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Ramsaier steht zwischen Urnen, Särgen und Kreuzen in seinem Bestattungsinstitut

Ist nach dem letzten Atemzug alles vorbei? Der Bestatter Helmut Ramsaier glaubt das nicht. Bei seiner Arbeit spürt er die Aura der Toten.

Mit einem Ruck öffnet Helmut Ramsaier die Tür des Kühlraums. Im Halbdunkel liegen drei tote Frauen auf Metallliegen. Laken bedecken ihre Körper, nur die erstarrten Gesichter schauen hervor. Während zwei Verstorbene bereits auf ihre Überführung nach Tunesien und Griechenland warten, ist die dritte noch nicht versorgt worden. Ihr Mund steht halb offen, die schütteren Haare sind zerzaust. „Meine Mitarbeiter haben sie erst heute Morgen abgeholt“, sagt Ramsaier entschuldigend.

Ramsaier – weißes Haar, schwarz gekleidet – ist Bestatter in der dritten Generation. Schon seit seiner Kindheit wird er mit dem Tod konfrontiert und zwar täglich. An den ersten toten Menschen, den er gesehen hat, kann er sich nicht mehr erinnern. Auch nicht, wie viele danach kamen. „Da ist so viel überlagert“, sagt er. „Es wird Alltag.“ Ein Alltag, der ihn nach wie vor schwer belastet. „Es gelingt mir mit zunehmendem Alter immer weniger, abends den Schlüssel rumzudrehen und die Eindrücke des Tages hinter mir zu lassen.“

Einerseits will Ramsaier Nähe zulassen, andererseits sich selbst schützen. Für ihn ist das ein täglicher Spagat, der nicht immer gelingt. Besonders schwer sei es, wenn er den Verstorbenen oder die Verstorbene kenne und wenn Kinder sterben. „Das sind Dinge, die können einen nicht kalt lassen“, sagt er. Oft wache er dann nachts mehrmals auf und das teilweise eine ganze Woche lang. Was in seinen Träumen passiert, bevor er aufschreckt, daran kann er sich nicht erinnern. Nie. „Vielleicht ist das ein körpereigener Selbstschutz, den ich entwickelt habe.“

„Das ist wie bei der Mafia“

Ursprünglich wollte Ramsaier beruflich etwas ganz anderes machen. Nach der Schule hat er eine Ausbildung im Sozialrecht gemacht, acht Jahre im Sozialministerium gearbeitet. „Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass ich diesen Weg nicht bis zur Pensionierung gehen möchte“, sagt Ramsaier. Deshalb hat er seine sichere Stelle als Beamter aufgegeben und wurde Bestatter, so wie sein Vater und Großvater vor ihm. Auch sein Sohn hat diesen Weg nach seinem Wirtschaftsstudium eingeschlagen. „Das ist wie bei der Mafia, da wird man hineingeboren“, habe er einmal gesagt, erzählt Ramsaier Senior.

Es ist ein gewagter Vergleich. Vor allem, weil Ramsaier seit mehr als 40 Jahren gegen den schlechten Ruf der Bestatter*innen ankämpft. „Wir wollen den Beruf endlich aus der Schmuddelecke rausholen“, sagt Ramsaier. Das fange schon mit dem Bild an, das viele Menschen von Bestatter*innen hätten: „Die denken, wir sitzen den ganzen Tag im Keller. Und was im Keller ist, hat keinen Wert.“ Deshalb befinden sich in seinem Bestattungsinstitut in Stuttgart-Vaihingen alle Räume über der Erde. Auch für die Toten tritt er ein. So hat er erreicht, dass im baden-württembergischen Bestattungsgesetz inzwischen von Verstorbenen statt von Leichen gesprochen wird – für ihn ein würdevollerer Begriff.

Verstorbene nehmen Lieblingskleider mit ins Grab

Instrumente im weißgekachelten Aufbereitungsraum des Bestattungsinstiuts Ramsaier

Haarbürste, Faden, Wildrosenseife: Helmut Ramsaiers Ausrüstung als Bestatter (eigene Aufnahme)

Ein Mitarbeiter des Bestattungsinstituts kümmert sich inzwischen um die tote Frau mit den schütteren Haaren. Er hat sie auf ihrer Metallliege in den angrenzenden Raum geschoben. Dort werden die Verstorbenen medizinisch versorgt, wie es in der Fachsprache heißt. An der weißgekachelten Wand hängt eine Lehrtafel, die den menschlichen Körper zeigt. Die abgebildeten Knochen, Muskeln, Sehnen und Organe sind beschriftet. Darunter steht ein Metallschrank, auf dem nicht nur medizinisches Besteck, Kämme und Spulen mit Faden liegen, sondern auch eine Wildrosenseife von Weleda auf ihren Einsatz wartet.

Ungefähr 750 Bestattungen führt Ramsaier im Jahr durch. Acht von zehn Toten werden dabei aufgebahrt. Bevor die Angehörigen sich von ihren Verstorbenen verabschieden können, haben er und seine Mitarbeiter*innen viel zu tun: Nase und Speisröhre verschließen sie mit Watte, damit keine Gerüche entweichen können. Ober- und Unterkiefer nähen sie zusammen. Und geöffnete Augenlieder schließen sie, indem sie eine Plastikkappe mit kleinen Spitzen unter diese schieben. Danach frisieren sie die Verstorbenen wie zu Lebzeiten und schminken sie dezent. „Wir wollen, dass die Aufgebahrten für ihre Angehörigen vertraut aussehen“, sagt Ramsaier. Dazu gehört auch, dass sie im Sarg ihre Lieblingskleider tragen – also eher ein kariertes Hemd statt einem formellen Anzug.

Ramsaier ist es sehr wichtig, mit allen Verstorbenen liebevoll umzugehen. „Weil sie sich nicht mehr wehren können“, sagt er. Dennoch fühlt er sich manchen näher als anderen. Wenn sich im Beratungsgespräch mit den Angehörigen eine gewisse Vertrautheit entwickelt habe, übertrage sich das auf seine Arbeit danach. Es gibt aber auch tödliche Krankheiten, die diese Nähe für ihn erschweren – zum Beispiel Nierenversagen. Die Betroffenen scheiden einen Großteil der Schadstoffe über die Haut statt wie sonst über den Urin aus. „Das führt zu einem sehr unangenehmen Geruch“, erklärt der Bestatter. „In unserer Branche sagen wir dann: Der hat ein sehr intensives Deo“.

„Tote Menschen haben eine Aura“

Wenn Ramsaier sich um Verstorbene kümmert, spürt er ihre Präsenzen. Für ihn sind sie noch anwesend, auch wenn sie schon gegangen sind. „Es gibt Menschen, die haben eine bestimmte Aura, auch wenn sie tot sind“, versucht er sein Empfinden zu erklären. „Man nimmt wahr, ob jemand gut gewesen ist oder gravierende Ecken und Kanten hatte.“ Besonders stark spüre er diese Aura bei sogenannten Anthroposophen und Anthroposophinnen. Ihrer spirituellen Weltanschauung nach besteht ihr Wesenskern fort und verlässt drei Tage nach dem Tod ihren Körper.

Auch Ramsaier glaubt an ein Leben nach dem Tod. „Ich komme aus einem evangelischen Elternhaus, bin aber außerdem geprägt durch den tibetanischen Lamaismus.“ Er könne sich einfach nicht vorstellen, dass mit dem Tod alles ende. „Da bin ich nicht konform mit der Auffassung meiner Frau“, so der Bestatter. „Die sagt ganz klar: Mit dem letzten Schnaufer ist alles vorbei.“