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Manche Geister sind realer, als man denkt. Wenn man mit Depressionen lebt, ist es andauernd so, als würde man von Gespenstern verfolgt. Diese Gespenster kann man nur besiegen, wenn man sie konfrontiert. Ein Erfahrungsbericht.

Wenn man mit Depressionen lebt, ist es ein bisschen so, als würde man konstant von Geistern verfolgt. Diese Geister sind anhaltende Traurigkeit, oft über Tage oder sogar Wochen. Schlaf- und Essstörungen. Lustlosigkeit und Selbstisolation. Selbstverletzende Tendenzen und Ängste. Im schlimmsten Fall sind es Selbstmordgedanken oder -versuche. Weltweit sind es mehr als 300 Millionen Heimgesuchte. Allein in Deutschland sind über fünf Prozent der Bevölkerung betroffen. Unsere Schreckgespenster sind Depressionen.

Dreierlei Gespenster

Bildquelle: Volkan Olmez /​ Unsplash

Wenn ich von Depressionen als Gespenstern schreibe, hat das viele Gründe. Der eine ist, wie schon erwähnt, dass die Symptome und die Krankheit selbst die Betroffenen heimsucht, wie böse Geister, ohne Ankündigung und oft ohne Gründe. Es ist nicht überraschend, dass in religiösen Kreisen bis heute Depressionen oft als Zeichen dämonischer oder geisterhafter Besessenheit gedeutet werden. Betroffene können sich ihren Zustand oft selbst nicht erklären. Angehörige stehen dem häufig hilflos und unverständlich gegenüber.

Der zweite Grund, warum ich Depressionen mit Geistern gleichsetze, ist, dass Menschen mit Depressionen oft selbst zu Geistern werden. Man kapselt sich von der Gesellschaft ab und erfindet Ausreden dafür, nicht aus dem Haus zu gehen. Bekannt ist das Bild davon, tagelang kaum das Bett zu verlassen. So geht es vielen Betroffenen, und auch enge Angehörige kriegen davon leider oft nichts mit.

Der dritte Grund dafür, dass Depressionen wie Gespenster sind, ist ein gesellschaftlicher. Trotz der Allgegenwärtigkeit der Krankheit wird über Depressionen immer noch sehr ungern gesprochen. Ebenso wenig wie über Selbstmord und Suizidgedanken. Wie einen bösen Geist versucht man sie zu ignorieren. Doch Geister kann man nur besiegen, wenn man sie konfrontiert und sich den Gespenstern stellt.

Nicht böse, nur uninformiert

Dass Depressionen in der Öffentlichkeit nicht allzu gerne behandelt werden, kann für Betroffene fatale Folgen haben. Durch fehlendes Wissen sind allerlei Gerüchte oder Falschinformationen über Depressionen im Umlauf. Menschen setzen Depressionen gerne mit Traurigkeit gleich. Traurig zu sein ist jedoch nur ein Symptom von Depressionen. Medikamente können helfen, dieser tief verwurzelten Traurigkeit Herr zu werden. Entgegen dem Glauben vieler Menschen machen Antidepressiva nicht süchtig.

Frauen sind weltweit häufiger depressiv als Männer, doch Männer sind gesellschaftlich bedingt oft weniger fähig, sich ihre Krankheit einzugestehen oder Hilfe zu suchen. Zudem sind Depressionen keine rein psychischen Zustände, sie können auch erblich bedingt sein und manchmal ohne Anlass und selbst bei intaktem Umfeld auftauchen. Der klassische Ausruf hierbei ist wohl: „Warum bist du denn depressiv, dir geht es doch gut?”

Derlei Unverständnis ist meines Erachtens nach und aus persönlicher Erfahrung selbst im besten Fall nicht hilfreich. Im schlimmsten Fall ist es schädlich und mitunter lebensgefährlich. Allerdings ist es auch verständlich, dass man sich ungerne über solche düsteren Themen unterhält oder sich damit auseinandersetzt. Solche Verhaltensweisen in der Gesellschaft sind also nicht bösartig, egal wie fatal die Folgen auch sein können. Sie zeugen allerdings von gefährlicher Ignoranz. Dass ein Wandel im Gange ist, durch soziale Medien und öffentliche Initiativen, ist jedoch positiv anzumerken, so können sich in sozialen Netzwerken betroffene finden und sie liefern Kanäle, über die Krankheit offen zu sprechen.

