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Hast du dich schon jemals gefragt, wer dein persönlicher Alltagsheld ist? Wenn ich die Augen schließe und dann kurz blinzle, sehe ich ganz genau vor mir, wer meine Alltagshelden sind… Ich habe genau vier Menschen, die mir bei dieser Frage in den Kopf kommen. Und mit diesen vier teile ich mir eine WG.

Nach einem langen Wochenende, das ich mal wieder bei meinen Eltern oder meinem Freund verbracht habe, schließe ich die Wohnungstür auf. Es riecht unangenehm. Ist das der nichtentsorgte Biomüll? Oder der Alkohol von der Geburtstagsfete meiner Mitbewohnerin? Ich mache einen Schritt ins Wohnzimmer. Der Fußboden klebt. Wie aus einem Reflex heraus verdrehe ich die Augen und bin kurz genervt, als ein Schwarm Fruchtfliegen an mir vorbeisurrt. Herzlich Willkommen in meiner WG! Zielstrebig in die Küche, wo eine einsame Made die Wand hinaufkriecht. Von einem Anfall gepackt, nehme ich den leicht grünlich schimmernden, flaumigen, aufgeschnittenen Brotlaib meines Mitbewohners und pfeffere ihn in den Mülleimer – nein, halt, der ist zu voll. Ich bringe also den Müllbeutel in die Mülltonne und entsorge den Brotlaib dann. Hinterher kratze ich die angeklebten Nudelreste aus dem Abflusssieb unseres Spülbeckens.

Dann halte ich kurz inne. Ich muss an mein schönes vergangenes Wochenende denken. Jede einzelne Minute war verplant. Immer hatte ich Menschen um mich herum oder irgendwas zu tun. Und jetzt auf einmal kriecht für einen kleinen Augenblick diese blöde Einsamkeit in mir hoch. Richtig allein fühle ich mich in diesem einen kurzen Moment, während ich so in der Küche stehe und den Müll meiner Mitbewohner entsorge.

Und dann… reißt plötzlich eine meiner Mitbewohnerinnen ihre Zimmertür auf und hüpft singend die Treppe herunter. Im gleichen Augenblick dreht sich der Schlüssel im Haustürschloss und mein Mitbewohner kommt herein. Lässt sich auf die Couch fallen und schaltet den Fernseher ein. Mein ganzer Groll von vorher verfliegt, der Müll ist mir auf einmal egal und ich bin einfach nur froh, dass ich nicht mehr allein bin. Da ist plötzlich dieses Gefühl von Geborgenheit, von zuhause sein, das mir diese Menschen geben ohne etwas Besonderes zu tun. Einfach nur durch ihre Anwesenheit.

An einem anderen Tag liege ich im Bett und krümme mich vor Bauchschmerzen. Seit Tagen bewege ich mich nur zwischen Bett und Bad hin und her. Ab und zu schleppe ich mich in die Küche, um Tee zu kochen. Am liebsten wäre ich wieder fünf Jahre alt und hätte meine Mama um mich herum, die mir Zwieback und geriebenen Apfel bringt und jede Stunde mit einer heißen Tasse Tee in mein Zimmer kommt. Aber ich bin 20 und wohne nicht mehr zuhause. Meine Mama bringt mir keinen Tee oder besorgt Medikamente. Irgendwann schleppe ich mich dann doch ins Wohnzimmer unserer WG und mir steigt ein Geruch nach deftigem Abendessen in die Nase. Gaisburger Marsch. Sehr lecker eigentlich, aber in Anbetracht der Tatsache, dass ich seit Tagen unter Übelkeit leide, übergebe ich mich fast.

Und dann… stehen auf einmal meine völlig besorgten Mitbewohner vor mir und fragen, was sie für mich tun können. Eine von ihnen kocht mir Tee. Einer schaltet den Fernseher ein und versucht eine möglichst lustige Serie mit mir zu gucken, um mich aufzumuntern. Die dritte im Bunde beginnt schon einmal damit, Suppe zu essen. Und so sitzen wir letztendlich alle fünf in unserem kleinen Wohnzimmer, ich trinke Tee, die anderen löffeln Suppe. Mir ist unendlich schlecht, aber innerlich muss ich grinsen. Über die Situation, über meine Mitbewohner, über uns alle und vor allem darüber, dass die vier mich so lieb aufgemuntert haben. Eigentlich zeichnen sich Helden durch „außergewöhnliche“ und „mutige“ Taten aus. Aber für mich sind meine Mitbewohner Alltagshelden. Das kurze Lächeln und die singende Mitbewohnerin, wenn ich mich einsam fühle. Die heiße Tasse Tee, wenn ich krank bin. Die doof-lustige Serie, um mich zum Lachen zu bringen. Für mich sind das außergewöhnlich liebe kleine Gesten. Wenn ich höre, wie sich Mitbewohner in anderen WGs gegenseitig ignorieren oder gar nichts voneinander mitbekommen und wenn ich erfahre, wie sie gar nicht aufeinander achten, dann weiß ich, dass ich vier Alltagshelden in meiner Wohngemeinschaft habe.

Und was den stinkenden Müll angeht, die Nudeln im Abflusssieb und den dreckigen Boden… Manchmal nervt das, manchmal stört es mich, manchmal bin ich (zugegebenermaßen) auch selbst schuld daran. Aber wenn ich an all die positiven Eigenschaften meiner Mitbewohner denke, dann kann ich all diese kleinen Dinge, die mich manchmal stören, einfach außer Acht lassen.

Vielleicht sind wir fünf – jetzt zähle ich mich auch dazu – nicht kühn und mutig und tapfer, so wie es die Helden der Geschichte waren, aber wir haben die außergewöhnliche kleine Gabe aufeinander Acht zu geben, wenn wir uns brauchen. Und das sollte doch genug sein, um uns als Alltagshelden bezeichnen zu können.

 

(Das Beitragsbild zeigt ein zuckersüßes Lebkuchenhaus. Ein Produkt der Weihnachtsbäckerei meiner WG-Alltagshelden)