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Die Krone auf deinem Kopf ist etwas Einzigartiges und Besonderes. Doch was passiert, wenn jemand, der sich nicht damit identifizieren kann, auf einmal dieselbe Krone trägt? Sollte man sich nicht freuen, wenn ein kultureller Austausch auf einer so ästhetischen Ebene wie dem Haar stattfindet? Oder sollte man gegen die Haarinvasion antreten?

Kim Kardashian West mit Bo Derek Braids – das fühlt sich ein bisschen an wie eine neue Episode der Serie „Was die Kardashians stahlen und als ihre Eigenmarke vertrieben“. Anfang des Jahres war das die neue Lieblingsfrisur von ihr und ihrer Tochter. Doch diese angeblich neue Frisur brachte einen unverwechselbaren Shitstorm mit sich. Viele beschwerten sich, nicht nur über das Tragen der angeblichen Bo Derek Braids, sondern auch über die Art und Weise, wie Kim Kardashian ihre neue Flechtfrisur vermittelte.

Fangen wir mit der ersten und offensichtlichsten Frage an. Warum gab sie ihrer deutlich erkennbaren afrikanischen Flechtfrisur einen anderen Namen?

Hier wurde die Kritik perfekt auf den Punkt gebracht. Quelle: Twitter

Nach einer ergiebigen Google-Suche gibt es hier die Erklärung, wer Bo Derek überhaupt ist. Bo Derek gilt als ein Sexsymbol der 1980er. Durch ihre Rolle in Zehn – Die Traumfrau gewann Derek weltweite Aufmerksamkeit, die sie trotz allem nicht vor dem Gewinn einer goldenen Himbeere bewahrten. Im Film trug Bo Derek in der Rolle als Jenny Hanley besondere Zöpfe, die wiederum Kim Kardashian zu ihrem neuen Look inspirierten. Das teilte die Stilikone natürlich sofort auf den sozialen Plattformen. Jedoch geschah all das unter dem neugetauften Bo Derek Look und nicht dem originalen Namen.

„Nicht mit uns!“ dachten sich viele Social-Media-Nutzer und machten Kim Kardashian West direkt auf ihr Fehlverhalten aufmerksam:

 

Quelle:Twitter

 

Woher kommen die Bo Derek Braids ursprünglich?

Die vermeintlich umbenannte Flechtfrisur heißt Fulani Zöpfe. Diese werden traditionell vom Volk der Fulbe getragen (womit auch die richtige Namensgebung erklärt wird), welches in der Sahelzone Afrikas seinen Sitz hat. Seinen Ursprung findet das Flechten im Jahre 3500 v.Chr. im alten Ägypten. Zöpfe waren ein Teil der Kommunikation und sind bis heute noch ein Anzeichen, um die Herkunft und den sozialen Status eines Menschen zu erkennen. Durch den Sklavenhandel und mehreren Migrationsschübe verbreitete sich die Frisur unter der afro-amerikanischen Bevölkerung. Durch die Bürgerrechtsbewegung (1954 – 1968) gewannen Zöpfe und die Kunst des Flechtens eine größere Bedeutung und Aufmerksamkeit.

Wo liegt jetzt das Problem?

Es ist kein Problem, wenn die „selbsterklärte“ Trendsetterin Mrs Kardashian West sich Zöpfe flechten lässt. Es ist ihr gutes Recht ihre Haare nach ihrem eigenen Belieben zu tragen. Das Problem lag in der Art der Vermittlung. Sie stellt ihre Frisur nicht nur zur Schau, als wäre es eine Eigenkreation, sondern benennt sie diese auch noch um. Es ist nicht abzustreiten, dass die Kardashian-West-Marke einen hohen Stellenwert in der heutigen Gesellschaft hat. Eben deswegen ist es vielen so wichtig, dass wenn sich jemand wie eine Kim an ihrem Stil vergreift, ihnen auch die notwendige Anerkennung verleiht. Wenn sie schon einen Trend daraus macht, dann bitte auch unter den richtigen Bedingungen.

Bildquelle: Razzle Jam/ retna.io

Having Black hair is unique in that Black women change up styles a lot. You can walk down one street block in New York City and see ten different hairstyles that Black women are wearing: straight curls, short cuts, braids – we really run the gamut. – Queen Latifah

Wer ist überhaupt mit „ihnen“ gemeint?

Ihnen – umfasst primär alle Volksgruppen, die Zöpfe als ein Symbol ihrer Gesellschaft sehen. Zöpfeflechterin ist nicht nur eine Berufsbezeichnung, sondern auch ein Dienst für die Gesellschaft und für manche ein wichtiges Ritual. Die Zöpfe zeigen die Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Volksgruppe. Doch durch Migration und Sklavenhandel ging diese Tradition bei vielen Völkern verloren. Das Schönheitsideal hat sich verändert und ist westlicher geworden. Natürlich lockiges Haar und ihre Hair-Styles wurden und werden bis heute noch als ungepflegt und unästhetisch angesehen. Vielen dunkelhäutigen Trägerinnen wird ihre Schönheit abgesprochen aufgrund ihrer Frisur. Jedoch werden diese stereotypisierten Styles eben dann anerkannt, sobald eine weiße Sprecherin ihn für sich behauptet. All das spitzt sich dann zu, wenn die wirklichen Kuratoren nicht rechtmäßig kreditiert werden.

