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Ni Kungs Roman Haar

Der bekannte Hongkonger Schriftsteller Ni Kuang hat über 300 Wuxia- und Science-Fiction-Romane und mehr als 400 Drehbücher geschrieben. Er ist als einer von vier Gelehrten Hongkongs bekannt. Eine seiner repräsentativsten Arbeiten, die „Wisely-Serie“, besteht aus 156 Abenteuer-Science-Fiction-Romanen, die er zwischen 1963 und 2004 veröffentlicht hat.

Cover von Haare (頭髮),  Wisely, 17. Auflage, Mingjing, Hongkong.

Cover von Haare (頭髮),  Wisely, 17. Auflage, Mingjing, Hongkong. Quelle

Im Jahr 1978 hat er für diese Reihe eine Kurzgeschichte mit dem Titel „Haare“ geschrieben. Es geht um Wiselys Abenteuer in Nepal, wo er einen antiken Tempel mit uralten Geheimnissen entdeckt. Im Tempel, so die Geschichte, wurden uralte Artefakte ursprünglich von Außerirdischen zurückgelassen, so dass Menschen den fremden Planeten finden könnten. Wie Wisely herausfindet, sind die Vorfahren der Menschheit nämlich von fernen Planeten gekommen. Aber wegen ihrer Sünden wurden sie auf die Erde verbannt. Danach habe man ihre Sünden ausgelöscht. Bedauerlicherweise wurden sie aber auch ihrer Intelligenz, Unsterblichkeit und der Funktion ihrer Haare beraubt. Das heißt, dass die Menschen sich vom Primitiven noch einmal neu entwickeln mussten.

Was ist die Funktion von Haaren?

Ni Kuang wirft in dieser Geschichte die folgende Frage auf: Was ist die Funktion von Haaren? Schließlich sind Menschen die einzigen Lebewesen auf der Erde, die lange Haare auf dem Kopf haben. Im jungen Alter erzählte man uns vielleicht deswegen, dass die Haare zum Schutz des Kopfes da wären. Dabei hat der Kopf doch mit seinem harten Schädel schon genug Schutz. Und selbst wenn Menschen eine Glatze tragen, hat es keinen Einfluss auf ihr alltägliches Leben. Ist es also wirklich notwendig, etwas so Weiches wie Haare zum Schutz des Kopfes zu besitzen? Jedes Lebewesen auf der Erde hat sich langsam über Millionen von Jahren entwickelt, um sich an die Natur anzupassen. Die Evolution hat fast alle nutzlosen Kreaturen und die nutzlosen Teile heutiger Arten eliminiert. Doch das Haar ist immer noch vorhanden – warum?

Mutige Fantasie in Ni Kuangs Science-Fiction

In seiner Geschichte vermutet Ni Kuang, dass unsere Haare früher eine konkrete Funktion hatten. Früher hätten die Menschen jedes Haar wie einen Finger kontrollieren können. Mit derart vervielfachten Fingern hätten die Menschen viel effizienter gearbeitet als aktuell. Grundsätzlich könnte die Menschheit diese Fähigkeiten immer noch hervorbringen, wenn sie zu ihrem Heimatplaneten zurückfinden würde. Mit einer kleinen Einschränkung: Nur den unschuldigen Menschen wird es erlaubt sein, eines Tages zurückzukehren. Alles nur Science-Fiction?

Alle großen Propheten der Menschheits-Geschichte wie Shakyamuni, Jesus, Mohammed oder Lao seien von diesem fernen Planeten auf die Erde gesandt worden. Damit sie den Menschen diese Weisheit beibringen. Ihre Seelen fuhren in die Körper von Säuglingen und wuchsen in diesen Gestalten auf. Letztendlich geht es auch Ni Kuang darum, die menschliche Güte zu fördern: Solange die Menschen von ganzem Herzen gut sind, könnten sie auf den Heimatplaneten zurückkehren, der das sogenannte Paradies ist. Deshalb seien die vier einflussreichsten Religionen der heutigen Welt im Kern so ähnlich. Sie alle raten dem Menschen, gut zu sein: auch Humanismus genannt.

Obwohl diese Annahme zunächst einmal erstaunlich klingt, formuliert der Autor sie äußerst rational. Religionen bringen nicht nur die Inspiration, sondern beruhen auch auf einem philosophischen System. Die Seele ist ewig, während der Körper zeitlich begrenzt ist.

Eine andere Geschichte über Haare in der Bibel

Dass die Haare eine Schlüsselrolle in Ni Kuangs Kurzgeschichte darstellen, ist nicht unbedingt außergewöhnlich. In vielen verschieden Kulturen spielen die Haare eine Rolle als Topos. Die Vorstellung, dass die Haare eine geheimnisvolle Fähigkeit haben, ist auch in der Bibel vorhanden. So gibt es im Alten Testament eine ähnliche Geschichte über Haare. Der Held Samson hat unbezwingbare Kräfte und tötet Hunderte von den feindlichen Philistern. Später verliebt er sich in eine Frau, die Delila heißt. Aber diese Frau ist auch eine Philisterin. Sie fragt Samson immer und immer wieder, warum er so stark ist. Nach einiger Zeit verrät er ihr tatsächlich sein Geheimnis: Die Herkunft seiner Kraft sind seine Haare. Sollten die Haare einmal geschnitten werden, würde er seine komplette Stärke umgehend verlieren.

Caravaggio, born Michelangelo Merisi, 1571-1610, Imitator. "Samson and Delilah". (Judges 16,20-21). Oil on canvas

Caravaggio, born Michelangelo Merisi, 1571-1610, Imitator. „Samson and Delilah“. (Judges 16,20-21). Oil on canvas

Delila verrät den Philistern diese Geheimnis. Als Samson am nächsten Tag aufwacht, hat sie seine Haare bereits abgeschnitten und er hatte seine Kraft verloren. Die Philister können ihn gefangen nehmen und stechen ihm die Augen aus.

Eines Tages feiern die Philister ein großes Fest und holen Samson aus dem Gefängnis, weil sie ihn demütigen möchten. Aber Samsons Haare sind in der Zwischenzeit wieder gewachsen. Deshalb betet er zu Gott, um seine Kraft wiederzuerlangen. Und tatsächlich gewährt Gott ihm diesen Wunsch. Auf dem Fest tötet Simon schließlich alle seine Peiniger.