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In Madagaskar ist der Ahnenglaube weit verbreitet und zieht sich durch alle Lebensbereiche der Menschen. Welche Bedeutung Ahnengeister für die Menschen haben, wie eine Totenfeier abläuft und warum es sogar gut ist, Schulden für die Ahnenfeste zu machen, erklärt die Tübinger Ethnologin PD Dr. Sabine Klocke-Daffa, die seit den 90er Jahren zum Südlichen Afrika und seit 2014 zu Madagaskar forscht.

In Madagaskar gibt es achtzehn ethnische Gruppen. Ist der Glaube an Ahnengeister innerhalb dieser Gruppen weit verbreitet?

Dr. Sabine Klocke-Daffa forscht seit 2014 zu Madagaskar. Foto: Dr. Sabine Klocke-Daffa

Ja, er ist insofern weit verbreitet, als dass die meisten Madagassen indonesischen Ursprungs sind, wobei die genaue Herkunft nicht bekannt ist. Wahrscheinlich sind die Menschen aus dem heutigen Malaysia in mehreren Wellen eingewandert. Wobei die Einwanderungszeitpunkte umstritten und historisch nicht ganz geklärt sind. Es gibt aber auch Einflüsse aus verschiedenen Teilen Afrikas und aus dem arabischen Raum, sodass das eine einzigartige Mischung der Bevölkerung ist. Diese indonesische Herkunft zeigt sich in der Sprache und insbesondere in der sozialen Organisation sowie in kosmologischen Vorstellungen in der Erinnerung der Ahnen. Denn in Indonesien ist der Glaube an Ahnen ebenfalls verbreitet.

Haben die Ahnen einen großen Einfluss auf das Leben der Madagassen?

Die Ahnen beziehungsweise die Toten sind immer auch Teil des Lebens der Lebenden. Das heißt für die Madagassen, dass sie tatsächlich ihre Lebensweise und ihre Verhaltensweise so organisieren, dass die Toten darin immer irgendwie vorkommen, bei all ihren Plänen. Auch für die Zukunft haben sie eine Bedeutung.

Wie kann man sich das vorstellen?

Man erinnert sich nicht nur an die Ahnen, sondern man macht Feste für sie, um Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Sie kommen also zu bestimmten Zeiten im Jahr sozusagen zu Besuch. Man muss jedoch ihre Regeln befolgen, zum Beispiel, wie man sich wem gegenüber zu verhalten hat, wann man Feste feiert, wie sie ausgerichtet sind und welche Rolle die Toten dabei spielen. Denn die Madagassen teilen die Vorstellung: ‘Ich habe nur Glück, wenn ich mich nach den Regeln der Ahnen verhalte.‘ Somit sind die Ahnen aktiv im Leben der heutigen Lebenden tätig, was bedeutet, dass es natürlich große Auswirkungen auf das Verhalten und auf den Alltag der Menschen gibt. Wenn man die Madagassen fragt, worauf diese Regeln beruhen, sagen sie: ‚Die sind von den Ahnen geschaffen.‘

Und wenn man sich nicht an die Regeln hält?

Wenn man dagegen verstößt, was natürlich viele Leute machen, dann wurde ein Verbot, ein sogenanntes fady, überschritten. Das wird auch bestraft. Die Ahnen sind nicht nur wohlwollend und bringen Glück, sondern sie können auch strafen. Das heißt, die Menschen erklären sich vieles, was sie sich sonst nicht erklären können oder was an negativen Dingen im Leben passiert, mit dem direkten Eingreifen der Ahnen.

Was wäre ein konkretes Beispiel für das Überschreiten eines fadys?

Man darf beispielsweise kein Land verkaufen, weil es das Land der Ahnen, der Vorfahren ist. Das bringt Unglück. Es gibt aber immer wieder Menschen, die es trotzdem an Fremde verkaufen oder verpachten, weil es finanziell zu verlockend erscheint. Das hat dann negative soziale Konsequenzen und führt dazu, dass sie schlecht angesehen werden.

Was für Rituale gibt es, bei denen die Ahnen eine große Rolle spielen?

