Beiträge

Traumfänger sind im alltäglichen Leben längst der breiten Masse bekannt. Doch woher kommen die aufwendig verzierten und gefiederten Kunsthandwerke? Auf dem fernen westlichen Kontinent verbinden die indigenen Völker sie mit spirituellem Glauben und Legenden. Welche Bedeutung hat der Traumfänger als Kulturgut, und was für Gedanken wurden darin eingewebt?

Rebecca Netzel ist promovierte Linguistin und Lektorin an der Universität Heidelberg. © Rebecca Netzel

Mit der Geschichte des Traumfängers kennt sich Rebecca Netzel von der Universität Heidelberg bestens aus. Sie arbeitet am Institut für Übersetzen und Dolmetschen als Dozentin, engagiert sich jedoch außerdem ehrenamtlich für die indigenen Völker. Als Sprachforscherin und Expertin zur Sprache und Kultur der Lakota hat sie mehrere Bücher verfasst und wurde zudem von einer Familie des Lakota-Stammes adoptiert.

Ihren Ursprung finden die Traumfänger bei den Native Americans. Träume haben für die indigenen Völker dort eine wichtige Bedeutung: Sie glauben, dass diese die Seelen der Träumenden aktiv beeinflussen. So könne ein Traum beispielsweise spirituelle Stärke vermitteln, aber auch negative Gedanken oder Geister einlassen. Um vor diesen bösen Träumen zu schützen, wird ein Traumfänger über das Bett gehängt, wo er die ersten Strahlen der Morgensonne einfangen kann. Die Native Americans glauben, dass das Sonnenlicht die nachts gefangenen, schlechten Gedanken neutralisiert. Laut Rebecca Netzel streiten die einzelnen Tribes scherzhaft darum, bei welchem Tribe die Traumfänger genau ihren Ursprung nehmen. Allerdings sei der genaue Ursprung mittlerweile wohl nicht mehr zu ermitteln, da die Kulturgedanken des Traumfänger immer wieder untereinander ausgetauscht und einzeln weiterentwickelt wurden. Es handelt sich also um ein intertribales Kulturgut der Native Americans.

„Traumfänger“ heißt wörtlich „Spinnennetz“

Für die Zierfedern am Traumfänger werden flaumige Konturfedern bevorzugt. © Couleur auf Pixabay

Die Materialien für einen originalen Traumfänger stammen dabei alle aus der Natur: Zweige, Sehnen und Federn. Beispielsweise ein runder Zweig der Red Willow (Glattblättrigen Weide) wird in Kreisform gezogen, getrocknet und mit Fasern einer großen Brennnessel oder Lederstreifen umwickelt. Sehnen werden so in die Mitte eingeflochten, dass es einem Spinnennetz gleicht. Verziert wird der Traumfänger mit flaumigen Naturfedern, welche die Verbindung zur Luft symbolisieren. In die Mitte des Netzes kommt nun noch eine Perle oder ein Halbedelstein. Eventuelle zusätzliche Materialien sind optionales Beiwerk und dienen der Dekoration. Rebecca Netzel zufolge lautet das Wort für „Traumfänger“ in der Sprache der Lakota übrigens „Iktómi tawókashke“, was wörtlich übersetzt „Spinnennetz“ bedeutet.

„Gerade von der ganzheitlich-ökologischen Denkweise der Native Americans können wir in Zeiten des Klimawandels und Artensterbens viel lernen.“ – Rebecca Netzel

Zwei verschiedene Ursprungs-Legenden

Um den Traumfänger ranken sich verschiedene Legenden, und viele der indigenen Völker haben ihre eigene Fassung. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Es ist immer eine Spinne, die das Netz des ersten Traumfängers gewoben hat. Zwei Geschichten, die der Ojibwe und des Lakota Tribes, sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Die Gestaltung des originalen Traumfängers basiert auf einem Spinnennetz. © Albrecht Fietz auf Pixabay

Die Sage der Ojibwe handelt von einer Göttin der Erde, die als „Spinnenfrau (oder „Asibikaashi“) bezeichnet wird. Die Spinnenfrau kümmert sich um alle Menschen und insbesondere um die Kinder. Als die Völker sich in alle Ecken des Landes ausbreiteten, wurde es jedoch für sie schwieriger, auf alle Kinder achtzugeben. Daher lehrte sie die Mütter und Großmütter, Spinnennetze aus Weidenreifen und Sehnen zu weben, um die Kinder an ihrer Stelle nachts zu beschützen.