Irgendwo zwischen Glatt und Zöpfen…

Bloggerin Naturalneiicey setzt ihre Zöpfe gekonnt in Szene. Quelle: Instagram

Was wäre ein passender Lösungsansatz? Wenn ein kultureller Austausch passiert, auf einer ästhetischen Ebene wie den Haaren, dann ist dies ein Schritt in die richtige Richtung, um einen Dialog zu starten. Dieser Dialog sollte jedoch rechtmäßig stattfinden. Es ist schön, wenn sich andere Kulturen ihre Haare flechten und die jeweiligen Stile imitieren. Jedoch sollte man darauf achten, nicht zu plagiieren, sondern genau diese Gelegenheit zu nutzen, um auch andere davon zu überzeugen, dass die Frisur schön ist, egal an wem. Der Erfolg der Zöpfe sollte nicht durch die Hautfarbe des Trägers, sondern durch die persönliche Schönheit bestimmt werden.


Weitere Links:

https://www.brighthubeducation.com/social-studies-help/121031-cultural-significance-of-hair-braiding-in-african-tribes/

Pergament, Deborah. „It’s Not Just Hair: Historical and Cultural Considerations for an Emerging Technology.“ Chi.-Kent L. Rev.75 (1999): 41.

https://www.allure.com/story/kim-kardashian-called-cornrows-bo-derek-braids-lol-come-on-girl

https://csdt.rpi.edu/culture/cornrowcurves/civilrights.html

Die 60er-Jahre waren ein besonderes Jahrzehnt, das zahlreiche Ikonen und einzigartige Persönlichkeiten hervorbrachte. Neben Audrey Hepburn und den Beatles waren auch Bob Marley und Angela Davis wichtige Ikonen dieser Zeit. Dies äußerte sich auch an ihrem Erscheinungsbild: Alle vier Persönlichkeiten trugen außergewöhnliche Frisuren – Markenzeichen, die stilprägend waren. Was es mit Audrey Hepburns Beehive und Bob Marleys Dreadlocks auf sich hat, wofür Angela Davis Afro steht und warum die Beatles auch die Pilzköpfe genannt wurden, erfahrt ihr im Folgenden.

In den 60er-Jahren herrschte der Kalte Krieg, eine Mauer trennte Deutschland in zwei Hälften und die Beatles schrieben Musikgeschichte. Die 60er-Jahre waren auch die Zeit der modischen und kulturellen Rebellionen. Doch dieses ereignisreiche Jahrzehnt hat noch mehr zu bieten: Der erste Mensch landete auf dem Mond und die Emanzipation der Frauen nahm ihren Anfang. Während Studenten für Freiheit und mehr Gerechtigkeit protestierten, entstand gleichzeitig die Terroristengruppe RAF. Prägend für die 60er war außerdem der Generationenkonflikt: Die Jugend begann, die traditionellen Wertevorstellungen zu hinterfragen und sich gegen ältere Generationen aufzulehnen. Zusätzlich ermöglichte das Wirtschaftswunder mehr Konsum und damit stieg auch die Zahl der verkauften Autos. Die Gesellschaft wurde zunehmend mobiler. Diese vielen einschneidenden Ereignisse zeigen: Die 60er-Jahre waren Zeiten des Wandels.

Auf den Spuren von Audrey Hepburn

Es ist früher Morgen in New York. Die Straßen sind menschenleer. Vor Tiffany’s hält ein schwarzer Wagen. Es steigt eine junge grazile Frau aus. Sie trägt ein schwarzes Kleid, eine große Sonnenbrille und die Haare zu einer komplizierten hoch aufgetürmten Hochsteckfrisur. Sie betrachtet das Schaufenster des Juweliers, isst Gebäck aus einer Tüte und trinkt von ihrem Kaffee. Diese Szene aus dem Film “Frühstück bei Tiffany’s” machte Audrey Hepburn im Jahr 1961 über Nacht bekannt und zu einer einzigartigen Stilikone.

Der Beehive – ein Bienenkorb auf dem Kopf?

Noch heute, 25 Jahre nach ihrem Tod, gilt Audrey Hepburn als großartige Inspirationsquelle. Bewundert wurde nicht nur ihr schauspielerisches Talent oder ihr Kleidungsstil, sondern auch ihre besondere Frisur. Das Bild von Audrey Hepburn mit einem Zigarettenhalter in der Hand und ihren dunklen, zu einer Hochsteckfrisur gesteckten Haaren ist eines der bekanntesten Porträts der Filmgeschichte.

Stilikone Audrey Hepburn

Audrey Hepburn als Stilikone: Beehive, Zigarettenhalter und das schwarze Kleid waren stilprägend für die 60er-Jahre. (Quelle: Onyx, freetransparentpng.com)

Audreys Kultfrisur wird als Beehive bezeichnet, da die Form an einen Bienenkorb erinnert. Noch heute wird die Frisur als Symbol des Zeitgeists der 60er-Jahre betrachtet: Sie steht für Jugend und Selbstbewusstsein. Jahrzehnte später griff Amy Winehouse den damaligen Trend erneut auf. Mit ihrem voluminösen Beehive sorgte sie für viel Aufmerksamkeit und brachte damit ein Stück Zeitgeschichte der 60er-Jahre in das 21. Jahrhundert. Dies wurde auch zu ihrem Markenzeichen und ist bis heute untrennbar mit ihrer Persönlichkeit verknüpft.

Dass der Haarklassiker sich bis heute großer Begeisterung erfreut, wird an den unzähligen Anleitungen zum Nachahmen des Beehives deutlich. Die Hochsteckfrisur fand zahlreiche Nachahmer*innen. Unter waren einige populäre Persönlichkeiten: So trugen auch die Sängerinnen Barbara Streisand und Beyonce Knowles die Kultfrisur. Die voluminöse Pracht fand sich auch bei amerikanischen Schauspielerinnen wieder: So wurden zum Beispiel Jennifer Lopez, Penélope Cruz und die Sängerin Adele mit dem Beehive abgelichtet.

