Beiträge

Lassen sich Geister wirklich beschwören oder täuschen uns die eigenen Sinne? Unsere Reporterin hat es beim Gläserrücken ausprobiert. Ein Selbsttest bis zur Schmerzgrenze mit hohen Erwartungen und Vanilleduft.

Ich schalte das Licht aus. Wir sitzen zu dritt im Halbdunkeln um den Tisch im Wohnzimmer unserer Wohngemeinschaft. Darauf liegt ein Kreis aus mit Buchstaben und Zahlen beschrifteter Blätter, in der Mitte stehen ein Glas und zwei weiße Kerzen. Die Kerzen sollen böse Geister fernhalten und verströmen einen aufdringlichen Vanilleduft. Wir legen alle unseren Zeigefinger auf das Glas, dann beginnen wir mit der Séance. „Großer Geist, wir rufen dich“, sagen wir im Chor – und ich muss mir ein Lachen verkneifen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einen Geist beim Gläserrücken zur rufen. Das hat meine Mitbewohnerin Teresa erzählt. Sie ist die Einzige von uns, die schon an solchen Sitzungen teilgenommen hat. Nachdem sich der Geist durch ein Zeichen bemerkbar gemacht hat, sollen wir ihm Fragen stellen. Alles ist erlaubt, nur die Zukunft ist Tabu. Durch das Glas soll sich der Geist uns mitteilen. Denn dieses soll sich nach einer Weile scheinbar von selbst bewegen und erst langsam, später teilweise rasant zu den Blättern rücken. Diese sind mit allen Buchstaben des Alphabets, den Zahlen von 0 bis 10 sowie ja und nein beschriftet. Der auf diese Weise entstandene Text wird als Mitteilung des gerufenen Geistes gedeutet und von einem Teilnehmer oder einer Teilnehmerin der Séance protokolliert.

„Bist du da?“

Auf dem Wohnzimmertisch sind alle Utensilien fürs Gläserrücken aufgebaut.

Gläserrücken in der Wohngemeinschaft (Foto: Hannah V.)

Uns antwortet der Geist vorerst nicht. Wir wiederholen in kurzen Abständen unseren Satz und fragen danach: „Bist du da?“ Aber das Glas bewegt sich nicht. „Vielleicht sollten wir einen anderen Spruch ausprobieren?“, frage ich nach einer Weile. Teresa zuckt mit den Schultern und geht googeln. Unsere Handys haben wir nämlich alle aus dem Zimmer verbannt. Die Signale könnten den Geist stören, habe ich nachgelesen. Deshalb kann ich die Séance auch nicht aufnehmen, was mich als Journalistin ein bisschen stört. Denn ein kurzes Video von uns um den Wohnzimmertisch mit geschlossenen Augen im Kerzenschein wäre bestimmt gar nicht schlecht.

Trotzdem gibt es online etliche Videos von Séancen, die alle angeblich keine Fälschungen sein sollen. Einmal fliegt das Glas plötzlich in die Luft und zerspringt an der Zimmerdecke, ein anderes Mal bewegt es sich, obwohl die beiden jungen Männer ihre Finger zurückgezogen haben. Bei einem Selbstversuch Darmstädter Journalismusstudenten erscheint ein 36-jähriger Geist aus Calw namens Hoep. Ganz ernst kann ich das alles nicht nehmen.

Gläserrücken soll Zugang zu Verborgenem schaffen

Es gab und wird immer Phänomene geben, die Menschen nicht erklären können. Das sei aber laut dem Verein „Sekten-Info Nordrhein-Westfalen“ schwer zu akzeptieren. Wenn Menschen mit Logik oder Wissenschaft nicht weiterkämen, versuchten sie diese Phänomene anders zu deuten. Eine Möglichkeit dafür sind okkulte Praktiken – zu denen neben Kartenlegen, Pendeln oder Astrologie auch Gläserrücken zählt. Das lateinische Wort „okkult“ bedeutet „verborgen“. Okkulte Praktiken sollen demnach Zugang zu diesem Verborgenen schaffen und es begreifbar machen. Gläserrücken gehört zu den beliebtesten gemeinschaftlich betriebenen okkulten Praktiken. Denn es erfordert wenig Aufwand und alle benötigten Gegenstände sind leicht zu beschaffen oder selbst herzustellen. In der Regel werden Séancen nachts durchgeführt – vor allem auch zur Geisterstunde.

