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Was würdest du tun, wenn all deine Träume Wirklichkeit werden könnten? Ein bizarrer Trend auf TikTok verspricht genau das: Selbsternannte ‚Reality Shifter*innen‘ behaupten, dass sie die eigene Seele im Schlaf in eine gewünschte Paralleldimension versetzen können, ganz egal, wie diese aussieht. Auch fiktionale Welten seien möglich. Besonders beliebt ist das Zauber*innen-Internat Hogwarts aus der Harry Potter-Reihe. Was ist dran, und könnte der Trend sogar gefährlich sein?

Egal ob Romane, Filme oder sogar alte Legenden: Viele Leute lieben es, fiktionale Welten in verschiedensten Formen zu erleben. Eine der schönsten Seiten der Fantasie ist schließlich, dass in ihr alles möglich ist. Denn sie ist nicht real, man kann sie zwar in der Vorstellung, aber niemals in der Realität erreichen… Oder etwa doch? Ein Trend auf der sozialen Medienplattform TikTok behauptet, man könnte in andere Welten eintauchen und in ihnen leben. Eine junge Frau erzählt auf der Plattform zum Beispiel ihrer Hunderttausende zählenden Zuschauerschaft allen Ernstes von ihren Erlebnissen in Hogwarts: In ihrem Traum sei sie die Freundin des Harry Potter-Charakters Draco Malfoy gewesen.

Mit solchen Inhalten ist sie nicht allein. Hashtags wie #desiredreality oder #shiftingrealities erreichen Millionen Nutzer*innen auf der Plattform. Der Besuch in Hogwarts oder jeder anderen fiktionalen Welt soll durch das sogenannte ‚Reality Shifting‘ möglich sein. Das Prinzip ist auf den ersten Blick simpel: Man stellt sich beim Einschlafen die gewünschte Realität möglichst genau vor. Wenn alles glatt läuft, so die Überzeugung, verlässt die Seele den eigenen Körper und übernimmt das Ich der jeweils gewünschten Realität. Dort könnte man dann permanent bleiben, wenn man denn wollte. Diese ‚Desired Reality‘ muss sich jedoch nicht auf fiktionale Welten beschränken. Auch die ’normale Welt‘ mit Änderungen wie dem eigenen Aussehen, Job oder Fähigkeiten ist ein mögliches Ziel.

Countdown ins Paralleluniversum

Die Reality Shifter*innen erklären das unmöglich Erscheinende wie folgt: Sie glauben an die Existenz von unendlich vielen Paralleluniversen. Shifter*innen berufen sich hierbei auf existierende Theorien der Metaphysik, nach welchen die Existenz von verschiedenen Dimensionen denkbar ist. Diese entstünden dadurch, dass sich die Realität bei jeder unserer Entscheidungen spaltet und mehrere Paralleldimensionen zurücklässt. Entscheide ich mich beispielsweise dafür, zum Frühstück Brot zu essen, entsteht eine Paralleldimension, in der ich stattdessen Müsli esse. Daher nehmen die Reality Shifter*innen an, dass für jede Situation, die man sich wünschen kann, eine passende Paralleldimension existiert, sei diese fiktional oder nicht-fiktional.

Screenshot eines von unzähligen TikTok-Posts, der eine mögliche Methode für einen Reality-Shift erklären soll.

Um also nicht in irgendeine, sondern in die gewünschte Realität zu kommen, schreiben die Realitätswechsler ihre Wünsche sehr genau auf, ins sogenannte Skript. Hierzu findet man auf TikTok zahlreiche Anleitungen und Versionen. Die Shifter*innen haben vollkommene Freiheit, was ihre Wünsche betrifft: Reichtum, Aussehen, übernatürliche Fähigkeiten, sogar die Welt selbst – alles kann nach den eigenen Wünschen gestaltet werden. Anschließend bedienen sie sich einer der vielen ‚Shifting Methods‘. Genau wie zur Erstellung des Skripts gibt es hierzu eine Vielzahl an Anleitungen auf der Plattform. Alle Methoden haben gemeinsam, dass sie beim Einschlafen angewandt werden sollen. Nutzer*innen stellen sich dabei ihre gewünschte Realität vor und wiederholen dann mantraartig Sätze wie „I’m gonna shift“ oder zählen rückwärts, bis sie einschlafen. Im Schlaf vollziehe sich dann der eigentliche ‚Shift‘. TikTok-Nutzer*innen berichten von Träumen ihrer gewünschten Realität, die sich zu real angefühlt hätten, um wirklich Träume zu sein.

