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2.500 Freelancer, 20 festangestellte Mitarbeiter*innen, 800 Anfragen – pro Monat: Marcel Kopper verhilft mit seiner Ghostwriting-Agentur „GWriters“ Kund*innen zu einem akademischen Titel. Ein Gespräch über dreiste Studierende, moralische Skrupel und Anrufe von Eltern, die verzweifelt einen Ghostwriter für ihre Kinder suchen. 

Herr Kopper, wie vielen Studierenden haben Sie schon zu einem Abschluss verholfen?

Diese Frage höre ich nicht zum ersten Mal (lacht). Offiziell noch keinem. Denn unsere Ghostwriter schreiben keine Abschlussarbeiten, sondern erstellen lediglich Dossiers als Mustervorlagen, an denen sich Studierende orientieren können – es sind Lösungsvorschläge, die wir anbieten. Mehr nicht.

Ein achtseitiges Dossier kostet bei Ihnen bis zu 600 Euro, je nach Fachrichtung und Zeitvorgabe. Eine Dissertation kann schonmal in der Preisklasse eines Kleinwagens liegen. 

Wie gesagt: Musterbeispiel einer Dissertation.

Glauben Sie wirklich, dieses Manuskript heften dann die Kund*innen als „Musterbeispiel“ in ihre Ordner und archivieren es im Regal?

Natürlich nicht. Aber wofür die von uns erstellten Manuskripte letztlich verwendet werden, darauf haben wir keinen Einfluss. Sollte ein Student tatsächlich einen von unseren Ghostwritern verfassten Text unter seinem Namen einreichen und vorher eine eidesstaatliche Selbständigkeitserklärung unterzeichnet haben, liegt eine so genannte „schriftliche Lüge“ vor. Das ist an sich nicht strafbar, kann aber, je nach Hochschulgesetz, zu einem Disziplinarverfahren und eventuell auch zur Exmatrikulation führen.

„Wir bedienen nur die Nachfrage“

Sie haben also kein schlechtes Gewissen?

Mit dieser Frage habe ich schon gerechnet (lacht). Die Antwort: Nein. Warum denn auch? Deswegen weisen wir jeden Kunden ausdrücklich darauf hin, dass er sich an die jeweilige Prüfungsordnung und das Hochschulgesetz halten muss und unsere Arbeiten nur Musterbeispiele sind. Zu prüfen, ob sich der Kunde auch daran hält, ist nicht unsere Aufgabe. Das Ghostwriting ist so alt wie die Schrift und an sich vollkommen legal. In Griechenland wurden beispielsweise schon 400 Jahre vor Christus Plädoyers oder Reden von sogenannten Logographen geschrieben.

Findet nichts Anstößiges an seiner Arbeit: Marcel Kopper, Geschäftsführer von „GWriters“

Gesellschaftlich ist Ihre Arbeit dennoch verpönt.

Damit kann ich leben, denn wir bedienen nur die Nachfrage. Außerdem besteht unser Geschäft nicht nur aus Ghostwriting. Wir bieten auch Lektorate an oder Schreibtrainings für Akademiker.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Ghostwriting-Agentur zu gründen?

Meine Mitgründer und ich waren schon während des Studiums als Ghostwriter aktiv. Deswegen haben wir früh begriffen, dass man damit Geld verdienen kann. Ich war dann aber zunächst Verkaufsleiter einer Supermarktkette. Bis mir meine Mitgründer im Mai 2012 eine ausgedruckte Kündigung für meinen damaligen Arbeitgeber schenkten. Daraufhin beschlossen wir, eine Agentur zu gründen, die akademische Ghostwriter vermittelt. Mitte 2012 sind wir an den Start gegangen, und unsere Plattform hat sich nun in Österreich, der Schweiz, Großbritannien, Polen und der Türkei etabliert.

Wie viele Kund*innen betreuen Ihre Ghostwriter?

Monatlich wenden sich etwa 800 Interessenten an uns.

Das Geschäft boomt. 

Oh ja. Wir können uns nicht beklagen (lacht).

„Da melden sich Studenten, die wollen, dass ein Ghostwriter ihre Klausur schreibt, mit Knöpfen im Ohr oder Kamerabrille – wie bei James Bond.“

Woran liegt das? 

