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Ich wünschte mir Seepferdchen – und bekam eine karge Teppich-Liegewiese. In unseren Träumen ist vieles möglich. Doch nur sehr selten träumen wir von Dingen, die wir wirklich wollen. Im Gegenteil: Unsere Traumwelt ist wild zusammengewürfelt, hat skurrile Wendungen und unschöne Enden. Die Fähigkeit des luziden Träumens klingt da überaus verlockend, weil sie Kontrolle über ein sonst nur bedingt kontrollierbares Phänomen verspricht. Aber was genau ist luzides Träumen und wie funktioniert es? Ein semiprofessionelles & semifiktionales Selbstexperiment mit einem eher semigutem Ergebnis…

Des Öfteren wurde hier auf dem Blog schon das Thema Klarträume bzw. luzides Träumen behandelt. Hierunter versteht man die Fähigkeit, seine Träume zu kontrollieren und bewusst zu steuern, während man sich weiterhin im Schlaf befindet. Es existieren zahlreiche Tipps und Tricks, wie man luzides Träumen trainieren kann. Diese Woche möchte ich versuchen, selbst einen Klartraum zu erleben. Doch das ist leichter gesagt als getan.

Montag, 18 Uhr.

Früher als geplant beginnt mein Experiment. Nach drei durchzechten Nächten im Rahmen einer dezent ausufernden Geburtstagsfeier bin ich zurück in Tübingen und gehe völlig übermüdet erstmal duschen. Unter der Dusche schlafe ich stehend ein – ein unverhofft guter Zustand, denn nach fünf Minuten schrecke ich wieder hoch. Ich habe geträumt. Zwar kurz, aber prägnant. Der Kumpel, bei dem ich das Wochenende verbracht hatte und eine seiner Mitbewohnerinnen ritten vor meinen Augen auf zwei rosa Seepferdchen über die Straße. Ich stelle das Wasser aus. Dann denke ich mir: Da setze ich heute Abend an. Auf einem Seepferdchen reiten. Dieses Szenario erscheint mir nicht allzu unrealistisch für meine ersten Klartraum-Versuche.

Dienstagmorgen, 13 Uhr.

Endlich mal wieder ordentlich ausgeschlafen wache ich auf. Ich habe tatsächlich geträumt. Nur halt nicht von Seepferdchen. Das Spiel der Dänen bei der Fußball-EM hatte sich wohl prägnanter in meinem Kopf ausgebreitet, denn ich frönte über Nacht den Vorzügen der skandinavischen Küche. Konkreter gesagt verschlang ich Köttbullar in einer Ikea-Filiale, die plötzlich anstelle des Brechtbaus, unserem Tübinger Uni-Gebäude, existierte. Nun ja, war schon recht nah dran an Seepferdchenreiten.

Ich nehme mir vor, den Tag über eine empfohlene Technik auszuprobieren: Mir immer wieder bewusst zu machen, dass ich gerade wach bin, um die Wahrscheinlichkeit einer solchen Überprüfung im Traum zu erhöhen, und beginne, mich aggressiv zu kneifen, wann immer etwas halbwegs Erwähnenswertes passiert.

Mittwochmorgen, 13.30 Uhr.

Tja nun. In der Nacht auf den Mittwoch zogen Til Schweiger und Jan Josef Liefers zusammen mit Gollum los, um den einen Ring in den Brechtbau zu werfen. Keine Ahnung, was es ist, aber mein Kopf scheint mehr Lust auf den Brechtbau als auf Seepferdchen zu haben.

Ich nutze die Zeit zwischen zwei Seminaren, um weitere Klartraum-Methoden zu recherchieren. Schnell realisiere ich, dass, wenn ich nicht gerade kritische Substanzen konsumieren möchte, es wohl das Beste ist, sich permanent einzureden und fest vorzunehmen, dass man in der kommenden Nacht von einem bestimmten Ereignis träumen wird. Oder meditieren. Aber das versuch ich morgen mal.

Donnerstagmorgen, 16 Uhr.

Da es gestern etwas spät wurde, verschob sich meine Traumphase in die frühen Morgenstunden. Weniger skurril wurden meine Träume dadurch nicht. Drei Kommilitoninnen hatten ein Meth-Labor im Brechtbau eröffnet, in dem sie radioaktive Gummibärchen produzierten und diese anschließend bei Bares für Rares verscherbelten. „20 Euro und der Bums is jut bezahlt“ höre ich Horst Lichter noch, als ich aufwache. Dieser rote Brechtbau-Faden macht mich fertig. Aber vielleicht muss ich ja einfach etwas kooperativ mit meinem Hirn sein.

Ich setze mich auf und versuche, zu meditieren. Dabei stelle ich mir vor, wie ich mit dem Seepferdchen durch den Brechtbau reite: Improvise, adapt, overcome.

Freitagmorgen, 10.30 Uhr.

