Äußerlichkeiten als etwas Schlechtes bewertet. Aus demselben Grund haben viele Einrichtungen strikte Verhaltensregeln, die sich auf Schuluniformen, Socken, Schuhe, Accessoires, Make-up und Rocklänge beziehen. Wollen die Mädchen aber im Sommer die Hose statt des Rocks tragen, müssen sie einen Antrag mit schriftlichem Beweis eines Arztes stellen. Eine Ausnahme ist nämlich nur bei einer Beinverletzung möglich. Es mag absurd erscheinen, dass farbige Unterwäsche (mit Ausnahme von weiß und hautfarben) ebenfalls verboten ist. Für die weiße Uniform sei andersfarbige Unterwäsche zu auffällig, und besonders für Mädchen im Sinne von sexuellen Übergriffen gefährlich. Wer diese Vorschriften nicht einhält, kann eine schriftliche Verwarnung bekommen. Drei solcher Vermerke können dann dazu führen, dass man nicht an Elite-Universitäten des Landes studieren darf, egal wie gut die Noten sind. Das sagen zumindest die Lehrer.
Anfang der sozialen Bewegung zur Aufhebung der Haar-Vorschrift
Es ist erstaunlich, dass die Aufhebung der Haar-Vorschrift an Schulen Taiwans bloß auf einen neugierigen Jungen zurückzuführen ist. 2001 wollte er wissen, was ihm eigentlich passieren würde, wenn er sich die Haare nicht schneiden ließ. „Ich denke, ich werde vorläufig nicht zum Friseur gehen, bis die Leute auf die Haar-Vorschrift verzichten. Ist es wirklich so, dass etwas Negatives passiert?” (Quelle: Humanistic Education Magazine 293)
Als der Winter kam und seine Haare ihm schon in die Augen fielen, hatte es der sogenannte Benehmen-Ausbilder der Schule auf ihn abgesehen. Die Lehrkraft sprach mit dem Schüler und forderte ihn auf, baldmöglichst zum Friseur zu gehen. Der Junge machte aber nichts, er ließ sich von niemandem dazu überreden, seine Haare zu schneiden. Wenig später entschied die Schule, eine Sitzung einzuberufen, um den Jungen zu bestrafen. Sogar ein Schulverweis hätte eine mögliche Konsequenz sein können. Glücklicherweise leisteten die Mitschüler des Jungen Beistand, indem sie gegen die Bestrafung protestierten. Infolgedessen wurden die Konsequenzen ausgesetzt. Nach wenigen Tagen versammelten sich die Jugendliche vor der Taipeher Stadtverwaltung, um die Aufmerksamkeit der Behörde zu bekommen. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung traf das Bildungsministerium am Ende die Entscheidung, dass die Schule die Regeln in Bezug auf die Frisur umformulieren sollte. Der Junge entging seiner Strafe. Stattdessen bekam er „psychologische Beratung” in der Schule.
Überlegungen der Gegenseite und weitere Entwicklungen
Es ist vorstellbar, dass nicht jeder Schüler mit diesem Protest einverstanden war. Der Junge bekam ab und zu an der Schule unfreundliche Blicke zugeworfen, die wie ein stummer Vorwurf wirkten. Tatsache ist, dass es Schüler gibt, die die Haar-Vorschrift für etwas Positives halten, da es so keine Konkurrenz gibt. Die meisten Eltern sind auch der Meinung, dass Jugendliche die gegebene Disziplin wahren sollten: Schüler hätten Besseres für den Kopf zu tun, als sich um Frisuren zu kümmern.
Die Kontroversen über die Haar-Vorschrift an Schulen wurden seit der Aktion heftig in der Presse diskutiert. Allerdings war die Debatte nur auf Ebene der Schulregeln angesiedelt, nicht als Frage der Menschenrechte. Das bedeutet, dass die Regierung den Schulen die Entscheidung selbst überließ. Die Schulen mussten nur garantieren, dass die Schüler ein Mitspracherecht hatten. Dies bedeutet aber auch, dass tatsächlich nichts garantiert wurde, weswegen die Schüler nach wie vor unzufrieden waren. Um ihre persönlichen Freiheit zu schützen, wurde im Jahr 2005 der Anti-Haar-Vorschrift-Verein auf der Plattform Yahoo!-Club gegründet. Nach wenigen Monaten hatte der Verein bereits hunderttausend Mitglieder. Die Teilnehmer organisierten eine Reihe von Veranstaltungen, Pressekonferenzen und Protestbewegungen. All diese haben das Bildungsministerium gezwungen, im Juli des Jahres zuzugeben, dass die Haar-Vorschrift ein Verstoß gegen die Menschenrechte ist.
Die heutigen Schulen in Taiwan
Jedoch bedeutet das nicht, dass Schulen die Frisuren der Schüler nicht mehr kontrollieren können. Denn jeder zehnte taiwanesische Schüler besucht eine Privatschule. Die Privatschulen laufen nach einem anderen System, bei dem das Bildungsministerium wenig bestimmen kann. Außerdem versuchen manche staatliche Schulen auf eine subtile Weise die Frisuren der Schüler zu beschränken. Dazu hat die Regierung allenfalls erklärt, dass „eine Überprüfung der Schulen erforderlich ist.” (Quelle: udn Online)
Das Schulreglement ist auf jeden Fall erneut zu überprüfen. Allerdings muss man davor reflektieren, ob die Schulregeln überhaupt existieren müssen und in welchen Situationen die Schüler vom Unterricht ausgeschlossen werden dürfen. Ist es ratsam, Menschen die Bildung zu verweigen, wenn sie sich in Frisurfragen nicht gemäß der Vorschrift verhalten? Wäre es nicht möglich, dass Jungendliche ab der Highschool freiwillig mit ihrem Äußeren umgehen können, um ihren eigenen Geschmack zu finden? Wenn es darauf keine pädagogischen Antworten von Seiten der Schulen gibt, ist es wahrscheinlich wieder Zeit für die Schüler, auf die Straße zu gehen.
Der Beitrag erinnert mich an zahlreiche Erörterungen, die ich in meiner Schulzeit zum Thema „Schuluniform: Ja oder Nein?“ schreiben musste. Gleiche T-Shirts fördern aus meiner Sicht schon das „Wirgefühl“ an einer Schule, wenn sie freiwillig getragen werden. Aufgezwungene Uniformen führen nur dazu, dass die Vielfalt verloren geht – vor allem bei so drastischen Maßnahmen wie der „Haarvorschrift“. Das wäre für mich eigentlich unvorstellbar. Ich würde mir wohl eher eine Perücke zulegen, als mich von meinen langen Haaren zu trennen. Toller Beitrag! 🙂