Hepburn steht für Emanzipation, Erfolg und Stil. Der Beehive steht daher heute sinnbildlich für all diese Eigenschaften. Dabei steht besonders das Charakteristikum Emanzipation stellvertretend für die 60er-Jahre. Diesen Tatsachen geschuldet ist es kaum verwunderlich, dass sich viele gerne einen „Bienenkorb“ auf den Kopf setzen.

Der Beehive zum Nachmachen – moderne Varianten: 66 atemberaubende Beehive-Frisuren, die Sie begeistern werden.

Hepburn zählt zu den prägendsten Schauspielerinnen des 20. Jahrhunderts. In mehr als 30 Filmen begeisterte die britisch-niederländische Stilikone ihr Publikum. Sie glänzte jedoch nicht nur durch ihre schauspielerische Leistung, sondern auch durch ihren modischen Stil. Schon bald wurde sie zur Modeikone. Weite Röcke, große Sonnenbrillen und Ballerinas zählen zu den elementaren Bestandteilen ihres Stils. Stilprägend war aber vor allem “das kleine Schwarze”, in dem sie im Film “Frühstück bei Tiffany” im Jahr 1961 ihren größten Erfolg feierte. Hepburn repräsentierte ein neues Schönheitsideal: Sie verkörperte die “ewig mädchenhafte Frau, unschuldig, aber raffiniert”. So war auch der französische Modedesigner Hubert de Givenchy von ihr begeistert und erschuf für sie einen vollkommen neuen Stil. Sie selbst kommentierte dies: “Frauen können aussehen wie ich, wenn sie sich die Haare hochstecken, große Sonnenbrillen und ärmellose Kleider tragen” (Liebenswert Magazin).

Wer war Audrey Hepburn noch?

Hepburn war aber nicht nur Schauspielerin und Stilikone. 1988 wurde sie zur UNICEF-Botschafterin ernannt: Hepburn setzte sich nach dem Ende ihrer Schauspielkarriere für arme Kinder auf der ganzen Welt ein. Sie selber erzählte oft von ihrer schweren Kindheit, die von Armut und Hungersnot geprägt war. Begründet in ihren persönlichen Erfahrungen beschloss sie, das Leid von Kindern, die ein ähnliches Schicksal teilen, zu lindern. Hepburn starb 1993 in der Schweiz an Darmkrebs. Nach ihrem Tod gründeten ihre beiden Söhne mit Hepburns langjährigem Lebenspartner den “Audrey Hepburn’s Children Fund”, um ihre wertvolle Arbeit noch nach ihrem Ableben fortzuführen. Sie blieb als große Stilikone und Hollywood-Legende in Erinnerung.

Mehr Informationen zu Audrey Hepburns Biographie können im Beitrag Heldinnen des Kinos nachgelesen werden.

Hepburn war zwar eine Ikone der rebellischen 60er-Jahre, verkörperte vor allen Dingen aber Eleganz, Anmut und Raffinesse. Ihr Beehive, der die Haare an Ort und Stelle hält und so das Haar stets aufgeräumt aussehen lässt, bildet ein Kontrast zu den prägenden Charakteristika der 60er-Jahre: Protest und Rebellion. Genau dies hingegen verkörpern allerdings die Beatles mit ihrer Frisur: eine Entwicklung von Hepburns strukturierter angepasster Frisur zur wilden rebellischen Haarpracht der Beatles…

 

Die Beatles: Vier Pilzköpfe revolutionieren die Musikwelt

Der amerikanische Komponist Aaron Copeland sagte einst, wer über das Lebensgefühl der 60er-Jahre etwas erfahren möchte, sollte sich die Beatles anhören. Ihm zufolge spiegelt die Musik der Band dieses Jahrzehnt wieder wie kein anderes zeitgeschichtliches Dokument. In den Songs der Beatles finde sich “die kreative Eruption der Epoche – die Befreiung vom Muff der Nachkriegszeit, die Aggressivität politischer Konflikte wie die naiven Hippie-Träume von Love and Peace, die sexuelle Revolution wie die psychische Revolution der Halluzinogene” (FAZ).

Beatles Statue in Liverpool

Ein Touristen-Highlight: Die Beatles-Statue in Liverpool. (Quelle: thaifly99, pixabay.com)

Auf ihren Auftritten boten die Beatles ein außergewöhnliches Erscheinungsbild: Bekannt waren sie für ihre schwarzen Anzüge und Topfschnitt-Frisuren. Analog dazu werden die Beatles in Deutschland häufig als “die Pilzköpfe” bezeichnet. Aufgrund der Ähnlichkeit zu einem Wischmopp war im englischsprachigen Raum oft die Rede von “mop-tops”.

Woher kommt die Pilzkopffrisur?

Um die Herkunft der Pilzkopffrisur ranken sich verschiedene haarsträubende Erzählungen und unterschiedliche Theorien, wer der eigentliche Erfinder ist. Als Begründer des Pilzkopfes gilt heute aber der deutsche Fotograf Jürgen Vollmer. Vollmer ist gebürtiger Hamburger, arbeitete aber viel im Ausland und porträtierte zahlreiche Prominente.