Heute muss ich ausnahmsweise früh raus. Ich falle beinahe aus dem Bett. Durch das Klingeln meines Weckers bin ich dermaßen verwirrt, dass ich fast alles Geträumte sofort wieder vergesse. Lediglich an unangenehme Flashbacks zum Schul-Schwimmunterricht erinnere ich mich. Naja, immerhin irgendwie die Seepferdchen-Richtung. Ich glaube, ich bin auf einem guten Weg. Ich nehme mir vor, mich heute nochmal verstärkt den Tag über zu kneifen, um mich daran zu erinnern, dass ich gerade existiere. Vielleicht bringt das ja was.

Samstag, mitten in der Nacht, 8.30 Uhr.

Gerade ging ich im Brechtbau auf ein in der Ecke stehendes Seepferdchen zu. Keine zwei Meter stand ich vor ihm und streckte bereits meine Hand aus, in freudiger Erwartung auf ein funktionierendes Experiment, endlich hatte ich es geschafft! HALT! NEIN! Verdammt! Ich wachte auf. Ich hatte den klassischen Anfängerfehler gemacht, zu lebhaft, zu … wach… zu realisieren, dass mein Vorhaben zu funktionieren scheint. Und deshalb funktionierte es dann ironischerweise nicht mehr. Aber jetzt bin ich guter Dinge, die nächste Nacht klappt’s bestimmt!

Sonntagmorgen, 13 Uhr.

Okay, nevermind. Das Seepferdchen war letzte Nacht wieder nicht mehr anwesend. Dafür aber Til Schweiger, der mit beherztem Schwung Danny DeVito in den Schickalsberg innerhalb des Brechtbaus schleuderte, während meine Kommilitoninnen zusammen mit Claus Kleber radioaktive Gummibärchen essend, daneben standen. Laut lachend links neben der Szenerie: Horst Lichter. Im Hintergrund: Sirenen. Nirgends: Seepferdchen.

Ein Ergebnis dieses Versuchs ist definitiv festzuhalten: Ich glaube, den Brechtbau werd‘ ich nachts so schnell nicht mehr los.

Wer weiß, vielleicht muss ich in Zukunft auch einfach nur regelmäßiger bei laufendem Wasser unter der Dusche schlafen, damit das mit dem Seepferdchen klappt. Einen Versuch wäre es wert.

Titelbild: © Pixabay

 

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Kopf mit bunter Wolke Träume

Im Traum Geige lernen oder den perfekten Fallrückzieher trainieren? Für geübte Klarträumer*innen durchaus denkbar. Doch ist es wirklich so einfach, wie es klingt? Ein Gespräch mit Sportwissenschaftler und Klartraumforscher Daniel Erlacher und Psychologe Michael Schredl über luzide Träume und ihr Potenzial.

In unseren Träumen können wir alles sein: Vom Basketballprofi bis hin zum erfolgreichen Rockstar. Doch meistens bleibt es fiktives Geschehen, welches wir nicht steuern können und an das wir uns häufig nicht einmal erinnern können. Doch was passiert, wenn während des Traums klar wird, dass man träumt? Dann ist von einem Klartraum oder auch ‚luziden Traum‘ die Rede. Vielen Klarträumer*innen ist es zudem möglich, das Geschehen auch willentlich zu beeinflussen.

apl. Prof. Dr. Michael Schredl

Prof. (apl.) Dr. Michael Schredl ist wissenschaftlicher Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim © Referat für Kommunikation und Medien, ZI Mannheim

Psychologe und Klartraumforscher Michael Schredl erklärt dazu: „Luzide Träume werden allgemein definiert als Träume, die das Bewusstsein beinhalten, dass man träumt. Dieses Bewusstsein ist das oberste Level, von dem es dann verschiedene Verzweigungen geben kann. Das kann dazu führen, dass man den Traum beeinflussen kann, es kann aber auch sein, dass man weiß, dass man nichts machen kann. Ich bin der Meinung, dass es nicht nur wichtig ist Luzidität zu üben, also ein Bewusstsein zu erlangen, sondern auch zu üben, wie man aktiv werden kann, wenn man luzide ist.“

Aktive Klarträume können demnach dazu genutzt werden, im Traum ohne Flugzeug um die Welt zu fliegen, eigene Welten zu kreieren oder durch massive Wände zu gehen. Im besten Fall können sogar Fähigkeiten aktiv erlernt oder ausgebaut werden.

Klartraumtraining im Sport

Auch Daniel Erlacher vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Bern beschäftigt sich schon lange mit luziden Träumen. Das Klartraumtraining von Sportler*innen faszinierte ihn dabei besonders:

Prof. Dr. Daniel Erlacher

Prof. Dr. Daniel Erlacher lehrt seit ca. zehn Jahren an der Universität Bern am Institut für Sportwissenschaft © Daniel Erlacher

„Es gibt Effekte, die wir in unseren Studien nachgewiesen haben. Man kann tatsächlich im Traum trainieren, aber es ist nicht so, dass man im Traum zum 100-Meter-Sprintstar wird. Das muss man schon am Tag machen.“

