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Wie die geschichtlichen, kulturellen und politischen Entwicklungen der letzten 100 Jahre, so waren auch die Frisurentrends in China äußerst abwechslungsreich. Wie Kapitalismus und Kommunismus sowie östlicher und westlicher Stil wechselten sich dabei lockige und glatte Haare ab. Jede Generation chinesischer Frauen hatte ihre eigenen Vorlieben. Betrachten wir also die Geschichte der Haartrends in diesem fernen, oft fremden Land.

1910

Frauen zur Zeit der Qing-Dynastie, Quelle: http://www.happyjuzi.com/article-30426.html

In der ersten Dekade des letzten Jahrhunderts ging die Qing-Dynastie zu Ende. Damals zogen die chinesischen Frauen der Mittelschicht noch einen Scheitel und trugen einen Dutt auf dem Kopf. Der traditionelle Charakter der Frisuren der Qing-Dynastie blieb noch lange bestehen und wurde vereinfacht. Das würdevolle Haar war zudem sehr niedrig gekämmt und zeigte eine natürliche Schönheit ohne Make-up.

1920

Ruan Linyu, Quelle:http://www.sohu.com/a/155357950_488934

In den 1920er Jahren, unter dem Einfluss der zeitgenössischen Hollywood-Filme, begannen die Damen beispielsweise, rote Lippen zu bevorzugen. Und auch Bob-Frisuren mit kurzen lockigen Haaren wurden zum Modetrend der Frauen in dieser Zeit. Die Qing-Dynastie endete schließlich. Und die Mädchen durften danach zur Schule gehen. Die gebildeten Frauen wurden zu Pionierinnen der Mode. Sie lernten neue Kleidungen und Frisuren von westlichen Vorbildern kennen. Eine legendäre chinesische Schauspielerin sticht außerdem hervor: Ruan Lingyu war das Vorbild der modernen chinesischen Frau.

1930

Werbung im „Shanghai Girl Style“, Quelle: http://www.happyjuzi.com/article-30426.html

Die 1930er Jahre waren die Welt der Shanghaier Frauen-Modeszene. Der Make-up-Look „Shanghai Girl Style“ begann sich auf die Modetrends des Landes auszuwirken. „Shanghai Girls “ brachten eine radikale Änderung des Haarschnitts mit: Auch in der damaligen Werbung trugen dementsprechend viele Frauen Pony-Frisuren.

1940

Frisur, 40er-Jahre, Quelle: http://www.sobiranistes.info/frisuren-40er-176463/frisuren-40er-new-manner-frisur-40er-jahre-stilvolle-frisuren-beliebt-in-deutschland

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Während des Zweiten Weltkriegs trugen die meisten Frauen kurze Haare, an Mode wurde wenig gedacht. Nach dem Krieg, verwestlichten chinesische Frauen auch ihre Schminke und Haar-Accessoires noch stärker. Schwerpunkt der Nachahmung waren dabei die Wellenlocken westlicher Frauen.

1950

Quelle:http://www.jiemian.com/article/1337417.html

In den 1950er Jahren, als das „Neue China“ gerade erst gegründet war, setzte sich der Kommunismus durch. Auch gefielen viele Frauen sich nun in einem Image der „ruhmreichen Arbeiterinnen“. Das Bild der sonnengebräunten Landfrau war in dieser Zeit der Maßstab für Schönheit. Die Frisuren sollten deshalb so einfach wie möglich sein.

1960

Rote Garde, Quelle: http://book.ifeng.com/dutu/detail_2011_05/26/6640780_9.shtml

In den 1960er Jahren, während der Kulturrevolution, wurden die Roten Garden populär: Zwei lange Zöpfe hingen an beiden Seiten, und es gab eine sehr beliebte chinesische Armee-Mütze. Die meisten Frauen trugen damals eine Armee-Uniform und lasen zudem das Buch von Revolutionär Mao. Die „Große Proletarische Kulturrevolution“ war eine politische Kampagne in China, die gegen „kapitalistische, bürgerliche und traditionalistische Infiltrierungen“ der Gesellschaft kämpfte.  Dabei wurden allerdings viele Menschen verhaftet und ermordet. Es war also eine Atmosphäre der politischen Polarisierung.