Doch wie kamen die Beatles zu ihrem Markenzeichen? Während eines Aufenthalts in Paris traf Vollmer im Jahr 1961 die Beatles in einem Pariser Café. Wenige Stunden später verpasste er kurzerhand in seinem Hotelzimmer zwei Bandmitgliedern, Paul McCartney und John Lennon, denselben Haarschnitt, wie er selbst ihn trug: den Pilzkopf-Haarschnitt. Der damalige Bassist Stuart Sutcliffe ging mit gutem Beispiel voran, er trug bereits den Pilzkopf-Schnitt. Diesen schnitt ihm Vollmers damalige Bekannte Astrid Kirchherr. Jürgen Vollmer selbst wollte mit seiner gewagten Frisur vor allem gegen das Spießertum protestieren. In einem Spiegelartikel erzählt Vollmer, dass die meisten Jugendlichen im damaligen Hamburg ihre Haare adrett zurückgekämmt trugen, angepasst eben. Die, die aufbegehren wollten, trugen ihr Haar wild aufgetürmt, Elvis-Tolle inklusive. Vollmer suchte einen Weg dazwischen und wollte seinen eigenen Stil entdecken.

Dank Vollmer erhielt die Pilzkopffrisur die für die 60er-Jahre typische und untrennbare Konnotation des rebellischen Aufbegehrens der Jugend gegen die autoritäre Gesellschaft. Doch wie kam Vollmer zu dem außergewöhnlichen Haarschnitt? Die Geburtsstunde der Pilzkopffrisur ist im Jahr 1955 zu verorten. Vollmer berichtet in einem Spiegel-Artikel von einer prägenden Schulschwimmstunde: Nach dem Schwimmunterricht föhnte er sein Haar nicht und kämmte es nicht wie gewohnt zurück, sondern ließ dieses trocknen und in die Stirn fallen. Der Pilzkopf-Haarschnitt war geboren. Vollmer zufolge waren seine damaligen Lehrer wenig begeistert von der neuen Frisur. Dies bestärkte ihn aber nur noch mehr darin, die neu entdeckte Frisur beizubehalten. So erhielten die Beatles dank dieser Anekdote im Schwimmunterricht ihr einzigartiges Markenzeichen, das bis heute stellvertretend für die Band steht.

Eine solch einzigartige Frisur blieb nicht ohne Nachahmer. Zahlreiche Fans wollten so aussehen wie ihre großen Idole: Die 60er-Jahre waren das Zeitalter der Rebellion und der Pilzköpfe. Der Friseurmeister Ernst Rudolf berichtet in einem Artikel, viele Kunden kämen mit Fotos ihrer großen Vorbilder aus den Bereichen Sport, Musik oder Film. Rudolf erzählt, seine Kunden möchten ihre Verbundenheit zu ihren Idolen durch entsprechend gleich aussehende Frisuren zum Ausdruck bringen. In seinen 50 Jahren als Friseurmeister hat Rudolf viele Modetrends mitgemacht. Dass er unter den zahlreichen Modeerscheinungen die Pilzkopffrisur, die mit den Beatles Einlass in die Friseursalons fand, als einzigen Trend aufzählt, spricht Bände.

Die Beatles sind als erste Boyband der Popgeschichte bis heute die Gruppe mit den meist verkauften Platten weltweit. Mit den 60er-Jahren begann eine neue Ära der Popkultur. Der bis dato vorherrschende Trend des Rock ’n’ Roll trat mehr und mehr in den Hintergrund. John Winston Lennon, James Paul McCartney, George Harrison und Richard Starkey aus Liverpool revolutionierten die Musikgeschichte. Der Grundstein für die erfolgreiche Musikkarriere der Beatles wurde in Hamburg gelegt. Hier hatte die Band ihre ersten Auftritte. Und schon bald tourte die Gruppe durch die ganze Welt und begeisterte das Publikum mit ihrer Musik.

Das Ende der Beatles

1970 trennte sich die Band. Die Fans warteten jahrelang auf ein Comeback – jedoch vergeblich. Als 1980 John Lennon erschossen wurde, stand endgültig fest, die Beatles wird es nie wieder geben. Doch die Musik blieb: Damit haben die Beatles ein zeitloses Werk geschaffen, das tief in unserem kulturellen Bewusstsein verankert und auch noch über 50 Jahre später bedeutsam ist.

Mit ihren Pilzkopffrisuren boten die Beatles einen wilden Anblick, der in starkem Kontrast zum traditionell streng zurückgekämmten Haar stand. Einen noch wilderen Anblick jedoch bot eine weitere Persönlichkeit der 60er-Jahre…

 

Bob Marley, der Reggae und die Dreadlocks

Bob Marley

Bob Marleys stilisiertes Porträt ist zum Symbol des Reggae geworden. (Quelle: Clker-Free-Vector-Images, pixabay.com)

1963 gründen ein paar Jugendliche in Jamaika eine Band: The Teenagers. Nach mehreren Umbenennungen wird man sie später eher als The Wailers kennen. Mit dabei: der 18-jährige Bob Marley. Zu dem Zeitpunkt kann niemand ahnen, dass er einmal zu einer internationalen Ikone des Reggaes werden und Dreadlocks als Frisur etablieren würde.