Während des Klartraumtrainings im Sport gilt es zwischen den konditionellen Fähigkeiten und den Technikelementen einer Sportart zu unterscheiden: „Die konditionellen Fähigkeiten sind das, was wir uns jeden Tag mühsam antrainieren wie Kraft oder Ausdauer. Aber wenn man aufhört zu trainieren, verschwinden diese Fähigkeiten auch wieder. Der Muskel muss dafür trainieren und das passiert ja gerade nicht im Klartraum. Deshalb verbessert das Marathontraining im Schlaf nicht meine Ausdauer.“

Unter den technischen Aspekten versteht man wiederum trainierbare Fertigkeiten wie zum Beispiel eine Lauftechnik, einen Purzelbaum oder auch eine Basketballwurftechnik. Daniel Erlacher erläutert: „Das sind die Techniken, die man sich beibringt und die man auch ein Leben lang nicht mehr verlernt.“ Diese können in Klarträumen bewusst ausgeführt und somit verinnerlicht werden. Völlig losgelöst voneinander sind die beiden Elemente laut Erlacher jedoch auch nicht zu betrachten: „Durch die Verbesserung der Lauftechnik werden auch die konditionellen Ressourcen geschont, denn ein ökonomischer Laufstil braucht nicht so viel Energie. Deshalb kann das auch immer Quereffekte auf die andere Seite haben.“

Klarträumen ist Übungssache

Wer kann denn nun zum Klarträumenden werden? Zunächst eine gute Nachricht: Etwa 50 Prozent der Bevölkerung durchlaufen in ihrem Leben einen Klartraum. Dabei ist es nicht entscheidend, welche Persönlichkeitsmerkmale man mitbringt, sondern wie häufig trainiert wird. Michael Schredl illustriert:

„Ich vergleiche das gern mit Meditieren. Das heißt, dieses Bewusstsein sich zu beobachten ist nicht der normale Denkzustand, sondern braucht konstante Übung – nicht so etwas wie Fahrradfahren, das man einmal gelernt hat.“

Klarträume zu haben ist also Übungssache. Und trotzdem ist das luzide Träumen nicht allen gleichermaßen zugänglich: Manche Menschen brauchen Jahre, um ihren ersten Klartraum zu erleben, andere können es ohne intensive Übung. Lediglich 20 Prozent der Bevölkerung träumen während ihres Lebens häufiger luzide, sogar nur ein bis zwei Prozent auf regelmäßiger Basis. Eine Offenheit für Erfahrungen oder bereits vorhandene Meditationskenntnisse können das luzide Träumen laut Michael Schredl jedoch begünstigen: „Also ich glaube es gibt niemanden, der jahrelang übt und keinen Erfolg hat. Das widerspricht sich. Aber es gibt tatsächlich begabte luzide Träumer. Die sind natürlich besonders begehrt für die Laborforschung. Ich kannte eine Frau, die praktisch ohne jegliches Training mindestens drei Mal die Woche luzide Träume von richtig ausgedehnter Länge hatte.“

Welche Bereiche im Gehirn während eines Klartraums aktiv sind, darüber ist sich die Wissenschaft noch uneinig. Fest steht jedoch, dass Klarträume ausschließlich während der REM-Schlafphase stattfinden, in der sich meist auch die gewöhnlichen Träume ereignen.

Geduld und Motivation – „dann klappt es schon irgendwann“

Um Klarträume erleben zu können, braucht man vor allem eins: Geduld. Mit Hilfe verschiedenster Induktionstechniken kann die Wahrscheinlichkeit eines luziden Traums zudem beeinflusst werden. Besonders kognitiven Techniken werden dabei eine hohe Wirksamkeit nachgesagt. Tägliche Realitätschecks im Alltag können beispielsweise die Häufigkeit von Klarträumen erhöhen. Wer im Alltag mehrfach kontrolliert, ob es sich um einen Traum oder die Wirklichkeit handelt, wird diese Überprüfung auch während einer Traumsequenz durchführen und dabei eventuell zu einem Klartraum gelangen. Eine weitere kognitive Technik ist die Autosuggestion, bei der sich im Wachzustand bewusst vor Augen geführt wird, dass man im Traumzustand einen Klartraum erleben möchte.

Trotz der Anwendung erfolgsversprechender Induktionstechniken kann es am Anfang schwierig sein, so Schredl: „Ich habe auch das Klassische erlebt am Anfang. Ich habe mich beim ersten luziden Traum so darüber gefreut, dass ich luzide geworden bin, dass ich aufgewacht bin. Das ist typisch. Wenn man es erkennt, wacht man oft auf.“

Anhaltende Klarträume herbeizuführen, ist für viele also eine Herausforderung. Daniel Erlacher verrät, wie es trotzdem gelingen kann:

„Anfangen würde man mit einem Traumtagebuch, um die Traumerinnerungsrate zu steigern. Man kann die schönsten Klarträume haben – wenn man sich nicht an sie erinnert, dann wird es auch nichts mit dem Klarträumen. Und dann einfach mit den kognitiven Techniken anfangen und da geduldig bleiben und Motivation mitbringen, dann klappt es schon irgendwann.“

Titelbild: © pixabay

 

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