Sicherlich spielen sie in allen Lebenszyklusritualen eine Rolle, wie bei der Geburt oder bei Hochzeiten, aber insbesondere bei Totenfeiern. Es gibt einige Feste, die hauptsächlich für die Toten durchgeführt werden. Ganz berühmt ist die famadihana, eine Totenfeier bei der die Gräber – das sind so eine Art Mausoleen – geöffnet und die Toten herausgeholt werden.

Totenhäuser auf Grabstätten. Foto: Dr. Sabine Klocke-Daffa

Wie läuft so eine famadihana ab?

Nachdem erste Reden gehalten und Rinder geschlachtet werden, öffnet man das Grab, um die Knochen der Toten zu säubern und sie in neue Seidentücher einzuwickeln. Sie werden dann in die Menge herausgetragen und herumgereicht, es wird musiziert, getanzt und gesungen und alle sehen: Diese Person ist jetzt da. Die engen Familienmitglieder nehmen den Toten auf den Schoß und erzählen ihm, was passiert ist, seitdem er nicht mehr lebt und stellen ihm die neuen Familienmitglieder, die Kinder, vor. Die Seelen sind zwar ganz weit weg, aber sie können wiederkommen, solange noch etwas vom Menschen übrig ist. Nach der Zeremonie wird der Tote wieder in die Grabstätte gebracht und die Bastmatten, in denen er eingewickelt war, werden anschließend von den Frauen mit nach Hause genommen. Diese Matte ist symbolisch zu verstehen. Es ist für die Frauen so, als ob sie die Aura oder ein bisschen vom Geist des Toten mitnehmen. Davon versprechen sie sich Fruchtbarkeit und Glück.

Was für Erklärungen gibt es noch für die Ausrichtung einer famadihana, außer, dass eine Verbindung zu den Ahnen hergestellt wird und den Menschen Glück bringen soll?

Um die soziale Gemeinschaft zu reproduzieren, weil alle von Nah und Fern kommen müssen, um die Familie wieder zusammenzubringen. Das ist eine Verpflichtung der eigenen Familie und den Ahnen gegenüber. Das hat auch finanzielle Konsequenzen, alle müssen beitragen und in diesem Fall stehen die Ahnen sozusagen dahinter.

Dieser Verpflichtung Geld für die famadihana zu erwirtschaften, geht vor allem die ethnische Gruppe der Zafimaniry nach.

Das stimmt. Aber nicht nur für die famadihana. Man kann auch andere Feste für die Ahnen feiern. Insbesondere, wenn etwas passiert ist, macht man ein Fest für sie. Beispielsweise, wenn ein Haus abgebrannt ist oder jemand einen Unfall hatte. Dann laden die Menschen die Ahnen ein, holen sich Rat bei ihnen und hoffen auf mehr Glück. Für so ein Fest braucht man allerdings viel Geld. Die Zafimaniry sind berühmt für ihre Holzschnitzereien. Aber außer in der Holzverarbeitung, gibt es für sie kaum Arbeitsplätze. Das heißt, sie müssen irgendwo anders arbeiten oder Schulden aufnehmen, um das finanzieren zu können. Schulden sind aber nicht grundsätzlich etwas Negatives. Nicht, wenn sie für solche Anlässe verwendet werden.

Bei wem verschulden sich die Zafimaniry?

In den Dörfern sind die meisten gegenseitig verschuldet, bei den Nachbarn, den Freunden, dem Arbeitgeber. Das stärkt unheimlich den sozialen Zusammenhalt. Schulden sind die Basis der sozialen Organisation. Wenn Sie es ganz eindampfen würden: Schulden bringen Glück. Sie investieren nicht in ökonomisches, sondern in sozio-kosmologisches und in soziales Kapital, in soziale Beziehungen zu den Lebenden und den Toten. Sie glauben daran, dass sie viel davon haben, dass sie den Segen der Ahnen, Glück, Wohlstand, Sicherheit, Kontinuität der Familien und Kinder bekommen. Mit einem Business können sie pleitegehen, aber soziales Kapital ist unbezahlbar.