Eine lückenhafte Logik

Manche Verfechter*innen des Trends behaupten, dass sie bereits die Realität gewechselt haben. Man könnte sich nun zu Recht fragen, wie es möglich ist, dass sie dann wieder hier sind, um davon zu berichten, da der Realitätswechsel ja potenziell permanent sein soll. Aber auch darauf haben sie eine Antwort: Bei jedem Realitätswechsel ließen die Shifter*innen einen vollständigen Klon von sich zurück. Wenn man nun zumindest so weit mitgeht und die bloße Existenz von Paralleldimensionen und Seelen erst einmal nicht infrage stellt, wirft das wiederum folgende Frage auf: Wenn meine Seele erfolgreich den Körper einer anderen Version von mir in einer anderen Dimension übernimmt, was passiert dann mit der Seele, die ich so aus meinem anderen Ich verdrängt habe? In den Körper der ursprünglichen Realität kann sie schließlich nicht zurück, da ich ja einen perfekten Klon von mir zurückgelassen habe. Diese und weitere Unstimmigkeiten halten die Nutzer*innen jedoch nicht davon ab, es weiter zu versuchen. Allerdings haben viele Reality Shifter*innen trotz aller Theorie Schwierigkeiten mit der tatsächlichen Umsetzung, weswegen es auch so viele verschiedene Anleitungen und Methoden gibt. Jene, die behaupten, es bereits geschafft zu haben, scheinen auch in der Community als etwas Besonderes betrachtet zu werden.

Was hat es wirklich damit auf sich?

Die Existenz von Paralleluniversen ist in einigen Theorien der Metaphysik zwar prinzipiell denkbar, jedoch lässt sich das Phänomen des Reality Shifts dadurch nicht erklären. Insbesondere die Behauptung, man könne seine Seele in andere Dimensionen schicken, hat mit den methaphysischen Theorien nicht mehr viel zu tun. Ein tatsächlicher Wechsel der Shifter*innen in eine andere Dimension erfolgt also höchst wahrscheinlich nicht. Trotzdem gibt es mögliche Erklärungsansätze, warum Nutzer*innen tatsächlich von ihrer gewünschten Realität träumen. Die Therapeutin Grace Warwick erklärte in einem Interview mit Vice, dass es sich bei ‚Reality Shifting‘ um eine transliminale Erfahrung handele. Die verschiedenen Methoden des Reality Shifting auf sozialen Medien nutzten alle den halbwachen Zustand vor dem Einschlafen als Ausgangspunkt, da der Geist dann in einem empfänglicheren Zustand ist. Von da an erfolgen meditative oder hypnotisierende Handlungen wie Rückwärtszählen, was diesen Effekt verstärkt. Die Nutzer*innen bringen sich also selbst in eine Art Traumzustand. Durch die starke Fixierung und Konzentration auf den gewünschten Zustand vor dem Einschlafen bildet der Traum diesen Zustand dann vermutlich nicht selten ab. Wissenschaftliche Untersuchungen des Phänomens gibt es bisher noch nicht, jedoch wäre eine Ähnlichkeit zu anderen Traumzuständen denkbar: Auch in luziden Träumen und Traumreisen kann man seine Erlebnisse nach den eigenen Vorstellungen beeinflussen.

Ist also alles harmlose Träumerei?

Die meisten Reality Shifter*innen berichten von positiven Erfahrungen, aber der Trend ist trotzdem nicht ganz ungefährlich: Therapeutin Warwick warnt davor, dass es im verletzlichen psychischen Zustand zu Angstzuständen oder zu ungewollten Realitätswechseln außerhalb der geplanten Sitzungen kommen kann. In diesen Fällen sollten Betroffene psychotherapeutische Unterstützung suchen. Außerdem handelt es sich bei den meisten Anhänger*innen des Trends um Kinder und Jugendliche, welche solche Gefahren weniger einschätzen können. Darüber hinaus gibt es sogar innerhalb der Reality-Shifting-Community Stimmen, die behaupten, dass viele Influencer*innen und User*innen dem Trend nur folgen, weil sie sich davon größere Reichweiten versprechen. Es ist also fraglich, wie viele Nutzer*innen tatsächlich Traumerlebnisse hatten, und wer den Trend nur für sich ausnutzt.