1970

Chinesische Frauen der 70er Jahre, Quelle: http://www.360doc.com/content/15/0713/12/10988502_484611499.shtml

In den 1970er Jahren, als die Kulturrevolution endete, wehte die Ästhetik westlicher und kapitalistischer Frauen jedoch nach China zurück. Und das weibliche Bild des Westens gewann wieder an Popularität. Dieser Zeitpunkt ist ein wichtiger Wendepunkt in der chinesischen Geschichte. Einerseits stellte man das Gaokao (Nationales Examen zur Hochschulaufnahme), welches während Kulturrevolution unterbrochen worden war, im Jahr 1977 wieder her. Andererseits startete die Führung 1978 Reformen und eine Öffnung: gegenüber der Welt und insbesondere dem Westen. Individuelles Aussehen war danach wieder erlaubt.

1980

1980 Frauen in Peking, Quelle:https://m.sohu.com/a/73719692_209914

In den 1980er Jahren wurde China nach Reform und Öffnung von der westlichen Ästhetik stark beeinflusst. Zu dieser Zeit waren viele Frauen nicht nur von gewagten Locken wieder begeistert, auch Accessoires im westlichen Stil wurden populär. Die Dauerwelle war erneut die angesagteste Frisur. Ebenso beliebt war es für Frauen, in einem Friseursalon zu arbeiten.

1990

Hongkonger Frauen mit Stirnband, Quelle: http://www.sohu.com/a/165241700_682491

In den 1990er Jahren entstanden viele chinesische Filme, besonders Hongkong konnte so eine filmische Blütezeit einläuten.  Viele jungen Frauen ahmten die Figuren dieser heimischen Filme nach. Seitdem waren nicht mehr lockige Haare das Maß aller Dinge, sondern glattes Haar. Chinesinnen bevorzugte kurze Bobs und Stirnband. Als die Hongkonger Frauen neue Make-Up-Trends setzten, schwappte dieser Trend auch auf das chinesische Festland.

2000

Zhang Ziyi, Quelle: http://chinamediaproject.org/2012/05/29/posts-on-actress-zhang-ziyi-removed-from-weibo/zhang-ziyi/

Um das Jahr 2000 herum kam der Standard der weiblichen Frisuren von der berühmten chinesischen Schauspielerin Zhang Ziyi. Ihr blasses Gesicht, helles Make-Up und dunkles Haar wurde zum chinesischen Schönheitsideal dieser Zeit. Seitdem stand der Minimalismus im Vordergrund.

Heute

Yangmi, Quelle:http://wemedia.ifeng.com/47291619/wemedia.shtml

Heutzutage hat sich die Popkultur aus Südkorea bis nach China ausgebreitet. Koreanische Schauspielerinnen beeinflussen mit Make-Up und Frisuren die chinesischen Frauen. Mit dunklem Augen-Make-Up und langen lockigen Haaren halten sich viele entsprechend für lebendige Göttinnen.

 

Lust auf mehr Frisurengeschichte? Lest unseren Beitrag „100 Jahre Haare – Geschichte auf dem Kopf“.

Ni Kungs Roman Haar

Der bekannte Hongkonger Schriftsteller Ni Kuang hat über 300 Wuxia- und Science-Fiction-Romane und mehr als 400 Drehbücher geschrieben. Er ist als einer von vier Gelehrten Hongkongs bekannt. Eine seiner repräsentativsten Arbeiten, die „Wisely-Serie“, besteht aus 156 Abenteuer-Science-Fiction-Romanen, die er zwischen 1963 und 2004 veröffentlicht hat.

Cover von Haare (頭髮),  Wisely, 17. Auflage, Mingjing, Hongkong.

Cover von Haare (頭髮),  Wisely, 17. Auflage, Mingjing, Hongkong. Quelle

Im Jahr 1978 hat er für diese Reihe eine Kurzgeschichte mit dem Titel „Haare“ geschrieben. Es geht um Wiselys Abenteuer in Nepal, wo er einen antiken Tempel mit uralten Geheimnissen entdeckt. Im Tempel, so die Geschichte, wurden uralte Artefakte ursprünglich von Außerirdischen zurückgelassen, so dass Menschen den fremden Planeten finden könnten. Wie Wisely herausfindet, sind die Vorfahren der Menschheit nämlich von fernen Planeten gekommen. Aber wegen ihrer Sünden wurden sie auf die Erde verbannt. Danach habe man ihre Sünden ausgelöscht. Bedauerlicherweise wurden sie aber auch ihrer Intelligenz, Unsterblichkeit und der Funktion ihrer Haare beraubt. Das heißt, dass die Menschen sich vom Primitiven noch einmal neu entwickeln mussten.

Was ist die Funktion von Haaren?

