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Karl Marx Statue in Leipzig

Welche Personen sind überhaupt Helden? Diese Frage klingt einfach, ist aber in Wirklichkeit sehr schwer. Die „Umstrittene Helden“-Serie des Heldenblogs wagt einen Antwortversuch.

Im derzeitigen „Karl-Marx-Jahr“ wird wieder viel über den Gesellschaftstheoretiker geredet. Auch Menschen, die dem Marxismus politisch nicht nahestehen, verfallen dabei oft in ein eine leicht verklärte Art der Heldenverehrung.  Meiner Ansicht nach zu Unrecht. Insbesondere weil ich selbst keineswegs alle Erkenntnisse von Marx für falsch halte, ist es meiner Meinung nach falsch und möglicherweise sogar gefährlich, sich nicht kritisch mit den Theorien dieses Menschen auseinander zu setzen. Warum Marx, für seine Zeit sicher ein kluger und analytischer Denker, kein Held war, erfahrt ihr in folgendem Artikel.

Kritik an der marxistischen Praxis

In der Vergangenheit wurde bereits oft der Versuch unternommen, die marxistische Theorie in der Praxis umzusetzen. Nach Marx soll der Weg zur klassenlosen Gesellschaft über den Sozialismus, eine sogenannten Diktatur des Proletariats, also der Arbeiterklasse, gegangen werden.

Als Gegenentwurf zum kapitalistischen Wirtschaftssystem, in dem Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, setzte der real existierende Sozialismus auf eine zentral gesteuerte Planwirtschaft, nach welcher ein Komitee aus Experten den Bedarf der Bevölkerung berechnet und produzieren ließ. Als negatives Beispiel ist die wirtschaftliche Lage in der ehemaligen DDR (Deutsche Demokratische Republik) bekannt ­– auch noch in der Erinnerung vieler Betroffener. Das Problem der Planwirtschaft liegt in der Praxis in der Schwierigkeit begründet, den Bedarf von Menschen im Voraus zu berechnen. Es liegt in der Natur des Menschen, seine Bedürfnisse zu ändern, mit Trends zu gehen oder auch einen kompletten Wandel zu durchleben. Auf derartige Änderungen kann die statische Planwirtschaft so gut wie gar nicht reagieren, was Engpässe und Überproduktion zur Folge hat. In der DDR betrug die Wartezeit für ein Auto beispielsweise nicht selten über fünf Jahre. Ebenso waren lange Warteschlagen vor Geschäften, die gerade neue Ware geliefert bekommen hatten, nicht selten.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Schriften von Marx nicht eindeutig verstanden werden, unvollständig sind und viel Raum für Interpretation lassen. Beispielsweise beschrieb Marx nirgendwo, wie die marxistische Gesellschaft konkret auszusehen habe. Diese vagen Formulierungen führten in der Vergangenheit zu furchtbarem Missbrauch an dessen Spitze einige der furchtbarsten Diktatoren der Welt wie Stalin, Mao Zedong oder Pol Pot zu nennen sind. Diesen Missbrauch kann man Marx zwar nicht persönlich anlasten, dennoch zeigt es seine Fehleinschätzungen bezüglich der menschlichen Natur deutlich auf.

Kritik an der marxistischen Theorie

Den Marxismus hier auch nur ansatzweise voll auszuführen sprengt den Rahmen dieses Beitrags bei weitem. Deshalb hier ein Versuch, den Kerngedanken seiner Theorie verständlich auf den Punkt zu bringen.

Das Ziel des Marxismus ist eine klassenlose Gesellschaft. Das bedeutet, dass es keinen Privatbesitz an Produktionsmitteln wie z.B. Maschinen gibt. Diese Gesellschaft soll nach Marx eine in Frieden und Wohlstand lebende „ideale“ Gesellschaft sein. Erreicht werden kann diese jedoch nur durch eine internationale Revolution der Arbeiterklasse, die keine Produktionsmittel besitzt, gegen die Klasse der Kapitalisten, die Produktionsmittel besitzende Klasse, welche die Arbeiterklasse über die Lohnarbeit ausbeutet.

Hierbei fällt bereits auf, dass sich die Theorie von Marx auf historische Verhältnisse bezieht, die sich nicht eins zu eins auf die Gegenwart oder gar die Zukunft übertragen lassen. Bereits in der heutigen Welt ist eine Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse kein unabänderliches Schicksal mehr, wie es zu Marx Zeit nahezu der Fall war. Durch neue Technologien lässt sich darüber hinaus keine klare Trennung zwischen Produktionsmitteln und Nicht-Produktionsmitteln ziehen. Ein Notebook kann beispielsweise nur zum privaten Vergnügen eingesetzt werden aber genauso gut die Basis für die Gründung eines Unternehmens sein, welches Software verkauft oder Webseiten erstellt und betreut.