Vielen Dank für dieses Gespräch Frau Klocke-Daffa.

 

Für Leser, die sich über den Beitrag hinaus mit dem Ahnenkult auf Madagaskar beschäftigen möchten, empfehle ich folgende Literatur:

Bittner, Alfred, 1992: Madagaskar. Mensch und Natur im Konflikt. Basel [u.a.]: Birkhäuser.

Bloch, Maurice. 1971: Placing the dead: tombs, ancestral villages, and kinship organization in Madagascar, Seminar studies in anthropology. London: Seminar.

Graeber, David. 1995: Dancing with Corpses Reconsidered: An Interpretation of „famadihana“ (In Arivonimamo, Madagascar). American Ethnologist 22 (2):258-278.

Sharp, Lesley A. 1996: The Possessed and the Dispossessed. Spirits, Identity and Power in a Madagascar Migrant Town. Berkeley: University of California Press.

Ramsaier steht zwischen Urnen, Särgen und Kreuzen in seinem Bestattungsinstitut

Ist nach dem letzten Atemzug alles vorbei? Der Bestatter Helmut Ramsaier glaubt das nicht. Bei seiner Arbeit spürt er die Aura der Toten.

Mit einem Ruck öffnet Helmut Ramsaier die Tür des Kühlraums. Im Halbdunkel liegen drei tote Frauen auf Metallliegen. Laken bedecken ihre Körper, nur die erstarrten Gesichter schauen hervor. Während zwei Verstorbene bereits auf ihre Überführung nach Tunesien und Griechenland warten, ist die dritte noch nicht versorgt worden. Ihr Mund steht halb offen, die schütteren Haare sind zerzaust. „Meine Mitarbeiter haben sie erst heute Morgen abgeholt“, sagt Ramsaier entschuldigend.

Ramsaier – weißes Haar, schwarz gekleidet – ist Bestatter in der dritten Generation. Schon seit seiner Kindheit wird er mit dem Tod konfrontiert und zwar täglich. An den ersten toten Menschen, den er gesehen hat, kann er sich nicht mehr erinnern. Auch nicht, wie viele danach kamen. „Da ist so viel überlagert“, sagt er. „Es wird Alltag.“ Ein Alltag, der ihn nach wie vor schwer belastet. „Es gelingt mir mit zunehmendem Alter immer weniger, abends den Schlüssel rumzudrehen und die Eindrücke des Tages hinter mir zu lassen.“

Einerseits will Ramsaier Nähe zulassen, andererseits sich selbst schützen. Für ihn ist das ein täglicher Spagat, der nicht immer gelingt. Besonders schwer sei es, wenn er den Verstorbenen oder die Verstorbene kenne und wenn Kinder sterben. „Das sind Dinge, die können einen nicht kalt lassen“, sagt er. Oft wache er dann nachts mehrmals auf und das teilweise eine ganze Woche lang. Was in seinen Träumen passiert, bevor er aufschreckt, daran kann er sich nicht erinnern. Nie. „Vielleicht ist das ein körpereigener Selbstschutz, den ich entwickelt habe.“

„Das ist wie bei der Mafia“

Ursprünglich wollte Ramsaier beruflich etwas ganz anderes machen. Nach der Schule hat er eine Ausbildung im Sozialrecht gemacht, acht Jahre im Sozialministerium gearbeitet. „Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass ich diesen Weg nicht bis zur Pensionierung gehen möchte“, sagt Ramsaier. Deshalb hat er seine sichere Stelle als Beamter aufgegeben und wurde Bestatter, so wie sein Vater und Großvater vor ihm. Auch sein Sohn hat diesen Weg nach seinem Wirtschaftsstudium eingeschlagen. „Das ist wie bei der Mafia, da wird man hineingeboren“, habe er einmal gesagt, erzählt Ramsaier Senior.