Ni Kuang wirft in dieser Geschichte die folgende Frage auf: Was ist die Funktion von Haaren? Schließlich sind Menschen die einzigen Lebewesen auf der Erde, die lange Haare auf dem Kopf haben. Im jungen Alter erzählte man uns vielleicht deswegen, dass die Haare zum Schutz des Kopfes da wären. Dabei hat der Kopf doch mit seinem harten Schädel schon genug Schutz. Und selbst wenn Menschen eine Glatze tragen, hat es keinen Einfluss auf ihr alltägliches Leben. Ist es also wirklich notwendig, etwas so Weiches wie Haare zum Schutz des Kopfes zu besitzen? Jedes Lebewesen auf der Erde hat sich langsam über Millionen von Jahren entwickelt, um sich an die Natur anzupassen. Die Evolution hat fast alle nutzlosen Kreaturen und die nutzlosen Teile heutiger Arten eliminiert. Doch das Haar ist immer noch vorhanden – warum?

Mutige Fantasie in Ni Kuangs Science-Fiction

In seiner Geschichte vermutet Ni Kuang, dass unsere Haare früher eine konkrete Funktion hatten. Früher hätten die Menschen jedes Haar wie einen Finger kontrollieren können. Mit derart vervielfachten Fingern hätten die Menschen viel effizienter gearbeitet als aktuell. Grundsätzlich könnte die Menschheit diese Fähigkeiten immer noch hervorbringen, wenn sie zu ihrem Heimatplaneten zurückfinden würde. Mit einer kleinen Einschränkung: Nur den unschuldigen Menschen wird es erlaubt sein, eines Tages zurückzukehren. Alles nur Science-Fiction?

Alle großen Propheten der Menschheits-Geschichte wie Shakyamuni, Jesus, Mohammed oder Lao seien von diesem fernen Planeten auf die Erde gesandt worden. Damit sie den Menschen diese Weisheit beibringen. Ihre Seelen fuhren in die Körper von Säuglingen und wuchsen in diesen Gestalten auf. Letztendlich geht es auch Ni Kuang darum, die menschliche Güte zu fördern: Solange die Menschen von ganzem Herzen gut sind, könnten sie auf den Heimatplaneten zurückkehren, der das sogenannte Paradies ist. Deshalb seien die vier einflussreichsten Religionen der heutigen Welt im Kern so ähnlich. Sie alle raten dem Menschen, gut zu sein: auch Humanismus genannt.

Obwohl diese Annahme zunächst einmal erstaunlich klingt, formuliert der Autor sie äußerst rational. Religionen bringen nicht nur die Inspiration, sondern beruhen auch auf einem philosophischen System. Die Seele ist ewig, während der Körper zeitlich begrenzt ist.

Eine andere Geschichte über Haare in der Bibel

Dass die Haare eine Schlüsselrolle in Ni Kuangs Kurzgeschichte darstellen, ist nicht unbedingt außergewöhnlich. In vielen verschieden Kulturen spielen die Haare eine Rolle als Topos. Die Vorstellung, dass die Haare eine geheimnisvolle Fähigkeit haben, ist auch in der Bibel vorhanden. So gibt es im Alten Testament eine ähnliche Geschichte über Haare. Der Held Samson hat unbezwingbare Kräfte und tötet Hunderte von den feindlichen Philistern. Später verliebt er sich in eine Frau, die Delila heißt. Aber diese Frau ist auch eine Philisterin. Sie fragt Samson immer und immer wieder, warum er so stark ist. Nach einiger Zeit verrät er ihr tatsächlich sein Geheimnis: Die Herkunft seiner Kraft sind seine Haare. Sollten die Haare einmal geschnitten werden, würde er seine komplette Stärke umgehend verlieren.

Caravaggio, born Michelangelo Merisi, 1571-1610, Imitator. "Samson and Delilah". (Judges 16,20-21). Oil on canvas

Caravaggio, born Michelangelo Merisi, 1571-1610, Imitator. „Samson and Delilah“. (Judges 16,20-21). Oil on canvas

Delila verrät den Philistern diese Geheimnis. Als Samson am nächsten Tag aufwacht, hat sie seine Haare bereits abgeschnitten und er hatte seine Kraft verloren. Die Philister können ihn gefangen nehmen und stechen ihm die Augen aus.

Eines Tages feiern die Philister ein großes Fest und holen Samson aus dem Gefängnis, weil sie ihn demütigen möchten. Aber Samsons Haare sind in der Zwischenzeit wieder gewachsen. Deshalb betet er zu Gott, um seine Kraft wiederzuerlangen. Und tatsächlich gewährt Gott ihm diesen Wunsch. Auf dem Fest tötet Simon schließlich alle seine Peiniger.