Die Geister meines Lebens

Bildquelle: Lukáš Rychvalský /​ Stocksnap /​ CC0

Dieses Thema bedeutet mir persönlich sehr viel. Denn auch meine Geister sind Depressionen. Es ist noch nicht lange her, dass ich alleine zuhause war und ernsthaft darüber nachdachte, wie ich einen Suizid am geschicktesten anstellen könnte. Es ist nicht lange her, dass meine Mitbewohner*innen mich tagelang nicht gesehen haben und ich mir nur die Zähne geputzt habe, wenn ich unbedingt aus dem Haus musste, an die Uni oder zur Arbeit. Damals habe ich mich selbst wie ein Geist gefühlt. Ich fühlte mich alleine, hilflos und unverstanden. Obwohl ich viele gute Freund*innen und eine tolle Familie habe. Meine Krankheit und mein eigenes Unwissen haben mich viele Jahre meines Lebens gekostet.

Heute geht es mir besser. Ich habe mich meinen Geistern gestellt und mir Hilfe gesucht. Diese habe ich dann auch erhalten, wenn auch mit einigen Umständen. Denn ein weiteres Problem ist die Erwartungshaltung, dass depressive Menschen sich selbst Hilfe suchen und monatelange Wartelisten in Kauf nehmen. Das alles mit Ängsten und Motivationsproblemen. Hier ist leider noch einiges zu tun.

Sollte irgendjemand diesen Text lesen, der selbst betroffen ist oder Betroffene kennt, die mit ihren Geistern zu kämpfen haben, dem sollte zuletzt das hier noch gesagt sein: Es ist keine Schwäche, sich Hilfe zu suchen. Es ist auch nachvollziehbar, hilflos zu sein, wenn andere betroffen sind. Manchmal reicht es, zuzuhören. Manchmal reicht es, einfach nur da zu sein.

Stellt euch euren Geistern

Wer sich selbst seinen Geistern stellen will, dem seien diese Nummern ans Herz gelegt:

Info-Telefonnummer der Deutschen Depressionshilfe: 0800 3344533

Telefonseelsorge: 0800 111 0 111; 0800 111 0 222; 116 123

In Baden-Württemberg gibt es zudem den Arbeitskreis Leben, der an vielen Orten aktiv ist und oft kurzfristig Hilfe bieten kann. Weitere, tiefer gehende Hilfe muss oft psychiatrisch und/oder psychotherapeutisch erfolgen. Sich Hilfe zu suchen, um mit seinen Geistern nicht allein zu sein, ist jedoch keine Schande und jeder ist es wert, diese Hilfe auch zu erhalten.

Der Hamburger Sportverein e. V. (HSV) ist ein deutscher Fußball-Bundesligist, der ungefähr zur gleichen Zeit entstand, als in England H.P. Lovecraft, das Horrorgenre mit Geschichten über grausige Monster aus den Tiefen des Verstandes, revolutionierte. Ein solches Wesen sollte auch knapp 100 Jahre später den HSV heimsuchen.

Gegründet wurde der Hamburger Sportverein 1919 und durchlief in seiner langen Historie ruhmreiche Zeiten voller Erfolge, großer Titelsiege, steckte aber auch die ein oder andere herbe Niederlage ein. Jedoch gelang es dem HSV als einzige Mannschaft in Deutschland seit der Gründung der Bundesliga im Jahr 1963, bis ins Jahr 2018 am Erstliga-Betrieb teilzunehmen. Das kontinuierliche Bestehen der Hamburger in der ersten Liga brachte ihnen den Spitznamen „Dino“ ein. In ihrem Stadion prangt eine gigantische digitale Uhr, die die Minuten seit der Gründung der Bundesliga mitzählt und somit auch die beharrliche Anwesenheit des HSV in derselbigen.

