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Gespenstersagen und Gruselgeschichten lauern überall, auch das „Ländle“ hält einiges für Geisterfans bereit. Im ersten Teil dieser Serie waren wir in Großerlach. Von dort aus sind es gerade mal 35 km bis Waiblingen. Auch hier gibt es gleich mehrere schaurige Geschichten.

Die Sage der Totenmesse im Nonnenkirchlein

Waiblingen, 17. Jahrhundert – seit langem ist es Brauch, im Nonnenkirchlein am letzten Tag des Jahres den verstorbenen Bürgern Waiblingens zu gedenken. So will auch eine namentlich unbekannte Witwe auf diese Weise ihren toten Mann ehren. Sie nimmt sich vor, am nächsten Morgen den Gottesdienst zu besuchen. Um ausgeschlafen zu sein, geht sie früh zu Bett. Doch mitten in der Nacht wird sie aus ihrem Schlaf gerissen. Aus dem Nonnenkirchlein dringen Stimmen und Orgelmusik. Als die Witwe aus dem Fenster sieht, entdeckt sie am Fenster der Kirche den flackernden Schein einer Kerze. Aufgewühlt wirft sie sich rasch ihre Sonntagskleider über. Sie rechnet damit, dass die Totenmesse bereits begonnen hat. Die Witwe eilt zur Kirche: Sie liegt richtig.

Allerdings erkennt die Frau weder den Pfarrer wieder noch eine*n der Anwesenden. Zwar wundert sie sich, lauscht aber trotzdem gespannt der Messe. Als am Ende des Gottesdienstes die Opfergaben eingesammelt werden, erschrickt die Witwe. Sie hat ihren Geldbeutel vergessen. So streift sie sich einen Ring als Pfand vom Finger, um diesen später gegen Geld wieder einzutauschen. Sie geht nach Hause und will nach der langen Nacht noch ein paar Stunden schlafen. Gegen Mittag des nächsten Tages wird die Witwe auf der Straße angesprochen, wo sie denn beim morgendlichen Gottesdienst für die verstorbenen Seelen gewesen sei.

Wo ist der Ring?

Verwundert über die Reaktionen der Mitbürger*innen sucht sie den örtlichen Pfarrer auf. Und siehe da: Ihr Ring befindet sich nicht im Beutel mit den Opfergaben. Gemeinsam begeben sie sich im Nonnenkirchlein auf die Suche nach dem Ring. Dieser ist jedoch nicht aufzufinden. Umso mehr erschrecken die Bewohner*innen Waiblingens, als sie den Ring finden: eingemeißelt in einen alten Grabstein. Mit viel Mühe und Not brechen alle gemeinsam das Schmuckstück aus dem Stein heraus. Erleichtert geht die Witwe nach Hause. Ein ähnliches Ereignis ist seither nicht überliefert.

Von Teufeln, Trollen und Totenköpfen

Die Geschichte der Totenmesse im Waiblinger Nonnenkirchlein kann man heute noch in einem Buch über Waiblinger Stadtgeschichten nachlesen. Der Vorsitzender des Heimatvereins, Wolfgang Wiedenhöfer, hat in „Teufel, Trolle und Totenköpfe“ 24 geheimnisvolle Geschichten zusammengefasst, die sich in Waiblingen zugetragen haben sollen. Als Quelle diente ihm dabei die Chronik des Vogts Wolfgang Zacher aus dem Jahr 1666. In seiner Niederschrift stehen zahlreiche Geschichten und Sagen, die ihm damals von Bürger*innen zugetragen wurden. Vieles wurde dem Vorsitzenden des Heimatvereins aber auch von noch lebenden Bewohner*innen Waiblingens erzählt, so Wiedenhöfer in der Stuttgarter Zeitung.

Neben der Sage der Totenmesse besteht das Gerücht, es gebe einen bisher unentdeckten Verbindungsgang vom Kirchenhügel zum heutigen Rathaus. Außerdem sollen eine alte Quellhexe und ein Totenkopf ihr Unwesen in der Stadt getrieben haben. Letzterer spuke im Turm der Stadtmauer und gehöre einem alten Leichnam an, den Tübinger Medizinstudenten im 15. Jahrhundert aufgrund anatomischer Studien entführt haben sollen. Der Schädel des Waiblingers erscheine seitdem in manchen Nächten im Karzer und sei am nächsten Morgen sofort wieder verschwunden.

Wieviel Wahrheit steckt in den Geschichten?

Keine der Gruselsagen lässt sich bisher historisch belegen. „Ein Funken Wahrheit steckt in vielen der Geschichten“, so Wolfgang Wiedenhöfer. Der Totenschädel gehöre sogar irgendwie zur Stadtgeschichte. Ebenso wie die abgeschlagene Ecke an der alten Steinplatte bei der Michaelskirche nahe dem Nonnenkirchlein, in der der Ring der alten Witwe gesteckt haben soll. Wiedenhöfer selbst bietet auch Stadtführungen an, die an das Interesse der Teilnehmenden angepasst werden können. Wer sich jedoch besonders für das Nonnenkirchlein oder die Michaelskirche begeistert, muss sich noch bis zum kommenden November gedulden. Die beiden Gebäude werden momentan saniert und sind nicht für Besucher*innen zugänglich, so die Waiblinger Kreiszeitung. Und trotzdem – Waiblingen lädt mit seinen zahlreichen Anekdoten auf jeden Fall zu einem Besuch ein. Egal ob das Nonnenkirchlein, der städtische Karzer oder auch der Kirchenhügel. Gruselfans haben hier die Gelegenheit, an den vielen Punkten Waiblingens den geheimnisvollen Geschichten auf den Grund zu gehen.