Geboren 1945 als Robert Nesta Marley, wuchs er in armen Verhältnissen auf. Sein Vater, ein weißer, bereits 60-jähriger britischer Offizier, verließ die Familie bald. Mit 16 brach Marley die Schule ab, um seinen Traum von einer Musikkarriere zu verwirklichen. Gemeinsam mit seinen Freunden brachte er tatsächlich 1964 seine erste Hitsingle „Simmer down“ heraus, eine lockere Ska-Nummer. Doch die Gruppe trennte sich zunächst. Marley heiratete 1966 Rita Anderson und folgte seiner Mutter in die USA. Als er nach einigen Monaten wieder nach Jamaika kam, schloss er sich erneut mit seinen Freunden Bunny Wailer und Peter Tosh zusammen. Die Musik Jamaikas wandelte sich in dieser Zeit von Ska über Rocksteady bis hin zum Reggae, den auch The Wailers für sich entdeckten. Sie waren schnell in Jamaika bekannt, doch Bob Marley reichte das nicht. Er schaffte es, einen Plattenvertrag bei Island Records in London zu bekommen. Mit den Alben „Catch a Fire“ und „Burnin“ gelang ihm Anfang der 70er tatsächlich der internationale Durchbruch, der jahrelangen Erfolg mit sich bringen sollte.

Die Rastafari-Bewegung

Aber Bob Marley machte nicht nur den Reggae in der Welt bekannt, sondern auch seine politisch-religiösen Überzeugungen. Seine Hinwendung zur Rastafari-Bewegung beeinflusste ihn nachhaltig, schlug sich in seiner Musik nieder und brachte ihm sein Markenzeichen ein – die Dreadlocks. Denn die langen verfilzten Haarsträhnen waren keinesfalls nur ein modisches Statement, sondern ein religiöses Symbol. Der Rasta-Kult hat christliche Ursprünge und viele alttestamentliche Bezüge. Die Anhänger glauben, Ras Tafari Makonnen, der sich 1930 als Haile Selassie zum letzten äthiopischen Kaiser krönen ließ, sei der wiedergekehrte Messias gewesen. Dieser sollte die afrikanischen Sklaven aus der Karibik zurück nach Afrika führen. Als dieser nach dem italienisch-äthiopischen Krieg geflohen war, beriefen sich seine Anhänger auf ein biblisches Gebot (Num 6,5), wonach sie ihre Haare nicht schneiden würden, bis der Kaiser auf seinen Thron zurückgekehrt sei.

Bob Marley

Bob Marleys Markenzeichen waren die langen Dreadlocks. (Quelle: Durb, pixabay.com)

Später bekamen die Dreadlocks eine eigene Bedeutung und wurden zum Symbol der Rastafari. Die Bewegung zeichnet sich neben der Verehrung Haile Selassies durch die Ablehnung des westlichen Systems und den Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen Bevölkerung aus. Mit den charakteristischen Dreadlocks grenzen sich die Rastafaris bewusst von den „weißen Unterdrückern“ ab. Neben dieser politischen Dimension symbolisieren die Dreadlocks aber auch Naturverbundenheit und stehen mit ihrer Ähnlichkeit zu einer Löwenmähne für die Verbindung zu Haile Selassie, den „Löwen Judas“. Manchmal wird die Frisur auch auf die biblische Geschichte von Samson (Richter 13-16) zurückgeführt, dem zufolge die Haare Sitz der Kraft sind und deshalb nicht geschnitten werden dürfen. Es gibt noch andere Gebote, zum Beispiel sollen Rastas kein Fleisch und kein Salz essen. Der Konsum von Marihuana bei der Meditation ist dagegen erlaubt.

Aber Bob Marleys Dreadlocks sind nicht nur Zeichen seines persönlichen Glaubens. Mit ihnen kam der Reggae und mit dem Reggae die Lebensphilosophie der Rastas: Nächstenliebe und der Kampf für Gleichberechtigung von Schwarzen. Eine Botschaft, die Marley nicht nur in seinen Texten verbreitete, sondern auch lebte. Als es in Jamaika zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen von Anhängern der Regierungspartei PNP und denen der Opposition kam, bat Bob Marley den damaligen Premierminister und den Oppositionsführer beim One Love Peace Concert auf die Bühne. Mit sanftem Nachdruck bewegte er sie zum historischen Handschlag. Die Parteien beendeten in der Folge weitgehend ihre Auseinandersetzungen.

Dass Bob Marley bis zur letzten Konsequenz zur Lebensweise des Rastafari stand, zeigt tragischerweise sein Tod. Als unter seinem Zehnagel Hautkrebs diagnostiziert wurde, weigerte sich Marley aufgrund seines Glaubens, den Zeh zu amputieren. Einige Zeit später hatte sich der Krebs in seinem Körper ausgebreitet und ließ ihn sogar seine Dreadlocks verlieren. Mit nur 36 starb er 1981 schließlich auf dem Rückflug von Deutschland nach Jamaika.

Auch heute gibt es Rastafari, die aus religiösen Gründen Dreadlocks tragen. Doch hat sich die Frisur mittlerweile von dieser Bedeutung gelöst. Vielmehr ist der Rasta-Look für Jugendsubkulturen zu einer Möglichkeit geworden, sich abzugrenzen. Die Dreadlocks sind ein Zeichen für Individualität und Rebellion gegen Konventionen. Eine ideologische Bedeutung kommt den Dreadlocks auch in Zusammenhang mit der US-amerikanischen Black-Power-Bewegung zu: Afroamerikaner*innen nutzten die als natürlich empfundene Frisur, um gegen die Unterdrückung von Schwarzen zu protestieren. Noch größere Beliebtheit erlangte in dieser Zeit allerdings der Afro.