Doch diese Saison schien etwas anders zu sein. Manch ein Gast des Hamburger Stadions berichtete von kalten Windzügen, seltsamen Geräuschen auf den Tribünen und schlotternden Knien auf dem Platz. Als würde sich ein Schatten über die Arena legen, beginnend, die ewige Uhr des HSV zu umhüllen. Es dauerte nicht lange bis eine Fotografie die Ursache des Phänomens einfangen und dadurch erklären konnte.

quelle: pixabay - das abstiegsgespenst

Das Abstiegsgespenst (Foto: wgbieber, Pixabay)

Das Abstiegsgespenst geistert durch die Medien

Im Mai 2018 stieg der Hamburger SV in die zweite Bundesliga ab. Noch bevor das letzte Saisonspiel ausgetragen worden war, wurde schon von mutmaßlich okkult-agierenden Journalist*innen ein in den Annalen der Bundesliga stets gefürchteter Antagonist beschworen: das Abstiegsgespenst. „Und plötzlich grüßt wieder das Abstiegsgespenst“, titelte Die Welt. Auf RTL-Radio ging ein Joachim-Löw-Imitator in Hamburg auf Abstiegsgespensterjagd. Auf Spox.com geisterte es schon länger durch die Berichterstattung. Der Kicker verpatzte die Beschwörung und verwechselte es mit den Geistern einiger Vereinsikonen aus einem längst vergangenen HSV-Vorfall in Malente. Auch Der Spiegel hatte seine Probleme und meinte noch im März 2018 eher den Teamgeist zu sehen anstelle des Abstiegsgespenstes. Doch hätte man sich in Hamburg nicht wundern sollen, als man das Gespenst um die Köpfe von Fans und Verantwortlichen huschen sah. Denn das ZDF hatte schon Wochen zuvor berichtet: „Stuttgart vertreibt das Abstiegsgespenst.“ Und irgendwo musste es ja hin.

Aber wo kam es her?

Zum ersten Mal erschien das Abstiegsgespenst in einer englischen Karikatur aus dem Jahr 1906. Zu sehen ist der Fußballer Alfred Common, der für eine damals furchteinflößende Summe von 1000. Pfund Sterling von Ligakonkurrent Middlesbrough zu Sunderland wechselte. Davor sollte wohl auch das Abstiegsgespenst Angst haben. Auf der Zeichnung schützt Common seinen neuen Verein, der in Form einer scheuen jungen Frau verkörpert wird, vor einem Gespenst, das die gefürchtete zweite Liga repräsentiert. Noch bis heute jagt den Fußballinteressierten das Gespenst auf dieselbe Art Angst ein. Es kommt schleichend und will einen hinab zerren in die chaotischen Tiefen der unteren Ligen. Wo das Fegefeuer sportlichen Misserfolges wartet und man droht, für immer seinen Platz an der Sonne zu verlieren. Tatsächlich verblieb Middlesbrough in der Premier League und konnte dem Spuk vorerst ein Ende setzen. Common war es dann auch, der den ersten Schritt des Exorzismus einleitete, als er direkt bei seinem Debüt einen unscheinbaren Elfmeter in einen 1:0-Siegtreffer verwandelte. Das effektivste Gegenmittel bei Abstiegsgespensterbefall.

abstiegsgespenst

„Who you gonna call?“ Alfred Common! (Foto: Wikipedia,COM:TAG {{PD-US}})

Fußball und das Spirituelle

Doch existiert das Abstiegsgespenst nicht nur als Hirngespinst geistreicher Journalist*innen. Denn was das Übernatürliche betrifft, ist das Abstiegsgespenst im Fußball in guter Gesellschaft. Fußball wird von Kulturwissenschaftlern*innen und Philosophen*innen schon länger als Art der Ersatzreligion oder Zusatzreligion angesehen und strotzt nur so vor Heiligen, Fußballgöttern und Geistern. Der australische Soziologe Harry Edwards („Sociology of Sport“, 1973) spricht gar davon, Fußball als Super-Religion zu bezeichnen. Ob Fußball Religion ist, steht natürlich zur Diskussion. Aber genau wie Jagd, Krieg, Bürokratie oder auch Formen des Musikkonsums, so kann auch Fußball als Kult beschrieben werden. Der Schritt vom Kult zur Religion ist dann wiederum ein kurzer. Versteht man Religion als die Öffnung einer transzendentalen Welt und Möglichkeit zur Suche nach Bedeutung und Sinn, dann erfüllt der Fußball eigentlich alle Kriterien.