Wir betreuen nicht nur Studierende, sondern auch Großkonzerne, Verlage, Lehrinstitute und Privatpersonen. Allerdings kommen die meisten Kunden von der Uni. Da sind die Gründe für einen Auftrag vielfältig: private oder gesundheitliche Probleme oder schlicht Überforderung. Die meisten wenden sich aus Verzweiflung an uns. Ihnen fehlt Erfahrung im wissenschaftlichen Schreiben und eine gute Betreuung ihrer Universitäten. Sie bekommen Arbeit aufgehalst, die sie unmöglich allein bewältigen können. Das hat auch viel mit der Bologna-Reform zu tun: mehr Zeitdruck, striktere Vorgaben und weniger Freiheit. Teilweise bekommen wir sogar verzweifelte Anrufe von Eltern, die Ghostwriter für ihre Kinder suchen.

Manche Studierende sind einfach nur faul. 

Das ist ein klassisches Vorurteil. Tatsächlich ist das typische Bild vom reichen Sohn eines Industriellen, der einfach nur aus Faulheit eine fertige Arbeit haben möchte, eher selten. Wir haben viel häufiger verzweifelte Anfragen etwa von alleinerziehenden Müttern, die nebenbei studieren und feststellen, dass sie das nicht unter einen Hut bekommen.

„Andere sagen auch einfach: Was ihr mir schreibt, ist mir egal.“

Das heißt aber nicht, dass es nicht auch Fälle gibt, in denen sich Kunden aus Bequemlichkeit an Sie wenden.

Die gibt es natürlich auch. Es ist schon erstaunlich, dass manche lieber 500 Euro für eine zehnseitige Hausarbeit zahlen, anstatt sich selbst mal ein paar Tage hinzusetzen und daran zu arbeiten. Oftmals zahlen das dann sogar die Eltern. Und manche Anfragen sind wirklich dreist: Da melden sich Studenten, die wollen, dass ein Ghostwriter ihre Klausur schreibt, mit Knöpfen im Ohr oder Kamerabrille – wie bei James Bond. Einer wollte sogar einen neuen Studentenausweis besorgen und ein Foto von einem Ghostwriter draufkleben. Solche Anfragen lehnen wir natürlich ab.

Das ist dreist.

Es geht noch dreister: Im November 2012 hat sich ein Kunde eine Masterarbeit schreiben lassen – als Weihnachtsgeschenk für den Ehepartner. Manche verschenken auch Gutscheine für unser Angebot.

Haben Sie Stammkund*innen?

Aber sicher. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kunden, die sich für eine Hausarbeit Rat bei uns gesucht haben, sich spätestens bei ihrer Abschlussarbeit wieder an uns wenden.

„Wenn ich es nicht anbiete, bietet es eben jemand anderer an. So ist das eben. That’s life.“

Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Ghostwritern und Kund*innen ab?

Der Kunde stellt einen Auftrag, und sein individueller Projektbetreuer schaut in unserem Pool an akademischen Autoren, welcher aufgrund seiner wissenschaftlichen Erfahrung und Fachrichtung am geeignetsten erscheint, das Dossier zu erstellen. Die meiste Kommunikation läuft schriftlich über diesen Betreuer. Darüber hinaus fungiert er auch als Mediator bei fachlichen Diskussionen, steuert den gesamten Arbeitsprozess und koordiniert die Korrekturschleifen und Qualitätskontrollen.

Welche Arbeiten betreuen Sie am häufigsten?

Grundsätzlich bieten wir Schreib-Betreuung in allen Bereichen an. Unser Fokus liegt aber klar auf akademischen Arbeiten: Essays, Exposés, Facharbeiten, Forschungsprojekte. Naturgemäß werden Seminararbeiten und Hausarbeiten am meisten nachgefragt. Meistens in den Fächern BWL und Jura im Umfang von 30 bis 50 Seiten.

Wie konkret sind die Vorstellungen, mit denen Kund*innen zu Ihnen kommen?

Das ist unterschiedlich. Manche haben ganz genaue Vorstellungen und machen uns exakte Vorgaben, was die Gliederung und die verwendeten Quellen betrifft. In anderen Fällen wissen die Kunden eigentlich gar nicht so richtig, was sie wollen. Andere sagen auch einfach: Was ihr mir schreibt, ist mir egal.