Es ist ein gewagter Vergleich. Vor allem, weil Ramsaier seit mehr als 40 Jahren gegen den schlechten Ruf der Bestatter*innen ankämpft. „Wir wollen den Beruf endlich aus der Schmuddelecke rausholen“, sagt Ramsaier. Das fange schon mit dem Bild an, das viele Menschen von Bestatter*innen hätten: „Die denken, wir sitzen den ganzen Tag im Keller. Und was im Keller ist, hat keinen Wert.“ Deshalb befinden sich in seinem Bestattungsinstitut in Stuttgart-Vaihingen alle Räume über der Erde. Auch für die Toten tritt er ein. So hat er erreicht, dass im baden-württembergischen Bestattungsgesetz inzwischen von Verstorbenen statt von Leichen gesprochen wird – für ihn ein würdevollerer Begriff.

Verstorbene nehmen Lieblingskleider mit ins Grab

Instrumente im weißgekachelten Aufbereitungsraum des Bestattungsinstiuts Ramsaier

Haarbürste, Faden, Wildrosenseife: Helmut Ramsaiers Ausrüstung als Bestatter (eigene Aufnahme)

Ein Mitarbeiter des Bestattungsinstituts kümmert sich inzwischen um die tote Frau mit den schütteren Haaren. Er hat sie auf ihrer Metallliege in den angrenzenden Raum geschoben. Dort werden die Verstorbenen medizinisch versorgt, wie es in der Fachsprache heißt. An der weißgekachelten Wand hängt eine Lehrtafel, die den menschlichen Körper zeigt. Die abgebildeten Knochen, Muskeln, Sehnen und Organe sind beschriftet. Darunter steht ein Metallschrank, auf dem nicht nur medizinisches Besteck, Kämme und Spulen mit Faden liegen, sondern auch eine Wildrosenseife von Weleda auf ihren Einsatz wartet.

Ungefähr 750 Bestattungen führt Ramsaier im Jahr durch. Acht von zehn Toten werden dabei aufgebahrt. Bevor die Angehörigen sich von ihren Verstorbenen verabschieden können, haben er und seine Mitarbeiter*innen viel zu tun: Nase und Speisröhre verschließen sie mit Watte, damit keine Gerüche entweichen können. Ober- und Unterkiefer nähen sie zusammen. Und geöffnete Augenlieder schließen sie, indem sie eine Plastikkappe mit kleinen Spitzen unter diese schieben. Danach frisieren sie die Verstorbenen wie zu Lebzeiten und schminken sie dezent. „Wir wollen, dass die Aufgebahrten für ihre Angehörigen vertraut aussehen“, sagt Ramsaier. Dazu gehört auch, dass sie im Sarg ihre Lieblingskleider tragen – also eher ein kariertes Hemd statt einem formellen Anzug.

Ramsaier ist es sehr wichtig, mit allen Verstorbenen liebevoll umzugehen. „Weil sie sich nicht mehr wehren können“, sagt er. Dennoch fühlt er sich manchen näher als anderen. Wenn sich im Beratungsgespräch mit den Angehörigen eine gewisse Vertrautheit entwickelt habe, übertrage sich das auf seine Arbeit danach. Es gibt aber auch tödliche Krankheiten, die diese Nähe für ihn erschweren – zum Beispiel Nierenversagen. Die Betroffenen scheiden einen Großteil der Schadstoffe über die Haut statt wie sonst über den Urin aus. „Das führt zu einem sehr unangenehmen Geruch“, erklärt der Bestatter. „In unserer Branche sagen wir dann: Der hat ein sehr intensives Deo“.

„Tote Menschen haben eine Aura“

Wenn Ramsaier sich um Verstorbene kümmert, spürt er ihre Präsenzen. Für ihn sind sie noch anwesend, auch wenn sie schon gegangen sind. „Es gibt Menschen, die haben eine bestimmte Aura, auch wenn sie tot sind“, versucht er sein Empfinden zu erklären. „Man nimmt wahr, ob jemand gut gewesen ist oder gravierende Ecken und Kanten hatte.“ Besonders stark spüre er diese Aura bei sogenannten Anthroposophen und Anthroposophinnen. Ihrer spirituellen Weltanschauung nach besteht ihr Wesenskern fort und verlässt drei Tage nach dem Tod ihren Körper.