Beitragsbild: © Pixabay

Post: © TikTok @maskedshifter

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Wer kennt’s nicht: Alltagsstress, Unausgeglichenheit und eine nicht enden wollende To-Do-Liste? Da will man eigentlich nur noch in den Urlaub. Die gute Nachricht: Für eine Auszeit – am besten in einer Hängematte liegend und Cocktail schlürfend am Strand – muss man nicht einmal einen Flug buchen, geschweige denn das eigene Zimmer verlassen. Für eine Traumreise braucht man eigentlich nur ein Bett – und jede Menge Fantasie.

Ein paar kräftige Schwimmzüge noch, dann habe ich das Ufer erreicht. Langsam wate ich aus dem Wasser, meine Füße tauchen ein in den warmen Sand. Während ich den Strand entlang spaziere, lasse ich den Blick über das Glitzern des Meeres und die vor mir liegende Insel schweifen. Dort drüben, eine Hängematte. Zwischen zwei Palmen schaukelt sie sanft im Wind. Ich lege mich hinein, und nehme jetzt kaum noch die weibliche Stimme wahr, die mir ins Ohr flüstert: „Spüre mit jedem Schwingen den warmen Wind in deinem Gesicht und auf deinem Körper… du fühlst dich vollkommen glücklich und entspannt.“ Die Sonnenstrahlen und Schatten der Palmwedel tanzen im Duett vor meinen geschlossenen Augenlidern. Vögel zwitschern. Irgendwo hupt ein Auto. Ein Auto? Aufgeschreckt durch das Geräusch öffne ich die Augen.

Na toll. So fühlt sich also Entspannung an. Es ist Sonntagnachmittag und ich liege auf dem Rücken ausgestreckt auf meinem Bett. In der Nase habe ich jetzt nicht mehr den salzigen Geruch von Meerwasser, sondern die Gemüselasagne meiner Mitbewohnerin, die nebenan im Backofen schmort. Und auch die Stimme, die mir gerade noch ins Ohr gehaucht hat, ist verstummt. Stattdessen: Autohupen auf der Hauptstraße vor meinem WG-Zimmer in Tübingen. Beim nächsten Mal schließe ich von vornherein das Fenster, denke ich mir. Also nochmal von vorn: Aufstehen – Fenster zu. Wieder hinlegen – Augen zu. Dann startet die über YouTube abgespielte Traumreise aufs Neue. „Mach es dir bequem und lass die Hektik des Alltags hinter dir“, tönt es gleich darauf aus meinem Laptop. Tja, wenn das so einfach wäre, entgegne ich im Stillen den Anweisungen der Erzählerin.

„Bilder aus der Natur wirken sehr gut“

Eine Traumreise, auch Fantasiereise genannt, ist ein imaginatives Entspannungsverfahren, das mitunter in der Psychotherapie angewandt wird. Bei Traumreisen liegt man in einer angenehmen Körperposition und lauscht mit geschlossenen Augen einer Geschichte, die von Sprecher*innen erzählt wird. Dabei entwickeln die ‚Reisenden‘ in ihrer Vorstellung bestimmte Fantasien. Die als positiv empfundenen Sinneseindrücke und Bilder sollen Entspannung bewirken. „Wenn der Erzähler die richtigen Vorstellungsbilder zeichnet, können Menschen zur Ruhe kommen. Insbesondere Bilder aus der Natur wirken sehr gut“, sagt der Psychologe Volker Friebel im Gespräch mit Zwischenbetrachtung. Der 65-Jährige hat eine besondere Beziehung zu Traumreisen. Er führt sie seit Jahrzehnten durch, sowohl mit Schüler*innen als auch mit Erwachsenen: „In der Entspannungspädagogik spielen Traumreisen heutzutage eine wichtige Rolle. Sie bieten eine gute Möglichkeit für kurze Entspannung, um beispielsweise während der Arbeit mal eben runterzukommen.“

Aber was passiert eigentlich genau in unserem Gehirn, wenn wir uns einer Traumreise unterziehen? „Entspannung ist die Übergangsphase zwischen Wachzustand und Schlaf“, führt Friebel aus. „Und es herrscht ein verbreiteter Konsens darüber, dass dieser Übergang bei einer Traumreise verlängert wird.“ Damit eine Traumreise ihre entspannende Wirkung erziele, müssten allerdings ein paar Bedingungen erfüllt sein: „Für eine Traumreise eignen sich ruhige Orte, an denen mögliche Störgeräusche ausgeschlossen werden, am besten. Was nicht heißt, dass Traumreisen nicht auch unter ungünstigen Bedingungen funktionieren können“, so Friebel. Auf Seiten der Erzähler*innen sei es zudem wichtig, langsam und mit Pausen zu sprechen, damit die Vorstellungskraft der ‚Reisenden‘ angeregt werden kann.