Zuletzt bedachte Marx bei der internationalen Revolution nicht, dass es zwischen verschiedenen Kulturen große Differenzen gibt, die ein internationales Zusammenwirken erschweren oder sogar unmöglich machen. Wie utopisch es ist, eine komplexe Idee wie den Marxismus international umzusetzen, sieht man vielleicht am besten daran, dass die heutige Welt noch weit von der grundlegenden Einhaltung elementarer Menschenrechte entfernt ist, da die Vorstellungen hier auseinander gehen. Beispielsweise ist es in China oder Japan möglich seine Menschenwürde zu verlieren, während diese in westlichen Gesellschaften als unantastbar gilt.

Warum also kein Held?

Warum Marx aus meiner Sicht definitiv nicht als Held, jedoch durchaus als großer Denker anzusehen ist, liegt unter anderem auch daran, dass sein Vermächtnis eher etwas ist, aus dem man lernen kann und sollte, als etwas, dem man nacheifern kann. Das Vermächtnis eines Helden ist für mich etwas, dass mehr Positives als Negatives für die Nachwelt bewirkt hat. Angesichts der 100 Millionen Todesopfern* weltweit , die zumindest in indirekter Verbindung zum Marxismus stehen, ist eine Verehrung mit Statuen und Denkmälern für Marx nicht angemessen.

Um es mal anders zu formulieren, vielleicht wäre Marx für mich ein Held gewesen, wenn er zu Lebzeiten eine Art Kommune gegründet hätte, die nach marxistischen Idealen lebt und unbestreitbar nachweist, dass die Theorie in der Praxis umsetzbar ist. Heute hingegen wird Marx von denen überschattet, die seine Theorien anstelle seiner selbst meist zum Negativen umgesetzt haben. Ob dies in Missverständnis oder böswilliger Fehlinterpretation begründet war, kann ich nicht beurteilen.

Zuletzt hat Marx der Welt auf jeden Fall Ideen und Analysen hinterlassen, jedoch keine Heldentaten.

* Schwarzbuch des Kommunismus, 1997

Beitragsbild: https://pixabay.com/de/marx-karl-kommunismus-historisch-2662378/

Vielleicht siehst du es ja anders. Lies hier die Gegendarstellung von Marie und stimme hier ab, ob Marx ein Held ist, oder nicht.

Gesellschaftstheoretiker, Ökonom, Philosoph ‒ und Hipster!? Karl Marx ist so populär wie nie, seine Theorien haben Hochkonjunktur. Doch was ist davon noch aktuell, was aus der Zeit gefallen? Und wie steht es heute um das ‚Gespenst des Kommunismus‘?

Karl Marx wird 200 Jahre alt ‒ die deutschen Medien gratulieren höflich. „Karl Marx ‒ der deutsche Prophet“ lautet der Titel eines Doku-Dramas, das im ZDF gezeigt wird. Die Süddeutsche kommentiert: „Die Lektüre von Marx ist ein Schlüssel zur Welt von heute“, bezeichnet ihn als ‚Visionär‘. In seiner Geburtsstadt Trier gipfeln die Feierlichkeiten in Marx-Statue und Marx-Ampelmännchen. Manche(r) Journalist*in dürfte noch Tage nach dem Jubiläum in einer Eistonne liegen und den von Schreibkrämpfen geschüttelten Körper kurieren. Marx, der Visionär und Prophet ‒ was ist von seinen Vorhersagen heute noch übrig? Waren seine ‚Prophezeiungen‘ zutreffend oder bloße Kaffeesatzleserei?

Auch Päpste fürchten Gespenster

Karl Marx und Friedrich Engels als Statue in Berlin (Foto: Pixabay).

Die Autoren des „Manifests der Kommunistischen Partei“ als Statue in Berlin (Foto: jensjunge, Pixabay.com).

„Ein Gespenst geht um in Europa ‒ das Gespenst des Kommunismus.“ So beginnt das „Manifest der Kommunistischen Partei“ von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Jahr 1848. In dieser Zeit ist ‚Kommunismus‘ ein Kampfbegriff. Er wird verwendet, um politische Gegner*innen zu verunglimpfen. Bei den Herrschenden verursacht das Wort Albträume. Sie wollen ihren Untergebenen den bösen Geist austreiben ‒ am liebsten per Exorzismus. Selbst der Segen von Papst Pius IX. ist ihnen dabei sicher. Denn für Pius IX. ist Kommunismus eine Seuche und einer der großen Irrtümer der Epoche.

Marx selbst kämpft ebenfalls gegen das Gespenst. Allerdings will er der Welt die Angst vor der Spukgestalt nehmen und mit dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus aufräumen. Aus dieser Motivation heraus entsteht das „Manifest der Kommunistischen Partei“. Was Marx darin schreibt, strotzt nur so vor gesellschaftlichem Sprengstoff. Er kritisiert, wie die Oberschicht die Fabrikarbeiter*innen, das Proletariat, ausbeutet. Sein zentrales Thema ist dabei der Klassenkampf, der zur gewaltsamen Revolution, dem Aufstand des Proletariats führt. Am Ende stehe die Umgestaltung der Gesellschaft oder ihr Untergang.

