Geister darzustellen ist nicht einfach, denn niemand weiß wirklich, wie sie aussehen. Geister sind nicht sichtbar, nicht für jeden. In M. Night Shyamalans Film „The Sixth Sense“ jedoch sieht das etwas anders aus.
Der kleine Junge Cole ist bei einem Psychologen in Behandlung. Dr. Malcom Crowe ist ein bekannter und preisgekrönter Kinderpsychologe und versucht dem Achtjährigen zu helfen. Denn er ist in der Schule auffällig, hat keine Freunde und zeichnet tote Menschen. Doch erst als dieser damit herausrückt, dass er tote Menschen sehen kann, weiß der Psychologe, was wirklich mit ihm los ist. Cole fürchtet sich vor den Toten, denn sie sind sehr wütend, greifen ihn sogar an und wollen, dass er ihnen hilft. Zum Beispiel wollen sie, dass er für sie mit ihren Angehörigen spricht. Er entfremdet sich von seiner Mutter, die mit der Situation überfordert ist.
Dr. Crowe weiß zuerst nicht, ob er dem Jungen glauben soll, dass er wirklich Geister sieht. Erst, als er bei den Tonbändern aus einer Therapiesitzung eines früheren Patienten ganz genau hinhört, erkennt er Parallelen zu Coles Fall. Auf den Tonbändern sind Stimmen von mehreren Personen zu hören, obwohl der Patient ganz allein im Behandlungszimmer war. Auch der frühere Patient hatte behauptet, mit toten Menschen sprechen zu können. Dr. Crowe empfiehlt daraufhin Cole, mit den Geistern zu sprechen, um herauszufinden, was sie von ihm wollen.
Unzuverlässige Erzählweise
Besonders spannend ist die narrative Struktur des Filmes aus dem Jahre 1999, die die Zuschauer*innen hinters Licht führt. In der ersten Szene wird Dr. Crowe in seinem Haus von dem ehemaligen Patienten, der behauptete Geister sehen zu können, niedergeschossen. In der nächsten Szene hat Dr. Crowe seine Arbeit als Psychologe bereits wieder aufgenommen. Seine Frau und er reden allerdings nicht mehr miteinander. Sie scheinen sich voneinander entfernt zu haben. Außerdem beobachtet Dr. Crowe, wie sie halbherzig versucht, andere Männer zu treffen.
Erst durch den neunjährigen Cole wird ihm am Ende klar, dass auch er selbst ein Geist ist und den Schuss aus der Anfangsszene nicht überlebt hat. Seine Frau trauert um ihn und spricht deshalb nicht mit ihm, weil sie ihn nicht sehen kann. Eines Abends schläft sie vor dem laufenden Fernseher ein und Dr. Crowe setzt sich neben sie. In dem Moment fällt ihr sein Ehering aus der Hand.
Erst jetzt begreifen auch die Zuschauer*innen, dass Dr. Crowe ein Geist ist. Da er äußerlich aussieht wie ein Mensch und auch mit Cole interagiert, gab es zuvor für die Zuschauer*innen keinen Hinweis darauf. Der kleine Cole stellt die von M. Night Shyamalan erschaffene Verbindung zwischen der Welt der Geister und der Welt der Lebenden dar. Die Unzuverlässigkeit des Erzählens beruht darauf, dass für den Zuschauer die Existenz einer Welt der Geister lange nicht offensichtlich wird. Die anderen Geister, mit denen Cole spricht, weisen in den meisten Fällen deutliche äußerliche Veränderungen auf. Man kann erkennen, woran sie gestorben sind. Bei Dr. Crowe ist das jedoch nicht so. Der Film lässt Details aus, wie zum Beispiel, dass Menschen in Dr. Crowes Umgebung nicht auf ihn reagieren. Dadurch werden die Zuschauer*innen hinters Licht geführt. Auch bei der Veröffentlichung des Filmes im Jahre 1999 waren die Zuschauer*innen überrascht vom Ende des Filmes. Andere Stimmen empfanden die Unzuverlässigkeit des Erzählers nicht stark genug, und deshalb das Ende als zu vorhersehbar. „The Sixth Sense“ löste außerdem eine Welle des unzuverlässigen Erzählens in vielen anderen Filmen, wie zum Beispiel „The Others“ (2001), um die Jahrtausendwende aus.
Die überraschende Wende am Schluss
Weil Dr. Crowe über einen großen Teil des Films hinweg selbst nicht weiß, dass er ein Geist ist, bleibt auch der Zuschauer im Dunkeln darüber. Erst im „finalen Plot Twist“ (Kehrtwende am Ende der Handlung) wird dieses wichtige Detail deutlich und verändert damit die gesamte Handlung. Dr. Crowe schafft es dann endlich, nachdem er Cole geholfen und sich von seiner Frau verabschiedet hat, seinen Tod anzuerkennen. Auch Coles Mutter glaubt ihm zuerst nicht, als er sich endlich traut, ihr von den Geistern zu erzählen. Aber als er die Antwort auf eine Frage kennt, die seine Mutter ihrer verstorbenen Mutter bei der Beerdigung gestellt hatte, glaubt sie ihm. Die Frage war „Do I make you proud?“ und die Antwort ist „Everyday“.
Wer wissen möchte, wie Geister in den Serien „Bojack Horseman“, „Friends“ und „Mad Men“ vorkommen, sollte sich diesen Beitrag einmal ansehen.
Weiterführende Literatur:
Orth, D. (2006). Der unbewusste Tod. Unzuverlässiges Erzählen in M. Night Shyamalans THE SIXTH SENSE und Alejandro Amenabars THE OTHERS, In: Helbig, J. [Hrsg.], Camera doesn’t lie. Spielarten erzählerischer Unzuverlässigkeit im Film. Trier: WVT Wiss. Verl, 285-305.