Kichernde Kinder, ernsthafte Erwachsene

Soweit die Theorie. Und was sagt die Praxis? In meiner eigenen Traumreise habe ich es mittlerweile wieder geschafft, an den Strand der Insel mit der Hängematte zu paddeln. Das Autohupen und die Gemüselasagne sind schnell wieder vergessen, als ich durch den feinkörnigen Sand stakse. In der Ferne entdecke ich ein gestrandetes Fischerboot, während die flüsternde Stimme der Erzählerin an meine Ohren dringt: „Spüre wie der Sand mit jedem Schritt eine wohlige Wärme an deine Füße abgibt.“ Und wie ich die Wärme spüre. Ob’s auch an den mehr als 25 Grad Außentemperatur liegt, die an diesem Nachmittag in Tübingen herrschen? Kaum vorstellbar.

„Traumreisen funktionieren bei fast jedem“, so die These von Volker Friebel. „Es gibt eigentlich nur wenige Menschen, die sagen, dass sie sich nichts bildhaft vorstellen können.“ Bei Kindern seien sie generell wirkungsvoller als bei Erwachsenen – letztere fänden allerdings einen leichteren Zugang zu Traumreisen: „Erwachsene lassen sich in der Regel gleich auf die ungewohnte Situation ein. Kinder sind etwas unsicherer, wenn sie nebeneinander mit geschlossenen Augen auf dem Boden liegen. Die fangen dann auch schon mal an zu kichern.“ Nichtsdestotrotz würden vor allem unruhige Kinder sehr gut auf Traumreisen anspringen, so Friebel.

„Stress ist eigentlich eine schöne Sache“

Wann genau Traumreisen entstanden sind, ist unklar. Die Psychologie kennt die positive Wirkung von Vorstellungsbildern bereits seit vielen Jahrzehnten. Heute muss man natürlich nicht mehr bis zur nächsten Therapie-Sitzung oder Einheit für autogenes Training warten, um sich auf eine Traumreise zu begeben: Bei YouTube oder Spotify sind sie mit nur wenigen Klicks zu finden. Die meisten dauern zwischen 20 und 40 Minuten.

Auf meiner eigenen Traumreise bin ich nun dabei, im Schatten des Fischerbootes die Milch einer frisch ergaunerten Kokosnuss zu schlürfen, als ich erneut aus der Strand-Idylle gerissen werde. Klopf klopf. Meine Mitbewohnerin steckt ihren Kopf durch die Tür und fragt, ob ich bei ihrer Lasagne mitessen möchte. Ich vertröste sie auf später und versuche wieder auf „meine“ Insel zu gelangen. Doch dieses Mal ist es deutlich schwerer. Ich strenge mich an, allerdings vergeblich. Enttäuscht registriere ich wenige Augenblicke darauf die Stimme der Erzählerin: „Nun ist es an der Zeit zu gehen“ – eine Einschätzung, die ich überhaupt nicht teile. Diese ganzen Unterbrechungen durchs Autohupen und meine Mitbewohnerin stressen einen eher, dabei sollte eine Traumreise doch entspannend sein. Unter diesen Umständen ist das allerdings ein ziemlicher Wunschtraum. Das Ziel meiner Traumreise: verfehlt. Oder doch nicht?

„Entspannung ist schön und gut, aber wir Menschen brauchen auch die Aktivität“, sagt Volker Friebel. „Stress ist eigentlich eine schöne Sache, denn das Leben sollte nicht aus reiner Entspannung bestehen. Wenn der Stress kommt, ist es nur wichtig, dass ich weiß, wie ich mich entspannen kann.“ Möglicherweise hat mein kleiner Insel-Trip ja doch etwas gebracht. Immerhin trete ich mit Friebels Worten im Hinterkopf nun etwas beruhigter den Gang Richtung Küche und Lasagne an.

 

Titelbild: © Unsplash

 

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