Hypertrichose ist eine der seltensten Erbkrankheiten weltweit. Bei Betroffenen sind entweder der gesamte Körper oder einzelne lokale Stellen von dichtem Haar bedeckt. Seit dem Mittelalter sind nur rund 50 Fälle bekannt. Darunter Pedro Gonzalez: Er zählte zu den wenigen „Haarmenschen“ dieser Welt. Doch mindestens genauso selten ist das Wissen, dass seine Geschichte eng mit dem Disney-Film „Die Schöne und das Biest“ verknüpft ist. Was steckt also wirklich hinter dem populären Klassiker?

Der Disney-Film „Die Schöne und das Biest“ aus dem Jahr 1991 ist allseits bekannt. Zuletzt wurde der Stoff im vergangenen Jahr mit Emma Watson und Dan Stevens neu verfilmt. Die Geschichte selbst ist zeitlos: Eine schöne junge Frau verliebt sich in ein furchteinflößend aussehendes Ungeheuer. Zunächst lehnt sie dieses ab und fürchtet sich. Doch nach und nach erkennt sie ein gutes Herz hinter der optisch abstoßenden Fassade. Beide Charaktere entwickeln tiefe Zuneigung füreinander. Und so lebt das Paar glücklich bis ans Ende seiner Tage.

Eine Geschichte zu schön, um wahr zu sein? Vielleicht auch nicht! Denn fast niemand weiß, dass diese Historie auf ein altes französisches Volksmärchen zurückgeht. Dieses Märchen ist allerdings keineswegs an den Haaren herbeigezogen: Es basiert auf der Lebensgeschichte einer wahren Person. Einer außergewöhnlich behaarten Person. Sein Name war Pedro Gonzalez. Folgt mir nun auf seinen Spuren in die Vergangenheit…

Ein Ausflug in das Jahr 1547

Im Jahr 1547 wurde Heinrich II. König von Frankreich. Unter den vielen Geschenken zur Feier des Tages war ein ungewöhnliches dabei: Man überreichte ihm ein behaartes Wesen. Es handelte sich um einen etwa zehnjährigen Jungen spanischer Herkunft namens Pedro Gonzalez. Das Gesicht des Jungen war von einem rund zehn Zentimeter langen dunkelblonden Pelz bedeckt. Die königliche Hofgesellschaft war sich angesichts des ungewöhnlichen Anblicks unsicher: Ist das Wesen denn menschlich? Der König entschied, den „kleinen Wilden“ auf dem Hof wohnen und erziehen zu lassen. Der behaarte Knabe lernte verschiedene Sprachen und wuchs zu einem gebildeten Mann heran.

Pedro Gonzalez

Pedro wuchs zu einem gebildeten Mann am französischen Königshofe heran. (Quelle: gemeinfrei, Wikimedia Commons)

Bald fand die höfische Gesellschaft Gefallen an dem Experiment. Voller Tatendrang versuchte sie herauszufinden, ob das pelzige Wesen zu einem Menschen „umerzogen“ werden konnte. So wurde zu gegebener Zeit beschlossen, Pedro zu verheiraten. Die Auserwählte war die schöne Pariserin Catherine. Auf dem Königshofe fragte man sich bald, wie wohl gemeinsame Kinder aussehen würden.

Catherine war von ihrem für sie auserkorenen pelzigen Ehegatten zunächst wenig begeistert. Doch schon bald bemerkte sie, was hinter der haarigen Fassade steckte und verliebte sich Hals über Kopf in ihn. Das glückliche Paar bekam sieben Kinder. Einige davon erbten Pedros Gendefekt. Diese außergewöhnliche Familiengeschichte blieb nicht lange unbekannt: Anekdoten über die Familie Gonzalez verbreiteten sich in vielen Kulturen und wurden in ganz Europa erzählt. Pedros Spur verlor sich irgendwann, doch Historiker vermuten, dass dieser seine letzten Tage auf einem Hof in Italien verbrachte.

 

Wie Pedros Geschichte Einlass in die heutige Zeit fand

Der italienische Historiker Roberto Zapperi fand schnell großes Interesse an diesen einzigartigen Begebenheiten. Er rekonstruierte die Geschichte Pedros und seiner Nachfahren und hielt die Geschehnisse für die Nachwelt fest. Außerdem überlieferten zahlreiche Porträts und Malereien die historischen Ereignisse und bestätigen die Echtheit der Gonzalez.

Pedros und Catherines Liebesgeschichte bot viel Stoff für die Filmproduktion: Unter anderem für den Disney-Zeichentrickklassiker aus dem Jahr 1991 „Die Schöne und das Biest“ – ein moderner, zeitloser Film basierend auf einer jahrhundertealten Historie. Die vielfachen Neuverfilmungen und Adaptionen des Klassikers bestätigen dessen Beliebheit. Doch „Die Schöne und das Biest“ blieb nicht der einzige Film, der seine Wurzeln im 16. Jahrhundert hat: Auch Hollywood-Blockbuster, wie „King Kong“ oder „Shrek“ thematisieren diese besonderen Liebesbeziehungen zwischen furchteinflößenden Ungeheuern und schönen jungen Frauen, die es vermögen hinter deren Fassade zu blicken.