 

 

Gruselgeschichten über verfluchte Orte ziehen ihre Zuhörer förmlich in ihren schaurig-schrecklichen Bann. Ob der Tower of London in England oder das Winchester House in den USA, Gruselorte gibt es überall. Auch in Baden-Württemberg. Diese Reihe stellt drei der sehenswertesten Spukorte im Ländle vor.

Der Fluch von Großerlach

Großerlach am 30. April 1916 – Die Witwe Rosine Kleinknecht vernimmt am frühen Morgen aus dem Stall ihres Bauernhofs lautes Gebrüll. Als sie die Stalltüre öffnet stellt sie fest, dass eines ihrer Kälber losgebunden worden ist und ihr Vieh aufgeregt mit den Hinterbeinen ausschlägt und schwitzt. Sie bindet das Kalb fest und schließt den Stall. 

Kurze Zeit später hört die Witwe das Jungtier erneut brüllen und als sie nachsieht, sind zwei Kälber losgebunden. Wie das passieren konnte, ist für Rosine Kleinknecht unerklärlich, da niemand im Stall gewesen sein kann. Daraufhin bindet sie das Vieh sowohl mit Stricken als auch mit Ketten fest. Ohne Erfolg. Der Vorgang wiederholt sich mehrere Male. Ihr Vieh wird dabei beinahe von den sich zuziehenden Ketten erwürgt.

Der Spuk lässt auch in den beiden darauf folgenden Nächten nicht nach. In der dritten Nacht wacht das kleinste der Kinder auf und behauptet aufgeregt, einen schwarzen Geißbock am Bett der Witwe gesehen zu haben. Als man das Kind aus dem Haus schafft, beginnt auch die siebenjährige Tochter zu phantasieren. Sie bildet sich ein, grüne Augen und Ohren zu haben. 

Von der Ruhe bis zum Chaos

Vom 3. bis 5. Mai wird es ruhiger im Hofe der Witwe Kleinknecht. Eine Woche später droht die Situation jedoch zu eskalieren: Ein Holzscheit fängt auf dem Herd an zu tanzen und kehrt immer wieder zurück, obwohl man ihn mehrmals aus dem Fenster wirft. Am Abend stürzen fünf Milchhäfen vom Brett und zerbrechen. Am 15. Mai findet der Spuk seinen Höhepunkt. Das Vieh im Stall wird geschlagen, alle Milchgeschirre, Mostkrüge, Teller und vieles mehr fliegen auf den Boden oder werden sogar auf Personen geworfen. Ein Augenzeuge packt einen der schwebenden Mostkrüge, woraufhin ihm ein Milchhafen an den Kopf fliegt. Ein Bauer, der den Spuk mit einer Peitsche auszutreiben versucht, wird übel zugerichtet und dem Amtsdiener wird die Mütze vom Kopf geschlagen. 

Zu guter letzt heben sich alle Türen aus den Angeln und fallen zu Boden, die Betten werden zerrissen und mehrere Personen werden durch umherfliegende Gegenstände verletzt. Daraufhin wird der Bauernhof am selbigen Tage von Familie Kleinknecht verlassen und geschlossen. 

Tübinger Professoren sprechen von Schwindel

Die Geschichte vom spukenden Bauernhof machte damals schnell die Runde. Durch zunächst noch regionale Zeitungen, breitete sich die Botschaft immer weiter auf das gesamte Kaiserreich aus.

So kommt es, dass drei Professoren der Psychologie aus Tübingen im Juli 1916 nach Großerlach reisen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sie kommen zu folgendem Ergebnis: „Obwohl wir das Vorhandensein abnormer Vorgänge nicht von vornherein ausschlössen, kamen wir zu der bestimmten Überzeugung, dass ein Grund für eine solche Annahme hier nicht vorliegt“. Das Protokoll der Professoren Oesterreich, Heuchler und Haering kann man noch heute in der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg nachlesen. Das Stadtarchiv Ludwigsburg soll damals den Fall vollständig archiviert haben. So heißt es auf der Homepage der Gemeinde Großerlach.

Großerlach heute

Das beschauliche Dorf im Rems-Murr-Kreis zählt heute mit seiner Anekdote zu den bekanntesten Spukorten weltweit. Im Ranking der Stuttgarter Nachrichten zu den „Top Ten der gruseligsten Orte der Welt“ landete Großerlach 2017 auf Platz 9. 

Die Gruselgeschichte gehört zur Identität der Stadt und ist auch auf der Homepage der Gemeinde nachzulesen. Bürgermeister Christoph Jäger hat Mitleid mit der Witwe Rosine Kleinknecht: „Eigentlich ist das eine tragische Geschichte. Die Frau hat nahezu ihren gesamten Besitz verloren. Bis heute ist nicht klar, was da genau passiert ist. Es gibt nur viele Spekulationen“, sagte er den Stuttgarter Nachrichten.

Die geisterhaften Vorgänge haben sich bis heute nicht wiederholt. Der Spuk-Hof in Großerlach wurde bereits abgerissen. Augenzeugen sind lange verstorben. 

Obwohl die Geschichte unter der lokalen Bevölkerung wenig verbreitet ist, ist Großerlach immer noch eine beliebte Anlaufstelle für vor allem internationale Geisterjäger und Fans von Gruselgeschichten. Noch heute reisen Spukbegeisterte von weit her in den Rems-Murr-Kreis, um den geheimnisvollen Ereignissen um Rosine Kleinknechts Hof auf die Spur zu kommen.

Im zweiten Teil der Reihe geht die Reise nach Freudenstadt. Wer sich bis dahin auch auf Spurensuche nach Großerlach begeben will, kann sich an der hier eingefügten Karte orientieren.