 

Angela Davis: Der Afro als politischer Protest

Angela Davis

Angela Davis‘ Afro steht nicht bloß für einen Modetrend. (Bundesarchiv, Bild 183-M0804-0757 / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Laut dem New York Times Magazine ist sie eine der 50 wichtigsten Mode-Trendsetter des 20. Jahrhunderts: Angela Davis mit ihrem Afro. Eine Bezeichnung, mit der sich die afroamerikanische Aktivistin so gar nicht identifizieren kann – sie möchte nicht als eine Frisur in Erinnerung behalten werden.

„It is both humiliating and humbling to discover that a single generation after the events that constructed me as a public personality, I am remembered as a hairdo.“ – Angela Davis

Denn Angela Davis ist eine der bekanntesten Protagonistinnen der US-amerikanischen Black-Power-Bewegung. Seit den 60er-Jahren engagiert sie sich in vielfältigen Bereichen politisch, besonders für Bürger- und Frauenrechte. Die Aktivistin auf ihre Rolle als Trendsetterin zu reduzieren, würde ihr nicht gerecht. Allerdings steht der Afro symbolisch für eine Bewegung – und für eine Frau, die sich dem Kampf gegen die Unterdrückung verschrieben hat.

 

Die intellektuelle Rebellin

Bereits in ihrer Kindheit wurde Angela Davis mit dem allgegenwärtigen Rassismus der Südstaaten konfrontiert. Geboren 1944 in Birmingham, Alabama, wuchs sie in einem Stadtteil auf, der „Dynamite Hill“ genannt wurde. Der Ku Klux Klan verübte hier immer wieder rassistisch motivierte Anschläge. Mit 15 Jahren erhielt Angela Davis ein Stipendium von einer Privatschule in New York. Dort kam sie das erste Mal mit dem Kommunismus in Berührung und schloss sich einer entsprechenden Organisation an. In den 60er-Jahren studierte Davis erst Französisch in Massachusetts und Paris. In dieser Zeit lernte sie den Politikphilosophen Marcuse kennen, der ihr einen Studienplatz in Frankfurt vermittelte. Hier studierte sie Philosophie und Soziologie unter anderem bei Adorno und Horkheimer. Ihren Master absolvierte sie dann an der University of California, San Diego, bei Marcuse und promovierte schließlich an der Humboldt-Universität in Ostberlin.

Angela Davis

Angela Davis war und ist eine gefragte Rednerin, wie hier 1972 in Russland. (Quelle: RIA Novosti archive, image #36716 / Yuriy Ivanov / CC-BY-SA 3.0 via wikimedia commons)

Die Studienzeit prägte Angela Davis in ihren politischen Überzeugungen. Sie schloss sich dem Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) an, einer bedeutenden Organisation der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung und war kurze Zeit Mitglied der Black Panther Party. Beide verließ sie und trat stattdessen dem Che-Lumumba-Club bei. Dabei handelte es sich um die Schwarze Fraktion der Kommunistischen Partei (CPUSA) in Los Angeles. Mit der Bürgerrechtsbewegung kam ein neues Selbstbewusstsein der Afroamerikaner*innen. Nach dem Motto „Black is beautiful“ wurde die Rückkehr zum natürlichen krausen Haar mit dem Afro gefeiert. Anfangs noch strenger frisiert wurden die Afros immer größer – Angela Davis trieb diesen Trend an die Spitze. Aber sie war generell eine Frau, die auffiel; nicht nur mit ihrem Look, auch mit ihren Ansichten. So wurde ihr Vertrag als Dozentin an der University of California nicht verlängert, obwohl sie äußerst beliebt war.

Vom Fahndungsfoto zur internationalen Symbolfigur

Weltweite Bekanntheit erlangte Angela Davis kurze Zeit später jedoch aus einem anderen Grund. Sie hatte sich für die Rechte von Gefangenen eingesetzt und war dabei mit drei Häftlingen im Soledad-Gefängnis in Kontakt gekommen, unter anderem George Jackson, der sich im Gefängnis der Black Panther Party anschloss. Dessen Bruder unternahm im August 1970 einen missglückten Befreiungsversuch, bei dem vier Menschen ums Leben kamen. Eine der verwendeten Waffen war auf Angela Davis zugelassen. Sie tauchte unter und kam auf die FBI-Liste der „10 Most Wanted“-Verbrecher*innen. Nach zwei Monaten wurde sie gefasst und saß für über ein Jahr in Untersuchungshaft.

Angela Davis

Ein Gesicht, das um die Welt ging – mit ihrem markanten Afro wurde Angela Davis international bekannt. (Bild: thierry ehrmann via flickr)

Als Reaktion darauf formierte sich weltweit eine „Free Angela-Bewegung“, die ihre Freilassung forderten. Angela Davis und ihr Afro, die auf zahlreichen Postern und Flyern zu sehen waren, wurden zum Symbol des Protestes gegen den Machtmissbrauch des Justizsystems. Nachdem sie schließlich freigesprochen wurde, setzte sie ihr politisches Engagement fort, lehrte an verschiedenen Universitäten, schrieb zahlreiche Bücher und kandidierte für das Amt der US-Vizepräsidentin.

Auch heute noch ist Davis eine wichtige Stimme gegen Unterdrückung. Ihr politisches Engagement ist vielfältig: Ob Frauenrechte, Gefängnisreform oder Rassismuskritik – Angela Davis betont die Notwendigkeit des sozialen Wandels. Ein Wandel, für den auch ihr Afro symbolisch steht.