Marx‘ Warten auf die Revolution

Statue von Marx in Trier

Zumindest als Statue kam er nach Trier zurück (Foto: Leo_65, Pixabay.com).

Auf den Knall des selbst beschworenen Pulverfasses wartet Marx vergeblich. Lediglich der Pariser Juniaufstand im Jahr 1848 entzündet sich an der Sozialen Frage ‒ doch der erhoffte Flächenbrand bleibt aus. In Großbritannien, dem Vorreiter der Industrialisierung, gibt es kein Revolutionsbestreben. Es wäre ein Vorzeigebeispiel für seine Theorie gewesen. An benachteiligten Proletarier*innen hätte es nicht gemangelt. Stattdessen gewährt Großbritannien Marx Zuflucht vor den Exorzist*innen. Ausgerechnet der Staat, der wie kaum ein zweiter das symbolisiert, was der Kommunist verabscheut. Das ist wohl britischer Humor.

Im Exil rückt Marx vom Klassenkampf ab und wendet sich der Ökonomie zu. Die Wirtschaftsordnung produziere Krisen, Krisen führten zu Umstürzen, so sein neues Mantra. Er schreibt es in „Das Kapital“ nieder. Wieder beginnt das Warten auf die prognostizierte Revolution. Zumindest kann sich der Exil-Trierer damit trösten, dass er nicht alleine warten muss. Um ihn scharen sich ganze Horden von Marxist*innen. Mit unnachgiebigem Blick fixieren sie den Boden ihrer Kaffeetassen. Dort wollen seine Jünger*innen die Anzeichen für die bevorstehende Revolution erkennen, orakeln in Wirtschafts- und Börsenberichten um die Wette. Doch was sie auch im Kaffeesatz zu lesen glauben ‒ die Revolution nach Marx‘ Vorbild lässt sich nicht herbeireden.

Die Wahrheit im Kaffeesatz

Während der Begründer des Marxismus mit seinen Revolutionsprognosen irrt, soll er an anderer Stelle Recht behalten. Bei all der Kritik, mit der er sich am Wirtschaftssystem des Kapitalismus abarbeitet, so erkennt Marx dennoch dessen Potenzial. Der Kapitalismus bietet die Möglichkeit, Wohlstand zu erzeugen, wenn auch ungleich verteilt. Marx denkt über europäische Grenzen hinaus, spricht bereits im „Manifest der Kommunistischen Partei“ vom ‚Weltmarkt‘. Er sieht die Globalisierung voraus und warnt vor der Selbstbereicherung durch Manager*innen.

Porträt von Karl Marx

Voll im Trend mit Hipster-Bart, schon im Jahr 1875 (Foto: John Jabez Edwin Mayall).

Auch das Gespenst des Kommunismus hat seinen Schrecken nicht verloren. Der böse Geist soll dem Staatsapparat vielerorts ausgetrieben werden. Das zeigen diverse Kommunist*innenverfolgungen, beispielsweise in der NS-Zeit. Eine Hetzjagd, die Marx schon 1848 thematisiert. Die Plätze der Exorzist*innen haben mittlerweile andere eingenommen. So tun sich die USA auch nach Ende des Kalten Krieges damit schwer, kommunistische Staaten zu akzeptieren. Denn so viel ist klar: Kommunismus ist unamerikanisch.

Der Hipster Karl Marx

Am aktuellsten bleibt dabei aber seine Kapitalismuskritik, denn die Soziale Frage wird weiterhin diskutiert. Marx deckt die Schwächen des Systems auf: Lohn- und Leistungsdruck auf Seiten der Angestellten, Konzentration der Gewinne bei den Unternehmer*innen. Das führt zur wachsenden Ungleichheit zwischen beiden Gruppen, dazu kommen hohe Mietpreise und Wohnungsmangel in den Städten. Nein, das ist keine zeitgenössische Kritik aus Martin Schulz‘ Wunschwahlprogramm. Das ist Marx ‒ direkt aus dem 19. Jahrhundert. Der Begründer des Marxismus ist aktuell und liegt im Trend. Auch seine äußerliche Erscheinung würde heute wohl kaum aus der Reihe fallen: Die Haare zum ‚Man Bun‘ gebunden, ein anerkennendes Nicken beim Betreten gewisser Berliner Clubs und Cafés wäre ihm sicher. Das erkennt allerdings nur, wer sich von seinem an Kriegstreiberei grenzenden Klassenkampf-Gerede nicht abschrecken lässt.

Die aktuelle Lesart der Werke dürfte auch den heutigen Hype um seine Person erklären ‒ und die überschwänglichen Journalist*innen. Dennoch irrte sich Marx gerade bei seinen großen Revolutionsprognosen.  Besonders das „Manifest der Kommunistischen Partei“ sollte frei nach Mao Zedong im Kern ein Papiertiger bleiben. So findet sich beim Blick in Marx‘ Tasse nicht nur Wahres im Kaffeesatz ‒ obwohl Marx‘ Kaffee keineswegs abgestanden schmeckt.