Die Sage der Lakota erzählt hingegen von einem Treffen zwischen dem alten geistlichen Führer der Lakota und „Iktomi“, einem Trickster und Weisheitslehrer, der die Gestalt einer Spinne angenommen hat. Der Lakota-Führer begab sich auf einen hohen Berg und erhielt dort eine Vision von Iktomi. Die Spinne erzählte von dem Wandel des Kindes bis zum Greis, der sich wieder um neue Kinder kümmert – und dass sich dadurch ein Kreislauf bildet. Doch diese Harmonie der Natur und des Großen Geistes könne von guten und bösen Kräften beeinflusst werden. Wenn man auf die bösen Kräfte höre, so würde man in eine falsche Richtung gelenkt und könne Schaden nehmen. Während Iktomi sprach, nahm er sich den Weidenring des alten Lakota, welcher mit Perlen, Federn und vielem mehr geschmückt war, und spann in dessen Mitte ein Netz. Als er fertig damit war, gab er dem alten Mann den Ring zurück und erklärte ihm, dass er das Netz nutzen könne, um seinem Tribe zu helfen. Wenn er an den Großen Geist glaube, werde es die guten Kräfte auffangen und die schlechten durch das Loch in der Mitte des Netzes entweichen lassen.

Laut Rebecca Netzel herrscht übrigens innerhalb der indigenen Völker Uneinigkeit darüber, ob die Traumfänger nun die guten Gedanken einfangen und die schlechten passieren lassen oder ob sie die schlechten Träume einfangen und die guten Träume weiterziehen. Letztlich bleibt jedoch der gemeinsame Zweck der Traumfänger derselbe.

„Egal, wie man es betrachtet: Der Traumfänger filtert die guten Träume heraus und sorgt so für einen gesunden, entspannten Schlaf!“ – Rebecca Netzel

Zweckentfremdung wird belächelt

Heute sind Traumfänger in allen möglichen Varianten und Gestaltungen erhältlich. © Lela Cargill auf Pixabay

Auch wenn die Traumfänger den Geschichten nach hauptsächlich für Kinder gemacht sind, so werden sie im Grunde auch an Erwachsene verschenkt – gute Träume helfen schließlich in jedem Alter. Dem Glauben der Native Americans nach sollte man die Traumfänger immer im Schlafzimmer über der Schlafstelle aufhängen, wo das Morgenlicht auf sie trifft. Andere Platzierungen (wie zum Beispiel im Auto) seien weniger effektiv. Dass die Kunsthandwerke mittlerweile auf der ganzen Welt verbreitet sind und von anderen Kulturen sehr verschieden genutzt werden, stört die indigenen Völker aber laut Netzel wenig. Wenn die Traumfänger zweckentfremdet werden, so wird das nur belächelt – ein religiöses Tabu wird damit aber nicht gebrochen. In manchen indianischen Reservaten werden Traumfänger in unterschiedlichen Größen und Ausführungen sogar selbst zum Kauf angeboten. Beispiele wären der Onlineshop des Akta Lakota Museum & Cultural Center oder NativeAmericanVault.

Ihr habt noch nicht genug von unseren Traum-haften Beiträgen? Dann folgt uns für einen Blick hinter die Kulissen, spannende Fun-Facts oder Musik-Inspirationen auf Instagram und Twitter! 

Mehr zum Thema und weitere interessante Beiträge findet ihr außerdem hier – oder abonniert unseren Newsletter!

Kopf mit bunter Wolke Träume