War ein(e) Kund*in schonmal unzufrieden?

Natürlich können wir keine Garantie für eine gute Note geben. Nochmal: Wir liefern keine fertigen Arbeiten, sondern nur Vorlagen. Deswegen arbeiten wir mit einem mehrstufigen Qualitäts-System. Der Kunde bekommt mehrere Teillieferungen, zu denen er uns Rückmeldung geben kann. Das Feedback wird kostenlos eingearbeitet und am Ende wird jede Arbeit von einem zweiten Ghostwriter lektoriert und mit einer Plagiats-Software geprüft. Der Kunde ist also am Arbeitsprozess aktiv beteiligt und weiß, was er kriegt. Wir garantieren, dass jede Arbeit von einem akademischen Experten aus der jeweiligen Disziplin verfasst wird. Wissenschaftlich ist die auf hohem Niveau.

Verschaffen Sie nicht denen einen unfairen Vorteil, die es sich leisten können, Sie zu beauftragen?

Das schon. Aber ganz ehrlich: Wenn ich es nicht anbiete, dann bietet es eben jemand anderer an. So ist das eben. That’s life.

Herr Kopper, vielen Dank für dieses Gespräch.

Ein Schriftsteller, der keiner ist. Das Phänomen des Ghostwritings ist keine Erscheinung der Neuzeit. Auch in der Vergangenheit verfassten Ghostwriter berühmte Werke. Manche konnten aufgedeckt werden, andere bleiben für immer ein Mysterium.

Geistern wird nachgesagt, sie seien irgendwo zwischen Existenz und Transzendenz ‒ also hier und doch nicht hier. Das ist ebenso gültig für einen Ghostwriter. Einen Autor, der kein Autor ist. Ein Schriftsteller, dessen Name nicht auf dem Buchrücken erscheint. Jemand, der da ist und dann wieder nicht hier ist. Schon in der griechischen und römischen Antike existierte die Praxis, dass Auftragsschreiber Reden für andere schrieben. Dafür verlangten die sogenannten Logographen sogar ein Honorar. Dieses Phänomen zieht sich durch die Jahrhunderte und ist dem heutigen Ghostwriting im akademischen Bereich sehr ähnlich. Heute verfassen Agenturen Hausarbeiten für Studierende, die zu hohen Preisen erstanden werden können. Ein wichtiger Unterschied besteht hier aber: Das Redenschreiben für andere ist weit verbreitet und wird als legitim betrachtet, Hausarbeiten von einer Agentur schreiben zu lassen ist illegal.

Besonders beliebt ist das Ghostwriting außerdem in der Literaturform der Autobiografie. Berühmte Persönlichkeiten schreiben über ihr Leben ‒ obwohl sie das schriftstellerische Handwerk nicht gelernt haben. Es kommen ihnen dann Schreiberlinge zu Hilfe, die diesen Job für sie erledigen. So verfassten Ghostwriter bekannte Biografien wie zum Beispiel von Heidi Klum, Dieter Bohlen oder Helmut Kohl. Barack Obama und sicherlich viele andere Politiker ließen und lassen ihre Reden von anderen schreiben.

Der Geist des Buches ‒ ist es der Schriftsteller auf dem Buchrücken oder der Ghostwriter? (Quelle: NoName_13, pixabay.com)

Wer also seine Bücher oder seine Hausarbeiten von einem Ghostwriter schreiben lässt, steht mit seinem Namen auf dem Buchrücken. Gleichzeitig ist er aber nur eine leere Hülle. Deshalb stellt sich hier die Frage: Sind nicht eigentlich die inhaltslosen Namen auf dem Buchrücken die Geister? Sie stehen zwar da, aber eigentlich sind sie nicht existent, nicht im Werk.

Wer war William Shakespeare?

William Shakespeare (Quelle: Wikilmages, pixabay.com)

Wenn wir heute auf die großen Werke aus der Literatur blicken, können wir nur aus dem schließen, was auch überliefert ist. Die wahren Umstände, wie ein Werk entstand und wer schlussendlich die Schreibfeder in der Hand hielt, können wir nicht wissen. Um einen berühmten Schriftsteller ranken sich besonders viele kontroverse Diskussionen. William Shakespeare, der „Romeo und Julia“, den „Sommernachtstraum“ und „Kaufmann von Venedig“ verfasst hat. Er soll einen Ghostwriter gehabt haben? Nun, auch daran scheiden sich die Geister.