Auch Ramsaier glaubt an ein Leben nach dem Tod. „Ich komme aus einem evangelischen Elternhaus, bin aber außerdem geprägt durch den tibetanischen Lamaismus.“ Er könne sich einfach nicht vorstellen, dass mit dem Tod alles ende. „Da bin ich nicht konform mit der Auffassung meiner Frau“, so der Bestatter. „Die sagt ganz klar: Mit dem letzten Schnaufer ist alles vorbei.“

Mexiko feiert vom 31. Oktober bis zum 2. November eines jeden Jahres ein großes Fest für und mit den Verstorbenen des Landes. Bei den sogenannten „Día de los Muertos“-Feierlichkeiten gedenken die Einwohner*innen Mexikos den Toten mit aufwändig gestalteten Ritualen. Sie zeigen fröhlich und ausgelassen, mit Paraden oder kulinarischen Köstlichkeiten, dass der Tod kein Grund zur Trauer ist.

Aber wieso feiert ganz Mexiko eigentlich auf so positive Art und Weise, wenn es doch um Tod und Trauer geht? Der Grund hierfür ist, dass die Geister der Toten während der „Día de los Muertos“-Feiertagen ihren Familien einen Besuch abstatten. Für die Einwohner*innen Mexikos zählen sie zu den wichtigsten Feiertagen des Jahres. Deshalb beginnen schon Anfang Oktober die Vorbereitungen für das Fest.

In ihrem Artikel für „National Geographic Society“ beschreibt Sue Caryl den Tod aus Sichtweise der Einwohner*innen Mexikos als natürliche menschliche Erfahrung. Er ist der nächste Schritt nach Geburt, Kindheit und dem Aufwachsen in der Gemeinschaft. An dem Feiertag kehren die Seelen der Verstorbenen in die Gemeinschaft zurück, um mit den Lebenden ein großes Fest zu feiern.

„Dia de los Muertos celebrates the lives of the deceased with food, drink, parties, and activities the dead enjoyed in life.“ – (Sue Caryl für National Geographic Society)

Deshalb ist in Mexiko auch nicht schwarz die Farbe der Trauer, sondern alles was bunt, fröhlich und farbenfroh ist. Sue Caryl beschreibt „Día de los Muertos“ als Fest, welches das Leben der Verstorbenen kulinarisch, mit Musik und Tänzen feiert. Dies stimme die Verstorbenen glücklich. Sie könnten einmal im Jahr nochmals all die Dinge genießen, die sie im Jenseits vermissen.

Aztekische Ursprünge

In Lateinamerika wird mit dem Tod positiver umgegangen, als wir es im europäischen Raum gewohnt sind. Logan Ward erklärt in „National Geographic – Geschichte und Kultur“, dass der Sinn hinter „Día de los Muertos“ sei, die Liebe und den Respekt für verstorbene Familienmitglieder unter Beweis zu stellen. Vor vielen Tausenden von Jahren entstand diese Tradition unter anderem durch die Tolteken und Azteken. Sie empfanden das Trauern um verstorbene Personen als respektlos. Wer verstarb, sollte weiterhin als fester Bestandteil in der Gemeinschaft erhalten bleiben.

Die „Día de los Muertos“-Tradition gilt als typisch lateinamerikanischer Brauch, welcher aztekische Rituale mit dem Katholizismus vereint. Spanische Eroberer brachten im 15. Jahrhundert den katholischen Einfluss in die Region. Gina Franco und Christopher Poore erwähnen im „America Magazine“, dass jedoch bis heute Kontroversen bezüglich des Ursprungs des „Día de los Muertos“ bestehen. Manche Überlieferungen würden die europäischen Wurzeln mit katholischen Ritualen wie Totenmessen betonen. Andere behaupten, „Día de los Muertos“ müsse ausschließlich dem indigenen Volk zugeordnet werden. Grund hierfür sei der Brauch, dass die Lebenden sich um die Toten kümmern und die Toten die Lebenden beschützen.

