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Die Geschichte über den kopflosen Reiter, der das Dorf Sleepy Hollow in Angst und Schrecken versetzt, kennen die meisten vor allem durch die Verfilmung von Tim Burtons „Sleepy Hollow“ aus dem Jahre 1999. Nur ein Jahr später gewann der Film den Oscar für das „Beste Szenenbild“. Der Gruselstreifen ist dabei nicht nur einer der bislang besten Inszenierungen des Regisseurs, die ursprüngliche Handlung stammt auch noch von einer deutschen Legende aus den früheren Jahrhunderten. Doch was genau steckt hinter der Spukgeschichte wirklich? Wer war der kopflose Reiter? Und wo beginnt der Ursprung der Sage?

Die moderne Adaption von „Sleepy Hollow“

Schauen wir uns zunächst einmal die moderne Umsetzung der Geschichte des kopflosen Reiters an. In Burtons „Sleepy Hollow“ geht es um den Polizisten Ichabod Crane aus New York, der 1799 in das Dorf Sleepy Hollow kommt. Dort soll er geheimnisvolle Morde aufklären, bei denen ein geisterhafter Mann ohne Kopf sein Unwesen treibt und die Bewohner*innen des Ortes umbringt, indem er ihnen die Köpfe abschlägt. Ein Gerücht besagt, dass es sich bei dem Serienkiller um einen getöteten und enthaupteten hessischen Söldner handelt, der nun wieder zum Leben erwacht sei. Crane jedoch weigert sich, an das Übernatürliche zu glauben und sucht – gemeinsam mit der schönen Katrina van Tassel und dem jungen Masbath – nach einer logischen Erklärung für die seltsamen Vorfälle. Als er jedoch selbst Zeuge dieser abscheulichen Taten wird und den geisterhaften Reiter in Aktion erlebt, verschwindet sein Widerstand des Leugnens und er akzeptiert das Unausweichliche: Der Geist existiert wirklich. Um ihn aufzuhalten, begibt sich Crane auf die Suche nach dem Grab des Söldners. Er ist überzeugt, dass derjenige, der den Schädel besitzt, auch die Macht über den kopflosen Reiter hat. Dieser, so vermutet Crane, wird dagegen solange weitermorden, bis er seinen Kopf wieder in seinem Besitz hat.

Burtons Adaption basiert auf der Novelle „The Legend of Sleepy Hollow“ (dt.: „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“) des Schriftstellers Washington Irving von 1820. Die Erzählung über den geisterhaften Reiter ohne Kopf ist als eine der ersten und populärsten Kurzgeschichten in der amerikanischen Literatur bekannt. Allerdings gibt es nur wenige Gemeinsamkeiten zum Film. Zwar herrscht auch hier das Gerücht von dem Kopflosen, der als Geist eines

Washington Irving

Washington Irving. Quelle: Wikimedia Commons, CC, PD-US

verstorbenen hessischen Soldaten sein Unwesen treibt und beim Kampf seinen Kopf durch eine Kanonenkugel verlor. Ebenso soll er sich – wie in der Filmversion – jede Nacht aus seinem Grabe heraus bemühen und sich auf die Suche nach seinem verlorenen Kopf machen. Doch da hören die Gemeinsamkeiten schon auf. Die Figur des Ichabod Cranes, im Film dargestellt von Johnny Depp, spielt in Irvings Geschichte ebenfalls eine zentrale Rolle. Allerdings ist Cranes hier kein Polizist, sondern ein Schulmeister, der die Kinder aus dem Dorf unterrichtet und sich in die schöne Tochter des reichen Geschäftsmanns van Tassel verliebt, wenn auch mehr des Geldes als der Liebe wegen. Nach einer Abfuhr seitens der jungen Frau wird Crane auf dem Heimweg von einem unbekannten Reiter verfolgt, der scheinbar seinen Kopf vor sich auf dem Schoß transportiert. Der Geist packt den Kopf und wirft ihn auf Crane. Am nächsten Tag scheint Crane verschwunden und wurde nicht mehr gesehen. Lediglich ein Kürbis blieb am Ort des Geschehens zurück.

Wo liegt der Ursprung der Sage begraben?

Die Erzählung über den kopflosen Reiter ist jedoch nicht erst seit Irvings Novelle bekannt. Bereits der deutsche Schriftsteller und Literaturkritiker Johann Karl August Musäus behandelte in seiner Sammlung „Volksmärchen der Deutschen“ (1782-1786) die Geschichte einer Gestalt, die ihren Kopf nicht wie üblich auf den Schultern, sondern vor sich auf dem Schoß trägt.

Man nimmt an, dass Irving die Geschichte des geisterhaften Reiters ohne Kopf auf seiner Reise an den Rhein 1806 bis 1809 zu hören bekam. Somit stammt der Ursprung der Sage tatsächlich aus Deutschland – genauer genommen aus dem Rheingebiet in Westdeutschland. Damals erzählte man sich, dass die kopflosen Reiter zur nächtlichen Stunde erscheinen und Menschen mit ihrer bloßen Berührung töten können. Die Geister sind demnach keine materiallosen Gestalten, sondern besitzen eine vollständige Körperlichkeit. Außerdem töten sie mit ihrer bloßen Berührung, und nicht, wie im Film, durch das Enthaupten.

Sünder als untote Wiedergänger

Im Rheinland ging man damals davon aus, dass es sich bei den kopflosen Geisterreitern um Menschen handelte, die zu ihren Lebzeiten eine Sünde begangen hätten und nun für ihre Taten büßen müssten. So waren sie entweder Selbstmörder, deren Leichen geköpft wurden und deren Köpfe an einem ungeweihten Ort wie beispielsweise einer Wegkreuzung vergraben wurden. Oder sie machten sich des Grenzsteinversetzens schuldig. Dabei versetzte man den Grenzstein in das benachbarte Grundstück hinein, um sein eigenes Land zu vergrößern. Als Strafe durften die Geschädigten die Schuldigen jeweils bis zum Hals vergraben und mit dem Pflug solange über deren Köpfe fahren, bis von diesen nichts mehr übrig blieb.

Aufgrund der Auffassung, der untote Wiedergänger sei ein Sünder, konnte dieser auch wieder erlöst werden. Dafür musste ein Gebet gesprochen werden, bei dem Gott oder Christus namentlich genannt wurde. Der kopflose Reiter soll sich daraufhin verwandeln, sich in einem weißen Leichentuch wiederfinden und sich bei seinen Erlöser*innen bedanken.

Der kopflose Reiter als Warnung

In vielen Erzählungen, in denen der kopflose Reiter erscheint, fungiert er als Warnfigur. In den meisten Fällen greift er nicht an, sondern erschreckt lediglich die armen Betrachter*innen, denen er sich zu erkennen gibt. So taucht er beispielsweise dann auf, wenn Menschen gerade etwas Unrühmliches planen wie in etwa das Versetzen des Grenzsteines ihrer Nachbar*innen. Der geisterhafte Reiter tritt dabei als warnendes Beispiel auf und hält die Personen davon ab, die Straftat zu vollziehen. Oft gilt die Geistergestalt auch als Todes-Omen und kündigt den Tod derjenigen an, denen er erscheint.

Auch in Burtons Horrorfilm dient das Erscheinen des kopflosen Reiters als Indiz für einen baldigen Todes- bzw. Mordfall, weshalb sich die Bewohner *innen von Sleepy Hollow kaum noch vor ihre Häuser trauen. Das Motiv, das hinter diesen ganzen Anschlägen steckt, ist jedoch weitaus verzwickter, als es sich Irving oder Musäus womöglich je ausgedacht hätten.