In der Literaturwissenschaft hat sich die Auffassung etabliert, dass William Shakespeare der Urheber vieler der Werke ist, die unter seinem Namen veröffentlicht wurden. Kritiker zweifeln allerdings an, dass Shakespeare überhaupt Schriftsteller gewesen ist. Seine soziale Herkunft und seine Schulausbildung könnten nicht den erheblichen Wortschatz in seinen Werken ermöglicht haben. Außerdem bestehen erhebliche Lücken in Shakespeares Lebenslauf. Von Literaturwissenschaftlern wird jedoch fest angenommen, dass Shakespeare Schriftsteller war. Auf seinem Grabstein wurde außerdem eine Darstellung mit einer Schreibfeder gefunden.

Die einen sagen so, die anderen sagen so

Falls jedoch tatsächlich ein Ghostwriter existiert haben soll, ist auch die Frage nach dem Namen desselben nicht geklärt. Auch hier bestehen verschiedene Auffassungen und Möglichkeiten. So gelten unter anderem Francis Bacon, Christopher Marlowe oder Edward de Vere (Earl of Oxford) als mögliche Kandidaten für den wahren Schriftsteller hinter William Shakespeare. Alle sind sie Zeitgenossen von Shakespeare und es gibt Argumente, die für oder auch gegen sie sprechen. Edward de Vere (Earl of Oxford) starb zum Beispiel bereits 1604, während einige Werke von Shakespeare erst nach diesem Zeitpunkt verfasst worden sind. Zwischen dem Schreibstil von Sir Francis Bacon (Wissenschaftler und Philosoph) und Shakespeare soll es gewisse Ähnlichkeiten geben, und Bacon selbst behauptete einmal von sich, ein versteckter Dichter zu sein. Der Dramatiker und Dichter Christopher Marlowe soll sogar seinen eigenen Tod vorgetäuscht haben, um in der Verborgenheit die Werke Shakespeares zu schreiben.

Letztlich geklärt worden sind diese Theorien bis heute nicht. Bisher bleibt die Frage ob, und wenn ja, welchen Ghostwriter es gegeben hat, also ein Mysterium. Für dieses Phänomen gibt es noch andere Beispiele. Auch um Homer ranken sich viele Spekulationen. Der Verfasser der „Ilias“ und der „Odysee“ soll gar nicht existiert haben, behaupten die einen. Die anderen behaupten, die Werke wurden von mehreren Dichtern verfasst und diese unter dem Namen „Homer“ zusammengefasst. Bei diesem Phänomen handelt es sich nicht um die typischen Ghostwriter, wie wir sie heute kennen. Trotzdem gilt für diese Schriftsteller ebenfalls, dass sie unter einem anderen Namen schreiben. Ob es die Person mit diesem Namen gab oder nicht, ist eine andere Frage.

Früher war ein versteckter Autor vielleicht noch an der Handschrift erkennbar, heute in der digitalen Welt gibt auch die Schrift darauf keinen Hinweis mehr (Quelle: nile, pixabay.com)

Während also niemand sicher weiß, wer der Urheber der Texte von Shakespeare oder Homer war, die Debatte darüber, ob es einen Ghostwriter gab, macht den Schriftsteller zu einer zweifelhaften Person. Die Debatte hinterfragt das Genie, das Leistungsvermögen des Dichters und macht ihn so zu einer Person ohne Inhalt. Der Ghostwriter ist eine Figur ohne Hülle, existiert aber in dem Text, den er verfasst hat. Er ist also allgegenwärtig, obwohl sein Name nicht erscheint. Der Schriftsteller, der auf dem Buch steht, ist ein Name ohne Inhalt und abwesend im Text. Wer ist hier eigentlich der Geist?

Einen lesenswerten, weiterführenden Artikel zum Thema Shakespeare-Urheberschaft (aus Zeit online) finden Sie hier.

Beitragsbild: Quelle pixabay