„Día de los Muertos“ wird heutzutage von jedem in Mexiko gefeiert, unabhängig seiner Religion oder ethnischen Herkunft. So bezeichnet Ward die Feierlichkeiten als Kombination aus christlichen Festen und religiösen Riten prä-hispanischen Ursprungs. Im Jahr 2003 ernannte die UNESCO die Tradition zum immateriellen und mündlichen Kulturerbe der Menschheit.

Lebendige Tote feiern ein Fest

(Bild: Catrina, ein weibliches Skelett für das Día de los Muertos Fest by Pixabay)

Catrina – Das Symbol für den Día de los Muertos-Brauch (Quelle: mlarranga, Pixabay)

Skelette und Totenköpfe sind bei den „Día de los Muertos“-Festlichkeiten die am meisten anzutreffenden Symbole. Die sogenannten „Calacas“ und „Calaveras“ tauchen in unterschiedlichsten Arten auf. „Calaveras de Dulce“ sind bunt bemalte Totenschädel aus Marzipan oder Zuckerguss, welche italienische Missionare im 17. Jahrhundert nach Mexiko brachten. Zudem produzieren die Einheimischen auch Skelette oder Särge aus Schokolade in Massen. Das „Pan de Muerto, ein süßes Anisbrot verziert mit Schädeln und Knochen aus Teig, ist ebenfalls eine kulinarische Tradition.

Hinter der Idee, Lebensmittel in Totenkopf- oder Skelettform darzustellen, steckt jedoch mehr als nur reiner Symbolcharakter. Zudem werden Parallelen zum Katholizismus sichtbar, da beim Ritual des Abendmahls auch der Verzehr von Speisen und Trank fester Bestandteil ist.

Skelette kommen allerdings nicht nur als kulinarische Objekte zum Vorschein. Für festliche Paraden durch die Straßen bemalen sich die Teilnehmer*innen ihre Gesichter in Form von Schädeln. Die Paraden und die Musik dienen dazu, die eigene Freude auszudrücken und die Geister der Verstorbenen zu wecken. Die mexikanischen Frauen laufen bei den Festtagsumzügen als „Catrina“ verkleidet mit. Solvejg Hoffman schreibt in einem Artikel für GEO:

„La Catrina“ ist „eine Erfindung des mexikanischen Künstlers José Guadalupe Posada [und] ist zum klassischen Symbol für den Tag der Toten geworden.“

Ward berichtet, dass Diego Rivera, ein mexikanischer Künstler, 1947 in seinem Wandgemälde „Dream of a Sunday Afternoon in Alameda Park“ das von Posada stammende Kupferstich-Skelett mit einbezog. Demzufolge trug die Skelettbüste einen großen Hut und bekam den Namen „Catrina“.  „Catrina“ war seiner Zeit ein Spitzname für Reiche. Aufgrund ihrer Popularität wurde die Figur zum Hauptsymbol des „Día de los Muertos“-Fests.

Altäre – Anlaufstellen für die Geister

Als Catrina verkleidete Mexikanerinnen mit Kerzen vor einem Altar

Mexikanerinnen mit Kerzen in der Hand, vor einem reich geschmückten Altar stehend (Bild: ernestordzglz, Pixabay)

Weitere wichtige Bestandteile der Feiertage sind Altäre. Sie bilden den Mittelpunkt des Festes einer jeden Familie. Überall findet man sie reich geschmückt, damit der Geist des*r Verstorbenen sich nach der langen Reise stärken kann. Sie sind überfüllt mit Essen, Trinken, Kerzen, Kruzifixen, Fotos des*r Verstorbenen und einem Meer aus orangenen Blumen. Aber wozu das Ganze?

Die Altäre dienen als Anlaufstelle, um die Verstorbenen zu empfangen und am Ende des Festes wieder zu verabschieden, erklären Franco und Poore im „America Magazine“.

Von den Altären aus laufen die Familien zu den Gräbern der Toten, um diese zu säubern und zu dekorieren. Musik und Fröhlichkeit begleiten die Rituale. Am Ende einer jeden Feier gehen die Familien zurück zu den Altären, um die Geister der Toten dort wieder zu verabschieden – bis sie genau ein Jahr später wiederkommen, um gemeinsam das Leben und den Tod ausgiebig zu feiern.