Zeit der Ikonen

In vier ganz unterschiedliche Menschen zeigt sich der Zeitgeist der 60er-Jahre. Audrey Hepburn, die ein neues selbstbewusstes Frauenbild verkörpert. Die Beatles, deren Musik sich abheben will vom Mainstream. Bob Marley, der die Idee des Rastafari von Liebe und Frieden in die Welt trägt. Angela Davis, die sich unermüdlich für die Rechte von Unterdrückten einsetzt. In einer Zeit der Umbrüche sind es vor allem die jungen Menschen, die die alte Ordnung hinterfragen. Sie wollen sich abheben von älteren Generationen, protestieren gegen eingefahrene Muster und sehnen sich nach Gerechtigkeit. Dafür suchen sie nach Vorbildern, die auf unterschiedliche Weise diese Bedürfnisse erfüllen.

An ihnen orientieren sich die jungen Menschen – auch modisch. Die Frisur ist dabei eine Möglichkeit, die eigene Einstellung auszudrücken. Vielleicht folgen einige mit ihrem Haarschnitt nur dem Trend der Masse. Doch sie verhelfen den ikonischen Frisuren zu einer Symbolkraft, die in Erinnerung bleibt. An die 60er-Jahre erinnert man sich: wegen ihrer Protagonist*innen und ihren Frisuren, die anders sind, die ein neues Selbstbewusstsein zeigen, die für eine Zeit des Wandels stehen.

Autorinnen: Caroline G. und Anne D.

Quellen und interessante Artikel zum Weiterlesen

Audrey Hepburn

Die Beatles

Weitere Informationen über die Beatles

Testet Euer Beatles Wissen beim Quiz Beatles-Quiz: Werden Sie Pilzkopf

Ihr wollt mehr über die Beatles erfahren? In Hamburg werden spezielle Führungen zur Geschichte der Beatles in der Hansestadt angeboten. Weitere Informationen gibt es hier: Beatles-Tour Hamburg

Auch heute wird der Pilzkopf-Schnitt noch getragen: Der neue Pilzkopf

Bob Marley

weitere Informationen zu Rastafari und Dreadlocks

Angela Davis

Weitere Informationen zum Afro

Michelle Obama tut es, Beyoncé tut es, Oprah Winfrey tut es. Sie tragen welliges oder glattes Haar, färben, glätten und flechten es oder greifen gar zur Perücke. Auch im Alltag scheint der Afro immer noch eine Seltenheit zu sein. Nur vereinzelt begegnet man Schwarzen Menschen, die ihr krauses Haar in seinem natürlichen Zustand tragen. Doch wieso müssen sich im Jahr 2018 People of Color immer noch zwischen ihrem Afro und sich selbst entscheiden?

Haare als Metapher für Rasse

Als Barack Obama in das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika berufen wurde, atmete die Schwarze Community auf. Endlich zog das erste Schwarze Ehepaar ins Weiße Haus, endlich ein Schritt gegen Rassismus auf hochoffizieller Ebene. Doch der zweite Blick auf das Paar trübte im selben Moment die anfängliche Euphorie: Er, der Präsident, trug millimeterkurzes Haar, sie, die First Lady, glatte schulterlange Haare. Alles nur eine Sache der Mode? Wohl kaum. Denn in ihrer gesamten achtjährigen Amtszeit zeigten weder Barack noch Michelle ihre (vermutlich) krause natürliche Haarpracht.

Michelle Obama Portrait

Offizielles Portrait der ehemaligen First Lady Michelle Obama im Green Room des Weißen Hauses. Offizielles White House Photo von Chuck Kennedy, Wikimedia Commons, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Michelle_Obama_2013_official_portrait.jpg.

In ihrem 2013 erschienenen Roman Americanah thematisiert auch die Autorin und Frauenrechtlerin Chimamanda Ngozi Adichie das Problem mit den Haaren. So schreibt die Protagonistin Ifemelu in einem Blogeintrag:

„Eine weiße Freundin und ich sind Groupies von Michelle Obama. Neulich sage ich zu ihr – ich frage mich, ob Michelle Obama Attachments eingearbeitet hat, ihr Haar sieht heute voller aus, und das heiße Glätten jeden Tag muss es schädigen. Und sie sagt – du meinst, ihr Haar wächst nicht so? Liegt es an mir, oder ist das die perfekte Metapher für Rasse in Amerika? Haare.“

Was in der Fiktion zur Sprache gebracht wird, ist ein andauernder realer Diskurs. Eine weiße Frau zeigt gedankenlos ihre Verwunderung über die unechten glatten Haare einer Schwarzen Frau. Im ungünstigsten Fall erwähnt sie schließlich, dass sie ebenfalls ihre Locken mit dem heißen Eisen bändigt. Doch das Glätten von Haaren aus modischen Gründen hat so gar nichts mit dem Glätten von krausem Haar gemein. Das eine ist (meist) eine bewusste Entscheidung. Das andere ist indirekter gesellschaftlicher Zwang, eine Orientierung an einem von Weißen geprägten Schönheitsbild, etwas, das ein ‚Wir‘ und ein ‚Ihr‘ kreiert und Andersartigkeit wertend feststellt. Das ist Alltagsrassismus.

Der Afro – unzivilisiert und exotisch

Auch der 23-jährige Auszubildende Benny O. aus Pforzheim, der selbst seinen Afro „mit Stolz“ trägt, wie er sagt, antwortet auf die Frage, warum Michelle Obama sich die Haare glättet, schlicht: „Weil sie es sich [natürliches Haar] einfach nicht erlauben kann.“ Sie würde nicht mehr ernst genommen werden, so Benny. „Es ist traurig, dass Haare einem so viel kaputt machen können.“

Die Begriffe People of Color sowie Schwarze (S großgeschrieben) stammen aus dem Widerstand gegen Rassismus. Mehr Informationen zum Sprachgebrauch im Zusammenhang mit Rassismus gibt es auf bpb.de.