DIe Schöne und das Biest

Man sieht nur mit dem Herzen gut: Liebesbeziehungen zwischen furchteinflößenden Ungeheuern und schönen jungen Frauen sind oft Thema vieler Filme. (Quelle: Prawny, Pixabay.com)

Heute kann Pedro Gonzalez‘ Abbild, bekannt als der „Haarmensch“, in der Kunst- und Wunderkammer im Schloss Ambras in Innsbruck betrachtet werden.

Ein seltener Gendeffekt: Hypertrichosis

Pedro Gonzalez und seine Nachkommen waren die ersten von Hypertrichosis betroffenen Menschen, deren Lebensgeschichte genauer überliefert ist. Bis heute sind die Erkenntnisse über das Erbleiden allerdings eher dürftig. Experten schätzen die Häufigkeit des Gendefekts auf eins zu einer Milliarde. Eine mögliche Ursache für die Krankheit könnte ein urzeitliches Gen sein, das von felltragenden Vorfahren des Menschen stammt. Diese alte Erbanlage kann Wissenschaftlern zufolge noch immer im menschlichen Genom schlummern. Die Erbanlage ist jedoch normalerweise abgeschaltet. Durch eine Mutation kann diese aber reaktiviert werden.

Es sind unterschiedliche Hypertrichosearten bekannt. Experten vermuten, dass das pelzige Aussehen bei Pedro Gonzalez und seinen Nachkommen in einer besonders extremen Form von Hypertrichose verankert ist. Dabei ist der Haartypus Vellushaar betroffen. Dieses kann bis zu einer Länge von 30 Zentimetern wachsen. Üblicherweise ist das Vellushaar am menschlichen Körper jedoch nur als leichter Flaum erkennbar. Bei Pedro und seiner Familie geriet dieser Pelz jedoch förmlich außer Rand und Band und sorgte so für das außergewöhnliche Aussehen der Spanier.

Bis heute begeistert diese Geschichte zahlreiche Menschen. Dies ist kaum verwunderlich, ist die Botschaft, die sie vermittelt doch zeitlos: Die äußere Fassade kann täuschen, es zählen die inneren Werte. Vielleicht erinnern wir uns ja beim nächsten Mal, wenn wir „Die Schöne und das Biest“ schauen, an Pedro und seine Geschichte….

 

Weitere Informationen für Interessierte

Der österreichische Historiker Gerald Axelrod forschte nach den Hintergründen des Märchens „Die Schöne und das Biest“ und veröffentlichte einen Bildband:

  • Axelrod, G. (2014). Die Schöne und das Biest: Das Geheimnis um die Entstehung des Märchens. Würzburg: Stürtz.

Roberto Zapperi rekonstruierte Pedros Geschichte:

  • Zapperi, R., & Walter, I. (2004). Der wilde Mann von Teneriffa: die wundersame Geschichte des Pedro Gonzalez und seiner Kinder. München: Beck.

Warum der Mensch heute kein Fell mehr hat, könnt Ihr im Beitrag von SarahLanz lesen:

 

Quellen

4 Kommentare
  1. njohn
    njohn sagte:

    Ein sehr interessanter Beitrag und eine faszinierende Hintergrundgeschichte von einem meiner Lieblingsdisneyfilmen. Dass die Story von Belle und dem Biest auf einer wahren Begebenheit basiert, wusste ich nicht. Aber da sieht man mal wieder, dass das wahre Leben oft die schönsten Geschichten schreibt 🙂

  2. Lena
    Lena sagte:

    Der Beitrag hat mir sehr gut gefallen. Ich hätte nie gedacht, dass dieses Disney-Märchen sich auf eine wahre Begebenheit zurückführen lässt! Ich finde auch spannend, dass du noch genauer auf die Krankheit eingegangen bist, sodass man auch noch ein bisschen Fachwissen mitnehmen kann.

  3. Carina
    Carina sagte:

    Ich kann mich nur anschließen: Ich fand es sehr spannend, mehr über die Hintergründe von „Die Schöne und das Biest“ zu erfahren. Ich wusste bisher nicht, dass sich der Film an eine reale Lebensgeschichte anlehnt. Es war dabei vor allem auch interessant, mehr über die Krankheit Hypertrichose zu erfahren! Ein sehr schöner Beitrag 🙂

  4. Alexandra
    Alexandra sagte:

    Wow, Pedros Geschichte hört sich wirklich wie ein Märchen an. Kein Wunder also, dass es zu einem geworden ist. Ich finde den Beitag super spannend! 🙂 Und freue mich für Pedro, dass er so ein Glück mit seiner Catherine hatte ❤
    Ich habe bisher noch nie von der Krankheit Hypertrichosis gehört, deswegen würde mich noch interessieren, ob es auch heutzutage Menschen gibt, die davon betroffen sind? Wenn ja, wie gehen sie mit dieser Krankheit um?

Kommentare sind deaktiviert.