Vielleicht hätten wir doch auf Nummer sicher gehen und bis Mitternacht mit unserer Sitzung warten sollen. Seit mehr als zwanzig Minuten rufen wir abwechselnd nach dem großen Geist und fragen, ob jemand mit uns sprechen möchte. Bisher möchte das niemand. Obwohl mein ausgestreckter Arm langsam zu schmerzen anfängt, fühle ich mich sehr entspannt – fast wie im Yoga, wenn wir immer wieder dasselbe Mantra wiederholen. Dennoch frage ich mich, was wir falsch machen. Wir haben einen zweiten Spruch ausprobiert, haben inzwischen die Augen geschlossen und den Tisch gewechselt, weil darin Metall verbaut ist. Eigentlich machen wir alles richtig. Nur durch die Stimmen aus dem Nachbarzimmer könnte sich der Geist jetzt noch gestört fühlen. Meine andere Mitbewohnerin schaut eine Serie. Sie hatte uns von Anfang an für verrückt erklärt. „Ihr spinnt doch“, sagte sie, als ich ihr das erste Mal von unserer geplanten Séance erzählte. Das funktioniere nicht, sei alles wissenschaftlich bewiesen.

Eine wissenschaftliche Erklärung gibt es tatsächlich. Demnach entsteht die Bewegung des Glases durch den so genannten Carpenter-Effekt, den der englische Physiologe William Benjamin Carpenter erstmals 1852 beschrieb. Bei diesem wird durch Gedanken oder Vorstellungen eine Bewegung ausgelöst – wenn beispielsweise beim Autofahren der Beifahrer eine imaginäre Bremse tritt, weil ihm der Fahrer zu schnell fährt. Die Bewegung des Beifahrers resultiert aus dem Wunsch, das Auto zu bremsen. „Während des Gläserrückens baut sich eine ähnliche Erwartungshaltung auf: Funktioniert es oder funktioniert es nicht?“, so der Neurologe Tim von Oertzen im MDR. „Jeder will eigentlich, dass es funktioniert – weil man es ja gerne erfahren möchte.“ Die Wünsche, Hoffnungen oder Ängste der Teilnehmer können zu Muskelkontraktionen führen, die das Glas bewegen. „Es ist nicht so, dass jemand aktiv das Glas schiebt, aber unbewusst werden Bewegungen auf das Glas übertragen“, erklärt von Oertzen. Gläserrücken werde deshalb auch durch die bewusste oder unterbewusste Zielvorstellung der beteiligten Personen beeinflusst. Wenn die Teilnehmer*innen demnach eine positive Einstellung haben, erhalten sie eher ein positives Resultat; sind sie negativ eingestellt fällt dieses eher negativ aus.

„Wir hatten nach der Sitzung solche Angst“

Teresa hat als 13-Jährige bereits an einer erfolgreichen Séance mit Freundinnen teilgenommen. Damals hat sich tatsächlich ein Geist bemerkbar gemacht – zumindest vermutet sie das. Ganz sicher ist sie sich nicht. „Es kann immer jemand dabei sein, der sich einen Spaß daraus macht und das Glas absichtlich verrückt“, sagt sie. „Trotzdem hatten wir nach der Sitzung solche Angst, dass wir lieber bei meiner Freundin übernachtet haben, statt nach Hause zu fahren.“

Es gibt in Deutschland mehrere Beratungsstellen der Bundesländer, Kirchen oder Polizei, die über Okkultismus aufklären. Zwar scheinen hierzulande nicht viele Menschen regelmäßig an okkulten Praktiken teilzunehmen – offizielle Zahlen dazu gibt es keine, aber dennoch kommt es auch zu tragischen Vorfällen. So wie vor mehr als zwanzig Jahren in Forchheim. Dort hatte der vermeintliche Geist seines verstorbenen Freundes dem 15-jährigen Thomas und dessen 18-jährigen Freund Markus beim Gläserrücken erzählt, wie süß das Sterben sei. Woraufhin sich die beiden Jugendlichen mit Auspuffgasen das Leben nahmen. Der geplante Selbstmord zweier weiterer Mitglieder der Clique konnte nur durch Zufall verhindert werden.

Kein Spuk im Stuttgarter Altbau

So dramatisch geht unsere Sitzung zum Glück nicht zu Ende. „Wie war die Erfahrung für euch?“, fragt Teresa in die Runde, während ich das Licht einschalte. „Enttäuschend“, sagt mein Freund Alex. Nachdem uns fast vierzig Minuten kein Geist geantwortet hat, haben wir die Séance beendet. Und ich fühle mich darin bestätigt, dass es keine Geister gibt. Dabei war ich wirklich offen dafür, mich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. „Kurz hatte ich wirklich das Gefühl, das Glas hätte sich bewegt“, sagt Teresa. „Aber als ich die Augen aufgemacht habe, stand es noch an genau derselben Stelle wie vorher.“ Wir schweigen betreten. „Vielleicht lag es am Ort?“, frage ich. Wir wohnen zwar in einem Stuttgarter Altbau – aber das will ja nichts heißen. „Nächstes Mal sollten wir auf den Friedhof gehen“, sagt Teresa. Ich stelle mir vor, wie wir im Kreis um unsere beschrifteten Blätter sitzen und die Vanillekerzen flackernde Schatten an die Grabsteine werfen. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?