Er öffnet damit aber auch seinen Anhänger*innen die Tür zu einer Geisterwelt. Mal treten die Geister verstorbener Vereinshelden hindurch und setzen sich jungen Spieler*innen belastend auf die Schultern. Oft werden Geister bewusst beschworen zur Unterstützung der eigenen Mannschaft oder zum Leid der gegnerischen. Gerne wird der Fußball aber auch von den Geistern heimgesucht, die er selber gerufen hat. Beispielsweise in Form von geldgierigen Spielerberater*innen und aggressiven Poltergeistern, die auf den Tribünen schwarz vermummt ganze Stadien in dunkle Rauchschwaden einhüllen. Legenden zufolge sind die dunklen Poltergeister meist Vorboten des Abstiegsgespensts. Wo sie gesehen werden folgen meist schon wenig später die ersten Fans, die verkleidet vor der Ankunft des eigentlichen Gespenstes warnen.  So entpuppt sich das Abstiegsgespenst am Ende als die Manifestation der eigenen Angst der Fußballfans. Aber wie schon H.P. Lovecraft sagte: „Selbst bei den größten Ungeheuerlichkeiten ist die Ironie selten abwesend.“

Sie ist das berühmteste Gespenst Nordeuropas, gefeierter Star in mehreren Filmen und das vielleicht sympathischste Gesicht in der „Kammer des Schreckens“ – trotz ihrer dunklen Vergangenheit. Unsere Reporterin Judith Bauer traf die Maulende Myrte.

Myrtes Toilette ist kein fröhlicher Ort. Wahrscheinlich war er das noch nie: Seit Jahrzehnten vernachlässigen ihn die Hauselfen beim Putzen, von jungen Hexen wird er gemieden und der magischen Öffentlichkeit ist er vor allem deshalb bekannt, weil dort einst ein Mord geschah. Auch Myrte selbst ist eine düstere Gefährtin. Dass sie überhaupt zu einem Treffen bereit war, ist ein kleines Wunder – normalerweise reagiert sie auf Anfragen kategorisch unhöflich. Bei meinem Besuch will ich daher auch der Frage nachgehen, wieviel Inszenierung hinter dem Image der tragischen Heldin steckt und ob da nicht eigentlich immer noch die Teenagerin zu finden ist, die sie einst war. Wer ist die Maulende Myrte?

Vorbereitung auf den Geist

Ich sehe dem Treffen in Hogwarts mit einiger Nervosität entgegen. Noch nie habe ich einen Geist gesehen, geschweige denn interviewt. Meine größte Befürchtung ist, dass ich in ein Todes-Fettnäpfchen treten könnte und im Verlauf des Gesprächs vergesse, dass es sich bei ihr um eine Untote handelt. Das Thema ist zu belastet. Noch dazu weiß ich aus den Büchern und Filmen, dass Myrte von besonders sensibler Natur ist, Anspielungen auf ihr gespenstisches Dasein nimmt sie nicht locker. Oder ist das Teil des Theaters? Gerade diese Aura reizt mich: Myrte könnte mystisch und unnahbar sein, sie könnte aber auch eine gewöhnliche, egozentrische 15-Jährige sein, die zu viel Zeit hatte, sich in ihrem Selbstbezug zu suhlen. Ich wende mich daher mit großer Umsicht und in meinem besten Oxford-Englisch an die Pressestelle der Schule, mit der höflichen Bitte, den Brief an Mrs. Moaning Myrtle weiterzuleiten. Wie peinlich, dass ich ihren Nachnamen nicht kenne.

Die überraschende Zusage zum Gespräch erfolgt prompt und postalisch: Myrte macht offenbar Gebrauch von den Schuleulen. Ihre Handschrift (ist es ihre Handschrift? Wie hält sie die Feder?) ist gewöhnlich, das Schreiben konzise und undurchsichtig. Sie lädt mich zu einem kurzen Gespräch ein, ich buche sofort den Flug. Auf der Zugfahrt in Richtung Inverness wird mir klar, dass ich im Begriff bin, eine mittelgroße Berühmtheit zu treffen, von der ich praktisch nichts weiß. Internetrecherchen zu Personen des frühen 20. Jahrhunderts, die ihr Leben in magischer Isolation verbracht haben, sind meist wenig ergiebig. Ich muss mich also auf meinen journalistischen Instinkt verlassen. Doch so viele Details können schiefgehen: Was passiert beim Händeschütteln mit einem Geist? Werde ich sie überhaupt sehen können? Vielleicht durchschaut sie all meine Unsicherheiten, immerhin hat sie sehr viel Lebenserfahrung und kennt sicher viele Menschen, Zauberer zumal. Vorsichtshalber benutze ich die Toilette im Zug, auf keinen Fall möchte ich den Fauxpas begehen und in ihrer Gegenwart über derart profane Dinge sprechen, die auch noch private Erinnerungen wecken könnten.