Um zu verstehen, warum es sich bei der Wahl des Haarschnitts bei Schwarzen oft nicht um eine freie, rein modische Entscheidung handelt, reicht ein kurzer Blick zurück ins Jahr 2011. Auf den Plakaten der damaligen Nivea-Werbekampagne war ein junger Schwarzer Mann mit geschorenen Haaren zu sehen. In der rechten Hand hält er den Kopf eines Schwarzen Mannes mit Bart und Afro. Seine Körperhaltung signalisiert, dass er im Begriff ist, den in seiner Hand befindlichen Kopf weit von sich zu werfen. Der Werbeslogan lautete Re-civilize yourself – rezivilisiere dich. Die Botschaft schien eindeutig: Nur ein Mann ohne Afro ist ein zivilisierter Mann. Ein Vorurteil, das bis in die Kolonialgeschichte zurückreicht und den Afro mit Ungepflegtheit, Wildheit und Unzivilisiertheit gleichsetzt.

 

„Komm, lass mal dein Haar anfassen“

Trägt ein Schwarzer Mensch heute dann doch offen einen Afro, ist die Begeisterung seitens weißer Menschen oft groß. Da liegt die Frage ‚Darf ich dir durch die Haare fahren?‘ schnell mal auf der Zunge. Und manchmal wird gar nicht erst danach gefragt, wie Benny erzählt: „Mich hat richtig genervt, dass vermehrt ältere Leute zu mir kamen und einfach meine Haare angefasst haben, ohne um Erlaubnis zu fragen. Ist halt einfach ein komisches Gefühl, wenn irgendjemand kommt und dir durch die Haare fährt.“

Benny O. mit Kappe

Zum Schutz vor ungefragten Griffen ins Haar trägt Benny eine Kappe. (Quelle: eigene Aufnahme)

Als weiche, kuschelige Wolle würde sein Haar bezeichnet werden. Was manch einer als Kompliment meint, legt sich jedoch wie ein Tarnmantel über eine rassistische Aussage, denn sie wertet und definiert eine Andersartigkeit – eine Abgrenzung zu ‚normalem‘ Haar. Sogenannter positiver auf Exotismus beruhender Rassismus.

„Ich kriege auch oft genug zu hören, dass ich exotisches Haar habe. Dass es nicht so alltäglich ist. Dass man das hier halt nicht so oft antrifft.“ Um sich ein bisschen Kontrolle zurückzuholen, trägt Benny meistens eine Kappe. „Solange ich eine Kappe trage, kommen die Leute seltener zu mir her und sagen: Komm, lass mal dein Haar anfassen. Da erkennen sie meine Haare ja nicht wirklich.“

Ein langer Weg zur Normalisierung

Mittlerweile macht sich besonders in den USA und den französisch sprechenden Staaten eine Gegenbewegung bemerkbar. Die Natural-Hair-Bewegung soll Schwarze Frauen dazu ermutigen, ihr natürliches, meist krauses Haar offen zu tragen. Prominentestes Beispiel ist unter anderem die Schauspielerin Lupita Nyong’o, die selbst mit dem weißen Schönheitsideal zu kämpfen hatte und heute zu ihrem natürlichen Haar steht. Trotzdem muss auch sie immer noch für die Anerkennung ihrer frei gelebten Natürlichkeit kämpfen, wie das Beispiel aus dem Jahr 2017 zeigt. In der Novemberausgabe der britischen Grazia zierte die Schauspielerin das Cover. Ihre Haare auf dem Bild: abrasiert. Auf Instagram veröffentlichte Lupita daraufhin Originalaufnahmen desselben Shootings, auf denen ihre krausen Haare aufgrund des Zopfes, den sie trägt, am Hinterkopf deutlich zu erkennen sind. Ihre Enttäuschung über diese Retusche brachte sie mit dem Hinweis, auch ein Vorbild für Kinder zu sein, klar zum Ausdruck.

Mit und ohne Afro: Original und Retusche von Lupita Nyongo'o

Original und Retusche. Screenshot eines Beitrags aus dem offiziellen Instagram-Account von Lupita Nyongo’o.

Wie lange es dauert, bis die Gegenbewegung nicht nur in den Konferenzräumen großer Magazine und Zeitschriften angekommen ist, sondern auch im Alltag einzelner People of Color, bleibt abzuwarten. Solange müssen Benny und all die anderen Schwarzen Menschen weiterhin um die Normalität und De-Exotisierung ihrer Natürlichkeit kämpfen.

Nivea stampfte nach starker öffentlicher Kritik die Werbekampagne von 2011 bald wieder ein. 2017 startete die Firma eine neue Werbekampagne mit dem Slogan White is Purity – Weiß ist Reinheit. Auch diese Kampagne zog Nivea nach heftiger Kritik zurück.

 

 

Literaturhinweise:

  • Celia Parbey (2018): Don’t touch my hair – Ich bin es leid, dass mir fremde Leute in die Haare fassen, ein lesenswerter Erfahrungsbericht, online unter: https://editionf.com/afrohaar-ist-politisch
  • Chimamanda Ngozi Adichie (2014): Americanah, deutschprachige Ausgabe, erschienen im Fischer-Verlag
  • Siegfried Jäger (1993): Rassismus und Rechtsextremismus – Gefahr für die Demokratie, online unter http://library.fes.de/fulltext/asfo/01014001.htm#E10E3
  • Stuart Hall (1989): Rassismus als ideologischer Diskurs

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