Ein Portrait der Chicagoer Künstlerin Ash Windbigler und der Gespenster, die durch ihr Werk spuken.
„Für mich sind Gespenster nicht nur der Geist eines verstorbenen Menschen. Ich denke immer an die Person, die ich in der Vergangenheit war, als ich klein war. Diese Person ist jetzt auch eine Art Gespenst.“
Ash Windbigler zögert nicht, wenn sie von den Gespenstern ihrer Vergangenheit spricht. Was ihr aktuelles Leben angeht, ist sie sich weniger sicher.
Wenn man die aus Indiana stammende 28-Jährige fragt, welche Art von Künstlerin sie ist, spricht sie zunächst von einem Abschluss in Grafikkunst, ihre Liebe für 3D-Collagen und dem einen Mal, als sie mit einem Kugelschreiber auf ein Gemälde zeichnete. Die Bezeichnung, für die sie sich letztlich entscheidet, ist aber „selbst gelernte Malerin“. Was ihr auf jeden Fall klar ist, ist dass sie von Gespenstern „besessen“ ist.
„Ein großer Teil meiner Werke beziehen sich auf Geister, den Tod oder das Jenseits“, sagt die Künstlerin. Bis zu ihrem 15. Lebensjahr besuchte Windbigler eine konservative, protestantische Kirchenschule. „Ich bin sehr religiös aufgewachsen und die Idee, dass es wirklich ein Jenseits gibt, wurde in meinen Kopf gepflanzt. Jetzt glaube ich nicht mehr, was bedeutet, dass es dann wohl auch kein Jenseits gibt. Solche Fragen haben einen großen Einfluss auf meine Werke.“
Zeichentrickfiguren und Künstlerkollektive
Wenn man durch Windbiglers Arbeiten blättert, stößt man auf Kaugummi-Rosa und Babyblau, Zeichentrickfiguren und Gespenster. In einem ihrer Drucke (rechts) hat sie einen Frontalzusammenstoß zweier Autos vor einem hellrosa Hintergrund dargestellt. Ein Regenbogen, ein Rehkitz und ein lächelndes Gespenst springen aus den Wracks. Diese Mischung von makabren und kindlichen Elementen ist typisch für ihren Stil.
Windbigler ist schon länger als sie denken kann künstlerisch tätig. Ihren ersten Kunstunterricht hatte sie aber erst in der Sekundarschule. Zu dieser Zeit sind einige, geliebte Menschen in ihrem Leben gestorben. Darunter auch eine junge Cousine, die bei einem Autounfall ums Leben kam.
„Meine Bilder in der Sekundarschule hatten keinerlei Zwischentöne. Sie waren immer dunkel, ohne ein helles Element. Mit Humor konnte ich nichts anfangen. Es war dieser klassische Emo-Stil: Skizzen von Gerard Way von ‚My Chemical Romance‘“, lacht Windbigler und bezieht sich auf den Sänger einer Teeny-Pop-Punk-Band der Zweitausenderjahre.
Das alles änderte sich, als sie an eine Kunsthochschule in Indianapolis ging. Dort fand sie eine Gruppe Freunde, mit denen sie später das Kunstkollektiv „The Droops“ formte. Die Gruppe war lokal bekannt für ihre witzigen Wandgemälde. Eines davon erlangte sogar nationale Bekanntheit: Eine Einheimische beantragte das Gemälde zu verdecken, weil es männliche Genitalien in einem Hot Dog-Brötchen zeigte. Sie war nicht erfolgreich.
„Auch unser Name, The Droops, hatte die gleiche Art Humor, die ich heute mag. Witzig, aber auch ein bisschen traurig.“ Man denkt an „Drops den Hund“, die amerikanische Zeichentrickfigur, die auf Englisch „Droopy“ heißt. „Meine Zeit in der Gruppe hat mir wirklich geholfen meine Ideen auf eine Weise zu präsentieren, die auf den ersten Blick nicht so dunkel ist.“
Die Geister, die sie malte
Gespenster und Geister spuken durch ihre Werke, wie durch eine Geisterbahn. Ob Caspar, das freundliche Zeichentrick-Gespenst aus den USA, oder ein klassischer Bettlaken-Geist, nie sehen ihre Figuren wirklich furchteinflößend aus.
Beispiel eines typischen Windbigler-Gespensts:
Wo sie Gespenster malt, folgen oft Regenbogen. Sie erklärt, dass sie ‒ abgesehen davon, dass sie einfach Spaß zu malen machen ‒ den Moment bedeuten, in dem ein Geist von einem Ort verdrängt wird. Über ihr Gemälde „Lady Lazarus“, sagt sie:
„Es hat eine doppelte Bedeutung. Ich sehe es an und denke, es hat definitiv mit dem Tod zu tun.‘ Aber es ist auch eine Geschichte über Identität. Ihre Seele wird von irgendetwas ausgesaugt. Der dunkle Schrank könnte eine Besessenheit verkörpern, vielleicht böse Erinnerungen oder Selbstmordgedanken.“
Der Name des Gemäldes wurde von ihrem Lieblingsgedicht der amerikanischen Poetin Sylvia Plath inspiriert; ein Gedicht, das sie wiederum an ihre liebste biblische Geschichte erinnert, die Geschichte von Lazarus:
„Ich liebe diese Geschichte, weil es da diesen Moment der Enttäuschung gibt, in dem alle auf Jesus böse sind, weil er nicht rechtzeitig gekommen ist um Lazarus zu retten. Und dann erweckt er ihn von den Toten. Mein Gemälde gründet tief in dieser Geschichte: diese Person, die als Gespenst neu geboren wird.“
Mom and Dad
Religion ist nur ein Aspekt ihrer Kindheit, der Windbigler noch heute beeinflusst. Die konservative Familie, in der sie aufgewachsen ist, mit einer strengen Mutter und Polizeichef-Vater, spielt auch eine Rolle.
Einmal hatte sie ein Buch über Poltergeister für ein Schulprojekt nach Hause gebracht („Dass ich dieses Thema ausgesucht hatte, sagt schon vieles.“) Aber ihre Mutter verbat ihr, das Buch über das Übernatürliche ins Haus zu bringen. „Und ich habe es immer geliebt, alles zu tun, von dem meine Mutter nicht wollte, dass ich es tue“, sagt sie. „Mir geht es heute noch so.“
„Ein anderes Mal, nachdem meine Cousine Felicia gestorben ist, saß ich mit meiner Mutter im Auto. Ich war sehr traurig und still und dann habe ich sie gefragt, ‚Glaubst du, dass gestorbene Menschen uns hören können?‘ Und sie hat sofort geantwortet: ‚Nein.‘ Einfach nein. Und dann habe ich es noch mehr geglaubt.“
Mit ihrem Vater war es anders: „Mein Papa fand Gespenster und Außerirdische und Verschwörungstheorien alle toll. Oder manchmal fand ich seine Tatort-Aufnahmen bei uns zu Hause. Meine Eltern hatten beide ihren eigenen Einfluss auf meine Obsession.“
In der Vergangenheit zu leben ist also für Windbigler ganz normal, eine Gemeinsamkeit, die sie mit Gespenstern teilt und die sie schätzt. „Ich hatte immer die Denkart, dass aktuelle Ich am alten Ich zurück zu spiegeln. Für mich ist das vergangene Ich auch ein Art Gespenst oder Geist. Die Idee eines Geist-Selbsts finde ich wirklich spannend. Die meisten Gespenster in meinen Werken sind solche Geister.“