Auf der Toilette mit Myrte

Am Schlosstor werde ich von einem unscheinbaren älteren Herrn mit Katze abgeholt. Er führt mich wortlos durch die Gänge bis zur Toilette im ersten Stock. Ich bin zu nervös, um auf die Gemälde oder Einzelheiten der Schule zu achten, am nächsten Tag fallen mir keine Details mehr zu diesem denkwürdigen Ort ein. Fotografieren ist ausdrücklich verboten. Ich nehme an, die Warner Brothers haben ihre Finger im Spiel. In der Toilette wartet Myrte auf mich. Als ich eintrete, steht sie mit dem Rücken zu mir am Fenster, am anderen Ende des Raumes. Erst als ich mich mit einem Räuspern bemerkbar mache, dreht sie sich um. Sie schwebt tatsächlich, ihre Füße scheinen den Boden nicht zu berühren. Apropos berühren – über Körperkontakt muss ich mir offsichtlich keine Gedanken machen, sie hält das ganze Gespräch über großen Abstand. Meine Nervosität verschwindet, sobald ich die ersten Sätze sage. Das hier ist letztendlich doch nur ein Interview.

Welchem glücklichen Umstand verdanke ich also die Großzügigkeit ihrer Einladung? Tatsächlich hat sie einen Artikel von mir gelesen, in dem ich über die verkannte Genialität der Erscheinungen in Emily Brontës Sturmhöhe schrieb. Offenbar identifiziert sich Myrte stark mit Cathy Earnshaw. Ich kann diese Antwort zunächst nicht einordnen – in erster Linie schmeichelt es mir sehr, mit meinen bescheidenen Schriften ein prominentes Publikum zu erreichen. Die Antwort ermutigt mich zu den forscheren Fragen auf meinem Zettel. Warum ausgerechnet diese Mädchentoilette? Unterhält sie Beziehungen zu anderen Gespenstern? Wie geht sie damit um, dass die meisten Menschen in ihrem Umfeld (bzw. alle Menschen) so viel jünger sind als sie? Erinnert sie sich an den Moment ihres Todes?

Ein Schrecken ohne Ende?

Myrte lässt sich Zeit mit ihren Antworten, immer wieder wendet sie sich beim Sprechen von mir ab oder schwebt gar durch den Raum. Selten fand ich es so schwer, einer Gesprächspartnerin zu folgen. Auch ihre Art zu sprechen bereitet mir Schwierigkeiten, so bemüht hauchig und leise, gar nicht wie im Film. Was ich über sie erfahre, ist, milde gesagt, ernüchternd. Ihr Tod sei hinreichend in den Büchern beschrieben, interessanter sei ohnehin ihr Leben danach. Mit den Jahren habe sie große Weisheit erreicht und verstehe jetzt sehr viel über menschliches Leid und die Grausamkeit der Welt. Ihr ganzes Leben hindurch habe keiner sie verstanden und auch jetzt fehle ihr die wahre Anerkennung. Harry Potter hätte ohne sie nicht einmal sein zweites Schuljahr überlebt. Überhaupt: Harry Potter! Alle ihre Antworten führen unweigerlich zu langwierigen Auslassungen darüber, wie nahe sie sich gestanden hätten. Es sei sogar mehrmals fast zu einem Kuss gekommen, doch die gesellschaftlichen Konventionen hätten ihn davon abgehalten, seinen wahren Gefühlen nachzugehen. Auf meine hoffnungsvolle Nachfrage zur aktuellen Lage der Geister-Gleichstellung geht sie überhaupt nicht ein. Stattdessen legt sie mir nahe, in meinem Text doch klarzustellen, dass ihre filmische Darstellung nicht akkurat sei. Der Darstellerin fehle die intellektuelle Tiefe für eine derart anspruchsvolle Rolle. Außerdem habe sie eine schlechte Frisur.

Über drei Stunden dauert unser Treffen. Sie spricht auch dann noch weiter, als ich resigniert aufhöre, Fragen zu stellen und mich langsam Richtung Tür bewege. Generationen von Hogwartsschülerinnen lagen nicht falsch: Die Toilette der Maulenden Myrte ist kein guter Ort.